Donnerstag, 7. April 2022

Der Grüne Planet - Teil 5: Photosynthese

 

Kapitel 13 – Photosynthese kann man schlecht erklären

Als Grundschüler hatte ich ein Baumbuch angelegt: Ein Heft, in dass ich Blätter eingeklebt und ein paar interessante Sachen dazugeschrieben habe. Eine Seite hatte ich für die Photosynthese vorgesehen und meinen Vater gefragt, wie die denn genau funktioniert. Er meinte dann, das könne man schlecht erklären. Ich meinte: „Dann erklär es mir halt schlecht!“ Aber es gab auch gleich essen... Naja, muss ich wohl ran!

Natürlich hatte mein Vater nicht ganz Unrecht, Photosynthese kann man zwar leicht im Grundprinzip erklären (Pflanzen machen aus Luft und Wasser Zucker und nutzen dabei Licht als Energie), aber wenn es zu den Details geht, wird es schnell kompliziert. Ich will trotzdem versuchen, eine Erklärung in der Mitte zwischen dem einen Satz und dem Lehrbuch zu geben.

Fangen wir kurz mit Molekülen an. Im Prinzip sind das Atome, die durch Elektronen zu größeren Sturkturen verbunden sind. Je nachdem, welche Atome wie angeordnet sind hat jede dieser Elektronenbindungen eine bestimmte Energie. In manchen Molekülen ist es jetzt möglich, dass ein Lichtteilchen (ein Photon) genau die richtige Energiemenge mitbringt (weil es die passende Wellenlänge und damit Farbe hat), dass ein Elektron damit in eine andere Bindung gebracht werden kann.

Ein Beispiel dafür ist das Rhodopsin in unserem Auge. Darin klappt eine Bindung um, wodurch sich die Struktur ändert, was dann von der Zelle als Signal erkannt wird und voila – wir sehen etwas! Und vom Grundprinzip funktionieren auch die Photorezeptoren von Pflanzen ähnlich. Ein verwandtes Protein zu dem in unserem Auge, das Bakteriorhodopsin kommt in dem Archeen Halobacterium salinarum vor – einem kernlosen Einzeller der in sehr salzhaltigen Seen lebt. Hier wird das Umklappen der Bindung aber nicht nur zur Lichtwahrnehmung genutzt, sondern als eine Art molekularer Pumpe, die Protonen (positiv geladene Wasserstoffatome: H+) über die Zellmembran pumpt. Im Prinzip ist das ein ähnliches Prinzip wie bei einem Stausee – und wenn die Protonen über die Membran zurückfließen, können sie wie bei einem Stausee auch eine Art Wasserrad antreiben. Nur ist das Wasserrad hier ein anderes Protein, das ATP herstellt (Die ATP-Synthase) – ein Molekül, das Zellen als Energiespeicher nutzen – Licht wird also in chemisch nutzbare Energie umgewandelt! ATP alleine ist aber noch nicht genug für echte Photosynthese, da es nur Energie für chemische Reaktionen bereitstellt, aber keine Reaktionen möglich macht, bei denen Elektronen zwischen Molekülen übertragen werden (Redoxreaktionen). Deshalb muss Halobacterium salinarum dafür – wie wir Menschen und alle anderen Tiere auch, Zucker verbrennen.

Bei der Photosynthese kann Licht aber aus einem Molekül ein Elektron sogar komplett herausschlagen und zu einem anderen Molekül überführen – bei Pflanzen ist dieses erste Molekül ein Chlorophyll-bindender Proteinkomplex. Das Elektron wird dann von verschiedenen Proteinen weitergereicht, wobei es Schritt für Schritt seine gewonnene Energie wieder abgibt, wobei diese Energie wieder zum Pumpen von Protonen verwendet wird. Am Ende landet es beim Molekül NADPH – und dieses Molekül dient im Prinzip als ein chemischer Elektronenspeicher – zusammen mit ATP kann die Zelle daher alle Reaktionen antreiben, die sie braucht!1

Jetzt gibt es allerdings noch zwei Probleme: Das erste ist, dass unser Ausgangsmolekül seine Elektronen irgendwie wieder aufgefüllt bekommen muss. Das funktioniert, indem es die Elektonen von einem kleinen Molekül aus der Umgebung nimmt – bei Bakterien gibt es da verschiedene Möglichkeite, Pflanzen aber nutzen Wasser (H2O) – dabei entsteht dann aus zwei Wassermolekülen ein Sauerstoffmolekül (O2) und vier Elektronen sowie vier Protonen (H+) werden frei. Wasser zu spalten hat dabei mehrere Vorteile – zum einen ist es fast überall verfügbar, zum anderen erlaubt es einen relativ großen Energieumsatz und last but not least entsteht Sauerstoff, den man nutzen kann, um chemische Moleküle zu verbrennen und ihre Energie effektiv wieder freizusetzen.

Das andere Problem ist, dass ATP und NADPH keine guten Langzeitspeicher für chemische Energie sind. Sie enthalten Stickstoff und Phosphor, die beide oft Mangelware sind und sind außerdem recht reaktionsfreudig, was hiesse, dass große Mengen auch unerwünschte Reaktionen verursachen könnten. Deshalb schließt sich an die oben beschriebene, durch Licht angetriebene Reaktionskette – die sogenannte Lichtreaktion – eine zweite an, die nicht direkt von Licht angetrieben wird – die sogenannte Dunkelreaktion. Der Name ist aber nicht besonders glücklich, denn in den beide Reaktionen laufen gleichzeitig in den gleichen Zellen und nur dann ab, wenn Licht da ist!

In der Dunkelreaktion spielt jetzt ein Protein eine besondere Rolle, über das wir im nächsten Kapitel noch ausführlicher reden werden – die Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxlase/Oxygenase oder wie Botaniker sie nennen: Rubisco. Rubisco kann nämlich einen ganz speziellen Trick: Sie bindet einen Zucker mit fünf Kohlenstoffatomen (das Ribulose-1,5-bisphosphat aus dem Namen), bindet daran ein Molekül Kohlenstoffdioxid und der Zucker zerfällt in zwei Teile mit je drei Kohlenstoffatomen. Diese können jetzt in einem komplizierten Zyklus weiterverarbeitet werden, wobei ATP und NADPH verbraucht werden und am Ende wieder Ribulose-1,5-bisphosphat gebildet wird – die überschüssigen Kohlenstoffatome aber werden dabei in ein anderes Produkt eingebaut: Glukose, auch bekannt als Traubenzucker. Und Glukose ist nicht nur ein stabiler Energiespeicher, der nur aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff besteht, man kann aus ihr auch große, gut lagerbare Stärke bauen oder Cellulose für Zellwände – der ganze Prozess ist also sozusagen der biochemische Jackpot schlechthin!

Cellulose kann mit Sauerstoff auch wieder zu Kohlenstoffdioxid verbrannt werden und wenn das in Zellen kontrolliert passiert, werden wieder Protonen über eine Membran gepumpt und ATP gebildet – im Gegensatz zur Photosynthese die in Chloroplasten stattfindet, passiert dieser Prozess – die Zellatmung – in Mitochondrien. Und das ist nicht nur der Prozess, wie Pflanzen die Energie aus Zucker wieder freisetzen können – auch in den Organen wie Wurzeln oder noch wachsenden Blättern, die sich nicht per Photosynthese selbst mit Energie versorgen können – die Zellatmung ist auch der Prozess wie wir Tiere die Energie aus unserer Nahrung nutzbar machen!

Natürlich ist alles im Detail noch komplizierter und Zucker kann auch in Fette und Aminosäuren und andere Substanzen umgebaut werden, aber den grundsätzlichen Vorgang haben wir jetzt abgedeckt – und zwar gut genug, dass wir uns in den nächsten Kapiteln mit ein paar spannenden Details zur Photosynthese beschäftigen können!

1Im Detail ist alles noch etwas komplizierter, da es zwei Photonen braucht, um die Reaktion vollständig anzutreiben und es auch einen zyklischen Elektronentransport gibt, der das Elektron zurück zum Anfang bringt und so nur ATP produziert. Aber wer es so genau wissen will, kann in einem guten Lehrbuch weiterlesen

Sonntag, 3. April 2022

Der Grüne Planet, Teil vier: Wenn Pflanzen kämpfen (Kapitel 10,11 & 12)

Kapitel 10 – Kraut Fu – Die Kunst der Defensive

Pflanzen gelten allgemein als friedfertig – so friedfertig, dass selbst das Beschneiden und Pflücken und anschließende Arrangieren ihrer Überreste als friedliche Aktivität gilt (Dass wir uns zumindest über Schmerzen keine großen Gedanken machen müssen, haben wir ja gerade gelernt!). Dabei können viele Pflanzen auch richtige Kämpfer sein – zum Beispiel das einjährige Rispengras (Poa annua). Das kleine Pflänzchen hast Du sicher schon einmal gesehen, es ist das unscheinbare hellgrüne Gras, das im Sommer in Gehwegritzen und eigentlich fast überall wächst. Und dieses kleine Gras lässt die Helden von Actionfilmen wie weinerliche Weicheier aussehen: Es ist robust genug, um nicht zertreten zu werden, klein genug, um Pflanzenfressern und Rasenmähern zu entkommen – und wenn es doch mal beschädigt wird, streckt es einfach die abgerissenen Blätter wieder empor und treibt wie viele Gräser aus den tief am Boden liegenden Knospen einfach neu aus – es ist resistent gegen viele Herbizide, gegen Hitze und Kälte und wächst so schnell, dass es in fast jedem Klima erfolgreich zu Blüte kommt und selbst wenn eine Pflanze sterben sollte Samen hinterlässt. Poa annua ist eine der wenigen Pflanzen, die sich in der Antarktis ausbreiten und in Rasenforen wird als Bekämpfungstipp zuweilen geteilt, es einfach wachsen zu lassen, da alles, was Poa annua kurzzeitig erledigt, den Rest des Gartens nur noch mehr schädigt. Aber Poa annua zeigt dabei nur das, was Pflanzen generell erstaunlich tough macht: Ein robuster Körperbau, der flexibel repariert werden kann und noch robustere Samen als Strategie, selbst dem Tod noch ein Schnippchen zu schlagen. Schauen wir uns ein bisschen was davon im Detail an!

Das, was Pflanzen eine stabile Struktur gibt, ist die Wand ihrer Zellen – genauer gesagt das Zusammenspiel von Wand und Turgordruck – dem Druck der dadurch entsteht, dass Zellen prall mit Wasser gefüllt sind. Im Prinzip ist eine Pflanzenzelle sowas wie ein prall aufgepumpter Ballon in einem Korsett! Wie wichtig der innere Druck zur Aufrechterhaltung von Struktur ist, erkennt man am einfachsten an einer nicht genug gegossenen Topfpflanze, die die Blätter schlaff hängen lässt. So eine Zellwand ist aber keine simple, starre Struktur: Immerhin muss sie nachgiebig genug sein, damit Zellen wachsen können – und dabei können Zellen diese Nachgiebigkeit sogar so steuern, dass der innere Druck Zellen in ganz verschiedene Formen pressen kann! Wie ist ein so festes aber flexibles Wunderwerk aufgebaut? Im Prinzip zum Großteil aus Zucker, aber geschickt angeordnetem Zucker – nämlich langen Ketten, den Polysacchariden:

Das bekannteste ist sicher Cellulose, welche lange, zugfeste Fasern bildet, die auch die Grundlage für Papier oder Baumwollfasern liefern. Diese Fasern sind umgeben von Pektin und Hemicellulosen – chaotischeren Zuckerketten, die aber Wasser binden können und so eine Art Gel bilden – Pektin nutzt man auch als Geliermittel für Marmelade oder vegane Gummibärchen. Dieses Gel ist robust gegen Druck und die Kombination ergibt einen Verbundwerkstoff, der Zug und Druck aushält – ähnlich vom Prinzip her wie Stahlbeton. Nur kann eine Pflanzenzelle die Wand um sich herum umbauen, auflockern und versteifen, zumindest bis sie ihre finale Größe erreicht hat und die Wand dann mit vielen extra-Cellulosefasern verdickt und versteift. Zusätzlich können in die Wand wasserabweisende Stoffe wie Suberin eingelagert werden, zum Beispiel um Verdunstung zu verhindern. Zusmmen mit aufgelagerten Wachsen ergibt sich auf der Zellwand eine zähe Schicht als Schutz vor der Außenwelt, die Kutikula. Diese hat oft noch Falten und mikroskopische Strukturen, so dass Wasser abperlt und Schmutz, aber auch Pilzsporen und Bakterien einfach abwäscht – besonders ausgeprägt beim berümten Lotos.

