Kapitel 10 – Kraut Fu – Die Kunst der Defensive
Pflanzen
gelten allgemein als friedfertig – so friedfertig, dass selbst das
Beschneiden und Pflücken und anschließende Arrangieren ihrer
Überreste als friedliche Aktivität gilt (Dass wir uns zumindest
über Schmerzen keine großen Gedanken machen müssen, haben wir ja
gerade gelernt!). Dabei können viele Pflanzen auch richtige Kämpfer
sein – zum Beispiel das einjährige Rispengras (Poa
annua).
Das kleine Pflänzchen hast Du sicher schon einmal gesehen, es ist
das unscheinbare hellgrüne Gras, das im Sommer in Gehwegritzen und
eigentlich fast überall wächst. Und dieses kleine Gras lässt die
Helden von Actionfilmen wie weinerliche Weicheier aussehen: Es ist
robust genug, um nicht zertreten zu werden, klein genug, um
Pflanzenfressern und Rasenmähern zu entkommen – und wenn es doch
mal beschädigt wird, streckt es einfach die abgerissenen Blätter
wieder empor und treibt wie viele Gräser aus den tief am Boden
liegenden Knospen einfach neu aus – es ist resistent gegen viele
Herbizide, gegen Hitze und Kälte und wächst so schnell, dass es in
fast jedem Klima erfolgreich zu Blüte kommt und selbst wenn eine
Pflanze sterben sollte Samen hinterlässt. Poa
annua
ist eine der wenigen Pflanzen, die sich in der Antarktis ausbreiten
und in Rasenforen wird als Bekämpfungstipp zuweilen geteilt, es
einfach wachsen zu lassen, da alles, was Poa
annua
kurzzeitig erledigt, den Rest des Gartens nur noch mehr schädigt.
Aber Poa annua
zeigt dabei nur das, was Pflanzen generell erstaunlich tough macht:
Ein robuster Körperbau, der flexibel repariert werden kann und noch
robustere Samen als Strategie, selbst dem Tod noch ein Schnippchen zu
schlagen. Schauen wir uns ein bisschen was davon im Detail an!
Das, was Pflanzen eine stabile Struktur gibt, ist die Wand ihrer
Zellen – genauer gesagt das Zusammenspiel von Wand und Turgordruck
– dem Druck der dadurch entsteht, dass Zellen prall mit Wasser
gefüllt sind. Im Prinzip ist eine Pflanzenzelle sowas wie ein prall
aufgepumpter Ballon in einem Korsett! Wie wichtig der innere Druck
zur Aufrechterhaltung von Struktur ist, erkennt man am einfachsten an
einer nicht genug gegossenen Topfpflanze, die die Blätter schlaff
hängen lässt. So eine Zellwand ist aber keine simple, starre
Struktur: Immerhin muss sie nachgiebig genug sein, damit Zellen
wachsen können – und dabei können Zellen diese Nachgiebigkeit
sogar so steuern, dass der innere Druck Zellen in ganz verschiedene
Formen pressen kann! Wie ist ein so festes aber flexibles Wunderwerk
aufgebaut? Im Prinzip zum Großteil aus Zucker, aber geschickt
angeordnetem Zucker – nämlich langen Ketten, den Polysacchariden:
Das
bekannteste ist sicher Cellulose, welche lange, zugfeste Fasern
bildet, die auch die Grundlage für Papier oder Baumwollfasern
liefern. Diese Fasern sind umgeben von Pektin und Hemicellulosen –
chaotischeren Zuckerketten, die aber Wasser binden können und so
eine Art Gel bilden – Pektin nutzt man auch als Geliermittel für
Marmelade oder vegane Gummibärchen. Dieses Gel ist robust gegen
Druck und die Kombination ergibt einen Verbundwerkstoff, der Zug und
Druck aushält – ähnlich vom Prinzip her wie Stahlbeton. Nur kann
eine Pflanzenzelle die Wand um sich herum umbauen, auflockern und
versteifen, zumindest bis sie ihre finale Größe erreicht hat und
die Wand dann mit vielen extra-Cellulosefasern verdickt und
versteift. Zusätzlich können in die Wand wasserabweisende Stoffe
wie Suberin eingelagert werden, zum Beispiel um Verdunstung zu
verhindern. Zusmmen mit aufgelagerten Wachsen ergibt sich auf der
Zellwand eine zähe Schicht als Schutz vor der Außenwelt, die
Kutikula. Diese hat oft noch Falten und mikroskopische Strukturen, so
dass Wasser abperlt und Schmutz, aber auch Pilzsporen und Bakterien
einfach abwäscht – besonders ausgeprägt beim berümten Lotos.
