Freitag, 1. April 2022

Der Grüne Planet, Teil 3 (Kapitel 7, 8 und 9)


 

Kapitel 7 – Sieh mir in die Sproßspitze, Kleines!

Vielleicht gehörst Du ja zu den Leuten, die mit ihren Zimmerpflanzen reden, aber sehr wahrscheinlich hast Du ihnen noch nie in die Augen geschaut – wahrscheinlich weil sie einfach keine haben, genausowenig wie Ohren. Aber trotzdem reagieren Pflanzen bekanntlich auf Licht und so stellt sich die Frage: Was nimmt so ein grünes Wesen eigentlich alles wahr und merkt es, dass wir uns mit ihm beschäftigen?

Das wichtigste Signal, das Pflanzen aus ihrer Umwelt erreicht, ist sicher Licht – denn Licht ist die Energiequelle der Photosynthese und ohne Licht geht für die allermeisten Pflanzen gar nichts. Wächst eine Pflanze im Licht, dann bildet sie grüne Blätter und kräftige Wurzeln, man spricht hier von der Photomorphogenese (Gestaltbildung im Licht). Wächst eine Pflanze im Dunklen, streckt sich der Sproß so weit wie möglich und alle anderen Vorgänge werden zurückgehalten, um Energie zu sparen – die Blätter bleiben klein und weiß, die Wurzel kurz (Skotomorphogenese, Gestaltbildung im Schatten). So haben vor allem Keimlinge die Chance, ins Licht zu kommen und dort dann grüne Blätter zu bilden und nicht vorher ihre Reserven zu verbrauchen und zu verhungern. Für die Photomorphogenese haben Pflanzen zwei wichtige Rezeptoren, meist in mehreren Varianten: Cryptochrome und Phytochrome. Die Cryptochrome reagieren vor allem auf blaues Licht, die Phytochrome auf rotes – und damit genau auf die Wellenlängen, die die Photosynthese am besten nutzen kann!

Für viele Pflanzen spielt Licht auch eine entscheidende Rolle bei der Keimung – denn je nachdem, wie viele Nährstoffe ein Samen trägt, ist es besser an der Oberfläche zu keimen, wo der Keimling gleich mit der Photosynthese beginnen kann (Lichtkeimer) oder besser geschützt in der Erde (Dunkelkeimer). Viele Ruderalpflanzen, also solche, die schnell auf offenen Flächen wachsen und für uns oft unter den Begriff „Unkraut“ fallen, sind Lichkeimer. Und das erlaubt auf dem Acker einen Trick: Generell dient Pflügen dem Auflockern und Belüften der Erde, der Verteilung von organischem Material im Boden und dem Zerstören unerwünschter Vegetation. Allerdings bringt es auch die Samen eben solcher unerwünschter Pflanzen an die Oberfläche. Pflügt man nachts, dann keimen nur die Samen, die tatsächlich an der Oberfläche gelandet sind, pflügt man tagsüber können auch einige keimen, die nur kurz Licht abbekommen haben. Der Effekt kann in manchen Versuchen enorm sein (2% Bodenbedeckung durch "Unkräuter" statt 80% https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF01131157.pdf). Die Autoren merken aber auch an, dass die Methode dunkelkeimende Unkräuter selektieren könnte und damit genauso empfindlich für Resistenzen sein könnte wie Herbizideinsatz. Und Pflügen auch einen Beitrag zur Erosion und dem Verlust von Boden beiträgt - eines der größten und am wenigsten bekannten Probleme der weltweiten Landwirtschaft, ist Pflügen als Unkrautbekämpfung auch nicht unbedingt umweltfreundlicher als ein gezielter Herbizideinsatz. Auch hier gilt: Einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt es selten. Und wie man am besten Pflanzen anbaut, um die Menschheit zu ernähren ohne unsere Umwelt zu zerstören ist ein sehr komplexes Problem!

Aber Pflanzen nehmen nicht nur wahr, ob Licht da ist oder nicht, sie können auch die Richtung wahrnehmen und ihr Wachstum zum Licht hin ausrichten. In Kapitel 1 hatten wir schon über die Blätter der Sonnenblume gesprochen, aber ein Wachstum zum Licht (Phototropismus) findet sich bei allen Pflanzen – und nicht nur auf der sichtbaren Ebene, denn in vielen Zellen richten sich sogar die Chloroplasten, die grünen Organellen, die das Sonnenlicht auffangen, je nach Beleuchtung unterschiedlich aus. Pflanzen nutzen also verschiedene Informationen aus dem Licht wie Menge und Richtung, um ihre Photosynthese zu optimieren.

Einer der ersten, der hier genauer hinschaute war – mal wieder – Charles Darwin, der mit seinem Sohn Francis Versuche an Weizenkeimlingen machte. In diesen konnten sie beobachten, dass die Pflänzchen sich etwas unter der Spitze zum Licht krümmten, aber ein Abschneiden oder verdecken der Spitze diese Bewegung verhindert. Die Darwins vermuteten, dass in der Spitze ein Stoff ungleich verteilt wird, der dann nach unten wandert und so zu ungleichmäßigem Wachstum im Sproß und in der Folge zur Krümmung führt. Nicht nur hatten sie damit die Anfänge der Pflanzenphysiologie gelegt, sondern auch eines der ersten Modelle für ein Hormon aufgestellt – und sie sollten Recht behalten! Heute wissen wir, dass eine weitere Klasse von Blaulichtrezeptoren – die Phototropine – und das Pflanzenhormon Auxin hier zusammenspielen.

Neben der Menge und Richtung, können Pflanzen aber auch die Wellenlängen von Licht analysieren – sozusagen Farben erkennen! Und dabei spielen die schon genannten Phytochrome eine besondere Rolle. Die können nämlich in zwei Zuständen vorliegen: Gebildet werden sie in einer Form, die durch relativ kurzwelliges rotes Licht angeregt werden kann, das auch energiereich genug ist, um in der Photosynthese genutzt zu werden. Durch diese Anregung werden sie in eine zweite Form umgewandelt, die in den Zellkern wandert und Gene aktivieren kann, aber auch durch längerwelliges, energieärmeres Licht wieder in die Ausgangsform überführt werden kann. Aus dem Verhältnis der beiden Formen kann eine Pflanze dann also auch ablesen, wie sich die Rottöne im Licht verteilen – und das ist deshalb genial, weil sie daran erkennen kann, ob sie im Schatten anderer Pflanzen steht! Diese absorbieren nämlich das blaue und das kürzerwellige rote Licht, lassen aber das längerwellige Rotlicht durch – wenn Du einmal unter einer Buche nach oben schaust, kannst Du manchmal erkennen, wie rotstichig das hindurchfallende Licht ist. Und da ein Teil des langwelligen Rotlichts auch reflektiert wird, kann eine Pflanze sogar erkennen, wenn sie neben einer anderen wächst – und entsprechend schneller wachsen, um nicht im Schatten zu enden. Wenn in einem Maisfeld alle Pflanzen ungefähr gleich groß sind, dann bewirkt diese Wahnehmung das! Und dieses pflanzliche „Farbensehen“ ist enorm sensitiv – auch bei Maispflanzen hat man einen Effekt auf das Wachstum in bis zu 30 Metern Abstand zu einem Waldrand bemerkt – selbst die besten menschlichen Künstler dürften kein solches Auge für Lichtfarbe haben!

Phytochrome spielen aber sogar noch bei einem anderen Effekt eine wichtige Rolle – nämlich für die Steuerung der inneren Uhr und für die Messung der Tageslänge – wobei Pflanzen genau genommen die Länge der Nacht messen. Stört man nämlich die lange Nacht durch einen Lichtpuls, messen sie nur die längste Dunkelphase und verhalten sich dann wie bei langen Tagen. Und die Tageslänge ist für Pflanzen eine wichtige Information, denn sie zeigt das Fortschreiten des Jahres an. Im Sommer blühende Pflanzen brauchen zum Beispiel eine gewisse Tageslänge, um Blüten zu bilden und zu öffenen, Herbstblüher machen das erst, wenn die Tage eine bestimmte Länge wieder unterschreiten. Die innere Uhr dagegen erlaubt es Pflanzen auch an trüben Tagen und in der Nacht richtig zu reagieren – zum Beispiel bei der Sonnenblume, die Blätter wieder in die Ausgangsstellung zurückzubewegen. Hier ist Licht ein wichtiger Taktgeber, damit der innere Rhythmus auch tatsächlich einem 24-Stunden-Tag folgt. Hält man Pflanzen im Dauerlicht, dann geraten die Zyklen wie bei uns übrigens auch aus dem Takt!

Und als wäre all das nicht genug, hat man noch weitere Lichtrezeptoren in Pflanzen entdeckt, welche, die helfen, die innere Uhr zu steuern und andere, die UV-Licht messen und die Bildung von Schutzsubstanzen anregen – die Entsprechung zu unserem Braunwerden – bei manchen Pflanzen kann man das am Rotwerden von Blättern erkennen – besonders auffällig beim Ruprechtskraut oder Stinkenden Storchschnabel (Geranium robertianum), dessen Blätter im Schatten grün bleiben, in der Sonne aber blutrot werden können!

Pflanzen nehmen Licht also anders wahr als wir und können keine Bilder sehen, aber in der Komplexität ihres „Sehens“ stehen sie uns kaum nach. Aber wie sieht es mit anderen Sinnen aus - Riechen, Fühlen oder Hören?



Kapitel 8 – Wenn Pflanzen Füße hätten, könnten sie dann hören?

Die Frage mag komisch erscheinen, aber sie ist tatsächlich eine ziemlich intelligente Überlegung, die in einer Twitterdiskussion über Sinnesleistungen von Pflanzen aufkam. Hören ist für Tiere ja überwiegend ein Sinn, um sie vor Feinden und Gefahren zu warnen oder auf Futter oder mögliche Partner aufmerksam zu machen – und fast immer ist dann weg- oder hinlaufen die beste Reaktion. Und Pflanzen können das nicht und können auch mit Wachstum oder Stoffwechsel nicht schnell genug auf die meisten solcher Reize reagieren. Tatsächlich hören auch viele wirbellose Tierarten nicht, so wichtig uns Menschen der Sinn erscheint. Immer wieder haben Leute behauptet, dass Musik, die uns Menschen ja emotional besonders anspricht, auch das Wachstum von Pflanzen beeinflussen soll – nur konnte das bisher niemand überzeugend zeigen. Und es ist gar nicht so einfach, schwache Effekte auf Pflanzen durch Musik oder mit ihnen sprechen nachzuweisen – denn wie wir gesehen haben – und noch sehen werden – reagieren sie auf viele Reize und Schall ohne andere Reize wie Luftbewegung, Wärme oder Kohlendioxid aus unserer Atemluft anzubieten, ist gar nicht so einfach. Kommen dazu zufällige Effekte und menschliche Faktoren, wie unsere Tendenz, eine Pflanze, mit der wir reden vielleicht auch sonst besser zu behandeln – indem wir sie zum Beispiel regelmäßiger gießen und düngen – dann können wir für viele esoterischen Behauptungen anekdotische Evidenz erzeugen, die sich in besser kontrollierten Experimenten nicht reproduzieren lassen.

Trotzdem gibt es ein paar Hinweise, dass zumindest manche Pflanzen auf bestimmte Frequenzen reagieren können. Das vielleicht am besten belegte Phänomen ist die Vibrationsbestäubung, bei der Bienen und Hummeln vor einer Blüte brummend in der Luft schweben und dadurch die Freisetzung von Pollen fördern. Manche Staubblätter schütteln sogar nur dann ihre Pollen aus, wenn sie mit der richtigen Frequenz angebrummt werden! Richtiges Hören ist das aber sicher nicht, eher ein in der Form der Organe angelegtes passives Mitvibrieren. Näher an echtem Hören wären ein paar Versuche, die gezeigt haben wollen, dass Pflanzenwurzel zum Geräusch fließenden Wassers wachsen oder mehr Abwehrstoffe bilden, wenn man ihnen das Geräusch fressender Raupen vorspielt. Wie überzeugend diese Daten sind, da sind sich die Wissenschaftlerinnen aber nicht einig und über mögliche Mechanismen wissen wir noch nichts. Grundsätzlich haben Pflanzen natürlich Strukturen, die bei bestimmten Frequenzen mitschwingen und so ein verwertbares Signal erzeugen könnten – von Härchen auf den Blättern und Wurzeln bis zu den Wänden von Zellen. Aber insgesamt bleibt die Frage, ob manche Pflanzen doch ein bisschen hören können, ohne klare Antwort.

Für Fühlen sieht die Sache aber schon ganz anders aus. Zwar muss man auch hier aufpassen, denn nicht jede Reaktion auf Berührung belegt eine echte Sinneswahrnehmung – die Früchte des Springkrauts stehen zum Beispiel einfach so unter Spannung, dass eine Berührung ausreicht, sie platzen zu lassen – etwas später hätten sie das auch von allein getan. Aber die schon in Kapitel 1 erwähnten Mimosen oder Venusfliegenpflanzen zeigen uns beeindruckend, dass Pflanzen auf Berührung reagieren können – und das sogar komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint!

Auf den Fangblättern der Venusfliegenfalle sitzen mehrere Tastborsten. Aber nicht bei jeder Berührung schnappt die Falle zu – wie Du vielleicht schonmal bemerkt hast, wenn Du eine Falle mit einer Pinselspitze oder ähnlichem gereizt hast. Erst wenn es zwei Berührungen innerhalb von etwa 20 Sekunden gab, schnappt die Pflanze zu! So erwischt sie krabbelnde Insekten, aber verschwendet keine Energie für Regentropfen. Bei der Mimose fällt die Reaktion der Blätter und Sprosse unterschiedlich stark aus, je nachdem wieviel Wind und Berührungen die Pflanze bereits erlebt hat – eine abgehärtete Mimose reagiert gar nicht mehr so empfindlich! Und diese Anpassung, fast schon einfache Lernfähigkeit, verhindert, dass die Pflanze auf die falschen Reize überreagiert.

Dass Pflanzen ihren Wuchs an Wind anpassen, kannst Du aber auch in den Bergen, an der Küste oder an manchen Waldrändern gut beobachten – Bäume, die starkem Wind ausgesetzt sind, bleiben kleiner und bilden einen dickeren Stamm. Auch Pflanzen, die oft berührt werden oder denen man Blätter abschneidet reagieren ähnlich – Pflanzen streicheln ist für diese also eher Stress. Aber insgesamt erlaubt, diese Wahrnehmung Pflanzen, sich wieder ideal an ihren Standort und dessen Bedingungen anzupassen.