Andere Stoffe werden in die Zellwand eingelagert, um sie noch fester zu machen. Die wichtigste hiervon ist Lignin, die Substanz, die zum verholzen von Zellwänden führt. Es gibt verschiedene verholzte Zelltypen, Holz selbst ist aber nur das beim Dickenwachstum neu gebildete Xylem, das Leitgewebe, das Wasser und Mineralien aus den Wurzeln in den Rest der Pflanze transportiert. Lignin ist ein Polymer aus aromatischen Molekülen, also solchen, die eine ringörmige Struktur haben. Diese verbinden sich zu einem steifen Netz, das sich durch die ganze Zellwand erstreckt – wahrscheinlich sogar über mehrere Zellen hinweg und im Extremfall wohl durch einen ganzen Pflanzenkörper – Lignin bildet daher die wohl größten Moleküle überhaupt, in einem Mammutbaum über viele Meter hinweg. Wir hätten dann ein Molekül, das Tonnen wiegt und zersägt werden kann!

Vom Holz wird in mehrjährigen Pflanzen jedes Jahr mehr angelegt, um den wachsenden Sproß mit Wasser zu versorgen und zu stützen. Daneben gibt es aber noch andere verholzte Zellen – in manchen Pflanzen die Epidermis, in vielen das Sklerenchym genannte Stützgewebe, das feste Fasern bilden kann – zum Beispiel das, was wir als Bastfasern kennen – nadelartige Zellen, die als Frassschutz dienen können und quadratische Steinzellen – die wir aus der Birne kennen, der sie ihre körnige Struktur geben. Verholzte Pflanzenteile können auch Barriere nach außen sein, ob als dicke Borke, Dornen oder Stacheln.

Noch fester können Zellwände werden, wenn Siliziumdioxid eingelagert wird – im Prinzip Glas! Das macht die Blätter vieler Gräser so hart, dass sie bei Pflanzenfressern die Zähne abnutzen und bei manchen Arten die Blattränder so scharf machen können, dass man damit Haut schneiden kann! Auch Schachtelhalme haben so verstärkte Zellwände und bilden damit rohrförmige Sproße mit Papierdünner aber enorm stabiler Wand – beim Schneiden mit einer feinen Klinge hört man das Knirschen und ruiniert schnell die Schneide!

Weil Zellwände so robust sind, sind manche Pflanzenfossilien geradezu unglaublich gut erhalten – in Schnitten von 400 Millionen Jahre alten Sprossen einer der frühesten Landpflanzen Rhynia kann man jede einzelne Zelle noch am ursprünglichen Ort und in natürlicher Form erkennen! Aber auch Zellwände, die nicht ganz so lang erhalten bleiben sind wichtig: Sie machen einen Großteil der Biomasse der Erde und damit des gebundenen Kohlendioxids aus und sind damit bedeutende Spieler des Klimas. Langsam verrottendes Zellwandmaterial ist zudem Hauptbestandteil des Humus, der Wasser und Mineralien im Boden hält und so das Wachstum anderer Pflanzen verbessert. Weil Zellwandmaterial in der Natur so wichtig ist, ist auch der Anbau schnell wachsender Bäume für Pelletheizungen nicht gerade klimafreundlich – zwar setzt man hier nur das Kohlendioxid frei, das vorher gebunden wurde, man setzt es aber eben viel schneller frei, als wenn es in Biomasse oder Boden verbleiben würde und kann dadurch den Gehalt in der Luft deutlich erhöhen!

Pflanzen sind aber nicht nur grobe Klötze, die schwer brechen – auch wenn sie verletzt werden, können sie oft erstaunlich gut regenerieren. Die Seitensproßknospen, die auf Vorrat angelegt werden und bei Verlust der Spitze austreiben können, hatten wir schon im letzten Kapitel erwähnt und sie sind Teil des Grundprinzips eines Pflanzenkörpers: Im Prinzip gibt es nur drei Grundorgane: Spross, Blatt und Wurzel – bei Moosen und Algen sind oft nichtmal die klar voneinander unterscheidbar. Bei Landpflanzen sind diese auch immer gleich angeordnet: Wurzeln brechen von innen aus Sprossen oder anderen Wurzeln, Blätter entstehen an der Sprossspitze und tragen in ihrer Achsel die Anlage für einen Seitenspross.

Dieses simple System lässt sich nun aber extrem vielfältig variieren – fördert man die Hauptachse und verholzt sie, entsteht ein Baum, bleibt sie kurz ein Kraut mit vielen Blättern am Boden, dazwischen ein Busch und viele Variationen! Und diese Variabilität erlaubt nicht nur die Vielfalt verschiedener Pflanzenarten, sondern auch von Individuen innerhalb einer Art: Zum Beispiel kann der Feldahron als Busch oder Baum wachsen, je nach Standort, viele Arten können verschiedene Blätter für sonnige oder schattige Standorte bilden, einige können aus dem Spross neue Wurzeln bilden, sollte er umknicken und so weiter. Man spricht bei Pflanzen auch von einer postembryonalen Entwicklung, da im Embryo nur die Grundstruktur aus einem kurzen Spross mit unverzweigter Wurzel und ein oder zwei Keimblättern angelegt wird und alles andere später nach Bedarf gebildet wird – während die meisten Tiere ihre Körperform in der Embryonalentwicklung festlegen und sich dann mit Verhalten an ihre Umwelt anpassen müssen.

Und diese Variabilität erlaubt es auch, verlorene Pflanzenteile einfach an anderem Ort wieder zu ergänzen. Nicht alle Pflanzenarten sind gleichgut im Regenerieren von Schäden und besonders mit der Blüte, die eine besondere Investition darstellt, ist oft auch die Regenerationsfähigkeit eingeschränkt. Manche Arten und Gruppen sind aber Meister der Regenerationsfähigkeit. So bestehen Grashalme zum Beispiel wie die Sprosse aller Pflanzen aus Abschnitten, an denen Blätter sitzen, den sogenannten Knoten und den Abschnitten dazwischen – den Internodien. Bei Gräsern können die Knoten aber einseitig wachsen und so als Gelenke funktionieren, so dass sich umgeknickte Grashalme einfach wieder aufrichten! Und dass sie sich vom Boden so gut regenerieren können, da ihre Knospen geschützt so weit unten liegen, ihre Sprosse sich wieder aufrichten können und ihre Blätter von der Basis nachwachsen, sind Gräser auch viel resistenter gegen Abweiden (oder Rasenmähen) als viele andere Pflanzen – im Prinzip sind Gräser und Grasfresser teilweise eine gigantische Symbiose, bei der die Tiere die Konkurrenz der Gräser ausschaltet und diese dann ganze Grasländer bilden können!

Weiden wachsen gerne an Gewässerrändern und können dort auch durch die Strömung entwurzelt werden – bei ihnen können aber selbst kleine Stücke neue Wurzeln, Sprosse und Blätter bilden, so dass aus einer zerstörten Pflanze ein kleines Wäldchen werden kann! Das Vermehren von Pflanzen mit Stecklingen aus kurzen Zweigstückchen klappt bei vielen Arten mit etwas Pflege bekanntlich auch.

Aber selbst wenn eine Pflanze doch einmal komplett stirbt, ist das oft nicht das Ende, denn Sporen und Samen, die wir ja schon kennengelernt haben, sind meist noch viel zäher und können gefressen werden, teilweise Feuer überstehen und Jahre oder Jahrzehnte im Boden auf bessere Bedingungen warten. Das sieht man bei jeder Waldlichtung, auf der Gräser und Kräuter in enormem Tempo hochwachsen, sobald Bäume Licht auf den Boden lassen. Man sieht es aber auch nach Erdrutschen, Feuersbrünsten und anderen Katastrophen – und sogar nach den ganz großen! In der Paläontologie kennt man fünf große Massenaussterben – sechs, wenn wir unsere aktuelle Biodiversitätskrise dazuzählt. Aber in der Paläobotanik fallen diese viel weniger auf, zwar sterben hier auch Arten aus, aber kaum ganze Pflanzenfamilien oder -ordnungen. Nach dem Asteroideneinschlag am Ende der Kreidezeit bemerkt man in der Paläobotanik einen Farnpeak – Farne besiedeln das verwüstete Land am schnellsten wieder – danach erholt sich die Vegetation. Pflanzen sind nicht wie Tiere auf von anderen Lebewesen hergestellte Nahrung angewiesen und ihre Samen können Jahre warten. Wenn sie keimen, dann ist für sie die Welt in Ordnung, nur die großen Viecher, die sie weggefressen haben sind weg!

Das heisst natürlich alles nicht, dass Pflanzenarten unverwundbar sind. Verlieren sie ihre Bestäuber, sterben sie aus und im Laufe der Erdgeschichte haben immer wieder andere Pflanzengruppen die Vorherrschaft übernommen. Gerade Samen sind aber eine enorme Chance, auch bedrohte Arten zu erhalten und im Kew Gardens, dem größten botanischen Garten der Welt in London, läuft ein Projekt mit dem Ziel keimfähige Samen aller bekannter Pflanzenarten vorrätig zu halten und so deren Aussterben praktisch zu verhindern. Und im Svalbard Global Seed Vault in Norwegen lagert Saatgut von Kulturpflanzen, um auch in Katastrophenfällen neu beginnen zu können – und so die Zähigkeit von Pflanzen auch zur Sicherung unseres Überlebens zu nutzen!



Kapitel 11 – Die beste Verteidigung ist... Gift!

In Legendenm Theaterstücken, Krimis aber teilweise auch im echten Leben, gilt Gift als eine Mordwaffe, zu der körperlich schwächere, hinterlistige, raffinierte Täter und vor allem auch Täterinnen greifen. Auch wenn es oft als unehrenhafte Waffe gilt, ist es doch oft auch Mittel der gerechten Rache und oft genug ist es der Bösewicht selbst, der mit einem vermeintlich triumphalen Biss oder Schluck sein Schicksal besiegelt. Als Lebewesen, die gerne von anderen gebissen werden, sind Pflanzen Meister des Kampfs mit Gift.

Dabei haben Pflanzen gegenüber Tieren bei der chemischen Kriegsführung einen großen Vorteil: Sie stellen alle Substanzen ihres Körpers selbst her, während Tiere mit allem klarkommen müssen, was die Nahrung hergibt – auch mit dem, was zu viel da oder gifitg ist – überspitzt könnte man also sagen, dass alle Nahrung Gift ist, aber lasst Euch nicht von fragwürdigen Ernährungsgurus beeindrucken, die jetzt einzelne Sachen als „das Problem“ herauspicken! Im Prinzip haben Pflanzen und Tiere viele Substanzen gemeinsam, was ja auch die Grundlage dafür ist, dass zweitere erstere fressen können – bei Aliens von einer anderen Welt wäre das nicht so. Neben dem grundlegenden Stoffwechsel gibt es aber noch den sogenannten Sekundärstoffwechsel – nicht für die Pflanze lebensnotwendige Substanzen, die für uns Tiere Fluch oder Segen sein können – schauen wir uns ein paar davon an:

Die vielleicht bekannteste Klasse pflanzlicher Giftstoffe sind die Alkaloide, stickstoffhaltige Moleküle, von denen viele auf das Nervensystem wirken können. Hierzu gehören Nikotin, Koffein, Curare, Morphin, Mescalin und viele mehr. Was an der Liste auffällt, ist dass viele dieser Gifte gleichzeitig auch als Medikamente oder Drogen verwendet werden können – während zu viel Morphin töten kann, kann eine kleine Dosis Schmerzen stillen – aber eben auch abhängig machen. Colchizin, Vinblastin und Vincristin stört Zellteilungen, haben aber deshalb auch Potential als Krebsmedikamente – wenn es gelingt, sie entsprechend zu dosieren oder zu den richtigen Zellen zu bringen. Curare lähmt die Atemmuskulatur und war eines der ersten wirklich wirksamen Narkosemittel. Nikotin ist ein tödliches, schnell abhängig machendes Gift, erlaubt aber auch einem ganzen Industriezweig, sich an der Sucht von Menschen dumm und dämlich zu verdienen. Wie Du siehst – Pflanzengifte sind für uns oft zwei- oder noch mehrschneidige Schwerter! Und das gilt nicht nur für Alkaloide, sondern auch für andere Substanzklassen wie die Herzglykoside aus dem Fingerhut, die das Herz antreiben oder bremsen können.