Andere Stoffe werden in die Zellwand eingelagert, um sie noch fester
zu machen. Die wichtigste hiervon ist Lignin, die Substanz, die zum
verholzen von Zellwänden führt. Es gibt verschiedene verholzte
Zelltypen, Holz selbst ist aber nur das beim Dickenwachstum neu
gebildete Xylem, das Leitgewebe, das Wasser und Mineralien aus den
Wurzeln in den Rest der Pflanze transportiert. Lignin ist ein Polymer
aus aromatischen Molekülen, also solchen, die eine ringörmige
Struktur haben. Diese verbinden sich zu einem steifen Netz, das sich
durch die ganze Zellwand erstreckt – wahrscheinlich sogar über
mehrere Zellen hinweg und im Extremfall wohl durch einen ganzen
Pflanzenkörper – Lignin bildet daher die wohl größten Moleküle
überhaupt, in einem Mammutbaum über viele Meter hinweg. Wir hätten
dann ein Molekül, das Tonnen wiegt und zersägt werden kann!
Vom Holz wird in mehrjährigen Pflanzen jedes Jahr mehr angelegt, um
den wachsenden Sproß mit Wasser zu versorgen und zu stützen.
Daneben gibt es aber noch andere verholzte Zellen – in manchen
Pflanzen die Epidermis, in vielen das Sklerenchym genannte
Stützgewebe, das feste Fasern bilden kann – zum Beispiel das, was
wir als Bastfasern kennen – nadelartige Zellen, die als Frassschutz
dienen können und quadratische Steinzellen – die wir aus der Birne
kennen, der sie ihre körnige Struktur geben. Verholzte Pflanzenteile
können auch Barriere nach außen sein, ob als dicke Borke, Dornen
oder Stacheln.
Noch fester können Zellwände werden, wenn Siliziumdioxid
eingelagert wird – im Prinzip Glas! Das macht die Blätter vieler
Gräser so hart, dass sie bei Pflanzenfressern die Zähne abnutzen
und bei manchen Arten die Blattränder so scharf machen können, dass
man damit Haut schneiden kann! Auch Schachtelhalme haben so
verstärkte Zellwände und bilden damit rohrförmige Sproße mit
Papierdünner aber enorm stabiler Wand – beim Schneiden mit einer
feinen Klinge hört man das Knirschen und ruiniert schnell die
Schneide!
Weil
Zellwände so robust sind, sind manche Pflanzenfossilien geradezu
unglaublich gut erhalten – in Schnitten von 400 Millionen Jahre
alten Sprossen einer der frühesten Landpflanzen Rhynia
kann man jede einzelne Zelle noch am ursprünglichen Ort und in
natürlicher Form erkennen! Aber auch Zellwände, die nicht ganz so
lang erhalten bleiben sind wichtig: Sie machen einen Großteil der
Biomasse der Erde und damit des gebundenen Kohlendioxids aus und sind
damit bedeutende Spieler des Klimas. Langsam verrottendes
Zellwandmaterial ist zudem Hauptbestandteil des Humus, der Wasser und
Mineralien im Boden hält und so das Wachstum anderer Pflanzen
verbessert. Weil Zellwandmaterial in der Natur so wichtig ist, ist
auch der Anbau schnell wachsender Bäume für Pelletheizungen nicht
gerade klimafreundlich – zwar setzt man hier nur das Kohlendioxid
frei, das vorher gebunden wurde, man setzt es aber eben viel
schneller frei, als wenn es in Biomasse oder Boden verbleiben würde
und kann dadurch den Gehalt in der Luft deutlich erhöhen!
