Es heisst immer wieder, der mensch sei das Lebewesen, das die Erde stärker beeinflusst als jedes andere. Bedenkt man, wie wir die Erdoberfläche verändern, das Klima beeinflussen, Arten ausrotten und so weiter, dann erscheint das eine naheliegende Behauptung zu sein. Und doch... es gibt da vielleicht Konkurrenz um den Titel. lasst mich Euch ein kleines Lebewesen vorstellen, das die mesnchliche Vorstellungskraft sprengt! Sagt hallo zu Prochlorococcus marinus.
Prochlorococcus marinus ist ein Cyanobakterium - eine Gruppe von photosynthetisch aktiven Bakterien, die auch als Blaualgen bezeichnet werden und zu denen auch die Vorfahren der Chloroplaste gehören, die Pflanzen die Photosynthese ermöglichen. Prochlorococcus marinus ist klein, mit einem Durchmesser von 0,5 bis 0,7 µm bräuchte man über 100 von ihnen um die Länge einer menschlichen zelle zu erreichen und über 1000 für einen Millimeter. Dafür gibt es viel, nein unfassbar viele und nein, unfassbar ist ein viel zu schwaches Wort, um auch nur einen Eindruck davon zu geben, wie viele - tatsächlich gibt es von Prochlorococcus marinus so viele Individuen, dass es unfassbar viel mehr davon gibt als von den meisten Dingen, von denen wir sagen, es gäbe unfassbar viele. Wie viele? Okay, ich versuche das mal begreifbar zu machen...
Prochlorococcus marinus kommt weltweit in Meeren mit einer Wassertemperatur von mehr als 10°C vor. In einem Milliliter Oberflächenwasser können dabei weit über 100.000 Zellen vorkommen. In einem Liter wären damit 100 Millionen Zellen, auf einen Quadratmeter Wasseroberfläche kommen 100 bis 10.000 Milliarden Zellen. Und weltweit? Nun ja, da kommen Schätzungen auf etwa 3*10hoch27 Zellen, oder in normaler Schreibweise 3.000.000.000.000.000.000.000.000.000. Für die Chemiker unter Euch, das sind 5.000 mol Zellen - das entspricht der Zahl der Atome in einer Tonne Gold oder der Zahl der Moleküle in 275 Litern Wasser. Und während die Chemiker gerade ihre Kinnladen wieder aufheben, müssen wir das für den Rest vielleicht noch ein wenig anschaulicher machen. Schauen wir mal, wie das asussieht, wenn wir es mit anderen großen Zahlen vergleichen...
Auf der Erde leben über 7 Milliarden Menschen, damit kommen auf jeden Menschen über 400 Billiarden Prochlorococcus marinus-Zellen. Okay... das hilft gar nicht.
Wie sieht es mit Sand am Meer aus? Es gibt Schätzungen, dass es etwa 7*10hoch18 Sandkörner auf der Erde gibt, also etwa eine Milliarde pro Menschen! Das heisst aber dass auf jedes Sandkorn auf der Erde immer noch über 400 Millionen Prochlorococcus marinus-Zellen kommen...
Aber da fällt mir ein, dass unser erster Vergleich ja unfair war! Ein Mensch besteht ja nicht aus einer Zelle! Die besten Schätzungen gehen von etwa 30*10hoch12 oder 30.000.000.000.000 Zellen pro Mensch aus - damit kommen wir für die Menschheit als ganzes auf etwa 2*10hoch24 menschliche Zellen, anders ausgedrückt: Ein tausendstel der Individuenzahl von Prochlorococcus marinus...
Okay, ein letzter Versuch: Wie viele Sterne gibt es im sichtbaren Universum? Auch das ist schwierig zu schätzen, aber interessanter Weise kommt man da auf ungefähr die gleiche Zahl wie bei den menschlichen Zellen, also eine 1 mit 24 Nullen. Und wieder gewinnt Prochlorococcus marinus.
Und als wäre das nicht genug, teilen sich die Biester im Schnitt etwa einmal am Tag, das heisst die 3.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Zellen erzeugen Tag für Tag etwa genauso viele neue Zellen, die dann sterben oder gefressen werden. Und dann beginnt man zu ahnen, welche Bedeutung Prochlorococcus marinus für die Welt auf der wir leben hat, denn wer in solchen Mengen vorkommt, ist ein bedeutender Spieler im gesamten Lebenskreislauf des Meeres. Allerdings gibt es hier mit Pelagibacter ubique einen Konkurrenten, denn von Pelagibacter gibt es sogar etwa zehnmal so viele Zellen!
Was Prochlorococcus aber für uns viel, viel wichtiger macht, ist die Photosynthese, denn wer in solchen Mengen vorkommt, hat auch daran einen gewaltigen Anteil und im Fall von Prochlorococcus heisst gewaltig, dass auf diese Bakterien etwa 20% der gesamten Weltphotosyntheseleistung entfällt. 20%! Zwanzig verdammte Prozent! Der Sauerstoff in jedem fünften Atemzug, jedes fünfte Molekül CO2 das aus der Atmosphäre entfernt wird, jedes fünfte Ozonmolekül das uns vor UV-Strahlung schützt und jedes fünfte Kohlenstoffatom, das in Lebewesen vorkommt verdanken wir Prochlorococcus marinus! Und diese 20% sind eher am unteren Ende der Schätzungen...
Kein anderes Lebewesen dürfte für die Welt, wie wir sie kennen, und wie wir sie brauchen, um darauf überleben zu können auch nur annährend so wichtig zu sein. Und wir wissen wenig über Prochlorococcus marinus. Können die kleinen Kerlchen mit dem Klimawandel mithalten? Können sie davon sogar profitieren? Gibt es andere Bakterien, die ihre Rolle übernehmen könnten, wenn Prochlorococcus marinus aus irgend einem Grund schlapp machen sollte?
Sicher ist nur eins: Wenn wir uns als Menschen einmal klein und unbedeutend fühlen wollen, dann müssen wir den Blick nicht unbedingt auf die Sterne richten. Manchmal reicht es, sich eines ganz, ganz winzigen Lebewesens bewusst zu werden.
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Mehr zu Prochlorococcus marinus gibt es natürlich in der deutschen oder englischen Wikipedia, bei Spiegel Online, bei Science oder auch bei Youtube.