Eine weitere spannende Klasse pflnzlicher Abwehrstoffe sind die Senfölglykoside, auch als „Senfölbombe“ bezeichnet – denn diese Substanzen müssen erst „gezündet“ werden! In der intakten Pflanzenzelle sitzen die Senfölglykoside in der Vakuole und im Cytoplasma ist das Enzym Myrosinase. Wird jetzt die Zelle verletzt, mischen sich die Inhalte beider Teile der Zelle und die Myrosinase schneidet den Zuckerrest (Glykosid) ab und setzt so die flüchtigen Senföle frei – und die beissen dann in Mund und Nase! Deshalb brennt Meerrettich oder ein Radischen umso mehr, je mehr man darauf herumbeisst und die Schärfe steigt bis in die Nebenhöhlen. Beim Chili „brennt“ dagegen das Alkaloid Capsaicin und beim Pfeffer Piperidin, die beide von Anfang an vorliegent und nicht so flüchtig sind und daher im Mund bleiben.

Überhaupt ist die Verdauung etwas, das Pflanzen häufig stören, denn damit lassen sich Pflanzenfresser natürlich gut abschrecken. Tannine sind Gerb- und Bitterstoffe, die in vielen Pflanzen vorkommen und in kleinen Mengen den herben Geschmack von Tee, Kaffee und Weinen verursachen, aber auch Nährstoffe binden und Verdauungsenzyme inhibieren und so zu Blähungen und Bauchschmerzen führen können. Lektine sind Proteine, die die Zuckerreste an anderen Proteinen binden und ihre Arbeit so stören können. Manche Lektine stören die Verdauung, andere können sogar rote Blutkörperchen verklumpen und sind damit sehr giftig – und damit der Grund, warum manche Bohnensorten nur gekocht genossen werden sollten, da hier die Struktur der Lektine zerstört wird (Denaturierung)! Eine andere Gruppe von Frassschutzproteinen sind Proteinaseinhibitoren, die Protein abbauende Proteine, die Proteasen, hemmen und so die Verdauung stören, was vor allem beim Frassschutz gegen Insekten eine Rolle spielt.

In manche Pflanzen muss man aber nichtmal beissen, oder zumindest nicht viel fressen, damit es unangenehm wird. Viele Nadelbäume haben Harz und einige Korbblütler wie der Löwenzahn haben einen klebrigen Milchsaft, der die Mundwerkzeuge von Insekten verklebt. Bei den Wolfsmilchsgewächsen ist der Saft zudem giftig und beim Johanniskraut macht er die Haut extrem empfindlich gegen Sonnenbrand, so dass man vom Pflücken an einem Sommertag Brandblasen bekommen kann! Manche Pflanzen haben sogar noch stärkere Kontaktgifte, wie der amerikanische Giftsumach oder der Manchinelbaum, der als eine der giftigsten Pflanzen der Welt gilt – bei beiden kann schon Regenwasser, das in Kontakt mit den Blättern war auf der Haut schwere Reizungen auslösen! Andere Pflanzen haben Härchen voller ätherischer Öle auf den Blättern, die abbrechen können, wenn Insekten darüberlaufen oder klebrige Drüsen, so dass kleine Tiere hängen bleiben. Die Brennnesseln haben spezialisiete Brennhaare – Zellen, die wie eine Kanüle mit einem kugeligen Verschluss gebaut sin, bricht dieser bei Kontakt ab, entsteht eine regelrechte Injektionsnadel, die den Zellinhalt mit einem Mix aus Säure, Histamin und dem Neurotransmitter Acetylcholin in die Haut sticht und zu den bekannten Quaddeln führt!

All diese vielen Abwehrstoffe schützen Pflanzen aber nicht vor allen Gegnern – manche Spezialisten können die Substanzen entgiften. Bei den oben erwähnten scharfen Senfölglycosiden ist zum Beispiel das spannende, dass sie zwar einen hervorragenden Fraßschutz gegen manche Tiere bieten, aber nicht gegen alle. Manche Insekten wie die Kohlweißlinge sind auf Verwandte von Kohl und Radischen, die Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) spezialisert und nutzen die Senfölglycoside, mit denen sie zurecht kommen, als Wegweiser zum Futter. Und Vögel, auf die Capsaicin nicht scharf wirkt, verbreiten Chilisamen, da sie die Früchte fressen können – hier nutzt die Pflanze sozusagen eine Abwehr gezielt, um die besten Samenverbreiter auszuwählen! Ach ja und wir sind so seltsam, dass wir den Schärfeschmerz in gewissem Maß sogar genießen. Wobei sowohl Capsaicin als auch Senfölglycoside auch gesundheitsfördernde Wirkungen haben, da sie Kreislauf und Verdauung anregen und wohl auch Entgiftungsmechanismen anregen können. Wieder vielschneidige Schwerter! Trotzdem sind auch nicht gegen alle Gegner wirksame Gift- und Abwehrstoffe für die Pflanzen weiter nützlich, denn von wenigen Spezialisten gefressen werden, ist meist besser als von jedem – außer, wenn die Spezialisten sich einmal in Massen vermehren, wie zum Beispiel der Buchsbaumzünsler, nachdem er in Europa eingeschleppt wurde, wo er keine natürlichen Feinde hatte.

Selbst gegen Spezialisten können Pflanzen sich aber noch wehren – mit wiederum spezialisierten Substanzen. Die Eibe bildet zum Beispiel das Häutungshormon Ecdysteron, das Insektenlarven zur Häutung anregt – bevor sie eigentlich dazu bereit sind. Gegen Krankheitserreger können viele Pflanzenarten mehr oder weniger spezialisierte Gifte bilden, zum Beispiel Chitinasen, die die Zellwände von Pilzen abbauen. Und wenn das nicht hilft, können sie befallene Pflanzenteile absterben lassen und ihre Regenerationsfähigkeit als Teil einer aktiven Abwehr nutzen! Aber auch hier haben Spezialisten wieder Gegenabwehr entwickelt und teilweise Pflanzen Gegengegegnabwehren und so gibt es dann anfällige und resistente Linien auch bei vielen Nutzpflanzen – der evolutionäre Wettlauf ist nie entscheiden!

Nur manchmal, bauen Pflanzen dann plötzlich alle Frassschutzsubstanzen ab, weichen die Zellwände auf, reduzieren den Säuregehalt und lagern leckeren Zucker ein – wenn es an der Zeit ist, dass Tiere ihre Früchte fressen und die Samen verbreiten. Die Giftmischerinnen können auch gezielt verführen, wenn es ihnen nützt!



Kapitel 12 – Attack! Wenn Bäume angreifen

Was ist das erste, dass Dir an einem Baum auffällt? Wahrscheinlich die Größe! Aber hast Du Dich schonmal gefragt, warum Bäume überhaupt einen so massiven Stamm haben, der einen großen Teil ihrer Ressourcen verschlingt? Alleine stehend würde ein Baum eigentlich keinen Sinn ergeben, die Krone dicht am Boden wäre effizienter, um mit möglichst wenig Einsatz maximale Photosynthese zu betreiben. Aber in Konkurrenz mit anderen Pflanzen, ergibt der Wuchs plötzlich Sinn! Am Boden von dichten Buchen- oder tropischen Regenwäldern kommt nur noch 1% oder weniger des Sonnenlichts an, die Bäume dominieren den Kampf ums Licht. Und hier zählt dann schnelles Wachstum, um nach oben zu kommen. Der Meister ist der Riesenbambus Dendrocalamus giganteus, dessen Sprosse bis zu fast einem Meter pro Tag nach oben schießen können. Andere Pflanzen können dort nur bestehen, wenn sie entweder sehr genügsam sind oder – wie der Unterwuchs aus Anemonen und Winterlingen im Buchenwald das Frühjahr nutzen, in dem ihre hochstammigen Herrscher noch keine Blätter tragen.

Oder man schummelt! Epiphyten sind Pflanzen, die insbesondere in den Tropen auf anderen Pflanzen wachsen und so näher am Licht sind, dafür abgeschnitten vom Boden mit seinen Nährstoffen und dem Wasser. Dafür bilden Bromelien mit ihren Blätten Trichter und Orchideen haben saugfähige Wurzeln und einige Epiphyten bieten Ameisen Unterschlupf, die dann mit den anfallenden Abfällen ihrer Bauten die Pflanze düngen. Als Alternative kann man an einem Baum hochklettern und sich so viel vom nötigen Stützmaterial sparen. Besonders raffiniert machen es eine Reihe von tropischen Ficus-Arten, die als Würgefeigen bezeichnet werden. Diese wachsen erst als Epiphyten, senden dann Wurzeln zum Boden und umwachsen irgendwann ihren Trägerbaum so eng, dass er nicht weiterwachsen kann und abstirbt – die Würgefeige hat dann seinen Platz übernommen!

Aber Pflanzen kämpfen nicht nur ums Licht, auch um Nährstoffe aus dem Boden, wo Wurzeln ähnlich konkurrieren können wie die überirdischen Pflanzenteile. Und manche Arten geben sogar Giftstoffe ab, die das Wachstum anderer Arten hemmen – ein bekanntes Beispiel ist der Walnussbaum (Juglans regia) unter dem meist eine Zone freien Bodens liegt, aber auch Wüstenpflanzen sichern sich so genug Bodenfläche um bei den seltenen Regenfällen genug Wasser abzubekommen und insgesamt scheint dieser Prozess (Allelopathie) sogar recht häufig zu sein – nicht umsonst gibt es in vielen Gartenbüchern Angaben, welche Pflanzen man gut neben anderen anbauen kann.

Eine weitere Art von Konkurrenz herrscht um Bestäuber und die hat für uns den Vorteil, dass es so auffällige, bunte und duftende Blüten gibt! Allerdings kann auch diese Schönheit Probleme bereiten. So sind Rapsfelder zum Beispiel für Bienen so attaktiv, dass andere Pflanzen in ihrer Nähe merklich seltener bestäubt werden.

Manche Pflanzen belassen es aber nicht beim Konkurrieren – sie stehlen als Parasiten direkt bei anderen Arten. Bekannt ist die Mistel (Viscum album), die auf Bäumen wächst und als Halbschmarotzer zwar selbst Photosynthese betreibt, aber ihr Wasser und ihre Mineralien aus dem Xylem des Wirtsbaums saugt. Der Teufelzwirn, auch Seide genannt (Cuscuta), ist zwar auch grünlich, braucht aber seine Wirtspflanzen für ziemlich alles und ist entsprechend ein Vollschmarotzer. Bei uns kann man im Sommer die Nesselseide (Cuscuta europaea) wie grüne Schnüre Brennnesseln umwindend, weltweit gibt es etwa 140 Arten, die an ganz verschiedenen Pflanzen parasitieren. Andere Pflanzen bleiben gleich fast komplett unter der Erde und schmarotzen an den Wurzeln ihrer Wirte und strecken nur die Blüten nach oben. Dazu gehören die oft orchideenähnlich aussehenden Sommerwurzen (Orobanche), aber auch die tropische Rafflesia, die mit bis zu einem Meter Durchmesser die größten Einzelblüten der Welt bildet!

Und manche Pflanzen stehlen ihre Nährstoffe nicht von anderen Pflanzen, sondern von Tieren: Die fleischfressenden Pflanzen! Fleischfressende Pflanzen leben vor allem an Stellen, die sehr nährstoffarm sind, wie in Mooren oder als Epiphyten auf anderen Pflanzen im tropischen Regenwald – die oft aufwändigen Fangblätter lohnen sich wohl sonst nicht. Die einfachsten Fallen sind klebrige Blätter wie wir sie schon bei der Insektenabwehr kennen gelernt haben und die als Fangblätter nur noch etwas klebriger werden müssen. So etwas finden wir bei den Fettkräutern (Pinguicula) oder etwas raffinierter beim Sonnentau (Drosera) bei dem nicht das ganze Blatt klebt, sondern Haare mit Klebstofftröpchen. Das spart Klebstoff und da sich die Blätter um ein Beutetier einrollen können, entsteht trotzdem ein enger, der Verdauung förderlicher Kontakt. Das Blatt muss dann nur noch Verdauungsenzyme abgeben, die wir aber auch schon aus der Feindabwehr kennen – so verwunderlich die Anpassungen fleischfressender Pflanzen also scheinen mögen, als Abwehr, die den Spieß umdreht ist auch ihre evolutionäre Geschichte gut nachvollziehbar! Die zuklappenden Blätter der Venusfliegenfalle sind dann im Prinzip einfach Klebblätter, die sich so schnell schließen können, dass sie keinen Klebstoff mehr brauchen.