Pflanzen sind aber nicht nur grobe Klötze, die schwer brechen –
auch wenn sie verletzt werden, können sie oft erstaunlich gut
regenerieren. Die Seitensproßknospen, die auf Vorrat angelegt werden
und bei Verlust der Spitze austreiben können, hatten wir schon im
letzten Kapitel erwähnt und sie sind Teil des Grundprinzips eines
Pflanzenkörpers: Im Prinzip gibt es nur drei Grundorgane: Spross,
Blatt und Wurzel – bei Moosen und Algen sind oft nichtmal die klar
voneinander unterscheidbar. Bei Landpflanzen sind diese auch immer
gleich angeordnet: Wurzeln brechen von innen aus Sprossen oder
anderen Wurzeln, Blätter entstehen an der Sprossspitze und tragen in
ihrer Achsel die Anlage für einen Seitenspross.
Dieses simple System lässt sich nun aber extrem vielfältig
variieren – fördert man die Hauptachse und verholzt sie, entsteht
ein Baum, bleibt sie kurz ein Kraut mit vielen Blättern am Boden,
dazwischen ein Busch und viele Variationen! Und diese Variabilität
erlaubt nicht nur die Vielfalt verschiedener Pflanzenarten, sondern
auch von Individuen innerhalb einer Art: Zum Beispiel kann der
Feldahron als Busch oder Baum wachsen, je nach Standort, viele Arten
können verschiedene Blätter für sonnige oder schattige Standorte
bilden, einige können aus dem Spross neue Wurzeln bilden, sollte er
umknicken und so weiter. Man spricht bei Pflanzen auch von einer
postembryonalen Entwicklung, da im Embryo nur die Grundstruktur aus
einem kurzen Spross mit unverzweigter Wurzel und ein oder zwei
Keimblättern angelegt wird und alles andere später nach Bedarf
gebildet wird – während die meisten Tiere ihre Körperform in der
Embryonalentwicklung festlegen und sich dann mit Verhalten an ihre
Umwelt anpassen müssen.
Und diese Variabilität erlaubt es auch, verlorene Pflanzenteile
einfach an anderem Ort wieder zu ergänzen. Nicht alle Pflanzenarten
sind gleichgut im Regenerieren von Schäden und besonders mit der
Blüte, die eine besondere Investition darstellt, ist oft auch die
Regenerationsfähigkeit eingeschränkt. Manche Arten und Gruppen sind
aber Meister der Regenerationsfähigkeit. So bestehen Grashalme zum
Beispiel wie die Sprosse aller Pflanzen aus Abschnitten, an denen
Blätter sitzen, den sogenannten Knoten und den Abschnitten
dazwischen – den Internodien. Bei Gräsern können die Knoten aber
einseitig wachsen und so als Gelenke funktionieren, so dass sich
umgeknickte Grashalme einfach wieder aufrichten! Und dass sie sich
vom Boden so gut regenerieren können, da ihre Knospen geschützt so
weit unten liegen, ihre Sprosse sich wieder aufrichten können und
ihre Blätter von der Basis nachwachsen, sind Gräser auch viel
resistenter gegen Abweiden (oder Rasenmähen) als viele andere
Pflanzen – im Prinzip sind Gräser und Grasfresser teilweise eine
gigantische Symbiose, bei der die Tiere die Konkurrenz der Gräser
ausschaltet und diese dann ganze Grasländer bilden können!
Weiden wachsen gerne an Gewässerrändern und können dort auch durch
die Strömung entwurzelt werden – bei ihnen können aber selbst
kleine Stücke neue Wurzeln, Sprosse und Blätter bilden, so dass aus
einer zerstörten Pflanze ein kleines Wäldchen werden kann! Das
Vermehren von Pflanzen mit Stecklingen aus kurzen Zweigstückchen
klappt bei vielen Arten mit etwas Pflege bekanntlich auch.