Noch wichtiger ist ein „Tastsinn“ für Wurzeln, denn diese müssen ja sozusagen erspüren, durch welche Erde sie gut wachsen können, um welche Steine sie herum müssen und bei all diesem hin und her müssen sie auch noch die generelle Richtung beibehalten! Wurzelspitzen können dafür die Richtung der Schwerkraft spüren, im Prinzip eine Art Gleichgewichtsssinn. Besonders schön kann man das zeigen, wenn man Pflanzen auf Platten wachsen lässt und diese dann dreht, oder in einer Zentrifuge – immer orientieren sich die Wurzeln dahin, wo die wirkenden Kräfte ihnen ein „unten“ anzeigen. Wir wissen sogar ziemlich genau, wie Wurzeln das bewerkstelligen, in der Wurzelhaube, die die wachsende Spitze schützt, gibt es nämlich ein paar besonders stärkereiche und damit schwere Plastiden, die in ihren Zellen nach unten sinken – und damit wohl einen kleinen aber ausreichenden Tastreiz nach „unten“ erzeugen.

Ein weiterer Sinn, der für uns zum Fühlen zählt, ist der Temperatursinn. Temperatur spielt auch für Pflanzen eine große Rolle, bei der Entscheidung, wann geblüht, gekeimt und gewachsen wird. Und dabie haben viele Pflanzen sogar ein Temperaturgedächtnis. Viele Samen keimen nämlich erst, wenn die Temperaturen günstig sind und sie vorher schon einmal tiefe Temperaturen erlebt haben – so gehen sie sicher, erst im Frühjahr zu keimen und nicht schon im Herbst, wo die Keimlinge den Winter kaum überleben würden. Ganz ähnlich blühen viele Pflanzen auch erst, wenn sie eine Kälteperiode erlebt haben. Und so integrieren Pflanzen in ihre Blühentscheidung Informationen aus Temperatur, Licht und anderen Faktoren – bekannt ist die Kirschblüte, die als ein Zeichen des beginnenden Frühlings gilt. Aber sogar die Meteorologie nutzt den Blühbeginn, um den sogenannten „phänologischen Frühling“ zu definieren: Mit der Haselblüte beginnt im Januar der Vorfrühling, mit der Forsythie Ende März der Erstfrühling und mit der Apfelblüte im April der Vollfrühling. Und dank jahrelanger Aufzeichnungen wissen wir auch, dass all das immer früher einsetzt, was wieder mal den Klimawandel dokumentiert.

Nach Sehen, Hören und Fühlen bleiben uns noch die chemischen Sinne, die verschiedene Substanzen detektieren können: Schmecken und Riechen. Und auch da können Pflanzen einiges mehr, als man ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde: Ein spektakuläres Beispiel ist die Kommunikation über flüchtige Hormone - das bekannteste Beispiel sind vielleicht Akazien, die wenn sie angefressen werden ihre Nachbarn "warnen". Diese bilden dann recht schnell mehr Giftstoffe und würden so Pflanzenfressern den Appetit verderben - weshalb Giraffen an jeder Akazie nur relativ kurz fressen und dann zur nächsten gegen den Wind wandern! Immerhin schützt das die Bäume davor, zu stark abgefressen zu werden.

Wurzeln sind auch hier vielleicht die begabtesten Pflanzenorgane, denn sie können Wasser, Nährstoffe und schädliche Salze im Boden wahrnehmen und entsprechend ausweichen, schneller oder langsamer wachsen und mehr oder weniger Wurzelhaare bilden oder auch den Boden gezielt ansäuern oder Substanzen abgeben, um mehr Nährstoffe freizusetzen – man könnte sagen, eine Wurzel schmeckt und tastet sich durch dir Erde und verdaut sie gezielt!

Die wichtigsten chemischen Sinne sind aber wahrscheinlich für Pflanzen – genauso wie für uns – nicht die, die die Umwelt erkunden, sondern die, die den eigenen Körper wahrnehmen und steuern. Pflanzenzellen können die Konzentrationen an Zuckern und verschiedenen Nährstoffen messen und dann ihren Stoffwechsel anpassen oder über Hormone sogar den restlichen Pflanzenkörper informieren – sozusagen die Entsprechung von Hunger oder Apetit auf eine bestimmte Speise. Spaltöffnungen, von denen wir bei der Photosynthese noch mehr hören werden, messen die Kohlendioxidkonzentration im Blatt und öffnen sich, wenn diese zu niedrig wird. Und auch auf Gefahren können Pflanzen so reagieren, indem sie zum Beispiel Bruchstücke pflanzlicher oder tierischer Zellwände und bestimmte bakterielle Moleküle erkennen und so wahrnehmen können, ob sie gerade angefressen oder infiziert werden – und entsprechend ihre Abwehr aktivieren.

Wenn Pflanzen aber so viel von ihrer Umwelt und aus ihrem eigenen Körper wahrnehmen und sinnvoll darauf reagieren, dann drängen sich auch Fragen auf wie: Spüren Pflanzen Schmerz, sind sie intelligent, haben sie ein Bewusstsein oder eine Seele?

 

Kapitel 9 – Hat meine Mimose Gefühle?

Für Aristoteles hatten alle Lebewesen eine Seele, zumindest eine mit den grundlegendsten Fähigkeiten – Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung. Nur Tiere erreichten nach seiner Vorstellung die nächste Ebene, wo die Seele Wahrnehmung, Bewegung und zielgerichtetes Handeln ermöglicht. Und nur Menschen hatten eine Seele, die auch das Denken erlaubt. Auch wenn man Aristoteles zu Gute halten muss, dass er dem Leben etwas Gemeinsames zugesprochen hat, ist seine Einteilung mit dem, was wir über Pflanzen inzwischen wissen, kaum haltbar – und genauso kennen wir heute so viele erstaunliche Denkleistungen von Tieren, dass die ganze Dreiteilung fragwürdig erscheint und alles eher ineinander übergeht. Überhaupt ist der Begriff der Seele so schwer zu definieren, dass er wissenschaftlich kaum zugängig erscheint. Aber auch bei Schmerzen, Intelligenz und Bewusstsein können wir keine eindeutigen Grenzen ziehen. Dass Pflanzen die Grundlagen für all das mitbringen, haben wir gesehen – aber vielleicht ist es am besten, wenn wir erst noch ein bisschen genauer hinschauen, wie Pflanzen Informationen verarbeiten, bevor wir uns an Antworten herantasten.

Ein tierischer Körper verteilt Informationen über verschiedene Systeme: Das schnellste ist das Nervensystem, das bei vielen Tieren auch ein klares Zentrum hat, wenn es weit genug entwickelt ist, bezeichnet man es als Gehirn. Daneben gibt es Hormone, einen Kreislauf, der für den Stoffwechsel wichtige Substanzen verteilt und nicht zuletzt ist der ganze Körper auch mechanisch zusammenhängend.

Die mechanische Kommunikation und den Austausch von Substanzen über Leitsysteme finden wir in Pflanzen auch. Und auch Hormone gibt es hier – wir hatten bei der Lichtwahrnehmung schon davon gehört. Zwei der wichtigsten Klassen an Pflanzenhormonen sind Auxin – das vor allem im Sproßspitze gebildet wird und unter anderem Zellen zur Streckung anregt – und Cytokinine – die in der Wurzelspitze gebildet werden und unter anderem Zellen zur Teilung anregen. Diese beiden Hormonsysteme organisieren ganz wesentlich den Pflanzenkörper, beeinflussen aber im Gegensatz zu den meisten tierischen Hormonen sehr viele verschiedene Prozesse und erlauben so auch viele Anpassungen des Pflanzenkörpers. Zum Beispiel beruht die Krümmung der von Darwin und seinem Sohn beobachteten Weizenkeimlinge auf einer ungleichmäßigen Verteilung von Auxin im Sproß. Außerdem hemmt Auxin die Ausbildung von Seitensproßen – in manchen Pflanzen mehr, so dass vor allem eine Hauptachse gebildet wird, in anderen weniger, so dass sie buschiger wachsen. Und wenn man zum Beispiel eine Weide köpft, dann führt der Wegfall des Auxinsignals dazu, dass ganz viele neue Seitensproße austreiben! Andere Hormone arbeiten mit Auxin und den Cytokininen bei der Organisation des Pflanzenkörpers zusammen koordinieren die pflanzliche Stressabwehr oder signalisieren Wassermangel auch zwischen weit voneinander entfernten Pflanzenteilen. Auch das pflanzliche Hormonsystem kann mit unserem also ganz gut mithalten.

Aber wie ist es mit einer Entsprechung zu unserem Nervensystem? Tatsächlich können Pflanzen auch elektrische Signale erzeugen und nutzen – die Bewegungen von Venusfliegenfalle und Mimose werden so gesteuert. Allerdings laufen diese Signale in Pflanzen nicht entlang spezialisierter Zellen wie in Tieren, sondern durch das ganz normale Gewebe – eine mögliche Erklärung ist, dass Pflanzenzellen dank ihrer Zellwände viel geordneter vorliegen, als tierische Zellen, die verformbar sind und teilweise sogar wandern können. Während ein Tier für einen gerichteten Signaltransport also sowas wie ein beständiges Kabelnetzwerk braucht, können normale Pflanzenzellen Signale wie in einer Eimerkette weiterreichen.

Trotzdem gibt es ein paar Botaniker, die sagen, es sei sinnvoll, die pflanzliche Signalweiterleitung mit den Begriffen der Neurobiologie zu beschreiben – sie nennen ihr Forschungsgebiet entsprechend auch Pflanzenneurobiologie. Und manche von ihnen sehen sogar in den Wurzelspitzen eine Entsprechung zu tierischen Gehirnen, da hier Informationen wie die Richtung der Schwerkraft und der Nährstoff- und Wassergehalt des Bodens wahrgenommen und an den Rest der Pflanze kommuniziert wird, letztendlich hier also zentrale Entscheidungen getroffen werden. Tatsächlich war auch das schon Charles und Francis Darwin aufgefallen, die eine „root-brain“-Hypothese aufstellten, die besagt, dass Wurzelspitzen ähnlich funktionieren wie die Gehirne niederer Tiere.

Allerdings ist ähnlich eben nicht gleich – und so spannend es ist, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, so leicht kann es einen auch in die Irre führen, Vergleiche zu weit zu treiben. Auch wenn manche Mechanismen zwischen Pflanzenzellen denen zwischen Nervenzellen ähneln, haben sie eben doch keine Nervenzellen. Und auch wenn Wurzelspitzen eine gewisse Intelligenz zeigen, haben Pflanzen eben doch kein zentrales Gehirn, sondern viele Wurzelspitzen und dazu einen Sproß, der ähnlich wichtige Entscheidungen trifft – wie wir beim Licht gesehen haben. Und auch die vielfältigen Wahnehmungen von Pflanzen sind viel weniger in speziellen Sinnesorganen zentriert als bei Tieren – insgesamt agieren Pflanzen viel weniger zentralisiert, eher wie eine nur grob strukturierte Basisdemokratie aus Zellen und Organen. Und das passt auch gut zu dem modularen, anpassungsfähigen Körperbau von Pflanzen. Und so halten die meisten Botaniker die weitergehenden Ideen der Pflanzenneurobiologen für wenig hilfreich oder sogar schädlich.

Die große Frage ist ja auch: Was hätte eine Pflanze von einem tierähnlichen Bewusstsein? Evolutionär kann sich nur durchsetzen, was nicht nur einen Nutzen hat, sondern auch keinen unangemessenen Aufwand. Und die Vielfalt pflanzlicher Reaktionen scheint recht gut auch ohne ein zentrales Bewusstsein erklärbar zu sein und wahrscheinlich sogar besser. Wieso sollten Pflanzen in ein Bewusstsein investieren, dass ihnen keinen entsprechenden Nutzen bringt? Und natürlich können wir unsere Begriffe so weit dehnen, dass sie auch auf Pflanzen zutreffen, aber dadurch verlieren sie an Bedeutung und – vielleicht noch schlimmer – können sie den Blick darauf versperren, dass Pflanzen erstaunliches auf ganz andere Art und Weise als wir bewerkstelligen. Denn ein Stück weit ist die Frage nach pflanlicher Seele, Intelligenz und Bewusstsein auch aus menschlicher Eitelkeit geboren: Wir möchten dass Wesen, die uns faszinieren, uns ähnlich sind. Wir wollen, dass etwas Bewundernswertes die Eigenschaften mit uns teilt, die wir an uns selbst wertschätzen. Aber verstellt uns das nicht den Blick auf eine Andersartigkeit, die genauso faszinierend und wertvoll sein kann?

Müssen Pflanzen Schmerzen empfinden, damit wir einen Grund finden, sie nicht zu verletzen? Brauchen Pflanzen ein Bewusstsein, um uns zu faszinieren, von uns wertgeschätzt und geschützt zu werden? Oder ist es nicht viel besser, akzeptieren zu lernen, das auch Wesen, die in manchen Belangen ganz anders sind als wir, neben uns bestehen können – dass wir eben nicht das singuläre Non-Plus-Ultra des Lebens sind, sondern nur eine von vielen faszinierenden und wertvollen Variationen? Und wenn wir das von ihnen lernen können, dann können und Pflanzen vielleicht eine Weisheit weitergeben, ohne selbst auch nur einen Gedanken davon denken zu können!

 

Mittwoch, 30. März 2022

Der Grüne Planet: Teil 2 (Kapitel 4 bis 6)

So, ich bin endlich wieder am Schreiben und warum nicht den Fortschritt mit Euch teilen? Also, weiter geht's!

Teil 2 – Von Blümchen und Bienchen und errötenden Dichterfürsten: Wie sich Pflanzen fortpflanzen

Kapitel 4 – Von skandalösen Blümchen und was sie mit uns gemeinsam haben

Vielleicht bist Du ja mit einer Geschichte von Blümchen und Bienchen aufgeklärt worden. Wahrscheinlich hast Du auch schonmal von „Blümchensex“ gehört. Für uns ist das Liebesleben von Pflanzen heute geradezu ein Sinnbild von Harmlosigkeit – aber das war definitv nicht immer so! Als Carl von Linné, der Begründer der modernen biologischen Systematik, im 18. Jahrhundert seine Überlegungen zur Fortpflanzung der Pflanzen beschrieb und wie sich die verschiedenen Arten nach der Anordnung der Geschlechtsorgane in den Blüten ordnen lassen, war das ein mittlerer Skandal. Für seine Zeitgenossen waren Linnés Beschreibungen von Blüten als geschmückte Betten, in denen sich Bräute und Bräutigame der Liebe hingeben (Die von Blütenblättern umgebenen Staubgefäße und Fruchtblätter) geradezu skandalös. Nicht nur sahen sie hier ein unanständiges, ungezügeltes Liebesleben beschrieben - für die konservativeren Zeitgenossen war die Behauptung unerträglich, Blüten dienten so etwas profanem wie geschlechtlicher Fortpflanzung. Immerhin galt es vielen Menschen doch als Zeichen göttlicher Gnade, dass er die Welt nur zur Freude der Menschen mit pflanzlicher Schönheit geschmückt hatte. Sogar Goethe meinte bei aller Bewunderung für Linné, dass seine Werke für Studierende doch sehr schockierend sein.