Die Wasserschläuche (Utricularia) haben Unterwasserfallen, die sich bei Kontakt mit kleinen Tieren blitzschnell öffnen und ihre Beute so einsaugen können – grob gesehen ein ähnlicher Mechanismus wie bei den auch unter Spannung stehenden Früchten des Springkrauts, die sich schlagartig öffnen!

Und dann gibt es noch die verschiedenen Fallgrubenblätter, bei denen Insekten in eine Röhre oder einen Trichter mit glatten Wänden rutschen und dort ertrinken. Besonders komplexe Blätter haben die Kannenpflanzen (Nepenthes), deren Blätter an der Basis breit und grün sind und Photosynthese treiben, dann in einen windenden Blattstiel übergehen und am Ende die Fallenkanne haben. Aber schaut man genauer hin, dann nutzen gar nicht alle Nepenthes-Arten diese Fallen, um arglose Insekten zu fangen. Auch Regen und Erde kann sich darin sammeln und hier wie bei anderen fleischfressenden Pflanzen können auch gefangene Pollen und sogar Laub einen wesentlichen Teil der „Nahrung“ ausmachen. Des weiteren werden auch Algen verdaut, die in der Kanne wachsen und in manchen bauen Ameisen ihre Nester, deren Abfälle dann die Pflanze düngt. Manche Kannen sind sogar groß genug, dass kleine Fledermausarten darin schlafen können, deren Guano wieder einen hervorragenden Dünger abgibt! Und die beste Geschichte liefert vielleicht Nepenthes lowii, an deren Kannenrand eine weißliche Substanz Spitzhörnchen anlockt, die dann auf der Kanne sitzend diese abschlecken und wieder mit ihrem Geschäft düngen! Nepenthes-Arten sind also wohl eher allesfressende Pflanzen...

Nur was Krankheitserreger angeht, finden sich die unter Pflanzen kaum. Die Horrorgeschichten, die man früher Kindern erzählt hat, dass verschluckte Apfelkerne im Bauch keimen würden, sind nur Geschichten. Selbst wenn ein Samen einen Platz fände, der weder zu sauer ist, noch den Keimling verdaut, würde das Pflänzchen im Dunklen schnell absterben und verdaut werden. Was uns keimend Ärger machen kann, sind Pollen auf der Nasenschleimhaut, aber auch diese überleben nicht lange. Manche Algen sind eine gefährliche Quelle für Vergiftungen, darunter die Fischvergiftung Cigautera, aber das ist kein gezielter Angriff auf uns. Manche Algen können aber auch Tiere besiedeln und während die Algen die das Fell von Faultieren grün färben, diesen sogar nützlich sind, gibt es ein paar andere einzellige Algen, die immungeschwächte Tiere und Menschen befallen können und eine Gattung von Grünalgen, die tatsächlich ein Krankheitserreger ist: Protoheca. Diese einzelligen Algen bilden kein Chlorophyll und können gelegentlich die Haut und andere Organe befallen. Aber wie gesagt, das ist die absolute Ausnahme.

Freitag, 1. April 2022

Der Grüne Planet, Teil 3 (Kapitel 7, 8 und 9)


 

Kapitel 7 – Sieh mir in die Sproßspitze, Kleines!

Vielleicht gehörst Du ja zu den Leuten, die mit ihren Zimmerpflanzen reden, aber sehr wahrscheinlich hast Du ihnen noch nie in die Augen geschaut – wahrscheinlich weil sie einfach keine haben, genausowenig wie Ohren. Aber trotzdem reagieren Pflanzen bekanntlich auf Licht und so stellt sich die Frage: Was nimmt so ein grünes Wesen eigentlich alles wahr und merkt es, dass wir uns mit ihm beschäftigen?

Das wichtigste Signal, das Pflanzen aus ihrer Umwelt erreicht, ist sicher Licht – denn Licht ist die Energiequelle der Photosynthese und ohne Licht geht für die allermeisten Pflanzen gar nichts. Wächst eine Pflanze im Licht, dann bildet sie grüne Blätter und kräftige Wurzeln, man spricht hier von der Photomorphogenese (Gestaltbildung im Licht). Wächst eine Pflanze im Dunklen, streckt sich der Sproß so weit wie möglich und alle anderen Vorgänge werden zurückgehalten, um Energie zu sparen – die Blätter bleiben klein und weiß, die Wurzel kurz (Skotomorphogenese, Gestaltbildung im Schatten). So haben vor allem Keimlinge die Chance, ins Licht zu kommen und dort dann grüne Blätter zu bilden und nicht vorher ihre Reserven zu verbrauchen und zu verhungern. Für die Photomorphogenese haben Pflanzen zwei wichtige Rezeptoren, meist in mehreren Varianten: Cryptochrome und Phytochrome. Die Cryptochrome reagieren vor allem auf blaues Licht, die Phytochrome auf rotes – und damit genau auf die Wellenlängen, die die Photosynthese am besten nutzen kann!

Für viele Pflanzen spielt Licht auch eine entscheidende Rolle bei der Keimung – denn je nachdem, wie viele Nährstoffe ein Samen trägt, ist es besser an der Oberfläche zu keimen, wo der Keimling gleich mit der Photosynthese beginnen kann (Lichtkeimer) oder besser geschützt in der Erde (Dunkelkeimer). Viele Ruderalpflanzen, also solche, die schnell auf offenen Flächen wachsen und für uns oft unter den Begriff „Unkraut“ fallen, sind Lichkeimer. Und das erlaubt auf dem Acker einen Trick: Generell dient Pflügen dem Auflockern und Belüften der Erde, der Verteilung von organischem Material im Boden und dem Zerstören unerwünschter Vegetation. Allerdings bringt es auch die Samen eben solcher unerwünschter Pflanzen an die Oberfläche. Pflügt man nachts, dann keimen nur die Samen, die tatsächlich an der Oberfläche gelandet sind, pflügt man tagsüber können auch einige keimen, die nur kurz Licht abbekommen haben. Der Effekt kann in manchen Versuchen enorm sein (2% Bodenbedeckung durch "Unkräuter" statt 80% https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF01131157.pdf). Die Autoren merken aber auch an, dass die Methode dunkelkeimende Unkräuter selektieren könnte und damit genauso empfindlich für Resistenzen sein könnte wie Herbizideinsatz. Und Pflügen auch einen Beitrag zur Erosion und dem Verlust von Boden beiträgt - eines der größten und am wenigsten bekannten Probleme der weltweiten Landwirtschaft, ist Pflügen als Unkrautbekämpfung auch nicht unbedingt umweltfreundlicher als ein gezielter Herbizideinsatz. Auch hier gilt: Einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt es selten. Und wie man am besten Pflanzen anbaut, um die Menschheit zu ernähren ohne unsere Umwelt zu zerstören ist ein sehr komplexes Problem!

Aber Pflanzen nehmen nicht nur wahr, ob Licht da ist oder nicht, sie können auch die Richtung wahrnehmen und ihr Wachstum zum Licht hin ausrichten. In Kapitel 1 hatten wir schon über die Blätter der Sonnenblume gesprochen, aber ein Wachstum zum Licht (Phototropismus) findet sich bei allen Pflanzen – und nicht nur auf der sichtbaren Ebene, denn in vielen Zellen richten sich sogar die Chloroplasten, die grünen Organellen, die das Sonnenlicht auffangen, je nach Beleuchtung unterschiedlich aus. Pflanzen nutzen also verschiedene Informationen aus dem Licht wie Menge und Richtung, um ihre Photosynthese zu optimieren.

Einer der ersten, der hier genauer hinschaute war – mal wieder – Charles Darwin, der mit seinem Sohn Francis Versuche an Weizenkeimlingen machte. In diesen konnten sie beobachten, dass die Pflänzchen sich etwas unter der Spitze zum Licht krümmten, aber ein Abschneiden oder verdecken der Spitze diese Bewegung verhindert. Die Darwins vermuteten, dass in der Spitze ein Stoff ungleich verteilt wird, der dann nach unten wandert und so zu ungleichmäßigem Wachstum im Sproß und in der Folge zur Krümmung führt. Nicht nur hatten sie damit die Anfänge der Pflanzenphysiologie gelegt, sondern auch eines der ersten Modelle für ein Hormon aufgestellt – und sie sollten Recht behalten! Heute wissen wir, dass eine weitere Klasse von Blaulichtrezeptoren – die Phototropine – und das Pflanzenhormon Auxin hier zusammenspielen.

Neben der Menge und Richtung, können Pflanzen aber auch die Wellenlängen von Licht analysieren – sozusagen Farben erkennen! Und dabei spielen die schon genannten Phytochrome eine besondere Rolle. Die können nämlich in zwei Zuständen vorliegen: Gebildet werden sie in einer Form, die durch relativ kurzwelliges rotes Licht angeregt werden kann, das auch energiereich genug ist, um in der Photosynthese genutzt zu werden. Durch diese Anregung werden sie in eine zweite Form umgewandelt, die in den Zellkern wandert und Gene aktivieren kann, aber auch durch längerwelliges, energieärmeres Licht wieder in die Ausgangsform überführt werden kann. Aus dem Verhältnis der beiden Formen kann eine Pflanze dann also auch ablesen, wie sich die Rottöne im Licht verteilen – und das ist deshalb genial, weil sie daran erkennen kann, ob sie im Schatten anderer Pflanzen steht! Diese absorbieren nämlich das blaue und das kürzerwellige rote Licht, lassen aber das längerwellige Rotlicht durch – wenn Du einmal unter einer Buche nach oben schaust, kannst Du manchmal erkennen, wie rotstichig das hindurchfallende Licht ist. Und da ein Teil des langwelligen Rotlichts auch reflektiert wird, kann eine Pflanze sogar erkennen, wenn sie neben einer anderen wächst – und entsprechend schneller wachsen, um nicht im Schatten zu enden. Wenn in einem Maisfeld alle Pflanzen ungefähr gleich groß sind, dann bewirkt diese Wahnehmung das! Und dieses pflanzliche „Farbensehen“ ist enorm sensitiv – auch bei Maispflanzen hat man einen Effekt auf das Wachstum in bis zu 30 Metern Abstand zu einem Waldrand bemerkt – selbst die besten menschlichen Künstler dürften kein solches Auge für Lichtfarbe haben!

Phytochrome spielen aber sogar noch bei einem anderen Effekt eine wichtige Rolle – nämlich für die Steuerung der inneren Uhr und für die Messung der Tageslänge – wobei Pflanzen genau genommen die Länge der Nacht messen. Stört man nämlich die lange Nacht durch einen Lichtpuls, messen sie nur die längste Dunkelphase und verhalten sich dann wie bei langen Tagen. Und die Tageslänge ist für Pflanzen eine wichtige Information, denn sie zeigt das Fortschreiten des Jahres an. Im Sommer blühende Pflanzen brauchen zum Beispiel eine gewisse Tageslänge, um Blüten zu bilden und zu öffenen, Herbstblüher machen das erst, wenn die Tage eine bestimmte Länge wieder unterschreiten. Die innere Uhr dagegen erlaubt es Pflanzen auch an trüben Tagen und in der Nacht richtig zu reagieren – zum Beispiel bei der Sonnenblume, die Blätter wieder in die Ausgangsstellung zurückzubewegen. Hier ist Licht ein wichtiger Taktgeber, damit der innere Rhythmus auch tatsächlich einem 24-Stunden-Tag folgt. Hält man Pflanzen im Dauerlicht, dann geraten die Zyklen wie bei uns übrigens auch aus dem Takt!

Und als wäre all das nicht genug, hat man noch weitere Lichtrezeptoren in Pflanzen entdeckt, welche, die helfen, die innere Uhr zu steuern und andere, die UV-Licht messen und die Bildung von Schutzsubstanzen anregen – die Entsprechung zu unserem Braunwerden – bei manchen Pflanzen kann man das am Rotwerden von Blättern erkennen – besonders auffällig beim Ruprechtskraut oder Stinkenden Storchschnabel (Geranium robertianum), dessen Blätter im Schatten grün bleiben, in der Sonne aber blutrot werden können!

Pflanzen nehmen Licht also anders wahr als wir und können keine Bilder sehen, aber in der Komplexität ihres „Sehens“ stehen sie uns kaum nach. Aber wie sieht es mit anderen Sinnen aus - Riechen, Fühlen oder Hören?