Aber selbst wenn eine Pflanze doch einmal komplett stirbt, ist das
oft nicht das Ende, denn Sporen und Samen, die wir ja schon
kennengelernt haben, sind meist noch viel zäher und können
gefressen werden, teilweise Feuer überstehen und Jahre oder
Jahrzehnte im Boden auf bessere Bedingungen warten. Das sieht man bei
jeder Waldlichtung, auf der Gräser und Kräuter in enormem Tempo
hochwachsen, sobald Bäume Licht auf den Boden lassen. Man sieht es
aber auch nach Erdrutschen, Feuersbrünsten und anderen Katastrophen
– und sogar nach den ganz großen! In der Paläontologie kennt man
fünf große Massenaussterben – sechs, wenn wir unsere aktuelle
Biodiversitätskrise dazuzählt. Aber in der Paläobotanik fallen
diese viel weniger auf, zwar sterben hier auch Arten aus, aber kaum
ganze Pflanzenfamilien oder -ordnungen. Nach dem Asteroideneinschlag
am Ende der Kreidezeit bemerkt man in der Paläobotanik einen
Farnpeak – Farne besiedeln das verwüstete Land am schnellsten
wieder – danach erholt sich die Vegetation. Pflanzen sind nicht wie
Tiere auf von anderen Lebewesen hergestellte Nahrung angewiesen und
ihre Samen können Jahre warten. Wenn sie keimen, dann ist für sie
die Welt in Ordnung, nur die großen Viecher, die sie weggefressen
haben sind weg!
Das heisst
natürlich alles nicht, dass Pflanzenarten unverwundbar sind.
Verlieren sie ihre Bestäuber, sterben sie aus und im Laufe der
Erdgeschichte haben immer wieder andere Pflanzengruppen die
Vorherrschaft übernommen. Gerade Samen sind aber eine enorme Chance,
auch bedrohte Arten zu erhalten und im Kew Gardens, dem größten
botanischen Garten der Welt in London, läuft ein Projekt mit dem
Ziel keimfähige Samen aller bekannter Pflanzenarten vorrätig zu
halten und so deren Aussterben praktisch zu verhindern. Und im
Svalbard Global Seed Vault in Norwegen lagert Saatgut
von Kulturpflanzen, um auch in Katastrophenfällen neu beginnen zu
können – und so die Zähigkeit von Pflanzen auch zur Sicherung
unseres Überlebens zu nutzen!
Kapitel 11 – Die beste Verteidigung ist... Gift!
In Legendenm Theaterstücken, Krimis aber teilweise auch im echten
Leben, gilt Gift als eine Mordwaffe, zu der körperlich schwächere,
hinterlistige, raffinierte Täter und vor allem auch Täterinnen
greifen. Auch wenn es oft als unehrenhafte Waffe gilt, ist es doch
oft auch Mittel der gerechten Rache und oft genug ist es der
Bösewicht selbst, der mit einem vermeintlich triumphalen Biss oder
Schluck sein Schicksal besiegelt. Als Lebewesen, die gerne von
anderen gebissen werden, sind Pflanzen Meister des Kampfs mit Gift.
Dabei haben Pflanzen gegenüber Tieren bei der chemischen
Kriegsführung einen großen Vorteil: Sie stellen alle Substanzen
ihres Körpers selbst her, während Tiere mit allem klarkommen
müssen, was die Nahrung hergibt – auch mit dem, was zu viel da
oder gifitg ist – überspitzt könnte man also sagen, dass alle
Nahrung Gift ist, aber lasst Euch nicht von fragwürdigen
Ernährungsgurus beeindrucken, die jetzt einzelne Sachen als „das
Problem“ herauspicken! Im Prinzip haben Pflanzen und Tiere viele
Substanzen gemeinsam, was ja auch die Grundlage dafür ist, dass
zweitere erstere fressen können – bei Aliens von einer anderen
Welt wäre das nicht so. Neben dem grundlegenden Stoffwechsel gibt es
aber noch den sogenannten Sekundärstoffwechsel – nicht für die
Pflanze lebensnotwendige Substanzen, die für uns Tiere Fluch oder
Segen sein können – schauen wir uns ein paar davon an:
Die vielleicht bekannteste Klasse pflanzlicher Giftstoffe sind die
Alkaloide, stickstoffhaltige Moleküle, von denen viele auf das
Nervensystem wirken können. Hierzu gehören Nikotin, Koffein,
Curare, Morphin, Mescalin und viele mehr. Was an der Liste auffällt,
ist dass viele dieser Gifte gleichzeitig auch als Medikamente oder
Drogen verwendet werden können – während zu viel Morphin töten
kann, kann eine kleine Dosis Schmerzen stillen – aber eben auch
abhängig machen. Colchizin, Vinblastin und Vincristin stört
Zellteilungen, haben aber deshalb auch Potential als Krebsmedikamente
– wenn es gelingt, sie entsprechend zu dosieren oder zu den
richtigen Zellen zu bringen. Curare lähmt die Atemmuskulatur und war
eines der ersten wirklich wirksamen Narkosemittel. Nikotin ist ein
tödliches, schnell abhängig machendes Gift, erlaubt aber auch einem
ganzen Industriezweig, sich an der Sucht von Menschen dumm und
dämlich zu verdienen. Wie Du siehst – Pflanzengifte sind für uns
oft zwei- oder noch mehrschneidige Schwerter! Und das gilt nicht nur
für Alkaloide, sondern auch für andere Substanzklassen wie die
Herzglykoside aus dem Fingerhut, die das Herz antreiben oder bremsen
können.