Und natürlich hatte Linné auch nur teilweise Recht, denn die Blütenblätter sind ja kein geschmücktes Bett für die Geschlechtsorgane der Pflanze. Aber die blütenbesuchenden Insekten hielt man damals meist noch für schädliche Vandalen, die Nektar und Pollen stahlen. Allerdings schaute zur gleichen Zeit auch der Deutsche Christian Konrad Sprengel genauer hin und beschrieb Blüten als göttliche Werke, in denen jedes Härchen einen Zweck habe und die Insekten auf raffinierte Weisen zum Zweck der Bestäubung anlockten. Das war aber gerade Goethe wieder nicht Recht, denn eine solch menschliche Sicht der Nützlichkeit widersprach nun doch den künstlerischeren Idealen des großen Dichterfürsten aber auch Naturwissenschaftlers. Und so können auch den größten Denkern unsere menschlichen Vorstellungen den Blick auf spannende Welten versperren. Sprengels Werk blieb dann auch zu seinen Lebzeiten fast unbeachtet bis es fast 100 Jahre später von Darwin wiederentdeckt und populär gemacht wurde. Zum Glück können wir nach all diesen Wirrungen heute das Liebesleben der Pflanzen in all seinen faszinierenden Details betrachten und am Ende an manchen Stellen sogar einiges über unser eigenes lernen!

Aber fangen wir am Anfang an: Was ist das überhaupt, geschlechtliche Fortpflanzung oder auch Sexualität? Bei Einzellern ist das ganz einfach: Zwei Zellen schwimmen herum, begegnen sich und verschmelzen (Und ich habe jetzt wieder einen Ohrwurm vom Spice Girls Lied „Two become One“). Die neue Zelle, die dabei entsteht, hat jetzt alles doppelt - insbesondere auch die Gene (In der Biologie nennen wir eine solche Zelle mit doppeltem Genom „diploid“, die mit nur einer Kopie des Genoms „haploid“). Und das heisst, dass jetzt sortiert werden muss, denn sonst würden ja nach mehreren Generationen Zellen immer mehr und mehr DNA enthalten. In einer besonderen Form der Zellteilung (Der Meiose) werden die beiden Genome schön säuberlich nebeneinander gelegt, Teile können ausgetauscht und neu geordnet werden und dann werden zwei Kopien auf zwei Tochterzellen verteilt und alles kann von vorne losgehen (Genau genommen entstehen vier Tochterzellen, da immer noch eine normale Zellteilung folgt). Biologisch betrachtet ist Sex also im Grunde nicht anderes als das Teilen von Genen mit anderen – alles andere ist schmückendes Beiwerk!

Bei uns Tieren ist es jetzt so, dass die Zelle mit doppeltem Genom nicht sofort in die Meiose geht, sondern erst einmal über viele normale Zellteilungen einen Körper aufbaut, in dem dann Geschlechtsorgane angelegt werden. Und hier werden dann die sogenannten Geschlechtszellen (oder Gameten) mit einfachem Genom gebildet: Entweder große unbewegliche, die wir als Eizellen bezeichnen oder kleine und bewegliche Spermien. Wer nur Eizellen produziert ist ein Weibchen, wer nur Spermien bilden kann ein Männchen und wer beides kann ist ein Zwitter. Bei Pflanzen funktioniert das alles im Prinzip genauso, nur mit einem großen Unterschied: Hier können beide Arten von Zellen sich normal teilen und einen Körper hervorbringen – es wechseln sich also immer zwei Generationen ab, eine mit doppeltem Genom, die am Ende Sporen mit einfachem Genom hervorbringt (Und daher Sporophyt genannt wird) und eine Generation mit einfachem Genom, die Geschlechtszellen hervorbringt, die dann verschmelzen können (Und die daher Gametophyt genannt wird).

Bei vielen Algen lassen sich diese beiden Generationen tatsächlich beobachten und je nach Art der Alge können die beiden fast gleich aussehen, oder sich auch deutlich unterscheiden. Aber Du musst nicht tauchen gehen, um diese beiden Pflanzengenerationen mit eigenen Augen zu sehen – nur vielleicht in die Knie, um Dir ein Moospolster genauer anzuschauen. Das grüne mit den vielen Blättchen ist der Gametophyt, aber zur richtigen Jahreszeit kannst Du kleine Stielchen wie Speere oder Duschköpfe aus dem Moos herausragen sehen. Das sind die Sporophyten – und sie wachsen auf ihren Eltern in die Höhe, um von da die Sporen zu verbreiten. Tatsächlich pflanzen sich Moose fast wie Algen fort – mit winzigen Spermien, die zu den Eizellen schwimmen. Daher brauchen Moose auch Feuchtigkeit zur Fortpflanzung und je nach Art kann die beste Zeit, ihr Liebesleben zu beobachten der Herbst oder sogar Winter sein, wenn andere Pflanzen eher ruhen. Aber einen wichtigen Unterschied zu Algen gibt es eben: Die nächste Generation wächst in ihren Müttern heran – Moose, und tatsächlich alle Landpflanzen, werden also schwanger! Wissenschaftlich werden die Landpflanzen daher auch als Embryophyten bezeichnet, da ihre Sporophyten nicht alleine im Freien keimen, sondern sich als Embryo im Mutterkörper bilden. Und dieser gute Start für die nächste Generation ist wohl eine der wichtigsten Anpassungen, um auf dem trockenen Land bestehen zu können.

Auch die nächsten Pflanzen, die sich entwickelten, Bärlappe, Farne und Schachtelhalme, pflanzen sich so fort, nur dass hier der Gametophyt klein bleibt und die großen Pflanzen, die wir sehen, die Sporophyten sind. Und das hat zwei große Vorteile: Zum einen kann man mit zwei Sätzen an Genen einzelne defekte Gene ausgleichen, aber vor allem müssen Sporophyten ja keinen Partner erreichen – sie bilden ihre Sporen ja durch die Meiose. Und deshalb können diese Pflanzen nun viel weiter in die Höhe wachsen, während ihre kleinen Gametophyten am feuchten Boden bleiben und hier ihre Spermien schwimmen lassen. Die erstern sumfigen Wälder mit riesigen Bärlapp- und Schatelhalmgewächsen müssen wir uns also eigentlich als eine Gemeinschaft zweier Generationen vorstellen: Eine winzige, die am Boden kriecht und eine riesgie, die auf ihren kleinen Eltern wächst!

Um aber auch auf wirklich trockene Standorte vorstossen zu können, mussten Pflanzen noch einen weiteren Trick lernen: Bei Blütenpflanzen, die die überragende Mehrheit unserer heutigen Pflanzenwelt ausmachen, bleiben auch die Gametophyten in der Mutterpflanze: Die weiblichen Gametophyten, mit dem wenig malerischen Namen „Embryosack“, sitzen in den Samenanlagen und bilden dort Eizellen. Die männlichen Gametophyten sind nun die Pollenkörner und diese winzigen Pflänzchen bereiten sich auf eine Reise vor: Sie bilden eine feste Hülle, färben sich oft kräftig gelb als Schutz vor der UV-Strahlung der Sonne und dann kann es losgehen – mit Wind, Wasser oder Insekten als Fähre zu den weiblichen Blüten. Dort angekommen keimen sie. Beim Gingko und den Palmfarnen heisst das, dass sie in das Gewebe der weiblichen Blüte hineinwachsen und sich von ihr ernähren und darauf warten, dass die Eizellen reifen. Wenn das soweit ist, bildet sich über ihnen ein kleiner Tropfen Flüssigkeit und in diesen entlässt das Pollenkorn seine Spermien, die dann nur noch einen kurzen Weg zu schwimmen haben. Bei den bekannten Nadelbäumen und bei den eigentlichen Blütenpflanzen (den Bedecktsamern) bildet das keimende Pollenkorn einen langen Schlauch und bringt so seine unbeweglichen Spermien direkt zu den Eizellen – und damit haben sich diese Pflanzen mit einer echten inneren Befruchtung von der Abhängigkeit von äußerer Feuchtigkeit zur Fortpflanzung genauso frei gemacht, wie die meisten am Land lebenden Tiere!

Und noch eine erstaunliche Gemeinsamkeit gibt es zu einer bestimmten Gruppe von Landtieren. Wir haben ja schon gelernt, dass Moose schwanger werden. Samenpflanzen werden aber tatsächlich noch schwangerer! In einer Mutterpflanze sitzt ja jetzt eine Tochter (der Gametophyt) und in dieser wiederum die befruchtete Eizelle, die zu einem Embryo wird. Um das ganze zu ernähren, bildet die Mutterpflanze ein Versorgungsgewebe, die Plazenta. Und nicht nur erinnert all das von Funktionsweise und Anatomie an Säugetiere wie den Menschen, sogar auf molekularer Ebene gibt es hier erstaunliche Gemeinsamkeiten: Bei Blütenpflanzen und Säugetieren gibt es nämlich das Phänomen der genomischen Prägung – das heisst, dass in einem Embryo die Gene, die von der Mutter und vom Vater kommen unterschiedlich aktiv sein können. Dies funktioniert über Mechanismen bei denen Gene so modifiziert werden, dass sich nicht nur die direkt in ihnen gespeicherte Information vererbt, sondern sozusagen auch ihr Aktivitätszustand – ein Beispiel für das, was man als Epigenetik bezeichnet. Wahrscheinlich ist die Evolution genetischer Prägung darauf zurückzuführen, dass bei einer Schwangerschaft Mutter und Vater etwas unterschiedliche Interessen haben: Während für den Vater, der mit der Sache nach der Befruchtung ja meist nichts mehr zu tun hat, ein möglichst starkes Wachstum seiner Nachkommen von Vorteil ist, muss die Mutter für eine bestmögliche eigene Fortpflanzung ihre Energie zwischen den verschiedenen Nachkommen und ihren eigenen Bedürfnissen aufteilen. Und so treibt der Vater das Wachstum an und die Mutter bremst – und zusammen erreichen sie eine Balance, die funktioniert! Ein schönes Beispiel für diesen Mechanismus ist die Kreuzung von den Tigern Löwen: Ist der Vater ein Tiger, entsteht ein riesiger Liger, da die mütterliche Prägung der Löwin das Wachstum nicht darauf ausgelegt ist, den väterlichen Beitrag eines Tigers zu bremsen. Ist die Tigerin dagegen die Mutter gibt es einen relativ kleinen Tigon. Dass Blütenpflanzen und Säugetiere unabhängig voneinander ganz ähnliche Mechanismen zur Fortpflanzung entwickelt haben, verrät uns also etwas ganz grundsätzliches über die Biologie von Schwangerschaft. Und wer hätte gedacht, dass eine junge Mutter mit dem mitgebrachten Blumenstrauss so viel gemeinsam hätte?

Was aber alles mit den vielen Blüten des Blumenstrausses so passiert, bis es zur Schwangerschaft kommt, das schauen wir uns als nächstes an!

Kapitel 5 – Von ruppigen Käfern, fleissigen Bienchen und Betrug auf allen Seiten

Wenn Du schon einmal auf einem orientalischen Basar oder einem norddeutschen Fischmarkt warst, dann kennst Du das überwältigende Gewirr von Eindrücken: Farben, Gerüchen und Lärm. Vielleicht kam Dir alles verwirrend vor und doch finden sich die einheimischen Kunden erstaunlich gut zurecht. Und auch die Händler wissen offenbar, was sie tun müssen, um gute Geschäfte zu machen: Ihre Waren an die richtigen Kunden anpreisen, gerade soweit übertreiben, dass die Stammkunden angelockt werden aber nicht enttäuscht wieder gehen und daneben vielleicht ein paar Touristen gerade so geschickt übers Ohr hauen, dass sie es nicht bemerken, bevor sie Dich schon ihren Freunden empfohlen haben. Im Prinzip funktioniert eine bunte Blumenwiese ganz ähnlich, nur sind die Blüten die geschmückten Marktstände, Pollen, Nektar und ein paar exotische Dinge das Angebot und Insekten die Kunden, die mit dem Transport der Pollen zur nächsten Blüte bezahlen. Und genau wie beim geschäftigen Markt kann es sich lohnen, mal einen genaueren Blick auf das Gewusel zu werfen, um verstehen zu lernen, was hier eigentlich so alles passiert.

Da sind zum einen die Händler, die für alle, die vorbeikommen etwas im Angebot haben und deren Ware den vorbeilaufenden schon fast entgegenfällt. Das entspricht den offenen Blüten, wie sie in der Evolution zuerst da waren, wie den Hahnenfüßen (Butterblume), aber auch den weit geöffneten Blütenständen wie bei der wilden Möhre, deren weiße, schirmförmige Dolden im Hochsommer die Wegränder dominieren. Bei solchen Blumen1 sind Pollen und Nektar frei zugänglich und man kann einfach landen, was viele verschiedene Insekten anlockt – Käfer, Fliegen, Wespen und Wildbienen. Aber wer so einen wilden Mix aus Kunden hat, dessen Geschäfte sind nicht allzu verlässlich – denn viele von diesen Insekten fliegen nur manchmal zu einer anderen Blume der selben Art und gerade Käfer sind auch oft eher rüpelhaft und können auch wichtige Teile der Blüte fressen. Und nicht zuletzt sind offene Blüten auch anfällig für Regen, der die Pollen platzen lässt. Da ist es wichtig, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern seine Pollen auf möglichst viele potentielle Bestäuber und Tage zu verteilen und so öffnen solche Blüten meist ihre Staubgefäße nur eins nach dem anderen und streuen so ihr Risiko. So wie die Möhre viele Blüten zusammenzufassen, die nacheinander aufblühen können, macht diese Risikostreuung noch effektiver. Noch besser können es die Korbblüter wie das Gänseblümchen oder die Sonnenblume, die nicht nur viele Blüten zusammenfassen – jeder gelbe „Knubbel“ im Gänseblümchen und jedes weiße Zipfelchen ist anatomisch gesehen eine einzelne Blüte – sondern die auch noch einen weiteren Trick haben: Ihre Staubgefäße sind zu einer Röhre verklebt und werfen alle Pollen nach innen, von wo sie dann durch das wachsende Fruchtblatt langsam nach und nach nach außen geschoben werden. Wenn Du eine blühende Sonnenblume genau betrachtest, kannst Du oft den gelblichen Kreis der Blüten erkennen, die gerade ihren Pollen präsentieren, wobei die äußeren zuerst aufblühen.