Kapitel 8 – Wenn Pflanzen Füße hätten, könnten sie dann hören?

Die Frage mag komisch erscheinen, aber sie ist tatsächlich eine ziemlich intelligente Überlegung, die in einer Twitterdiskussion über Sinnesleistungen von Pflanzen aufkam. Hören ist für Tiere ja überwiegend ein Sinn, um sie vor Feinden und Gefahren zu warnen oder auf Futter oder mögliche Partner aufmerksam zu machen – und fast immer ist dann weg- oder hinlaufen die beste Reaktion. Und Pflanzen können das nicht und können auch mit Wachstum oder Stoffwechsel nicht schnell genug auf die meisten solcher Reize reagieren. Tatsächlich hören auch viele wirbellose Tierarten nicht, so wichtig uns Menschen der Sinn erscheint. Immer wieder haben Leute behauptet, dass Musik, die uns Menschen ja emotional besonders anspricht, auch das Wachstum von Pflanzen beeinflussen soll – nur konnte das bisher niemand überzeugend zeigen. Und es ist gar nicht so einfach, schwache Effekte auf Pflanzen durch Musik oder mit ihnen sprechen nachzuweisen – denn wie wir gesehen haben – und noch sehen werden – reagieren sie auf viele Reize und Schall ohne andere Reize wie Luftbewegung, Wärme oder Kohlendioxid aus unserer Atemluft anzubieten, ist gar nicht so einfach. Kommen dazu zufällige Effekte und menschliche Faktoren, wie unsere Tendenz, eine Pflanze, mit der wir reden vielleicht auch sonst besser zu behandeln – indem wir sie zum Beispiel regelmäßiger gießen und düngen – dann können wir für viele esoterischen Behauptungen anekdotische Evidenz erzeugen, die sich in besser kontrollierten Experimenten nicht reproduzieren lassen.

Trotzdem gibt es ein paar Hinweise, dass zumindest manche Pflanzen auf bestimmte Frequenzen reagieren können. Das vielleicht am besten belegte Phänomen ist die Vibrationsbestäubung, bei der Bienen und Hummeln vor einer Blüte brummend in der Luft schweben und dadurch die Freisetzung von Pollen fördern. Manche Staubblätter schütteln sogar nur dann ihre Pollen aus, wenn sie mit der richtigen Frequenz angebrummt werden! Richtiges Hören ist das aber sicher nicht, eher ein in der Form der Organe angelegtes passives Mitvibrieren. Näher an echtem Hören wären ein paar Versuche, die gezeigt haben wollen, dass Pflanzenwurzel zum Geräusch fließenden Wassers wachsen oder mehr Abwehrstoffe bilden, wenn man ihnen das Geräusch fressender Raupen vorspielt. Wie überzeugend diese Daten sind, da sind sich die Wissenschaftlerinnen aber nicht einig und über mögliche Mechanismen wissen wir noch nichts. Grundsätzlich haben Pflanzen natürlich Strukturen, die bei bestimmten Frequenzen mitschwingen und so ein verwertbares Signal erzeugen könnten – von Härchen auf den Blättern und Wurzeln bis zu den Wänden von Zellen. Aber insgesamt bleibt die Frage, ob manche Pflanzen doch ein bisschen hören können, ohne klare Antwort.

Für Fühlen sieht die Sache aber schon ganz anders aus. Zwar muss man auch hier aufpassen, denn nicht jede Reaktion auf Berührung belegt eine echte Sinneswahrnehmung – die Früchte des Springkrauts stehen zum Beispiel einfach so unter Spannung, dass eine Berührung ausreicht, sie platzen zu lassen – etwas später hätten sie das auch von allein getan. Aber die schon in Kapitel 1 erwähnten Mimosen oder Venusfliegenpflanzen zeigen uns beeindruckend, dass Pflanzen auf Berührung reagieren können – und das sogar komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint!

Auf den Fangblättern der Venusfliegenfalle sitzen mehrere Tastborsten. Aber nicht bei jeder Berührung schnappt die Falle zu – wie Du vielleicht schonmal bemerkt hast, wenn Du eine Falle mit einer Pinselspitze oder ähnlichem gereizt hast. Erst wenn es zwei Berührungen innerhalb von etwa 20 Sekunden gab, schnappt die Pflanze zu! So erwischt sie krabbelnde Insekten, aber verschwendet keine Energie für Regentropfen. Bei der Mimose fällt die Reaktion der Blätter und Sprosse unterschiedlich stark aus, je nachdem wieviel Wind und Berührungen die Pflanze bereits erlebt hat – eine abgehärtete Mimose reagiert gar nicht mehr so empfindlich! Und diese Anpassung, fast schon einfache Lernfähigkeit, verhindert, dass die Pflanze auf die falschen Reize überreagiert.

Dass Pflanzen ihren Wuchs an Wind anpassen, kannst Du aber auch in den Bergen, an der Küste oder an manchen Waldrändern gut beobachten – Bäume, die starkem Wind ausgesetzt sind, bleiben kleiner und bilden einen dickeren Stamm. Auch Pflanzen, die oft berührt werden oder denen man Blätter abschneidet reagieren ähnlich – Pflanzen streicheln ist für diese also eher Stress. Aber insgesamt erlaubt, diese Wahrnehmung Pflanzen, sich wieder ideal an ihren Standort und dessen Bedingungen anzupassen.

Noch wichtiger ist ein „Tastsinn“ für Wurzeln, denn diese müssen ja sozusagen erspüren, durch welche Erde sie gut wachsen können, um welche Steine sie herum müssen und bei all diesem hin und her müssen sie auch noch die generelle Richtung beibehalten! Wurzelspitzen können dafür die Richtung der Schwerkraft spüren, im Prinzip eine Art Gleichgewichtsssinn. Besonders schön kann man das zeigen, wenn man Pflanzen auf Platten wachsen lässt und diese dann dreht, oder in einer Zentrifuge – immer orientieren sich die Wurzeln dahin, wo die wirkenden Kräfte ihnen ein „unten“ anzeigen. Wir wissen sogar ziemlich genau, wie Wurzeln das bewerkstelligen, in der Wurzelhaube, die die wachsende Spitze schützt, gibt es nämlich ein paar besonders stärkereiche und damit schwere Plastiden, die in ihren Zellen nach unten sinken – und damit wohl einen kleinen aber ausreichenden Tastreiz nach „unten“ erzeugen.

Ein weiterer Sinn, der für uns zum Fühlen zählt, ist der Temperatursinn. Temperatur spielt auch für Pflanzen eine große Rolle, bei der Entscheidung, wann geblüht, gekeimt und gewachsen wird. Und dabie haben viele Pflanzen sogar ein Temperaturgedächtnis. Viele Samen keimen nämlich erst, wenn die Temperaturen günstig sind und sie vorher schon einmal tiefe Temperaturen erlebt haben – so gehen sie sicher, erst im Frühjahr zu keimen und nicht schon im Herbst, wo die Keimlinge den Winter kaum überleben würden. Ganz ähnlich blühen viele Pflanzen auch erst, wenn sie eine Kälteperiode erlebt haben. Und so integrieren Pflanzen in ihre Blühentscheidung Informationen aus Temperatur, Licht und anderen Faktoren – bekannt ist die Kirschblüte, die als ein Zeichen des beginnenden Frühlings gilt. Aber sogar die Meteorologie nutzt den Blühbeginn, um den sogenannten „phänologischen Frühling“ zu definieren: Mit der Haselblüte beginnt im Januar der Vorfrühling, mit der Forsythie Ende März der Erstfrühling und mit der Apfelblüte im April der Vollfrühling. Und dank jahrelanger Aufzeichnungen wissen wir auch, dass all das immer früher einsetzt, was wieder mal den Klimawandel dokumentiert.

Nach Sehen, Hören und Fühlen bleiben uns noch die chemischen Sinne, die verschiedene Substanzen detektieren können: Schmecken und Riechen. Und auch da können Pflanzen einiges mehr, als man ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde: Ein spektakuläres Beispiel ist die Kommunikation über flüchtige Hormone - das bekannteste Beispiel sind vielleicht Akazien, die wenn sie angefressen werden ihre Nachbarn "warnen". Diese bilden dann recht schnell mehr Giftstoffe und würden so Pflanzenfressern den Appetit verderben - weshalb Giraffen an jeder Akazie nur relativ kurz fressen und dann zur nächsten gegen den Wind wandern! Immerhin schützt das die Bäume davor, zu stark abgefressen zu werden.

Wurzeln sind auch hier vielleicht die begabtesten Pflanzenorgane, denn sie können Wasser, Nährstoffe und schädliche Salze im Boden wahrnehmen und entsprechend ausweichen, schneller oder langsamer wachsen und mehr oder weniger Wurzelhaare bilden oder auch den Boden gezielt ansäuern oder Substanzen abgeben, um mehr Nährstoffe freizusetzen – man könnte sagen, eine Wurzel schmeckt und tastet sich durch dir Erde und verdaut sie gezielt!

Die wichtigsten chemischen Sinne sind aber wahrscheinlich für Pflanzen – genauso wie für uns – nicht die, die die Umwelt erkunden, sondern die, die den eigenen Körper wahrnehmen und steuern. Pflanzenzellen können die Konzentrationen an Zuckern und verschiedenen Nährstoffen messen und dann ihren Stoffwechsel anpassen oder über Hormone sogar den restlichen Pflanzenkörper informieren – sozusagen die Entsprechung von Hunger oder Apetit auf eine bestimmte Speise. Spaltöffnungen, von denen wir bei der Photosynthese noch mehr hören werden, messen die Kohlendioxidkonzentration im Blatt und öffnen sich, wenn diese zu niedrig wird. Und auch auf Gefahren können Pflanzen so reagieren, indem sie zum Beispiel Bruchstücke pflanzlicher oder tierischer Zellwände und bestimmte bakterielle Moleküle erkennen und so wahrnehmen können, ob sie gerade angefressen oder infiziert werden – und entsprechend ihre Abwehr aktivieren.

Wenn Pflanzen aber so viel von ihrer Umwelt und aus ihrem eigenen Körper wahrnehmen und sinnvoll darauf reagieren, dann drängen sich auch Fragen auf wie: Spüren Pflanzen Schmerz, sind sie intelligent, haben sie ein Bewusstsein oder eine Seele?

 

Kapitel 9 – Hat meine Mimose Gefühle?

Für Aristoteles hatten alle Lebewesen eine Seele, zumindest eine mit den grundlegendsten Fähigkeiten – Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung. Nur Tiere erreichten nach seiner Vorstellung die nächste Ebene, wo die Seele Wahrnehmung, Bewegung und zielgerichtetes Handeln ermöglicht. Und nur Menschen hatten eine Seele, die auch das Denken erlaubt. Auch wenn man Aristoteles zu Gute halten muss, dass er dem Leben etwas Gemeinsames zugesprochen hat, ist seine Einteilung mit dem, was wir über Pflanzen inzwischen wissen, kaum haltbar – und genauso kennen wir heute so viele erstaunliche Denkleistungen von Tieren, dass die ganze Dreiteilung fragwürdig erscheint und alles eher ineinander übergeht. Überhaupt ist der Begriff der Seele so schwer zu definieren, dass er wissenschaftlich kaum zugängig erscheint. Aber auch bei Schmerzen, Intelligenz und Bewusstsein können wir keine eindeutigen Grenzen ziehen. Dass Pflanzen die Grundlagen für all das mitbringen, haben wir gesehen – aber vielleicht ist es am besten, wenn wir erst noch ein bisschen genauer hinschauen, wie Pflanzen Informationen verarbeiten, bevor wir uns an Antworten herantasten.

Ein tierischer Körper verteilt Informationen über verschiedene Systeme: Das schnellste ist das Nervensystem, das bei vielen Tieren auch ein klares Zentrum hat, wenn es weit genug entwickelt ist, bezeichnet man es als Gehirn. Daneben gibt es Hormone, einen Kreislauf, der für den Stoffwechsel wichtige Substanzen verteilt und nicht zuletzt ist der ganze Körper auch mechanisch zusammenhängend.