Eine weitere spannende Klasse pflnzlicher Abwehrstoffe sind die
Senfölglykoside, auch als „Senfölbombe“ bezeichnet – denn
diese Substanzen müssen erst „gezündet“ werden! In der intakten
Pflanzenzelle sitzen die Senfölglykoside in der Vakuole und im
Cytoplasma ist das Enzym Myrosinase. Wird jetzt die Zelle verletzt,
mischen sich die Inhalte beider Teile der Zelle und die Myrosinase
schneidet den Zuckerrest (Glykosid) ab und setzt so die flüchtigen
Senföle frei – und die beissen dann in Mund und Nase! Deshalb
brennt Meerrettich oder ein Radischen umso mehr, je mehr man darauf
herumbeisst und die Schärfe steigt bis in die Nebenhöhlen. Beim
Chili „brennt“ dagegen das Alkaloid Capsaicin und beim Pfeffer
Piperidin, die beide von Anfang an vorliegent und nicht so flüchtig
sind und daher im Mund bleiben.
Überhaupt ist die Verdauung etwas, das Pflanzen häufig stören,
denn damit lassen sich Pflanzenfresser natürlich gut abschrecken.
Tannine sind Gerb- und Bitterstoffe, die in vielen Pflanzen vorkommen
und in kleinen Mengen den herben Geschmack von Tee, Kaffee und Weinen
verursachen, aber auch Nährstoffe binden und Verdauungsenzyme
inhibieren und so zu Blähungen und Bauchschmerzen führen können.
Lektine sind Proteine, die die Zuckerreste an anderen Proteinen
binden und ihre Arbeit so stören können. Manche Lektine stören die
Verdauung, andere können sogar rote Blutkörperchen verklumpen und
sind damit sehr giftig – und damit der Grund, warum manche
Bohnensorten nur gekocht genossen werden sollten, da hier die
Struktur der Lektine zerstört wird (Denaturierung)! Eine andere
Gruppe von Frassschutzproteinen sind Proteinaseinhibitoren, die
Protein abbauende Proteine, die Proteasen, hemmen und so die
Verdauung stören, was vor allem beim Frassschutz gegen Insekten eine
Rolle spielt.
In manche Pflanzen muss man aber nichtmal beissen, oder zumindest
nicht viel fressen, damit es unangenehm wird. Viele Nadelbäume haben
Harz und einige Korbblütler wie der Löwenzahn haben einen klebrigen
Milchsaft, der die Mundwerkzeuge von Insekten verklebt. Bei den
Wolfsmilchsgewächsen ist der Saft zudem giftig und beim
Johanniskraut macht er die Haut extrem empfindlich gegen Sonnenbrand,
so dass man vom Pflücken an einem Sommertag Brandblasen bekommen
kann! Manche Pflanzen haben sogar noch stärkere Kontaktgifte, wie
der amerikanische Giftsumach oder der Manchinelbaum, der als eine der
giftigsten Pflanzen der Welt gilt – bei beiden kann schon
Regenwasser, das in Kontakt mit den Blättern war auf der Haut
schwere Reizungen auslösen! Andere Pflanzen haben Härchen voller
ätherischer Öle auf den Blättern, die abbrechen können, wenn
Insekten darüberlaufen oder klebrige Drüsen, so dass kleine Tiere
hängen bleiben. Die Brennnesseln haben spezialisiete Brennhaare –
Zellen, die wie eine Kanüle mit einem kugeligen Verschluss gebaut
sin, bricht dieser bei Kontakt ab, entsteht eine regelrechte
Injektionsnadel, die den Zellinhalt mit einem Mix aus Säure,
Histamin und dem Neurotransmitter Acetylcholin in die Haut sticht und
zu den bekannten Quaddeln führt!