Aber wie so mancher Basar oder Supermarkt nicht einfach nur zum Einkaufen einlädt, bieten auch viele offene Blumen nicht nur Nektar und Pollen, sondern sind auch ein wunderbarer Ort, sich kennenzulernen. Viele Käferarten paaren sich auf Blüten, zum Beispiel Glanzkäfer auf Hahnenfuß oder verschiedene Weichkäfer auf der Wilden Möhre – und dadurch, dass sich bestimmte Käferarten zu bestimmten Jahreszeiten auf bestimmten Blüten paaren, werden sie auch gleich zu verlässlicheren Bestäubern! Die Möhre bewirbt sich sogar besonders, indem die innerste Blüte der zentralen Dolde tiefrot, fast schwarz ist und so die Mitte der Dolde bereits besucht aussieht – wer möchte schon als erstes auf eine leere Tanzfläche treten? Andere Blüten bieten Insekten auch Schutz vor dem Wetter und in der Nacht. Die weiten tütenförmigen Blüten der Winden schließen sich zum Beispiel nachts und bei schlechtem Wetter und immer wieder findet man morgens kleine Käfer darin, die den sicheren Rastplatz offenbar sehr zu schätzen wissen. Aber Blüten, die Essen, Gesellschaft und Unterkunft bieten locken – genau wie mancher Basar auch ein paar zwielichtige Gestalten an. Eine davon ist die veränderliche Krabbenspinne, deren Weinchen gelb oder weiß gefärbt sein können und so gut getarnt auf Blüten lauern. Wenn Du eine ungewöhnlich ruhig sitzende Fliege oder Biene auf einer solchen Blüte siehst, insbesondere, wenn sie auch noch auf der Seite oder dem Rücken zu liegen scheint, dann lohnt sich genaues Hinschauen: Oft sitzt die Spinne fast unsichtbar an ihrem Opfer!

Aber nicht alle Händler setzen auf die Laufkundschaft, viele spezialisieren sich auf eine verlässlichere Stammkundschaft. Unter den Bestäubern sind das bei uns vor allem Schmetterlinge und Bienen – vor allem zweitere sammeln oft fleissig eine Blüte der selben Art nach der anderen ab und sind daher besonders effiziente Bestäuber – Fachleute nennen das „blütenstet“. Bienenblumen erkennt man daran, dass hier der Nektar in einer kurzen Röhre verborgen ist und die Besucher oft in die Blüte hineinkriechen müssen oder im Extremfall wie bei einem Löwenmäulchen sich den Weg in die Blüte regelrecht freikämpfen müssen. Die meisten Insekten trauen sich in solche Blüten gar nicht hineinzukriechen, aber wenn man eine Biene ist, dass ragt am Ende ein Po mit Giftstachel heraus und kaum ein Feind kommt da auf böse Gedanken! Nicht ganz selten sieht man aber auch, dass solche Blütenröhren an der Seite aufgenagt wurden, denn auch manche Wespen oder Käfer sind nicht doof! Schmetterlingsblüten haben noch tiefere und engere Röhren, in die nur die Schmetterlinge mit ihren langen Rüsseln hineinkommen. Viele Blüten für Tagschmetterlinge wie die meisten Nelken haben dabei eine Form, die auch als „Stielteller“ bezeichnet wird – am oberen Rand einer langen Röhre breitet sich die Blüte als Landeplattform aus – ideal für die beabsichtigten Besucher. Blüten für Nachtschmetterlinge wie die der Nachtkerzen öffnen sich erst abends und haben meist keine Plattformen, da diese Tiere im Schwebflug Nektar saugen – und oft sind die Röhren dieser Blüten noch länger, da Nachtfalter auch oft noch längere Rüssel haben. Das extremste Beispiel hierfür ist die Orchidee Angraecum sesquipedale aus Madagaskar, bei der der Nektar in einem bis zu 30 Zentimeter langen Sporn verborgen ist – und zu der Charles Darwin vorhersagte, dass es einen Schmetterling mit ebenso langem Rüssel geben müsse. Erst 40 Jahre nach Darwins Tod wurde der Nachtfalter mit einem bis 22 Zentimeter langem Rüssel entdeckt und erhielt den Namen Xanthopan morganii praedicta – wobei „praedicta“ vorhergesagt bedeutet!

Aber wer Stammkunden hat, hat nicht nur verlässlichere Kundschaft, man kann dann auch das Angebot besser zurechtschneidern und so seine Profite maximieren – für Blüten heisst das, den Bestäubungserfolg bei möglichst geringen Kosten erhöhen. Und das heisst vor allem: Pollen sparen, denn Pollen sind proteinreich und kosten die Pflanze damit wertvollen Stickstoff. Viel günstiger ist da Nektar, denn den Zucker hierin kann die Pflanze per Photosynthese relativ einfach herstellen und als Energiequelle für Bestäuber ist er trotzdem begehrt! Das heisst aber nicht unbedingt, dass die Blüten ihre Besucher mit Billigware abfertigen – die genaue Zusammensetzung des Nektars ist oft auf die Bestäuber optimiert – Zuckergehalt, Wassermenge und auch andere Substanzen, ja sogar der Alkoholgehalt! Während Schmetterlinge mit dem Nektar meist vollauf zufrieden sind, nehmen Bienen trotzdem gerne auch Pollen mit, denn der dient als proteinreiches Futter für ihre Larven – um hier Pollen zu sparen, müssen Blüten also noch etwas raffinierter werden! Viele schaffen das, indem sie so gebaut sind, dass sie den Pollen an unzugänglichen Stellen des Bienenkörpers abladen, im einfachsten Fall, indem die Staubgefäße beim Kriechen in die Blüte über den Bienenrücken streifen. Beim Salbei ist das perfektioniert, indem die Staubgefäße schwingen können und das erst durch die in die Blüte kriechende Biene ausgelöst wird – sie bekommt beim Nektar trinken regelrecht einen Klaps auf den Po! Noch raffinierter sind nur manche Orchideen, die alle Pollen auf einmal in einer Portion an den Körper ihrer Bestäuber kleben – und zwar genau an eine vorgesehene Stelle, die die Bestäubung optimiert, aber dem Insekt wenig Chancen gibt, heranzukommen!

Überhaupt finden sich bei Orchideen die raffiniertesten Blüten, die oft so perfekt auf einen bestimmten Bestäuber zurechtgeschnitten sind, dass sie wie diese Spezialläden wirken, bei denen man sich am Vorbeigehen fragt, wie sie überleben können. Manche tropische Orchideen bieten ihren Bestäubern weder Pollen, noch Nektar, sonder stattdessen riechende Öle, die die Männchen bestimmter Bienenarten bei der Balz einsetzen. Andere Arten, wie die auch bei uns vorkommende Bienen- und Hummelragwurzen nutzen die Liebeslust von Bienenmännchen noch direkter und täuschen mit Aussehen und sogar Duft ihrer Blüten ein Bienenweibchen vor – beim Versuch, sich zu paaren bestäubt der Bienerich dann die Blüte.

Solche betrügerischen Gestalten, die ihre Kunden übers Ohr hauen, gibt es nicht nur auf dem Markt, sondern auch auf der Blumenwiese immer wieder, die meisten zielen aber nicht auf die gewitzteren Kunden wie Bienen, sondern auf die naiveren: Fliegen. Besonders in den Tropen gibt es einige Blumen, die fleischig-rötlich gefärbt sind und nach Aas riechen. Manchmal ist das ehrliche Werbung für Fliegen, dass es hier was zu holen gibt, bei den Pfeifenblumenarten (Aristolochia) müssen die Fliegen aber in eine Höhle hineinkriechen, die ein lichtdurchlässiges Dach hat – fliegen sie dort nach oben und versuchen wie durch eine Fensterscheibe stur zum Licht zu entkommen, stossen sie auf die weiblichen Blütenorgane, die zuerst reif werden. Erst später reifen die Pollen, bestreuen die Fliegen und während die Blüte welkt, können sie endlich entkommen. Und da Fliegen auf den gleichen Trick mehr als einmal hereinfallen, bestäuben sie dann ohne echte Gegenleistung die nächste Blüte. Noch gemeiner sind nur die Aristolochia-Arten, die es auf Pilzmücken abgesehen haben – kleine Fliegen, die ihre Eier auf Pilzen ablegen. Diese Blumen, zu denen auch unsere einheimische Osterluzei zählt, riechen pilzig und bilden bei manchen tropischen Arten sogar dreidimensionale Pilzatrappen am Eingang ihrer Blütenfalle. Die Pilzmücken bestäuben die Blüte beim Versuch, Eier abzulegen, aber die Larven der in solchen Blüten abgelegten Eier haben aber kein langes Leben, denn für sie ist die Blüte giftig.

Und so geht es weiter mit unzähligen Variationen mehr oder weniger stark an bestimmte Bestäuber angepasster Blüten: In den Tropen kommen Blüten für Vögel dazu, kräftig gebaut und mit viel Nektar, solche für Fledermäuse mit Blütenblättern, die die Ultraschallrufe ihrer Bestäuber reflektieren, und solche, die Lemuren mit hohem Alkoholgehalt im Nektar anlocken. Je besser das Angebot zum Bestäuber passt, desto verlässlicher die Bestäubung, aber desto empfindlicher ist auch die oft gegenseitige Abhängigkeit und wenn eine Art ausstirbt, reisst sie die andere mit. So haben die Orchideen mit ihren skurilen Anpassungen eine der höchsten Artenzahlen aller Pflanzenfamilien hervorgebracht, aber viele davon haben nur wenige Individuen. In Sachen Artenzahl vergleichbar sind nur die Korbblüter mit ihrere geradezu entgegengesetzten Strategie offener Blüten mit perfektionierter Risikostreuung.

Und nicht alle Pflanzen machen sich überhaupt von tierischen Bestäubern abhängig. Gerade Arten, die in hohen Dichten wachsen, können ihre Pollen auch dem Wind überlassen, wie viele Bäume und fast alle Gräser – zum Leidwesen der Allergiker funktioniert das für diese Arten so gut, dass sie zu dieser Art der Bestäubung zurückgekehrt sind, die wohl die ursprünglichste ist. Hier findet man oft pendelnde Staubgefäße und Fruchtblätter, die Blüte schüttelt also ihre Pollen aus und durchkämmt die Luft nach denen ihrer potentiellen Partner.

Wenn Du also das nächste Mal über eine Blumenwiese läufst, achte doch einmal darauf, wer welche Blüten besucht und was die Tierchen da so alles treiben. Und vielleicht kommt Dir bei aller Faszination dabei eine weitere Frage: Wenn sie Tieren und dem Wind den Transport ihrer Pollen überlassen, können Pflanzen dann gar nicht mitentscheiden, mit wem sie sich paaren?

1) In der Botanik wird zwischen Blüte und Blume unterschieden: Eine Blüte ist die anatomische Einheit aus weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen, also Frucht- und Staubblättern, mit den darum liegenden Kron- und Kelchblättern. Eine Blume ist die zusammen wirkende „Bestäubungseinheit“ - bei der Wilden Möhre also der ganze Blütenstand aus vielen Blüten, bei einer Schwertlilie, bei der jede Blüte drei Eingänge hat, besteht dagegen eine Blüte aus drei Blumen. Auch wenn ich das konsequent botanisch verwende, sollte es zum Verstehen des Text nicht allzu wichtig sein

 

Kapitel 6 – Wie man die richtigen Partner findet, wenn andere für einen Partner suchen

Sicher weisst Du von dem Problem, dass überzüchtete Rassehunde oft zu einer ganzen Reihe Krankheiten neigen. Oder Du hast schon von historischen Adelsfamilien gehört, die oft untereinander geheiratet haben und wo sich die Bluterkrankheit gehäuft finden liess. Wer sich zu oft mit der eigenen Verwandtschaft fortpflanzt, reduziert dadurch seine genetische Vielfalt und das kann dazu führen, dass ungünstige Merkmale sich durchsetzen können. Und das sollte für Pflanzen, die meist zwittrige Blüten haben, also solche mit weiblichen und männlichen Organen, und die außerdem ihre Partnersuche Insekten oder dem Wind überlassen doch ein besonders großes Problem sein. Einer der ersten, die sich mit dieser Frage beschäftigte und der die Vorteile von Fremdbestäubung gegenüber Selbstbestäubung beschrieb und auch erkannte, wie es verschiedenen Pflanzen gelingt, ersteres zu fördern war mal wieder Charles Darwin. In seinen 1862, 1876 und 1877 erschienenen Werken „On the various contrivances by which British and foreign orchids are fertilised by insects, and on the good effects of intercrossing“, „The effects of cross and self fertilisation in the vegetable kingdom“ und „The different forms of flowers on plants of the same species“ erkannte er viel von dem, was ich Euch in diesem und dem vorherigen Kapitel vorstelle und legte damit die Basis für das Fachgebiet der Blütenökologie.

Eine Sache, die Darwin auffiel, kannst Du nachvollziehen, wenn Du in die Blüten von Schlüsselblumen (Primula) schaust – aus manchen davon ragt nämlich das Fruchtblatt mit Narbe hervor, aus anderen die Staubgefäße. Trotzdem sind beide Typen von Blüten zwittrig – es sind nur einmal die männlichen und einmal die weiblichen Organe länger – und bei Arten mit zwei Kreisen von Staubgefäßen gibt es sogar drei Varianten mit kurzem, mittellangem und langem Griffel! Bei einer Pflanze sind aber alle Blüten gleich gestaltet. Und wenn jetzt ein Insekt den Rüssel in diese Blüten steckt, dann laden sie den Pollen an einer Stelle ab, die perfekt zur Position der Narbe in anderen Blüten passt – aber es kommt noch besser: Schaut man sich nämlich Pollen und Narben unter dem Mikroskop an, dann variiert auch die Größe der Pollen und der mikroskopischen Struktur (Papillen) der Narben – und wieder so, dasss Pollen besser auf die Narben fremder Blüten passen. Durch diese Anpassungen fördern Schlüsselblumen eine erfolgreiche Fremdbestäubung, aber ähnliches kann der Blutweiderich, viele Sauerkleearten und andere Pflanzen.