Die mechanische Kommunikation und den Austausch von Substanzen über Leitsysteme finden wir in Pflanzen auch. Und auch Hormone gibt es hier – wir hatten bei der Lichtwahrnehmung schon davon gehört. Zwei der wichtigsten Klassen an Pflanzenhormonen sind Auxin – das vor allem im Sproßspitze gebildet wird und unter anderem Zellen zur Streckung anregt – und Cytokinine – die in der Wurzelspitze gebildet werden und unter anderem Zellen zur Teilung anregen. Diese beiden Hormonsysteme organisieren ganz wesentlich den Pflanzenkörper, beeinflussen aber im Gegensatz zu den meisten tierischen Hormonen sehr viele verschiedene Prozesse und erlauben so auch viele Anpassungen des Pflanzenkörpers. Zum Beispiel beruht die Krümmung der von Darwin und seinem Sohn beobachteten Weizenkeimlinge auf einer ungleichmäßigen Verteilung von Auxin im Sproß. Außerdem hemmt Auxin die Ausbildung von Seitensproßen – in manchen Pflanzen mehr, so dass vor allem eine Hauptachse gebildet wird, in anderen weniger, so dass sie buschiger wachsen. Und wenn man zum Beispiel eine Weide köpft, dann führt der Wegfall des Auxinsignals dazu, dass ganz viele neue Seitensproße austreiben! Andere Hormone arbeiten mit Auxin und den Cytokininen bei der Organisation des Pflanzenkörpers zusammen koordinieren die pflanzliche Stressabwehr oder signalisieren Wassermangel auch zwischen weit voneinander entfernten Pflanzenteilen. Auch das pflanzliche Hormonsystem kann mit unserem also ganz gut mithalten.

Aber wie ist es mit einer Entsprechung zu unserem Nervensystem? Tatsächlich können Pflanzen auch elektrische Signale erzeugen und nutzen – die Bewegungen von Venusfliegenfalle und Mimose werden so gesteuert. Allerdings laufen diese Signale in Pflanzen nicht entlang spezialisierter Zellen wie in Tieren, sondern durch das ganz normale Gewebe – eine mögliche Erklärung ist, dass Pflanzenzellen dank ihrer Zellwände viel geordneter vorliegen, als tierische Zellen, die verformbar sind und teilweise sogar wandern können. Während ein Tier für einen gerichteten Signaltransport also sowas wie ein beständiges Kabelnetzwerk braucht, können normale Pflanzenzellen Signale wie in einer Eimerkette weiterreichen.

Trotzdem gibt es ein paar Botaniker, die sagen, es sei sinnvoll, die pflanzliche Signalweiterleitung mit den Begriffen der Neurobiologie zu beschreiben – sie nennen ihr Forschungsgebiet entsprechend auch Pflanzenneurobiologie. Und manche von ihnen sehen sogar in den Wurzelspitzen eine Entsprechung zu tierischen Gehirnen, da hier Informationen wie die Richtung der Schwerkraft und der Nährstoff- und Wassergehalt des Bodens wahrgenommen und an den Rest der Pflanze kommuniziert wird, letztendlich hier also zentrale Entscheidungen getroffen werden. Tatsächlich war auch das schon Charles und Francis Darwin aufgefallen, die eine „root-brain“-Hypothese aufstellten, die besagt, dass Wurzelspitzen ähnlich funktionieren wie die Gehirne niederer Tiere.

Allerdings ist ähnlich eben nicht gleich – und so spannend es ist, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, so leicht kann es einen auch in die Irre führen, Vergleiche zu weit zu treiben. Auch wenn manche Mechanismen zwischen Pflanzenzellen denen zwischen Nervenzellen ähneln, haben sie eben doch keine Nervenzellen. Und auch wenn Wurzelspitzen eine gewisse Intelligenz zeigen, haben Pflanzen eben doch kein zentrales Gehirn, sondern viele Wurzelspitzen und dazu einen Sproß, der ähnlich wichtige Entscheidungen trifft – wie wir beim Licht gesehen haben. Und auch die vielfältigen Wahnehmungen von Pflanzen sind viel weniger in speziellen Sinnesorganen zentriert als bei Tieren – insgesamt agieren Pflanzen viel weniger zentralisiert, eher wie eine nur grob strukturierte Basisdemokratie aus Zellen und Organen. Und das passt auch gut zu dem modularen, anpassungsfähigen Körperbau von Pflanzen. Und so halten die meisten Botaniker die weitergehenden Ideen der Pflanzenneurobiologen für wenig hilfreich oder sogar schädlich.

Die große Frage ist ja auch: Was hätte eine Pflanze von einem tierähnlichen Bewusstsein? Evolutionär kann sich nur durchsetzen, was nicht nur einen Nutzen hat, sondern auch keinen unangemessenen Aufwand. Und die Vielfalt pflanzlicher Reaktionen scheint recht gut auch ohne ein zentrales Bewusstsein erklärbar zu sein und wahrscheinlich sogar besser. Wieso sollten Pflanzen in ein Bewusstsein investieren, dass ihnen keinen entsprechenden Nutzen bringt? Und natürlich können wir unsere Begriffe so weit dehnen, dass sie auch auf Pflanzen zutreffen, aber dadurch verlieren sie an Bedeutung und – vielleicht noch schlimmer – können sie den Blick darauf versperren, dass Pflanzen erstaunliches auf ganz andere Art und Weise als wir bewerkstelligen. Denn ein Stück weit ist die Frage nach pflanlicher Seele, Intelligenz und Bewusstsein auch aus menschlicher Eitelkeit geboren: Wir möchten dass Wesen, die uns faszinieren, uns ähnlich sind. Wir wollen, dass etwas Bewundernswertes die Eigenschaften mit uns teilt, die wir an uns selbst wertschätzen. Aber verstellt uns das nicht den Blick auf eine Andersartigkeit, die genauso faszinierend und wertvoll sein kann?

Müssen Pflanzen Schmerzen empfinden, damit wir einen Grund finden, sie nicht zu verletzen? Brauchen Pflanzen ein Bewusstsein, um uns zu faszinieren, von uns wertgeschätzt und geschützt zu werden? Oder ist es nicht viel besser, akzeptieren zu lernen, das auch Wesen, die in manchen Belangen ganz anders sind als wir, neben uns bestehen können – dass wir eben nicht das singuläre Non-Plus-Ultra des Lebens sind, sondern nur eine von vielen faszinierenden und wertvollen Variationen? Und wenn wir das von ihnen lernen können, dann können und Pflanzen vielleicht eine Weisheit weitergeben, ohne selbst auch nur einen Gedanken davon denken zu können!

 

Mittwoch, 30. März 2022

Der Grüne Planet: Teil 2 (Kapitel 4 bis 6)

So, ich bin endlich wieder am Schreiben und warum nicht den Fortschritt mit Euch teilen? Also, weiter geht's!

Teil 2 – Von Blümchen und Bienchen und errötenden Dichterfürsten: Wie sich Pflanzen fortpflanzen

Kapitel 4 – Von skandalösen Blümchen und was sie mit uns gemeinsam haben

Vielleicht bist Du ja mit einer Geschichte von Blümchen und Bienchen aufgeklärt worden. Wahrscheinlich hast Du auch schonmal von „Blümchensex“ gehört. Für uns ist das Liebesleben von Pflanzen heute geradezu ein Sinnbild von Harmlosigkeit – aber das war definitv nicht immer so! Als Carl von Linné, der Begründer der modernen biologischen Systematik, im 18. Jahrhundert seine Überlegungen zur Fortpflanzung der Pflanzen beschrieb und wie sich die verschiedenen Arten nach der Anordnung der Geschlechtsorgane in den Blüten ordnen lassen, war das ein mittlerer Skandal. Für seine Zeitgenossen waren Linnés Beschreibungen von Blüten als geschmückte Betten, in denen sich Bräute und Bräutigame der Liebe hingeben (Die von Blütenblättern umgebenen Staubgefäße und Fruchtblätter) geradezu skandalös. Nicht nur sahen sie hier ein unanständiges, ungezügeltes Liebesleben beschrieben - für die konservativeren Zeitgenossen war die Behauptung unerträglich, Blüten dienten so etwas profanem wie geschlechtlicher Fortpflanzung. Immerhin galt es vielen Menschen doch als Zeichen göttlicher Gnade, dass er die Welt nur zur Freude der Menschen mit pflanzlicher Schönheit geschmückt hatte. Sogar Goethe meinte bei aller Bewunderung für Linné, dass seine Werke für Studierende doch sehr schockierend sein.

Und natürlich hatte Linné auch nur teilweise Recht, denn die Blütenblätter sind ja kein geschmücktes Bett für die Geschlechtsorgane der Pflanze. Aber die blütenbesuchenden Insekten hielt man damals meist noch für schädliche Vandalen, die Nektar und Pollen stahlen. Allerdings schaute zur gleichen Zeit auch der Deutsche Christian Konrad Sprengel genauer hin und beschrieb Blüten als göttliche Werke, in denen jedes Härchen einen Zweck habe und die Insekten auf raffinierte Weisen zum Zweck der Bestäubung anlockten. Das war aber gerade Goethe wieder nicht Recht, denn eine solch menschliche Sicht der Nützlichkeit widersprach nun doch den künstlerischeren Idealen des großen Dichterfürsten aber auch Naturwissenschaftlers. Und so können auch den größten Denkern unsere menschlichen Vorstellungen den Blick auf spannende Welten versperren. Sprengels Werk blieb dann auch zu seinen Lebzeiten fast unbeachtet bis es fast 100 Jahre später von Darwin wiederentdeckt und populär gemacht wurde. Zum Glück können wir nach all diesen Wirrungen heute das Liebesleben der Pflanzen in all seinen faszinierenden Details betrachten und am Ende an manchen Stellen sogar einiges über unser eigenes lernen!

Aber fangen wir am Anfang an: Was ist das überhaupt, geschlechtliche Fortpflanzung oder auch Sexualität? Bei Einzellern ist das ganz einfach: Zwei Zellen schwimmen herum, begegnen sich und verschmelzen (Und ich habe jetzt wieder einen Ohrwurm vom Spice Girls Lied „Two become One“). Die neue Zelle, die dabei entsteht, hat jetzt alles doppelt - insbesondere auch die Gene (In der Biologie nennen wir eine solche Zelle mit doppeltem Genom „diploid“, die mit nur einer Kopie des Genoms „haploid“). Und das heisst, dass jetzt sortiert werden muss, denn sonst würden ja nach mehreren Generationen Zellen immer mehr und mehr DNA enthalten. In einer besonderen Form der Zellteilung (Der Meiose) werden die beiden Genome schön säuberlich nebeneinander gelegt, Teile können ausgetauscht und neu geordnet werden und dann werden zwei Kopien auf zwei Tochterzellen verteilt und alles kann von vorne losgehen (Genau genommen entstehen vier Tochterzellen, da immer noch eine normale Zellteilung folgt). Biologisch betrachtet ist Sex also im Grunde nicht anderes als das Teilen von Genen mit anderen – alles andere ist schmückendes Beiwerk!

Bei uns Tieren ist es jetzt so, dass die Zelle mit doppeltem Genom nicht sofort in die Meiose geht, sondern erst einmal über viele normale Zellteilungen einen Körper aufbaut, in dem dann Geschlechtsorgane angelegt werden. Und hier werden dann die sogenannten Geschlechtszellen (oder Gameten) mit einfachem Genom gebildet: Entweder große unbewegliche, die wir als Eizellen bezeichnen oder kleine und bewegliche Spermien. Wer nur Eizellen produziert ist ein Weibchen, wer nur Spermien bilden kann ein Männchen und wer beides kann ist ein Zwitter. Bei Pflanzen funktioniert das alles im Prinzip genauso, nur mit einem großen Unterschied: Hier können beide Arten von Zellen sich normal teilen und einen Körper hervorbringen – es wechseln sich also immer zwei Generationen ab, eine mit doppeltem Genom, die am Ende Sporen mit einfachem Genom hervorbringt (Und daher Sporophyt genannt wird) und eine Generation mit einfachem Genom, die Geschlechtszellen hervorbringt, die dann verschmelzen können (Und die daher Gametophyt genannt wird).