All diese vielen Abwehrstoffe schützen Pflanzen aber nicht vor allen
Gegnern – manche Spezialisten können die Substanzen entgiften. Bei
den oben erwähnten scharfen Senfölglycosiden ist zum Beispiel das
spannende, dass sie zwar einen hervorragenden Fraßschutz gegen
manche Tiere bieten, aber nicht gegen alle. Manche Insekten wie die
Kohlweißlinge sind auf Verwandte von Kohl und Radischen, die Familie
der Kreuzblütler (Brassicaceae) spezialisert und nutzen die
Senfölglycoside, mit denen sie zurecht kommen, als Wegweiser zum
Futter. Und Vögel, auf die Capsaicin nicht scharf wirkt, verbreiten
Chilisamen, da sie die Früchte fressen können – hier nutzt die
Pflanze sozusagen eine Abwehr gezielt, um die besten Samenverbreiter
auszuwählen! Ach ja und wir sind so seltsam, dass wir den
Schärfeschmerz in gewissem Maß sogar genießen. Wobei sowohl
Capsaicin als auch Senfölglycoside auch gesundheitsfördernde
Wirkungen haben, da sie Kreislauf und Verdauung anregen und wohl auch
Entgiftungsmechanismen anregen können. Wieder vielschneidige
Schwerter! Trotzdem sind auch nicht gegen alle Gegner wirksame Gift-
und Abwehrstoffe für die Pflanzen weiter nützlich, denn von wenigen
Spezialisten gefressen werden, ist meist besser als von jedem –
außer, wenn die Spezialisten sich einmal in Massen vermehren, wie
zum Beispiel der Buchsbaumzünsler, nachdem er in Europa
eingeschleppt wurde, wo er keine natürlichen Feinde hatte.
Selbst gegen Spezialisten können Pflanzen sich aber noch wehren –
mit wiederum spezialisierten Substanzen. Die Eibe bildet zum Beispiel
das Häutungshormon Ecdysteron, das Insektenlarven zur Häutung
anregt – bevor sie eigentlich dazu bereit sind. Gegen
Krankheitserreger können viele Pflanzenarten mehr oder weniger
spezialisierte Gifte bilden, zum Beispiel Chitinasen, die die
Zellwände von Pilzen abbauen. Und wenn das nicht hilft, können sie
befallene Pflanzenteile absterben lassen und ihre
Regenerationsfähigkeit als Teil einer aktiven Abwehr nutzen! Aber
auch hier haben Spezialisten wieder Gegenabwehr entwickelt und
teilweise Pflanzen Gegengegegnabwehren und so gibt es dann anfällige
und resistente Linien auch bei vielen Nutzpflanzen – der
evolutionäre Wettlauf ist nie entscheiden!
Nur manchmal, bauen Pflanzen dann plötzlich alle
Frassschutzsubstanzen ab, weichen die Zellwände auf, reduzieren den
Säuregehalt und lagern leckeren Zucker ein – wenn es an der Zeit
ist, dass Tiere ihre Früchte fressen und die Samen verbreiten. Die
Giftmischerinnen können auch gezielt verführen, wenn es ihnen
nützt!
Kapitel 12 – Attack! Wenn Bäume angreifen
Was ist das erste, dass Dir an einem Baum auffällt? Wahrscheinlich
die Größe! Aber hast Du Dich schonmal gefragt, warum Bäume
überhaupt einen so massiven Stamm haben, der einen großen Teil
ihrer Ressourcen verschlingt? Alleine stehend würde ein Baum
eigentlich keinen Sinn ergeben, die Krone dicht am Boden wäre
effizienter, um mit möglichst wenig Einsatz maximale Photosynthese
zu betreiben. Aber in Konkurrenz mit anderen Pflanzen, ergibt der
Wuchs plötzlich Sinn! Am Boden von dichten Buchen- oder tropischen
Regenwäldern kommt nur noch 1% oder weniger des Sonnenlichts an, die
Bäume dominieren den Kampf ums Licht. Und hier zählt dann schnelles
Wachstum, um nach oben zu kommen. Der Meister ist der Riesenbambus
Dendrocalamus giganteus, dessen Sprosse bis zu fast einem
Meter pro Tag nach oben schießen können. Andere Pflanzen können
dort nur bestehen, wenn sie entweder sehr genügsam sind oder – wie
der Unterwuchs aus Anemonen und Winterlingen im Buchenwald das
Frühjahr nutzen, in dem ihre hochstammigen Herrscher noch keine
Blätter tragen.