Aber selbst wenn die Pollen auf die Narbe passen, können sie dort nicht immer keimen, denn viele Pflanzen haben auf der Oberfläche von beidem Proteine, die der Selbst- und Fremderkennung dienen. Und diese funktionieren dann ein bisschen wie ein umgekehrtes Immunsystem, das nur Fremdes gestattet und eigene Pollen beim Keimen hemmt. Leider sind manche dieser an der Oberfläche liegenden Selbstinkompatibilitätsproteine auch die Hauptallergene der Pollenkörner und so lässt uns dann der pflanzliche Schutz vor Selbstbefruchtung im Frühling und Sommer niesen!

Neben einer räumlichen Trennung von Pollen und Narbe können Blüten diese aber auch zeitlich trennen – häufig öffnen sich die Staubblätter zuerst und die Narbe reift erst später, so dass eine Blüte nicht gleichzeitig, sondern nacheinander männlich und weiblich ist. Bei der Sonnenblume hatte ich das schon kurz beschrieben, aber hier – und generell bei Blütenständen – funktioniert das natürlich nur, wenn die bestäubenden Insekten den Blütenstand dann auch in der richtigen Reihenfolge besuchen. Und tatsächlich tun sie das auch, denn durch Färbung, Größe und Position kann ein Blütenstand die Insekten an die richtige Stelle locken – zum Beispiel blühen die Blüten der Sonnenblume von außen nach innen auf und ganz außen sitzen die attraktivsten Blüten. Landet eine Biene also zuerst dort, begegnet sie zuerst den ältesten Blüten, die vielleicht schon in der weiblichen Phase sind, und kann dort fremden Pollen abladen, bevor sie weiter nach innen wandert und dort von den jüngeren, noch männlich blühenden Blüten Pollen mitnimmt. Ganz ählich leiten andere Blütenstände ihre Besucher von unten nach oben und optimieren so den Blütenbesuch.

Noch ein wenig sicherer kann ein solches System werden, wenn die Blüten eingeschlechtlich werden und sich ein Blütenstand in weibliche und männliche Blütenstände unterteilt. Ein Beispiel hierfür ist die Hänge-Segge (Carex pendula) , ein Sauergras, das man häufig als Ziergras in Gärten findet, aber auch Mais (Zea mays) oder die Rohrkolben (Typha): Alle diese Gräser und Grasverwandten haben männliche Blüten die in Blütenständen am oberen Ende des Sproß stehen und weibliche Blüten in tiefer stehenden Blütenständen – oder beim Rohrkolben einen Blütenstand, der oben dünn und männlich und unten dick und weiblich ist. Alle drei sind windbestäubt und wenn der Wind die Pollen aus den hohen mänlichen Blüten weht, dann landen sie höchtswahrscheinlich vor allem auf den weiblichen Blüten anderer Pflanzen.

Noch sicherer wird es nur, wenn die ganze Pflanze nur Blüten eines Geschlechts trägt. Das ist zum Beispiel bei Ginkgobäumen so, weshalb auch nur unter manchen im Herbst die nach Buttersäure stinkenden Früchte liegen. Aber auch Weiden (Salix), Brennnesseln (Urtica dioica) und die rote Lichtnelke (Silene dioica) sind „diözisch“, wie der Fachbegriff dafür heisst, wenn Blüten zweier Geschlechter auf zwei verschiedene Pflanzen verteilt sind – und was sich auch in den wissenschaftlichen Namen mancher Pflanzen wiederfindet. Aber so sicher Diözie vor Selbstbestäubung schützt, kommt sie doch mit einem hohen Preis: Nicht nur bilden dann die Hälfte der Pflanzen einer Art keine Samen, auch verliert die Art dadurch Flexibilität!

Denn nicht immer ist Fremdbestäubung und -befruchtung die beste Strategie. Immerhin muss man dafür nicht nur einen Partner finden, sonder mit dem auch noch seine Gene mischen und nur die Hälfte der eigenen Gene kommen bei jedem Nachkommen an. Und besonders, wenn man fast schon ideal für einen Standort angepasst ist, ist das gar nicht unbedingt von Vorteil! Und so bestäuben sich manche Pflanzen am liebsten selbst, zum Beispiel die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), die Modellpflanze im Labor – klein und was viele als Unkraut bezeichnen würden, aber wer schnell viele Samen erzeugen will, kann mit Selbstbestäubung gewinnen – die Samen mit ungünstigen Merkmalen werden wegselektiert und die besten überleben. Und im Gegensatz zur rein ungeschlechtlichen Vermehrung, über die wir schon bei wandernden Pflanzen gesprochen haben, kombinieren sich die eigenen Gene dabei trotzdem neu, was als Reparatur gegen Mutationen dienen kann – hat eine Mutterpflanze zwei ungünstige, dann haben zumindest manche Nachkommen nur eine oder keine davon. Viele Pflanzen nehmen auch das beste aus beiden Welten mit und nutzen dabei, dass die oben beschriebenen Mechanismen eben nicht perfekt sind und die Selbstbestäubung nur auf ein sinnvolles Maß beschränkt. Andere halten gleich einen Teil der Blüten zur Selbstbestäubung geschlossen oder öffnen ihre Blüten nur bei guten Bedingungen – wenn keine Bestäuber fliegen, wozu der Aufwand? Und bei einigen Arten brechen all die oben beschriebenen Mechanismen zusammen, wenn keine Bestäubung gelingt – in der welkenden Blüte sinken dann die Staubgefäße auf die eigene Narbe, die Selbstinkompatibiltätsproteine werden abgebaut und man kann auch alleine Samen machen!

Nimmt man zu dieser ganzen Flexibilität noch die ungeschlechtliche Fortpflanzung hinzu, entsteht eine noch größere Vielfalt von Fortpflanzungsstrategien: Die oben erwähnte Brennnessel zum Beispiel bildet durch Ausläufer dichte Bestände, die genetisch einheitlich sind und so einen Ort schnell dominieren können, bildet aber gleichzeitig Samen über Fremdbestäubung, so dass die Nachkommen an anderen Orten genetisch vielfältiger und dadurch anpassungsfähig bleiben.

Die Fortpflanzung bei Pflanzen ist also unglaublich vielfältig, voller spannender Anpassungen und voller Intrigen und Spielarten die Goethe die Schamesröte ins Gesicht treiben dürften, hätte er ihre Vielfalt noch mitbekommen. Aber vielleicht hätte auch beim Dichterfürsten die Faszination gewonnen, wenn er genauer hingeschaut hätte!

 

Sonntag, 15. September 2019

Der Grüne Planet (Teil 1)

Okay, hier ist mein Werk aus diesem Urlaub - relativ heiss gestrickt und jegliches konstruktive Feedback ist hochwillkommen!

So etwas wie ein Vorwort

Hallo, schön, dass Du da bist! Bereit für eine spannende Reise durch die faszinierende Welt der Pflanzen? Denn genau das haben wir hier vor. Aber vorher ein paar kurze Anmerkungen. Vielleicht hast Du Dich schon gewundert, dass ich Dich duze. Vielleicht denkst Du jetzt, Du bist in einem Kinderbuch gelandet. Alle Kinder die hier mitlesen oder dieses Buch vorgelesen bekommen, sind ganz herzlich willkommen, aber das hier wird kein wirkliches Kinderbuch. Aber ich will gerne eines erreichen, das Kinderbücher oft ganz wunderbar hinbekommen: Dich aktiv auf unsere Reise mitnehmen! Natürlich werde ich Dir einiges erzählen, aber vor allem möchte ich meine Faszination für die Welt der Pflanzen mit Dir teilen, Dich anstecken und nicht einfach nur dozieren. Und das „Du“ soll Dich einladen, aktiv mitzumachen und mir nicht einfach nur auf der anderen Seite der Seiten gegenüber zu sitzen: Lies so schnell oder langsam Du willst, schau zum Grün vor dem Fenster, blättere vor und zurück, wenn Dich Themen in einer anderen Reihenfolge interessieren, als ich sie erzähle – am Ende der meisten Kapitel werde ich Dir sogar Tipps dazu geben! Denn in der Biologie hängt alles mit allem zusammen und es gibt viele Wege zu vielen Zielen. Vor allem aber möchte ich Dich anstecken, die Welt um uns und ihre grünen Bewohner mit anderen Augen zu sehen: Ob auf der Fensterbank, beim nächsten Spaziergang oder auf Deinem Teller – denn Wissen entzaubert nicht die Welt, es gibt und noch mehr Perspektiven, sie zu bewundern!
Also, wie gesagt: Schön, dass Du da bist und jetzt lass uns losgehen, es gibt so viel zu entdecken!

Einleitung: Der grüne Planet

Wirklich grün? Du kennst sicher die Bezeichnung „blauer Planet“ für unsere Erde und das trifft es auch ganz gut, wenn man aus dem Weltall mit größerer Entfernung auf unsere Welt schaut. Aber eigentlich ist es keine besonders gute Beschreibung, denn blau sind allein in unserem Sonnensystem noch zwei andere Planeten: Uranus und Neptun. Unser blau ist aber ein anderes, nicht das blau einer dichten methanhaltigen Atmosphäre, sondern das blau von Ozeanen unter einer klaren Lufthülle. Kommt man unserer Erde etwas näher, dann fallen weiße Wolken auf und im blauen Ozean Kontinent, von denen Teile weiß und andere gelblich-bräunlich sind, aber vor allem kommt hier eine Farbe vor, die im Weltall wirklich ungewöhnlich ist und nicht nur große Bereiche unserer Landfläche bedeckt, sondern auch im Meer vorkommt: Eben grün! Und kommen wir noch näher, dann sind fast alle Regionen unserer Welt, die für uns als Menschen lebenswert sind zu großen Teilen grün – zumindest solange wir sie nicht völlig zubetoniert haben. Und doch: Das Grün fällt uns oft gar nicht auf. Pflanzen sind für uns oft einfach der Hintergrund, die Bühne auf der das Leben stattfindet, eher Dekoration als Teil der Geschichte. Das geht so weit, dass viele Menschen sich schwer damit tun, Pflanzen als vollwertige Lebewesen anzusehen – sogar Biostudenten die das bezweifeln habe ich schon getroffen. Und selbst wenn wir Pflanzen wahrnehmen, halten wir sie oft für simpel und langweilig, eben unwichtig – alles geradezu absurd, wenn wir nur ein wenig genauer hinschauen – und dafür sind wir ja hier!
Wir Botaniker haben für dieses Übersehen von Pflanzen sogar einen Begriff: Pflanzenblindheit. Dabei geht es nicht darum, den nicht an Pflanzen Interessierten Ignoranz vorzuwerfen, sondern darum, dass es für uns Menschen tatsächlich schwer ist, Pflanzen so zu sehen, dass wir sie verstehen und ihre spannenden, komplexen und wichtigen Seiten erkennen. Wenn Du im Wald, Garten oder Zoo schon einmal ein Tier beobachtet hast, hast Du vielleicht festgestellt, wie einfach es ist, zu verstehen, was die Meise oder der Löwe gerade tut. Das liegt daran, dass uns das, was Tiere tun vertraut ist, weil wir selbst Tiere sind: Wir atmen, suchen Nahrung, versuchen nicht gefressen oder sonst irgendwie verletzt zu werden, erholen uns zum Beispiel durch Schlafen, arrangieren uns mit unseren Artgenossen und ab und zu suchen wir Partner, um uns fortzupflanzen. Auf den ersten Blick tun Pflanzen nichts davon, sie stehen einfach nur herum und bewegen sich nicht. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir, dass Pflanzen tatsächlich alles, was ich oben genannt habe auch tun – und selbst das mit der Unbeweglichkeit ist ein Irrtum, aber dazu später ausführlich mehr. Für diesen zweiten Blick allerdings müssen wir erst einmal verstehen, wie wir hinschauen müssen, wir müssen lernen, Pflanzen als Pflanzen zu sehen und nicht als Tiere und das ist für ein Tier wie uns nicht ganz einfach. Pflanzenblindheit zu überwinden ist also eine echte Herausforderung, aber auf der anderen Seite ist gerade das eine der faszinierenden Seiten von Pflanzen: Sie sind wie wir große, langlebige, mehrzellige Lebewesen mit komplexem Stoffwechsel, spannender Ökologie und vielfältigen Anpassungen, aber da sie die Herausforderungen des Lebens auf so andere Weise angehen, sind sie uns fast so fremd wie Außerirdische – und wer würde nicht gerne Außerirdische erforschen!
Aber es wird noch spannender: Pflanzen sind nämlich keine Außerirdischen, sondern mit uns verwandt – wenn auch sehr weit entfernt - auch damit werden wir uns noch beschäftigen. Unser gemeinsamer Vorfahre war aber noch ein Einzeller und das heißt, dass Pflanzen alles, was für ein mehrzelliges Leben nötig ist, unabhängig von uns entwickeln mussten. Pflanzen bestehen also sozusagen aus den gleichen Bausteinen wie wir, müssen die gleichen Probleme lösen, sind aber oft andere Wege gegangen. Das alles zusammen, gepaart mit unserer jahrtausendelangen Erfahrung, Pflanzen anzubauen und zu züchten, macht sie zu ganz wunderbaren Forschungsobjekten, wenn es um biologische Grundlagen geht – an Pflanzen wurde die moderne Systematik entwickelt, hier wurden Zellen entdeckt, Gene und Viren und viele, viele andere Durchbrüche der modernen Biologie bis zu solchen aktuell heißen Themen wie springenden Genen und Epigenetik! Leider wird auch das oft genug übersehen, es gibt also nicht nur Pflanzenblindheit, sondern auch noch Pflanzenwissenschaftenblindheit – aber auch das können wir lernen zu überwinden. Wir kommen auch auf die Pflanzenforschung später zurück.
Aber vielleicht sagst Du jetzt: „Na gut, Pflanzen sind interessant – aber mich interessieren sie nicht, denn was geht das Grünzeug mich an?“ Oder, frei nach Monty Python: „Was haben Pflanzen jemals für uns getan?“ Okay, halt Dich fest, jetzt geht’s auf eine Achterbahn, die selbst Pflanzenexperten überwältigen kann, denn wir schauen uns mal an, wie Deine Welt ohne Pflanzen aussähe:
Stell Dir einmal vor, Du sitzt an einem kleinen See nahe den Bergen auf einer Bank. Ein paar Bäume spenden Dir Schatten, die Kopfschmerzen von heute morgen sind dank einer Tablette verschwunden, die Sonne scheint und die Vögel singen. Schön, nicht? So – jetzt nehmen wir die Pflanzen weg... Erstmal wird die Landschaft ganz schön karg und ungemütlich. Nicht nur der angenehme Schatten ist weg, Du fühlst Dich gleich weniger entspannt und eher gestresst – denn Pflanzengrün hat auf uns eine beruhigende Wirkung. Deine Kopfschmerzen sind auch wieder da, denn Acetylsalicylsäure basiert – wie viele andere Wirkstoffe – auf einem Stoff aus Pflanzen. Dein Unwohlsein wird gleich noch etwas größer, denn Du bist auch nackt – egal, was Du anhattest: Baumwolle, Latex und Gummi sind Pflanzenmaterialien, zu Wolle als Tierprodukt kommen wir gleich, und Kunstfasern basieren auf Öl, das nichts anderes als verrottetes Pflanzenmaterial ist. Aber es wird noch schlimmer, denn Du bist eigentlich tot – und auch die Vögel und das Schaf von dem die Wolle kam. Denn all Deine Nahrung stammt von Pflanzen – auch dann, wenn diese zuerst an ein Tier verfüttert wurden! Aber selbst eine Diät rettet Dich nicht, denn ohne Pflanzen kein Sauerstoff – Du würdest also ersticken. Und Hautkrebs hättest Du auch, denn ohne Sauerstoff keine Ozonschicht und damit viel mehr schädliche UV-Strahlung. (Wir halten uns hier an eine breite, ökologische Definition von „Pflanze“, später schauen wir uns genauer an, was eigentlich eine Pflanze ist).
Okay, verhungert, erstickt, nackt und Krebs mit Kopfschmerzen klingt schon ziemlich katastrophal, es kommt aber noch dicker, denn jetzt geht es der Welt an den Kragen: Erstmal nehmen wir die Bank weg – Holz als pflanzlichen Werkstoff gibt es ja nicht mehr, aber auch der Eisenrahmen wäre ohne Photosynthese wohl nicht möglich, da sich Eisen wahrscheinlich erst als Erzlager abgelagert hat, als genug Sauerstoff in der Atmosphäre war. Der See ist übrigens auch weg. In Mitteleuropa entsteht etwa die Hälfte des Niederschlags über dem Atlantik und die andere Hälfte auf dem Kontinent – vor allem als Verdunstung über Pflanzen. Ohne Vegetation fließt das Wasser also einfach ab und insgesamt regnet es weniger. Als nächstes ist der Boden dran: Humus ist verrottendes Pflanzenmaterial, aber Pflanzen säuern auch aktiv den Boden an und lösen Mineralien heraus. Ach ja, und der Sauerstoff reagiert auch mit Gesteinen und zusammen mit den veränderten Regenfällen findet die ganze Erosion anders statt, die Landschaft sieht also ganz anders aus. Übrigens sind auch nicht mehr alle Steine da, denn Kalkstein wird aus Ablagerungen von Kalkschalen von Tieren und Mikroorganismen gebildet, aber ohne Sauerstoff und Pflanzennahrung gibt es davon keine oder – wenn es um Mikroorganismen geht - zumindest kaum welche. Selbst die Plattentektonik wäre etwas anders verlaufen, da die Sedimente kaum noch organisches Material enthalten und so andere Eigenschaften gehabt hätten. Bleibt noch die Luft: Ohne Sauerstoff, mit weniger Regen, dafür viel Kohlendioxid würden wir unsere Atmosphäre kaum wiedererkennen. Und es wäre auf Grund des Treibhauseffekts drückend heiß. Wir hätten noch Ozeane und Berge, unsere Erde wäre noch da, wo wir sie erwarten würden, aber wir würden sie kaum wiedererkennen.
Einmal tief durchatmen: Die Pflanzen sind noch da, die Welt ist, wie wir sie kennen. Was haben sie also für uns getan: Die Luft die wir atmen, die Nahrung die wir essen, die Kleidung, die wir tragen, die Materialien mit denen wir bauen – kurz: Die Welt in der wir leben!
Und deshalb ist die Erde der grüne Planet.
Wenn Du mir einfach ins nächste Kapitel folgst, schauen wir uns an, ob Pflanzen sich wirklich nicht bewegen. Wenn Dich gerade besonders interessiert, was Pflanzen so alles für uns tun, sind die Kapitel 10-13 in Teil 3 das richtige für Dich und wenn Dich jetzt vor allem die Frage quält, was genau Pflanzen eigentlich sind, dann schau doch mal in Kapitel 9 vorbei!