Bei vielen Algen lassen sich diese beiden Generationen tatsächlich beobachten und je nach Art der Alge können die beiden fast gleich aussehen, oder sich auch deutlich unterscheiden. Aber Du musst nicht tauchen gehen, um diese beiden Pflanzengenerationen mit eigenen Augen zu sehen – nur vielleicht in die Knie, um Dir ein Moospolster genauer anzuschauen. Das grüne mit den vielen Blättchen ist der Gametophyt, aber zur richtigen Jahreszeit kannst Du kleine Stielchen wie Speere oder Duschköpfe aus dem Moos herausragen sehen. Das sind die Sporophyten – und sie wachsen auf ihren Eltern in die Höhe, um von da die Sporen zu verbreiten. Tatsächlich pflanzen sich Moose fast wie Algen fort – mit winzigen Spermien, die zu den Eizellen schwimmen. Daher brauchen Moose auch Feuchtigkeit zur Fortpflanzung und je nach Art kann die beste Zeit, ihr Liebesleben zu beobachten der Herbst oder sogar Winter sein, wenn andere Pflanzen eher ruhen. Aber einen wichtigen Unterschied zu Algen gibt es eben: Die nächste Generation wächst in ihren Müttern heran – Moose, und tatsächlich alle Landpflanzen, werden also schwanger! Wissenschaftlich werden die Landpflanzen daher auch als Embryophyten bezeichnet, da ihre Sporophyten nicht alleine im Freien keimen, sondern sich als Embryo im Mutterkörper bilden. Und dieser gute Start für die nächste Generation ist wohl eine der wichtigsten Anpassungen, um auf dem trockenen Land bestehen zu können.

Auch die nächsten Pflanzen, die sich entwickelten, Bärlappe, Farne und Schachtelhalme, pflanzen sich so fort, nur dass hier der Gametophyt klein bleibt und die großen Pflanzen, die wir sehen, die Sporophyten sind. Und das hat zwei große Vorteile: Zum einen kann man mit zwei Sätzen an Genen einzelne defekte Gene ausgleichen, aber vor allem müssen Sporophyten ja keinen Partner erreichen – sie bilden ihre Sporen ja durch die Meiose. Und deshalb können diese Pflanzen nun viel weiter in die Höhe wachsen, während ihre kleinen Gametophyten am feuchten Boden bleiben und hier ihre Spermien schwimmen lassen. Die erstern sumfigen Wälder mit riesigen Bärlapp- und Schatelhalmgewächsen müssen wir uns also eigentlich als eine Gemeinschaft zweier Generationen vorstellen: Eine winzige, die am Boden kriecht und eine riesgie, die auf ihren kleinen Eltern wächst!

Um aber auch auf wirklich trockene Standorte vorstossen zu können, mussten Pflanzen noch einen weiteren Trick lernen: Bei Blütenpflanzen, die die überragende Mehrheit unserer heutigen Pflanzenwelt ausmachen, bleiben auch die Gametophyten in der Mutterpflanze: Die weiblichen Gametophyten, mit dem wenig malerischen Namen „Embryosack“, sitzen in den Samenanlagen und bilden dort Eizellen. Die männlichen Gametophyten sind nun die Pollenkörner und diese winzigen Pflänzchen bereiten sich auf eine Reise vor: Sie bilden eine feste Hülle, färben sich oft kräftig gelb als Schutz vor der UV-Strahlung der Sonne und dann kann es losgehen – mit Wind, Wasser oder Insekten als Fähre zu den weiblichen Blüten. Dort angekommen keimen sie. Beim Gingko und den Palmfarnen heisst das, dass sie in das Gewebe der weiblichen Blüte hineinwachsen und sich von ihr ernähren und darauf warten, dass die Eizellen reifen. Wenn das soweit ist, bildet sich über ihnen ein kleiner Tropfen Flüssigkeit und in diesen entlässt das Pollenkorn seine Spermien, die dann nur noch einen kurzen Weg zu schwimmen haben. Bei den bekannten Nadelbäumen und bei den eigentlichen Blütenpflanzen (den Bedecktsamern) bildet das keimende Pollenkorn einen langen Schlauch und bringt so seine unbeweglichen Spermien direkt zu den Eizellen – und damit haben sich diese Pflanzen mit einer echten inneren Befruchtung von der Abhängigkeit von äußerer Feuchtigkeit zur Fortpflanzung genauso frei gemacht, wie die meisten am Land lebenden Tiere!

Und noch eine erstaunliche Gemeinsamkeit gibt es zu einer bestimmten Gruppe von Landtieren. Wir haben ja schon gelernt, dass Moose schwanger werden. Samenpflanzen werden aber tatsächlich noch schwangerer! In einer Mutterpflanze sitzt ja jetzt eine Tochter (der Gametophyt) und in dieser wiederum die befruchtete Eizelle, die zu einem Embryo wird. Um das ganze zu ernähren, bildet die Mutterpflanze ein Versorgungsgewebe, die Plazenta. Und nicht nur erinnert all das von Funktionsweise und Anatomie an Säugetiere wie den Menschen, sogar auf molekularer Ebene gibt es hier erstaunliche Gemeinsamkeiten: Bei Blütenpflanzen und Säugetieren gibt es nämlich das Phänomen der genomischen Prägung – das heisst, dass in einem Embryo die Gene, die von der Mutter und vom Vater kommen unterschiedlich aktiv sein können. Dies funktioniert über Mechanismen bei denen Gene so modifiziert werden, dass sich nicht nur die direkt in ihnen gespeicherte Information vererbt, sondern sozusagen auch ihr Aktivitätszustand – ein Beispiel für das, was man als Epigenetik bezeichnet. Wahrscheinlich ist die Evolution genetischer Prägung darauf zurückzuführen, dass bei einer Schwangerschaft Mutter und Vater etwas unterschiedliche Interessen haben: Während für den Vater, der mit der Sache nach der Befruchtung ja meist nichts mehr zu tun hat, ein möglichst starkes Wachstum seiner Nachkommen von Vorteil ist, muss die Mutter für eine bestmögliche eigene Fortpflanzung ihre Energie zwischen den verschiedenen Nachkommen und ihren eigenen Bedürfnissen aufteilen. Und so treibt der Vater das Wachstum an und die Mutter bremst – und zusammen erreichen sie eine Balance, die funktioniert! Ein schönes Beispiel für diesen Mechanismus ist die Kreuzung von den Tigern Löwen: Ist der Vater ein Tiger, entsteht ein riesiger Liger, da die mütterliche Prägung der Löwin das Wachstum nicht darauf ausgelegt ist, den väterlichen Beitrag eines Tigers zu bremsen. Ist die Tigerin dagegen die Mutter gibt es einen relativ kleinen Tigon. Dass Blütenpflanzen und Säugetiere unabhängig voneinander ganz ähnliche Mechanismen zur Fortpflanzung entwickelt haben, verrät uns also etwas ganz grundsätzliches über die Biologie von Schwangerschaft. Und wer hätte gedacht, dass eine junge Mutter mit dem mitgebrachten Blumenstrauss so viel gemeinsam hätte?

Was aber alles mit den vielen Blüten des Blumenstrausses so passiert, bis es zur Schwangerschaft kommt, das schauen wir uns als nächstes an!

Kapitel 5 – Von ruppigen Käfern, fleissigen Bienchen und Betrug auf allen Seiten

Wenn Du schon einmal auf einem orientalischen Basar oder einem norddeutschen Fischmarkt warst, dann kennst Du das überwältigende Gewirr von Eindrücken: Farben, Gerüchen und Lärm. Vielleicht kam Dir alles verwirrend vor und doch finden sich die einheimischen Kunden erstaunlich gut zurecht. Und auch die Händler wissen offenbar, was sie tun müssen, um gute Geschäfte zu machen: Ihre Waren an die richtigen Kunden anpreisen, gerade soweit übertreiben, dass die Stammkunden angelockt werden aber nicht enttäuscht wieder gehen und daneben vielleicht ein paar Touristen gerade so geschickt übers Ohr hauen, dass sie es nicht bemerken, bevor sie Dich schon ihren Freunden empfohlen haben. Im Prinzip funktioniert eine bunte Blumenwiese ganz ähnlich, nur sind die Blüten die geschmückten Marktstände, Pollen, Nektar und ein paar exotische Dinge das Angebot und Insekten die Kunden, die mit dem Transport der Pollen zur nächsten Blüte bezahlen. Und genau wie beim geschäftigen Markt kann es sich lohnen, mal einen genaueren Blick auf das Gewusel zu werfen, um verstehen zu lernen, was hier eigentlich so alles passiert.

Da sind zum einen die Händler, die für alle, die vorbeikommen etwas im Angebot haben und deren Ware den vorbeilaufenden schon fast entgegenfällt. Das entspricht den offenen Blüten, wie sie in der Evolution zuerst da waren, wie den Hahnenfüßen (Butterblume), aber auch den weit geöffneten Blütenständen wie bei der wilden Möhre, deren weiße, schirmförmige Dolden im Hochsommer die Wegränder dominieren. Bei solchen Blumen1 sind Pollen und Nektar frei zugänglich und man kann einfach landen, was viele verschiedene Insekten anlockt – Käfer, Fliegen, Wespen und Wildbienen. Aber wer so einen wilden Mix aus Kunden hat, dessen Geschäfte sind nicht allzu verlässlich – denn viele von diesen Insekten fliegen nur manchmal zu einer anderen Blume der selben Art und gerade Käfer sind auch oft eher rüpelhaft und können auch wichtige Teile der Blüte fressen. Und nicht zuletzt sind offene Blüten auch anfällig für Regen, der die Pollen platzen lässt. Da ist es wichtig, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern seine Pollen auf möglichst viele potentielle Bestäuber und Tage zu verteilen und so öffnen solche Blüten meist ihre Staubgefäße nur eins nach dem anderen und streuen so ihr Risiko. So wie die Möhre viele Blüten zusammenzufassen, die nacheinander aufblühen können, macht diese Risikostreuung noch effektiver. Noch besser können es die Korbblüter wie das Gänseblümchen oder die Sonnenblume, die nicht nur viele Blüten zusammenfassen – jeder gelbe „Knubbel“ im Gänseblümchen und jedes weiße Zipfelchen ist anatomisch gesehen eine einzelne Blüte – sondern die auch noch einen weiteren Trick haben: Ihre Staubgefäße sind zu einer Röhre verklebt und werfen alle Pollen nach innen, von wo sie dann durch das wachsende Fruchtblatt langsam nach und nach nach außen geschoben werden. Wenn Du eine blühende Sonnenblume genau betrachtest, kannst Du oft den gelblichen Kreis der Blüten erkennen, die gerade ihren Pollen präsentieren, wobei die äußeren zuerst aufblühen.

Aber wie so mancher Basar oder Supermarkt nicht einfach nur zum Einkaufen einlädt, bieten auch viele offene Blumen nicht nur Nektar und Pollen, sondern sind auch ein wunderbarer Ort, sich kennenzulernen. Viele Käferarten paaren sich auf Blüten, zum Beispiel Glanzkäfer auf Hahnenfuß oder verschiedene Weichkäfer auf der Wilden Möhre – und dadurch, dass sich bestimmte Käferarten zu bestimmten Jahreszeiten auf bestimmten Blüten paaren, werden sie auch gleich zu verlässlicheren Bestäubern! Die Möhre bewirbt sich sogar besonders, indem die innerste Blüte der zentralen Dolde tiefrot, fast schwarz ist und so die Mitte der Dolde bereits besucht aussieht – wer möchte schon als erstes auf eine leere Tanzfläche treten? Andere Blüten bieten Insekten auch Schutz vor dem Wetter und in der Nacht. Die weiten tütenförmigen Blüten der Winden schließen sich zum Beispiel nachts und bei schlechtem Wetter und immer wieder findet man morgens kleine Käfer darin, die den sicheren Rastplatz offenbar sehr zu schätzen wissen. Aber Blüten, die Essen, Gesellschaft und Unterkunft bieten locken – genau wie mancher Basar auch ein paar zwielichtige Gestalten an. Eine davon ist die veränderliche Krabbenspinne, deren Weinchen gelb oder weiß gefärbt sein können und so gut getarnt auf Blüten lauern. Wenn Du eine ungewöhnlich ruhig sitzende Fliege oder Biene auf einer solchen Blüte siehst, insbesondere, wenn sie auch noch auf der Seite oder dem Rücken zu liegen scheint, dann lohnt sich genaues Hinschauen: Oft sitzt die Spinne fast unsichtbar an ihrem Opfer!