Oder man schummelt! Epiphyten sind Pflanzen, die insbesondere in den
Tropen auf anderen Pflanzen wachsen und so näher am Licht sind,
dafür abgeschnitten vom Boden mit seinen Nährstoffen und dem
Wasser. Dafür bilden Bromelien mit ihren Blätten Trichter und
Orchideen haben saugfähige Wurzeln und einige Epiphyten bieten
Ameisen Unterschlupf, die dann mit den anfallenden Abfällen ihrer
Bauten die Pflanze düngen. Als Alternative kann man an einem Baum
hochklettern und sich so viel vom nötigen Stützmaterial sparen.
Besonders raffiniert machen es eine Reihe von tropischen Ficus-Arten,
die als Würgefeigen bezeichnet werden. Diese wachsen erst als
Epiphyten, senden dann Wurzeln zum Boden und umwachsen irgendwann
ihren Trägerbaum so eng, dass er nicht weiterwachsen kann und
abstirbt – die Würgefeige hat dann seinen Platz übernommen!
Aber Pflanzen kämpfen nicht nur ums Licht, auch um Nährstoffe aus
dem Boden, wo Wurzeln ähnlich konkurrieren können wie die
überirdischen Pflanzenteile. Und manche Arten geben sogar Giftstoffe
ab, die das Wachstum anderer Arten hemmen – ein bekanntes Beispiel
ist der Walnussbaum (Juglans regia) unter dem meist eine Zone
freien Bodens liegt, aber auch Wüstenpflanzen sichern sich so genug
Bodenfläche um bei den seltenen Regenfällen genug Wasser
abzubekommen und insgesamt scheint dieser Prozess (Allelopathie)
sogar recht häufig zu sein – nicht umsonst gibt es in vielen
Gartenbüchern Angaben, welche Pflanzen man gut neben anderen anbauen
kann.
Eine weitere Art von Konkurrenz herrscht um Bestäuber und die hat
für uns den Vorteil, dass es so auffällige, bunte und duftende
Blüten gibt! Allerdings kann auch diese Schönheit Probleme
bereiten. So sind Rapsfelder zum Beispiel für Bienen so attaktiv,
dass andere Pflanzen in ihrer Nähe merklich seltener bestäubt
werden.
Manche Pflanzen belassen es aber nicht beim Konkurrieren – sie
stehlen als Parasiten direkt bei anderen Arten. Bekannt ist die
Mistel (Viscum album), die auf Bäumen wächst und als
Halbschmarotzer zwar selbst Photosynthese betreibt, aber ihr Wasser
und ihre Mineralien aus dem Xylem des Wirtsbaums saugt. Der
Teufelzwirn, auch Seide genannt (Cuscuta), ist zwar auch
grünlich, braucht aber seine Wirtspflanzen für ziemlich alles und
ist entsprechend ein Vollschmarotzer. Bei uns kann man im Sommer die
Nesselseide (Cuscuta europaea) wie grüne Schnüre Brennnesseln
umwindend, weltweit gibt es etwa 140 Arten, die an ganz verschiedenen
Pflanzen parasitieren. Andere Pflanzen bleiben gleich fast komplett
unter der Erde und schmarotzen an den Wurzeln ihrer Wirte und
strecken nur die Blüten nach oben. Dazu gehören die oft
orchideenähnlich aussehenden Sommerwurzen (Orobanche),
aber auch die tropische Rafflesia, die mit bis zu einem Meter
Durchmesser die größten Einzelblüten der Welt bildet!