Teil 1 – Und sie bewegen sich doch! Warum Pflanzen gar nicht so still halten, wie Du vielleicht denkst...

Kapitel 1 – Wenn Pflanzen tanzen

Wenn Du beschreiben solltest, was Pflanzen ausmacht, was würde Dir als erstes einfallen? Wahrscheinlich entweder dass sie grün sind oder dass sie sich nicht bewegen. Sogar, wenn Du Botaniker sein solltest, wärst Du vielleicht einer der vielen Wissenschaftler, die ihre Veröffentlichung mit einem Satz anfangen, der ungefähr so lautet: „Plants as sessile organisms face many challenges“ (Pflanzen sehen sich als sessile Organismen vielen Herausforderungen entgegen) – wobei fairerweise gesagt werden muss, dass „sessil“ nicht unbeweglich heißt, sondern nur „an einem Ort festsitzend“, also sich nicht fortbewegend. Dass Pflanzen sich nicht bewegen, hat sich sogar in unserer Alltagssprache niedergeschlagen: Wenn ein Gast sich auf Dein Sofa pflanzt, dann ist das jemand, der hereinkommt, sich hinsetzt und dann nichts mehr tut. Und im Englischen heisst „plant“ nicht nur „Pflanze“, sondern steht auch für eine Installation, die fest an einer Stelle steht wie eine Fabrik oder ein Kraftwerk. Okay, immerhin kommt die Pflanze da nicht ganz so passiv und nutzlos weg, wie unser aufs Sofa gepflanzter Gast, aber insgesamt ist gerade das mit dem sich nicht bewegen, oder zumindest nicht fortbewegen doch ein ziemlich wichtiger Grund, warum Leute Pflanzen für eher langweilig halten. Natürlich werden wir uns noch mit ganz vielen anderen spannenden Dingen beschäftigen, aber schauen wir uns das mit dem vermeintlichen nicht-Bewegen doch mal als allererstes an, denn wenn wir genau hinschauen, stimmt das gar nicht – sogar was das Fortbewegen angeht sind manche Pflanzen regelrechte Wanderchampions, nur eben mal wieder ganz anders als wir das als Tier gewöhnt sind.
Aber fangen wir erst mal mit dem Bewegen überhaupt an. Das größte Problem beim Beobachten von Pflanzenbewegungen ist nämlich mal wieder, dass sie es anders machen, als wir es erwarten – in diesem Fall vor allem langsamer. Wir sind darauf geprägt, vor allem relativ schnelle Bewegungen wahrzunehmen, denn das sind ja Dinge, auf die wir auch schnell reagieren müssen – egal, ob es der angreifende Tiger, oder heutzutage ein näher kommendes Auto, das weglaufende Mittagessen oder ein anderer Mensch mit dem wir vielleicht irgendwie interagieren wollen ist. Langsame Dinge können wir in Ruhe anschauen und uns dann entscheiden, was wir damit tun wollen – auf einen Stuhl muss ich eben nur dann schnell mit hinsetzen reagieren, wenn ich Reise nach Jerusalem spiele und jemand anderes sich auch schnell bewegt! Pflanzen laufen aber eben keiner Beute hinterher, sie wehren ihre Feinde anders ab als wir und Reise nach Jerusalem spielen sie auch nicht – schnelle Bewegungen brauchen sie also normalerweise nicht und daher fallen uns ihre Bewegungen eben auch meist nicht auf. Wahrscheinlich kennst Du aber die beiden klassischen Beispiele für Pflanzen, die sich so schnell bewegen, dass wir das doch mitbekommen: Da wäre zum einen die Venus-Fliegenfalle, deren Blätter so schnell zuklappen können, dass sie eben sogar Fliegen fangen können (versuch das mal mit einer zuklappenden Hand!) und zum anderen die Mimose, deren Blättchen und sogar Zweige sich bei Erschütterungen einklappen können, was wahrscheinlich Fressfeinde verwirren soll. Wenn Du besonders aufmerksam beobachtest, ist Dir vielleicht auch schon eine andere Art von Bewegung aufgefallen, die zwar langsamer ist, aber trotzdem ziemlich beeindruckend sein kann: Pflanzen bewegen nämlich ihre Blätter! Viele Arten gehen abends tatsächlich in einem gewissen Sinn schlafen, indem sie die Blätter – die tagsüber zum Licht-einfangen gerade ausgestreckt waren – nachts zusammenfalten oder hängen lassen. Manche Arten machen das auch bei Trockenheit und wahrscheinlich ist das ein Schutzmechanismus, bei dem das Blatt nur dann ausgestreckt wird, wenn die Pflanze genug Licht und Wasser hat, dass es sich auch lohnt. Besonders schön kann man diese „Schlafstellung“ übrigens bei der Mimose sehen oder auch bei dem verwandten Schlafbaum (Albizia julibrissin), der sogar danach benannt ist, aber solche Bewegungen macht auch sowas alltägliches wie unsere Gartenbohne. Neben den grünen Blättern können viele Pflanzen auch ganz spezielle Blätter bewegen, nämlich die, aus denen ihre Blüten bestehen: Die meisten Blüten sind nämlich nur dann offen, wenn auch die Insekten fliegen, die sie bestäuben, und gehen zu anderen Zeiten zu, um sich vor Regen und anderen Gefahren zu schützen. Besonders auffällig ist das bei Zaunwinden, die sich jeden Abend wie eine Tüte zurollen und morgens wieder öffnen, oder auch bei Nachtkerzen, die erst abends aufgehen – wenn nämlich die Nachtschmetterlinge fliegen, die sie bestäuben. Und manche Blüten sind sogar noch raffinierter und bewegen von ihren Staubgefäßen immer nur die, die gerade reif sind in den Weg der ankommenden Insekten!
Manche Pflanzen bewegen aber auch ihre grünen Blätter besonders geschickt und auch hier ist eine bekannte Pflanze sogar danach benannt: Die Sonnenblume. Diese richtet nämlich ihre Blätter tatsächlich nach der Sonne aus – und bewegt sie nachts sogar wieder dahin zurück, wo am Morgen die Sonne aufgeht! Besonders schön kann man das in Zeitrafferaufnahmen sehen, zum Beispiel auf der Webseite http://plantsinmotion.bio.indiana.edu (Da unter „Tropisms>Sunflower solar tracking“ schauen, alle anderen Filme sind aber auch toll!).
Zeitraffer ist übrigens ein gutes Stichwort, denn mit dieser Technik – bei der Filme schneller abgespielt werden, als sie aufgenommen wurden – kann man noch viel mehr Pflanzenbewegungen sichtbar machen. Vielleicht kennst Du das auch schon aus Fernsehdokumentationen, empfehlen kann ich da „Das geheime Leben der Pflanzen (The secret life of plants)“ mit David Attenborough. Was man hier neben den Blattbewegungen beobachten kann, sind vor allem eine Menge Wachstumsbewegungen. Jetzt wirst Du vielleicht sagen „Wachstum? Das ist doch keine richtige Bewegung!“ und da hättest Du bei uns Tieren sogar irgendwie recht. Wir wachsen ja im allgemeinen nach einen ziemlich strikten Bauplan oder – wenn wir zum Beispiel zu viele Chips gegessen haben – eher unkoordiniert in die Breite. Bei Pflanzen ist das allerdings teilweise anders. Natürlich sind auch da viele Muster genetisch festgelegt – daher können wir zum Beispiel Eichen auch an ihrer Blattform erkennen – aber der Körperbau von Pflanzen ist viel flexibler als unserer. Und das gibt ihnen die Möglichkeit, viel aktiver zu Wachsen – sie entscheiden also sozusagen beim Wachsen, wohin sie wachsen – und das erinnert dann doch ganz schön an das, was wir mit unserer Bewegung machen! In den Zeitrafferfilmen sieht man dann auch, wie das funktioniert: Ein wachsender Pflanzenspross, oder auch eine Wurzel, wächst nämlich nicht einfach so geradeaus, sondern abwechselnd auf den verschiedenen Seiten schneller und langsamer, so dass die Spitze langsam herumkreist und es fast aussieht, als würden die Pflanzen tanzen. Man nennt das Circumnutation – was auf Latein ungefähr „Rundherumnicken“ heißt, die Sache also ganz gut beschreibt. Wenn unsere Pflanze jetzt auf irgendeiner Seite bessere Bedingungen vorfindet, dann kann sie ihr Wachstum so verändern, dass sie zu der Seite herüberschwingt und da hin wächst – man könnte also glatt sagen, dass Pflanzen sich beim Wachsen ihren Weg ertasten! So können Sprosse nicht nur zum Licht wachsen und Wurzeln zu Nährstoffen, sondern rankende Pflanzen können auf diese Weise mit weiten Schwingbewegungen sogar eine Stütze zum hochklettern finden – und last but not least: Manche Pflanzen finden so sogar ihre Beute! Beute? Ja, Beute: Es gibt nämlich parasitische Pflanzen, die andere Pflanzen als Unterlage finden müssen. Aber das schauen wir uns später noch genauer an, versprochen!
Übrigens brauchen wir nicht mal unbedingt Zeitrafferaufnahmen, um diese ganzen Pflanzenbewegungen beobachten zu können – wir können es auch mit viel, viel Geduld machen und eine Pflanze vor eine weiße Wand stellen und ihre Position immer wieder markieren. Wer sowas macht? Naja, jemand mit viel Geduld und unglaublich präziser Arbeitsweise, der außerdem noch genial genug ist, sowas zu versuchen und umzusetzen: Charles Darwin. Der hat nämlich 1880 sein Buch „The Power of Movement in Plants“ veröffentlicht, dessen deutscher Titel „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ leider irgendwie viel weniger beeindruckend klingt. Da Darwin jemand war, der das, was er tut, ordentlich tut, umfasst das Buch 12 Kapitel und beschreibt eigentlich schon fast alles, was ich hier erwähnt habe: Die Circumnutation und wie Pflanzen sich am Licht und der Schwerkraft orientieren, wie Kletterpflanzen ihre Rankhilfe finden und auch die Schlafbewegungen. Insgesamt ist das ein wunderbares Beispiel dafür, wie man mit einfachen, aber gut gemachten Beobachtungen ganz viel über die Welt lernen kann!
Aber kommen wir nochmal kurz darauf zurück, wie sich Pflanzen bewegen. Die Wachstumsbewegungen hatten wir ja schon erwähnt. Hier ist das Prinzip einfach, dass ein Pflanzenorgan auf einer Seite schneller wächst als auf der anderen und sich dann biegt. Das ist allerdings nicht für alle Pflanzenbewegungen die Erklärung. Bewegung durch Wachstum hat nämlich zwei große Nachteile: Zum einen ist es relativ langsam, und zum anderen verändert sich das Organ das wächst ja bei jeder Bewegung! Deshalb nutzen Pflanzen für schnelle Bewegungen wie das Zusammenklappen der Blätter bei Mimosen und Venus-Fliegenfalle noch andere Mechanismen: Bei der Mimose gibt es tatsächlich Gelenke, die so funktionieren, dass in die Zellen einer Seite Wasser gepumpt wird, so dass sie sich ausdehnen und das Gelenk so knicken. Und die Venusfliegenfalle baut ihr Blatt so, dass es unter Spannung steht und blitzschnell von geöffnet zu geschlossen umklappen kann. Solche vorgefertigten Strukturen, die dann ganz schnell ausgelöst werden können gibt es übrigens auch in vielen Früchten, zum Beispiel beim bekannten Springkraut, aber das schauen wir uns im nächsten Kapitel noch genauer an. Bei der Venusfliegenfalle ist die Schnappfalle insofern etwas besonderes, weil sie auch wieder geöffnet werden kann. Und weil die Schnappfalle zwar schnell ist, aber nicht besonders stark, kommt bei ihr noch eine Wachstumsbewegung dazu, die die Falle so richtig kräftig zupresst – ganz schön raffiniert für so eine scheinbar unbewegliche Pflanze, oder?
Okay, Pflanzen bewegen sich also ganz schön viel, wenn wir nur genau hinschauen. Aber was war jetzt mit Fortbewegung? Pflanzen sind doch festgewachsen, oder? Auch Wissenschaftler schreiben ja dauernd, dass sie sessil sind, richtig? Das schauen wir uns im nächsten Kapitel mal genauer an und oben habe ich dazu ja schon was angedeutet...
Wie gesagt, im nächsten Kapitel geht es um Fortbewegung, aber wenn Dich jetzt mehr interessiert, wie Pflanzen auf Dinge in ihrer Umwelt reagieren solltest Du zu Kapitel 4 springen und wenn Du genaueres über Photosynthese wissen willst, geht es zu Kapitel 7!

Kapitel 2 – Das Wandern ist der Pflanzen Lust, das Wa-handern

Auf Costa Rica gibt es eine Palme (Socratea exorrhiza), die auf langen stelzenartigen Wurzeln steht und bei den Einheimischen Wanderpalme genannt wird. Es heißt, dass diese Palmen sich mit Hilfe ihrer Wurzeln mehrere Zentimeter am Tag bewegen können, um zum Beispiel aus dem Schatten von anderen Bäumen heraus zu wandern. Sie wären also so etwas wie ganz langsame Verwandte der Ents aus dem Herrn der Ringe. Auch wenn Dir das erstmal ziemlich absurd vorkommt, so völlig abwegig ist es gar nicht: Wir haben ja schon von beweglichen Pflanzenorganen gehört und eines, das ich noch nicht erwähnt hatte, sind die sogenannten „Zugwurzeln“ - das sind Wurzeln, die sich tatsächlich zusammenziehen können, und so zum Beispiel Zwiebeln ermöglichen, sich tiefer in die Erde zu ziehen. Das ist ziemlich praktisch, wenn eine Pflanze an der Erdoberfläche keimt, den kalten Winter aber mit ihren empfindlichsten Teilen viel lieber in der Erde verbringen möchte! (Okay, bevor das jemand falsch versteht: Die Pflanze möchte gar nichts, aber die Pflanzen, die das konnten, haben besser überlebt und sich durchgesetzt, daher können Zwiebeln heute etwas, das sie möchten würden, wenn sie etwas möchten könnten... Naja, auf das Thema kommen wir wohl auch besser später nochmal zurück) Wie ist das jetzt bei unserer Wanderpalme? Kann die tatsächlich Wurzeln in alle Richtungen ausstrecken und sich dann dahin ziehen, wo es sich besser wachsen lässt? Dazu gibt es tatsächlich wissenschaftliche Arbeiten und die Antwort lautet – Trommelwirbel – Nein! Wahrscheinlich sind die Stelzwurzeln einfach dazu da, die Palme besser im schlammigen Boden zu verankern und mit den Wurzeln besser an Luft zu kommen, als das sonst im Schlick möglich wäre.
Okay, das ist jetzt vielleicht ein bisschen enttäuschend, gerade als Einleitung zu einem Kapitel darüber, wie Pflanzen wandern. Aber die Geschichte zeigt einfach mal wieder sehr schön, wie leicht wir Pflanzen falsch verstehen: Wir sehen Stelzen, denken Beine und erwarten Herumgelaufe. Dabei wandern Pflanzen ganz anders, und wir müssen sozusagen mental nochmal ganz von vorne anfangen. Und wenn wir ganz von vorne anfangen, können wir ja mal mit den ersten Pflanzen anfangen. (Versprochen, wir reden nochmal genauer darüber, was Pflanzen eigentlich sind) Wenn Du sagen solltest, wie Du Dir die allerersten Pflanzen vorstellst, dann wäre Herumwandern sicher keine Eigenschaft, die weit oben auf der Liste steht, immerhin ist Herumstehen doch viel simpler als Herumlaufen und damit sollte es dann ja auch anfangen, oder? Dann solltest Du mal in unseren Biowissenschaften-Grundkurs kommen, da schauen wir nämlich die einzellige Grünalge Chlamydomonas an – von ihren Fans liebevoll „Chlamy“ genannt und nicht näher mit den krankheitserregenden Chlamydien verwandt, die vielen Leuten bei dem Namen sofort einfallen. Und Chlamy bewegt sich. Und nicht nur ein bisschen! Tatsächlich wuseln die kleinen Biester so flott herum, dass man erstmal nur einen huschenden grünen Fleck erkennt. Und die armen Studierenden müssen sich ganz schön abmühen, mal eine Zelle zu finden, die lange genug still hält, um irgendwelche Details zu erkennen. Chlamy schwimmt mit zwei Geißeln, das sind lange Fäden, die wie ein Mittelding aus Ruder und Propeller funktionieren und die kleinen Algen durchs Wasser befördern. Tatsächlich schwimmen viele Algen, nicht nur Einzeller. Vielleicht hast Du schon einmal von Volvox gehört, das sind kugelige Algen aus vielen Zellen, die eher etwas plump durchs Wasser taumeln und in sich kleinere Kugeln tragen, die ihre Nachkommen sind. Und warum schwimmen all diese Algen aktiv herum? Wahrscheinlich aus den gleichen Gründen, aus denen sich Tiere bewegen: Feinden entkommen und vor allem Nahrung finden – das heißt für Algen: zum Licht schwimmen!
Aber natürlich bewegen sich nicht alle Algen. Tatsächlich sind die, die Du mit bloßem Auge sehen kannst und vielleicht vom Strand kennst, eigentlich alle festgewachsen. Und jetzt kommen wir zur eigentlich spannenden Frage: Warum sind Pflanzen eigentlich festgewachsen? Vor allem, wenn ihre Vorfahren doch beweglich waren? Ist festgewachsen sein vielleicht sogar besser als herumschwimmen? Das ist wieder etwas, was uns als Tier ein bisschen schwer fällt, zu begreifen: Immerhin dürften selbst die faulsten Sofasitzer unter uns ganz froh sein, zum Kühlschrank oder zum Klo laufen zu können, auch wenn ihnen die energiesparenden Vorteile von viel Herumsitzen mehr als bewusst sind.
Aber schauen wir uns die Vorteile von Fortbewegungsfähigkeit mal ein bisschen genauer an: Da ist einmal das Nahrung finden – das ist für einzellige Algen offensichtlich ziemlich wichtig. Größere Pflanzen können sich aber so verankern und zum Licht wachsen, dass das weitgehend wegfällt. Auf der anderen Seite wäre das Weglaufen vor Gefahren – ziemlich praktisch, ja, aber wie jeder aus schlechten (oder guten) Actionfilmen weiß: Weglaufen klappt nicht immer und wer gut einstecken oder gar zurückschlagen kann, überlebt auch. Und Pflanzen sind vielleicht die besten Einstecken-Könner der Welt – auch das werden wir uns nochmal genauer anschauen. Dann gibt es noch ein paar andere schöne Sachen, bei denen Fortbewegung helfen kann, sowas wie Partnersuche oder nicht da hin kacken wo man isst – das erste lösen Pflanzen aber anders und das zweite ist bei einem Lebewesen, das seine Nahrung selbst herstellt und daher kaum Abfälle produziert auch kein Problem (Und ja, über beides reden wir noch). Die Vorteile vom Herumwandern sind also für Pflanzen viel geringer als für Tiere, aber nur weil etwas weniger Vorteile hat, muss man es ja noch lange nicht aufgeben. Wie sieht es also mit Nachteilen von Fortbewegung aus? Unsere Sofasitzer haben ja schon festgestellt, dass Bewegung anstrengend ist, also Energie braucht. Aber wir brauchen nicht nur Energie, um uns zu bewegen, wir müssen ja auch erstmal Beine bauen, ein Skelett, das in verschiedenen Körperhaltungen funktioniert, und ein Gehirn, das das alles steuert! Und wenn man sich all das sparen kann, dann kann man die gesparte Energie in was anderes stecken, zum Beispiel Verteidigung, oder Fortpflanzung! Und mehr Energie für Fortpflanzung ist im evolutionären Wettrennen immer ein echter Vorteil. Außerdem kann man seinen Körper viel flexibler gestalten, wenn er nicht herumlaufen muss, also Organe einfach dahin setzen, wo gerade Platz ist – und sogar neue bilden als Vorrat oder Ersatz bei Verletzungen, womit wir wieder beim besseren Einstecken-Können sind: Ein Tier mit einem gebrochenen Bein hat ein Riesenproblem, eine Pflanze mit einem geknickten Zweig ein viel kleineres!
So, vielleicht hast Du im Kopf ein bisschen mitgerechnet und bist immer noch nicht ganz überzeugt davon, dass Festgewachsen sein für Pflanzen tatsächlich praktischer ist, als herumlaufen zu können. Aber einen Trumpf haben wir noch: Wo ich festgewachsen bin, da kommt niemand sonst hin! Klingt gar nicht so beeindruckend? Naja, jetzt denk mal an all die netten Tierdokus im Fernsehen und daran, was für einen Aufwand Tiere betreiben, ihr Revier zu markieren und zu verteidigen. Pflanzen sind ihr Revier! Wer festgewachsen ist und den zum Leben nötigen Raum durchwächst, ist nie gerade woanders, wenn jemand anderes versucht, ins Revier einzudringen. Ein festgewachsenes Lebewesen kann sich sozusagen wie eine Burg an den besten Platz setzen und alle anderen alt aussehen lassen. Und genau das machen übrigens nicht nur Pflanzen, sondern auch viele sessile Tiere wie Schwämme, Korallen oder Seepocken.
Aber Moment! Sagst Du jetzt vielleicht. Denn erstens klappt das ja alles nur, wenn wir an einem guten Platz sitzen und außerdem sollte es in diesem Kapitel doch darum gehen, wie Pflanzen wandern, nicht darum, warum sie es nicht tun! Und Du hast Recht, mit beiden Punkten. Der Knackpunkt ist nämlich der: Festgewachsen sein ist dann von Vorteil, wenn man sich an einer Stelle auf das konzentrieren kann, was man am besten kann – aber man muss erst mal hinkommen. Und das ist etwas, das Pflanzen tatsächlich hervorragend können! Aber fangen wir wieder am Anfang an – diesmal nicht bei Algen, sondern bei den ersten Pflanzen, die wirklich an Land gekrochen sind.
Gekrochen? Ja, gekrochen! Die ersten echten Landpflanzen konnten kriechen – und das geht so: Man wächst mit einem Spross am Boden lang und kommt so langsam voran. Und an jeder guten Stelle streckt man einen Seitenspross nach oben und ein paar Würzelchen nach unten. Das ist zwar langsam – das schnelle Schwimmen mit den Geißeln funktioniert an Land einfach nicht – aber es ist ein ziemlich guter Trick! Man kann so nämlich an einer Stelle keimen – zum Beispiel in einem flachen Tümpel – und dann dahin kriechen, wo man viel Licht und Mineralien im Boden hat und hoch wachsen. Und später wandert man einfach weiter und wächst wieder hoch. Und bald ist man ein kleiner Wald und alle Pflänzchen sind verbunden und können sogar das an Wasser oder Mineralien teilen, was an der einen oder andere Stelle fehlt! Ziemlich praktisch, oder? Das beste aus zwei Welten: Festgewachsen und wandernd. Tatsächlich machen das heute immer noch eine ganze Menge Pflanzen so, zum Beispiel viele Gräser, aber sogar Palmen – nicht die ganz großen, einzeln stehenden, aber ist Dir schon mal aufgefallen, dass kleinere Palmenarten meist in Gruppen wachsen? Das sind echte herumkriechende Bäume – auch wenn jeder einzelne Stamm an seiner Stelle bleibt! Viele Bambusarten können das mit dem Herumkriechen sogar so gut, dass man im Garten sogenannte „Wurzelsperren“ um sie herum im Boden einbaut, damit sie nicht überall hin wandern und den ganzen Garten überwuchern – auch wenn beim Bambus eigentlich ja Sprosse kriechen und keine Wurzeln. Da viele Pflanzen aber auch aus Wuzeln, sogar oft aus kleinen Stückchen, neue Sprosse bilden können, ist der Begriff Wurzelsperre auch nicht verkehrt, den über Wurzeln wandernde Pflanzen hält sie schließlich auch auf.
Neben solchen am oder im Boden kriechenden Sprossen gibt es auch solche, die sich über der Erde bewegen, vielleicht kennst Du das von Erdbeeren oder auch von der Grünlilie im Blumentopf. Hier streckt sich jeweils ein langer Seitenspross zur Seite und bildet dann in einiger Entfernung von der Mutterpflanze neue Blätter und Wurzeln und damit ein vollständiges neues Pflänzchen, das man dann einen Ableger nennt. Das macht es auch etwas schwierig, bei Pflanzen von Individuen zu reden, denn wenn man den verbindenden Spross durchschneidet, wachsen beide Pflanzen weiter, vorher tauschen sie aber Stoffe und Signale aus, sind also irgendwie auch ein Lebewesen. Der Biologe spricht bei solchen genetisch identischen aber einzeln lebensfähigen Einheiten dann von Klonen – wenn das nächste Mal der Bambus des Nachbarn in Deinen Garten hineinwuchert, kannst Du das also guten Gewissens „Angriff der Klonkrieger“ nennen.
Ein Meister dieser Art des pflanzlichen Wanderns ist übrigens ein Baum namens „Pando“, eine amerikanische Zitterpappel (Populus tremuloides), und wächst in Utah in den Vereinigten Staaten. Wobei man Pando auf den ersten Blick wohl eher einen Wald nennen würde, denn er (Und wirklich ein „er“, Zitterpappeln haben ein eindeutiges Geschlecht) hat fast 50.000 Stämme, wächst auf einer Fläche von über 45 Hektar und wiegt 6.000 Tonnen! Soviel dazu, wie man ein Revier erkämpft! Leider scheint Pando, dessen Wurzelsystem wohl 80.000 Jahre alt ist, zu sterben, es wachsen nämlich kaum mehr neue Sprosse – wohl wegen menschlicher Einflüsse, vor allem weil die künstlich hochgehaltene Population von Kühen und Hirschen seine Sprösslinge abweiden. Der Spitzname „trembling giant“ (Der zitternde Riese) ist also ganz passend, denn zur Zeit muss er darum zittern, ob die geplanten Schutzmaßnahmen ihn retten können.
Manche Pflanzen wandern mit Ablegern übrigens auch noch raffinierter, nämlich ganz ohne Verbindung – das bekannteste Beispiel hier sind manche Kalanchoe-Arten, die Du vielleicht als Topfpflanzen kennst. Hier bilden sich an den gezackten Blatträndern viele kleine Tochterpflänzchen, die sogenannten „Kindel“, die dann abfallen und herum rollen, bis sie irgendwo wieder anwachsen. Wenn Du jemals so eine Pflanze auf dem Fensterbrett hattest, weißt Du, wie einfach die Pflänzchen in jeden benachbarten Blumentopf kommen!
Aber all das Herumgekrieche und mit Kindeln um sich werfen macht Pflanzen noch nicht zu wirklichen Wandermeistern – am besten wandern sie nämlich gar nicht wenn sie wachsen, sondern wenn sie nicht wachsen. Wie das funktioniert ist aber ein Thema für ein ganz eigenes Kapitel!
Okay, im nächsten Kapitel geht es also um richtig weites Wandern, aber wenn Dich jetzt die Frage quält, was Pflanzen zu so guten Einsteckern macht und wie sie sich überhaupt verteidigen, dann ist Kapitel 6 für Dich da.