Und
manche Pflanzen stehlen ihre Nährstoffe nicht von anderen Pflanzen,
sondern von Tieren: Die fleischfressenden Pflanzen! Fleischfressende
Pflanzen leben vor allem an Stellen, die sehr nährstoffarm sind, wie
in Mooren oder als Epiphyten auf anderen Pflanzen im tropischen
Regenwald – die oft aufwändigen Fangblätter lohnen sich wohl
sonst nicht. Die einfachsten Fallen sind klebrige Blätter wie wir
sie schon bei der Insektenabwehr kennen gelernt haben und die als
Fangblätter nur noch etwas klebriger werden müssen. So etwas finden
wir bei den Fettkräutern (Pinguicula) oder
etwas raffinierter beim Sonnentau (Drosera) bei dem nicht das
ganze Blatt klebt, sondern Haare mit Klebstofftröpchen. Das spart
Klebstoff und da sich die Blätter um ein Beutetier einrollen können,
entsteht trotzdem ein enger, der Verdauung förderlicher Kontakt. Das
Blatt muss dann nur noch Verdauungsenzyme abgeben, die wir aber auch
schon aus der Feindabwehr kennen – so verwunderlich die
Anpassungen fleischfressender Pflanzen also scheinen mögen, als
Abwehr, die den Spieß umdreht ist auch ihre evolutionäre Geschichte
gut nachvollziehbar! Die zuklappenden Blätter der Venusfliegenfalle
sind dann im Prinzip einfach Klebblätter, die sich so schnell
schließen können, dass sie keinen Klebstoff mehr brauchen.
Die Wasserschläuche
(Utricularia) haben Unterwasserfallen, die sich bei Kontakt
mit kleinen Tieren blitzschnell öffnen und ihre Beute so einsaugen
können – grob gesehen ein ähnlicher Mechanismus wie bei den auch
unter Spannung stehenden Früchten des Springkrauts, die sich
schlagartig öffnen!
Und dann gibt es noch die
verschiedenen Fallgrubenblätter, bei denen Insekten in eine Röhre
oder einen Trichter mit glatten Wänden rutschen und dort ertrinken.
Besonders komplexe Blätter haben die Kannenpflanzen (Nepenthes),
deren Blätter an der Basis breit und grün sind und Photosynthese
treiben, dann in einen windenden Blattstiel übergehen und am Ende
die Fallenkanne haben. Aber
schaut man genauer hin, dann nutzen gar nicht alle Nepenthes-Arten
diese Fallen, um arglose Insekten zu fangen. Auch Regen und Erde kann
sich darin sammeln und hier wie bei anderen fleischfressenden
Pflanzen können auch gefangene Pollen und sogar Laub einen
wesentlichen Teil der „Nahrung“ ausmachen. Des weiteren werden
auch Algen verdaut, die in der Kanne wachsen und in manchen bauen
Ameisen ihre Nester, deren Abfälle dann die Pflanze düngt. Manche
Kannen sind sogar groß genug, dass kleine Fledermausarten darin
schlafen können, deren Guano wieder einen hervorragenden Dünger
abgibt! Und die beste Geschichte liefert vielleicht Nepenthes
lowii,
an deren Kannenrand eine weißliche Substanz Spitzhörnchen anlockt,
die dann auf der Kanne sitzend diese abschlecken und wieder mit ihrem
Geschäft düngen! Nepenthes-Arten
sind also wohl eher allesfressende Pflanzen...
Nur
was Krankheitserreger angeht, finden sich die unter Pflanzen kaum.
Die Horrorgeschichten, die man früher Kindern erzählt hat, dass
verschluckte Apfelkerne im Bauch keimen würden, sind nur
Geschichten. Selbst wenn ein Samen einen Platz fände, der weder zu
sauer ist, noch den Keimling verdaut, würde das Pflänzchen im
Dunklen schnell absterben und verdaut werden. Was uns keimend Ärger
machen kann, sind Pollen auf der Nasenschleimhaut, aber auch diese
überleben nicht lange. Manche Algen sind eine gefährliche Quelle
für Vergiftungen, darunter die Fischvergiftung Cigautera, aber das
ist kein gezielter Angriff auf uns. Manche Algen können aber auch
Tiere besiedeln und während die Algen die das Fell von Faultieren
grün färben, diesen sogar nützlich sind, gibt es ein paar andere
einzellige Algen, die immungeschwächte Tiere und Menschen befallen
können und eine Gattung von Grünalgen, die tatsächlich ein
Krankheitserreger ist: Protoheca.
Diese einzelligen Algen bilden kein Chlorophyll und können
gelegentlich die Haut und andere Organe befallen. Aber wie gesagt,
das ist die absolute Ausnahme.