Kapitel 3 – Baby, Du musst hier weg!

Kennst Du das Märchen vom kleinen Häwwelmann? Wenn nicht, dann hier eine ganz kurze Zusammenfassung: Ein kleiner Junge will noch nicht schlafen, baut sich an sein Babybettchen ein Segel und reist damit durch die Welt. Klassischer ist die Geschichte von Moses, der als Baby im Weidenkörbchen den Nil herunterfährt und moderner die von Superman, der als Baby in einer Raumkapsel zur Erde fliegt. Kleine Kinder, die im Schlaf weite, gefährliche Reisen machen, das sind für uns skurrile Geschichten, ein Löwenzahn oder eine Kokospalme würden daran aber gar nichts besonderes sehen, denn genau so machen Pfanzen ihre größten Reisen!
Okay, wir haben uns ja schon angeschaut, wie Pflanzen sich bewegen können. Aber für wirklich weite Reisen ist so ein Pflanzenkörper eben einfach nicht geeignet, also braucht es dafür einen Trick – und der ist ganz einfach, nicht dann zu reisen, wenn man eine große, verwurzelte Pflanze ist, sondern davor – als Baby. Für die allerersten Pflanzen hieß das einfach: Sporen, also einzelne Zellen, produzieren und treiben lassen – als Alge im Wasser, als Moos oder Farn im Wind. Das ist vielleicht nicht die netteste Art, mit seinen Kindern umzugehen, aber sie kommen ganz schön herum und können dann an vielen schönen neuen Orten keimen, vor allem, wenn man sie von einem möglichst hohen Ort loslässt. Tatsächlich sind die ersten richtig großen Pflanzen, die „Sporenbäume“ des Erdaltertums wahrscheinlich gerade deshalb so groß geworden, damit sie ihre Sporen besonders weit verbreiten konnten – andere große Pflanzen, über die man hinauswachsen müsste, gab es ja noch gar nicht. Und natürlich schmeißen gute Eltern ihre Kleinen nicht völlig schutzlos vor die Tür: wer rausgeht, zieht sich etwas ordentliches an. Und bei den Sporen von Landpflanzen ist das ein Mantel aus Sporopollenin. Und Sporopollenin ist ein richtig toughes Zeug: Einzelne fossile Sporen findet man sogar in Gesteinen, die schon einmal geschmolzen waren! Stell Dir den Held in einem Actionfilm vor, der in Lava fällt und... na gut, er stirbt, aber seine Rüstung bleibt ganz! In sowas lässt sich dann doch ganz gut im Wind herumtreiben, bis man mal an einen guten Ort zum Keimen kommt.
Aber wie bei Autositzen und Kinderwagen: Für die Sicherheit von Babys ist nur das beste gut genug und so hat die Evolution später auch etwas noch besseres hervorgebracht: Samen. Bei den Samenpflanzen wird keine einzelne Zelle auf Reisen geschickt, sondern eine ganze, winzig kleine Pflanze – mit einem Würzelchen, ein bisschen Spross und mindestens zwei Blättern. Dieser kleine Pflanzenembryo ruht sich dann erst mal aus, wächst nicht mehr weiter und wartet ab, was kommt. Das ganze wird mit einem Carepaket – einem Nährgewebe das Botaniker „Endosperm“ nennen und gut verpackt in eine Samenschale ausgestattet und es geht auf die Reise. Das erinnert jetzt schon fast an Moses in seinem Weidenkörbchen und so ausgestattet können die kleinen Pflänzchen sogar mit einem richtig guten Start ins Leben rechnen und haben auch an ungünstigeren Stellen eine gute Chance zu keimen. Es geht aber noch besser, und zwar wenn wir zu den Blütenpflanzen kommen, die ihre Samen nicht nur in Blüten bilden, sondern aus diesen Blüten dann später Früchte bilden. Und Früchte, das sind jetzt die Raumkapseln wie bei Baby Superman, die die wirklich spektakulären Reisen möglich machen!
Da gibt es grandiose Flieger. Bei manchen sitzen Flügelchen direkt an den Samen – am spektakulärsten vielleicht bei der Javagurke (Alsomitra macrocarpa) aus dem südostasiatischen Regenwald, deren Samen richtige Tragflächen mit bis zu 14 cm Spannweite haben und damit über weite Strecken segeln können. Andere Pflanzen bauen mit ihren Früchten noch bessere Fluggeräte für ihre Samen: Du kennst sicher die Flügel an Ahornsamen oder auch die Fallschirme vom Löwenzahn, der bekannten Pusteblume. Manche so ausgestattete Samen können sich über viele Kilometer bewegen!
Aber es geht nicht nur mit dem Wind. Kokosnüsse schwimmen auf dem Wasser und können so ganze Meere überqueren und geben ihren Babys sogar das Süßwasser mitgibt, um an einem Sandstrand zu keimen! Raffiniert ist auch die Lotusblume, deren Blütenmitte wie ein Duschkopf aussieht und später abfällt, um wie ein Boot mit den Öffnungen nach unten herumzutreiben, wobei die Samen dann herausfallen, wenn ihr Boot wackelt – der Lotus sät seine Samen also selbst entlang von Gewässern aus! Manche Pflanzen nutzen auch Wind und Wasser wie die Taubenkropfnelke, deren Kelch eine Art Ballon um die Blüte herum bildet, der dann mit Wind und Wasser herumrollen und -schwimmen kann, wobei die Samen herauspurzeln. Mit der ganzen Pflanze machen das übrigens die aus Westernfilmen bekannten „Steppenroller“, bei denen sich ein ganzer Strauch zusammenrollt und, seine Samen verteilend, durch die Gegend rollt – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass es solche Steppenroller im Nordamerika des Wilden Westens gar nicht gibt...
Wer seine Samen aber nicht Wind und Wasser anvertrauen will, kann auch Babysitter anstellen. Okay, eher Tiere als eine Art Postboten. Dazu baut man an seine Samen oder darum herum eine leckere Frucht und lässt Tiere die Kerne und Samen entweder ausspucken oder später mit dem Kot verteilen. Deshalb machen sich übrigens Spatzen über Pferdeäpfel her – da sind noch eine ganze Menge Samen drin! Und wenn Dich Deine Eltern früher davor gewarnt haben, dass die prächtigen roten Beeren an manchen Büschen so gar nichts für Dich sind weil sie Bauchschmerzen machen, dann ist das oft der Fall, weil diese Früchte nicht von Säugetieren wie uns, sondern von Vögeln verbreitet werden – die kommen schließlich mit am weitesten herum. Über Tiere verbreiten sich auch die Samen von fast allen Pflanzen, die wir als Obst kennen – Äpfel, Beeren, Mangos und so weiter – auch wenn eine Nutzpflanze zu werden und Menschen den Job machen lassen natürlich eine relativ moderne Entwicklung ist.
Die spektakulärsten Samenverbreiter sind aber vielleicht die Pflanzen, die sich weder auf Wind und Wasser, noch auf Tiere verlassen, sondern selbst dafür sorgen, dass Ihre Samen herumkommen. Das geht eher unspektakulär, wenn man wie die Erdnuss seine Früchte einfach per wachsensdem Spross in die Erde schiebt (Ja, genau deshalb heisst die „Erdnuss“!). Schon spassiger ist es zum Beispiel beim Storchschnabel, der in der Blütenmitte einen langen Schnabel bildet, in dem Fasern verlaufen, die unter Spannung stehen und irgendwann die Samen am Boden der Blüte herausreißen und wie ein Katapult wegschleudern. Dann gibt es Pflanzen, die so viel Spannung und Druck aufbauen, dass es ihre Früchte regelrecht zerreißt und die Samen herumschleudert – Du kennst sicher Springkraut, aber wenn Du die Chance hast, Dir einmal eine Exkplodiergurke anzuschauen, dann wirst Du sehen, was da noch möglich ist, die schleudert ihre Samen meterweit und spritzt umstehende Personen nass, obwohl ihre Früchte nur etwa so groß wie ein Daumenglied sind. Und dann gibt es da auch noch die Spritzgurke. Deren Frucht sieht aus wie eine kleine Gewürzgurke und hngt an einem Stiel, steht aber so unter Druck, dass sie sich irgendwann losreißt und nach vorne schießt, wobei hinten die Samen bis zu 12 Meter weit herausspritzen – wieso das Ding nicht in irgendeiner Kultur als Fruchtbarkeitssymbol gilt, verstehe ich bis heute nicht!
Pflanzen können also tatsächlich wandern, aber sie machen es nicht wie Tiere, sondern sie haben ihr Leben in eine wandernde Phase, in der sie sonst nicht viel tun und eine sonst aktive aber fest verwurzelte Phase geteilt – und das ist offensichtlich eine erfolgreiche Lebensweise. Beim Wandern haben Pflanzen gegenüber Tieren sogar einen großen Vorteil: Sie müssen nur irgendwo ankommen, die Nahrung produzieren sie dort dann selbst. Über lange Zeiträume wandern Pflanzen daher auch schneller und die Tierarten kommen ihnen hinterher. Nach den Eiszeiten sind verschiedene Bäume so, langsam aber unaufhaltsam, 100 bis 500 Meter pro Jahr wieder nach Europa eingewandert.
Samen sind aber nicht nur gut darin, durch den Raum zu wandern, da sie so haltbar sind, erlauben sie Pflanzen sogar eine Wanderung durch die Zeit, die kaum anderen Lebewesen offen steht. Samen können Kälte und Trockenheit überdauern und oft sogar Brände. Und da bei vielen Pflanzen nicht alle Samen in einem Jahr keimen, ruhen im Boden immer viele Pflanzenembryos, die auf bessere Zeiten warten. Deshalb können im Wald viele Kräuter schnell eine Lichtung besiedeln, wenn ein Baum umfällt, Wälder nach Bränden nachwachsen und Unkräuter im Garten immer wieder hochkommen. Insgesamt macht die sogenannte „Samenbank“ im Boden Pflanzen sogar so gut dazu in der Lage, Katastrophen zu überdauern, dass es in der Paläobotanik, also der Geschichte der Pflanzen über die Erdzeitalter, fast keine Massenaussterben gibt, wie sie Tiere immer wieder erwischt haben. Wenn ein Meteorit einschlägt und die Erdoberfläche verwüstet? Naja, dann keimen wir halt in ein, zwei Jahren und hey, die doofen Viecher, die uns immer abkauen sind alle tot, prima!
Pflanzen sind also gar nicht so unbeweglich – wenn man genau hinschaut, sind sie tanzende, kriechende Wesen, die als Babys abenteuerliche Welt- und Zeitreisen unternehmen! Und doch fehlt uns noch eine Art, wie Pflanzen wandern: Wie sie zusammenkommen! Aber das führt uns schon zum nächsten Teil unserer Reise.
Wenn Du wissen willst, wie eine Pflanze zur anderen kommt, lies einfach weiter. Wenn Dich brennend interessiert, wie Samen entscheiden, ob sie keimen oder nicht ist Kapitel 5 das richtige für Dich. Und wenn Du mehr darüber wissen willst, was Pflanzen so tough macht, schau doch mal in kapitel 6 vorbei!




Teil 2 – Wie lebt es sich eigentlich so als Grünzeug?

Kapitel 4 – Von Blümchen und Bienchen... und rüpeligen Käfern und babymordenden Pflanzen

Kapitel 5 – Entscheidungen, Entscheidungen, Entscheidungen

Kapitel 6 – Kung Fu Blümchenstil – Wie Du Kämpfe gewinnst und alle Dich immernoch friedlich nennen

Kapitel 7 – Photosynthese kann man schlecht erklären

Kapitel 8 – Bewusstsein wird überbewertet!

Kapitel 9 – Und was genau sind jetzt eigentlich Pflanzen?

Teil 3 – Die Pflanze und Du

Kapitel 10 – Zehn Pflanzen, die die Welt ernähren

Kapitel 11 – Von Genen, Glyphosat und Bioindustrie – eine kleine Geschichte der Landwirtschaft

Kapitel 12 – Von Heilern, High-Machern und Killern

Kapitel 13 – Kann Botanik die Welt erklären und sogar retten?