Aber nicht alle Händler setzen auf die Laufkundschaft, viele spezialisieren sich auf eine verlässlichere Stammkundschaft. Unter den Bestäubern sind das bei uns vor allem Schmetterlinge und Bienen – vor allem zweitere sammeln oft fleissig eine Blüte der selben Art nach der anderen ab und sind daher besonders effiziente Bestäuber – Fachleute nennen das „blütenstet“. Bienenblumen erkennt man daran, dass hier der Nektar in einer kurzen Röhre verborgen ist und die Besucher oft in die Blüte hineinkriechen müssen oder im Extremfall wie bei einem Löwenmäulchen sich den Weg in die Blüte regelrecht freikämpfen müssen. Die meisten Insekten trauen sich in solche Blüten gar nicht hineinzukriechen, aber wenn man eine Biene ist, dass ragt am Ende ein Po mit Giftstachel heraus und kaum ein Feind kommt da auf böse Gedanken! Nicht ganz selten sieht man aber auch, dass solche Blütenröhren an der Seite aufgenagt wurden, denn auch manche Wespen oder Käfer sind nicht doof! Schmetterlingsblüten haben noch tiefere und engere Röhren, in die nur die Schmetterlinge mit ihren langen Rüsseln hineinkommen. Viele Blüten für Tagschmetterlinge wie die meisten Nelken haben dabei eine Form, die auch als „Stielteller“ bezeichnet wird – am oberen Rand einer langen Röhre breitet sich die Blüte als Landeplattform aus – ideal für die beabsichtigten Besucher. Blüten für Nachtschmetterlinge wie die der Nachtkerzen öffnen sich erst abends und haben meist keine Plattformen, da diese Tiere im Schwebflug Nektar saugen – und oft sind die Röhren dieser Blüten noch länger, da Nachtfalter auch oft noch längere Rüssel haben. Das extremste Beispiel hierfür ist die Orchidee Angraecum sesquipedale aus Madagaskar, bei der der Nektar in einem bis zu 30 Zentimeter langen Sporn verborgen ist – und zu der Charles Darwin vorhersagte, dass es einen Schmetterling mit ebenso langem Rüssel geben müsse. Erst 40 Jahre nach Darwins Tod wurde der Nachtfalter mit einem bis 22 Zentimeter langem Rüssel entdeckt und erhielt den Namen Xanthopan morganii praedicta – wobei „praedicta“ vorhergesagt bedeutet!

Aber wer Stammkunden hat, hat nicht nur verlässlichere Kundschaft, man kann dann auch das Angebot besser zurechtschneidern und so seine Profite maximieren – für Blüten heisst das, den Bestäubungserfolg bei möglichst geringen Kosten erhöhen. Und das heisst vor allem: Pollen sparen, denn Pollen sind proteinreich und kosten die Pflanze damit wertvollen Stickstoff. Viel günstiger ist da Nektar, denn den Zucker hierin kann die Pflanze per Photosynthese relativ einfach herstellen und als Energiequelle für Bestäuber ist er trotzdem begehrt! Das heisst aber nicht unbedingt, dass die Blüten ihre Besucher mit Billigware abfertigen – die genaue Zusammensetzung des Nektars ist oft auf die Bestäuber optimiert – Zuckergehalt, Wassermenge und auch andere Substanzen, ja sogar der Alkoholgehalt! Während Schmetterlinge mit dem Nektar meist vollauf zufrieden sind, nehmen Bienen trotzdem gerne auch Pollen mit, denn der dient als proteinreiches Futter für ihre Larven – um hier Pollen zu sparen, müssen Blüten also noch etwas raffinierter werden! Viele schaffen das, indem sie so gebaut sind, dass sie den Pollen an unzugänglichen Stellen des Bienenkörpers abladen, im einfachsten Fall, indem die Staubgefäße beim Kriechen in die Blüte über den Bienenrücken streifen. Beim Salbei ist das perfektioniert, indem die Staubgefäße schwingen können und das erst durch die in die Blüte kriechende Biene ausgelöst wird – sie bekommt beim Nektar trinken regelrecht einen Klaps auf den Po! Noch raffinierter sind nur manche Orchideen, die alle Pollen auf einmal in einer Portion an den Körper ihrer Bestäuber kleben – und zwar genau an eine vorgesehene Stelle, die die Bestäubung optimiert, aber dem Insekt wenig Chancen gibt, heranzukommen!

Überhaupt finden sich bei Orchideen die raffiniertesten Blüten, die oft so perfekt auf einen bestimmten Bestäuber zurechtgeschnitten sind, dass sie wie diese Spezialläden wirken, bei denen man sich am Vorbeigehen fragt, wie sie überleben können. Manche tropische Orchideen bieten ihren Bestäubern weder Pollen, noch Nektar, sonder stattdessen riechende Öle, die die Männchen bestimmter Bienenarten bei der Balz einsetzen. Andere Arten, wie die auch bei uns vorkommende Bienen- und Hummelragwurzen nutzen die Liebeslust von Bienenmännchen noch direkter und täuschen mit Aussehen und sogar Duft ihrer Blüten ein Bienenweibchen vor – beim Versuch, sich zu paaren bestäubt der Bienerich dann die Blüte.

Solche betrügerischen Gestalten, die ihre Kunden übers Ohr hauen, gibt es nicht nur auf dem Markt, sondern auch auf der Blumenwiese immer wieder, die meisten zielen aber nicht auf die gewitzteren Kunden wie Bienen, sondern auf die naiveren: Fliegen. Besonders in den Tropen gibt es einige Blumen, die fleischig-rötlich gefärbt sind und nach Aas riechen. Manchmal ist das ehrliche Werbung für Fliegen, dass es hier was zu holen gibt, bei den Pfeifenblumenarten (Aristolochia) müssen die Fliegen aber in eine Höhle hineinkriechen, die ein lichtdurchlässiges Dach hat – fliegen sie dort nach oben und versuchen wie durch eine Fensterscheibe stur zum Licht zu entkommen, stossen sie auf die weiblichen Blütenorgane, die zuerst reif werden. Erst später reifen die Pollen, bestreuen die Fliegen und während die Blüte welkt, können sie endlich entkommen. Und da Fliegen auf den gleichen Trick mehr als einmal hereinfallen, bestäuben sie dann ohne echte Gegenleistung die nächste Blüte. Noch gemeiner sind nur die Aristolochia-Arten, die es auf Pilzmücken abgesehen haben – kleine Fliegen, die ihre Eier auf Pilzen ablegen. Diese Blumen, zu denen auch unsere einheimische Osterluzei zählt, riechen pilzig und bilden bei manchen tropischen Arten sogar dreidimensionale Pilzatrappen am Eingang ihrer Blütenfalle. Die Pilzmücken bestäuben die Blüte beim Versuch, Eier abzulegen, aber die Larven der in solchen Blüten abgelegten Eier haben aber kein langes Leben, denn für sie ist die Blüte giftig.

Und so geht es weiter mit unzähligen Variationen mehr oder weniger stark an bestimmte Bestäuber angepasster Blüten: In den Tropen kommen Blüten für Vögel dazu, kräftig gebaut und mit viel Nektar, solche für Fledermäuse mit Blütenblättern, die die Ultraschallrufe ihrer Bestäuber reflektieren, und solche, die Lemuren mit hohem Alkoholgehalt im Nektar anlocken. Je besser das Angebot zum Bestäuber passt, desto verlässlicher die Bestäubung, aber desto empfindlicher ist auch die oft gegenseitige Abhängigkeit und wenn eine Art ausstirbt, reisst sie die andere mit. So haben die Orchideen mit ihren skurilen Anpassungen eine der höchsten Artenzahlen aller Pflanzenfamilien hervorgebracht, aber viele davon haben nur wenige Individuen. In Sachen Artenzahl vergleichbar sind nur die Korbblüter mit ihrere geradezu entgegengesetzten Strategie offener Blüten mit perfektionierter Risikostreuung.

Und nicht alle Pflanzen machen sich überhaupt von tierischen Bestäubern abhängig. Gerade Arten, die in hohen Dichten wachsen, können ihre Pollen auch dem Wind überlassen, wie viele Bäume und fast alle Gräser – zum Leidwesen der Allergiker funktioniert das für diese Arten so gut, dass sie zu dieser Art der Bestäubung zurückgekehrt sind, die wohl die ursprünglichste ist. Hier findet man oft pendelnde Staubgefäße und Fruchtblätter, die Blüte schüttelt also ihre Pollen aus und durchkämmt die Luft nach denen ihrer potentiellen Partner.

Wenn Du also das nächste Mal über eine Blumenwiese läufst, achte doch einmal darauf, wer welche Blüten besucht und was die Tierchen da so alles treiben. Und vielleicht kommt Dir bei aller Faszination dabei eine weitere Frage: Wenn sie Tieren und dem Wind den Transport ihrer Pollen überlassen, können Pflanzen dann gar nicht mitentscheiden, mit wem sie sich paaren?

1) In der Botanik wird zwischen Blüte und Blume unterschieden: Eine Blüte ist die anatomische Einheit aus weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen, also Frucht- und Staubblättern, mit den darum liegenden Kron- und Kelchblättern. Eine Blume ist die zusammen wirkende „Bestäubungseinheit“ - bei der Wilden Möhre also der ganze Blütenstand aus vielen Blüten, bei einer Schwertlilie, bei der jede Blüte drei Eingänge hat, besteht dagegen eine Blüte aus drei Blumen. Auch wenn ich das konsequent botanisch verwende, sollte es zum Verstehen des Text nicht allzu wichtig sein

 

Kapitel 6 – Wie man die richtigen Partner findet, wenn andere für einen Partner suchen

Sicher weisst Du von dem Problem, dass überzüchtete Rassehunde oft zu einer ganzen Reihe Krankheiten neigen. Oder Du hast schon von historischen Adelsfamilien gehört, die oft untereinander geheiratet haben und wo sich die Bluterkrankheit gehäuft finden liess. Wer sich zu oft mit der eigenen Verwandtschaft fortpflanzt, reduziert dadurch seine genetische Vielfalt und das kann dazu führen, dass ungünstige Merkmale sich durchsetzen können. Und das sollte für Pflanzen, die meist zwittrige Blüten haben, also solche mit weiblichen und männlichen Organen, und die außerdem ihre Partnersuche Insekten oder dem Wind überlassen doch ein besonders großes Problem sein. Einer der ersten, die sich mit dieser Frage beschäftigte und der die Vorteile von Fremdbestäubung gegenüber Selbstbestäubung beschrieb und auch erkannte, wie es verschiedenen Pflanzen gelingt, ersteres zu fördern war mal wieder Charles Darwin. In seinen 1862, 1876 und 1877 erschienenen Werken „On the various contrivances by which British and foreign orchids are fertilised by insects, and on the good effects of intercrossing“, „The effects of cross and self fertilisation in the vegetable kingdom“ und „The different forms of flowers on plants of the same species“ erkannte er viel von dem, was ich Euch in diesem und dem vorherigen Kapitel vorstelle und legte damit die Basis für das Fachgebiet der Blütenökologie.

Eine Sache, die Darwin auffiel, kannst Du nachvollziehen, wenn Du in die Blüten von Schlüsselblumen (Primula) schaust – aus manchen davon ragt nämlich das Fruchtblatt mit Narbe hervor, aus anderen die Staubgefäße. Trotzdem sind beide Typen von Blüten zwittrig – es sind nur einmal die männlichen und einmal die weiblichen Organe länger – und bei Arten mit zwei Kreisen von Staubgefäßen gibt es sogar drei Varianten mit kurzem, mittellangem und langem Griffel! Bei einer Pflanze sind aber alle Blüten gleich gestaltet. Und wenn jetzt ein Insekt den Rüssel in diese Blüten steckt, dann laden sie den Pollen an einer Stelle ab, die perfekt zur Position der Narbe in anderen Blüten passt – aber es kommt noch besser: Schaut man sich nämlich Pollen und Narben unter dem Mikroskop an, dann variiert auch die Größe der Pollen und der mikroskopischen Struktur (Papillen) der Narben – und wieder so, dasss Pollen besser auf die Narben fremder Blüten passen. Durch diese Anpassungen fördern Schlüsselblumen eine erfolgreiche Fremdbestäubung, aber ähnliches kann der Blutweiderich, viele Sauerkleearten und andere Pflanzen.

Aber selbst wenn die Pollen auf die Narbe passen, können sie dort nicht immer keimen, denn viele Pflanzen haben auf der Oberfläche von beidem Proteine, die der Selbst- und Fremderkennung dienen. Und diese funktionieren dann ein bisschen wie ein umgekehrtes Immunsystem, das nur Fremdes gestattet und eigene Pollen beim Keimen hemmt. Leider sind manche dieser an der Oberfläche liegenden Selbstinkompatibilitätsproteine auch die Hauptallergene der Pollenkörner und so lässt uns dann der pflanzliche Schutz vor Selbstbefruchtung im Frühling und Sommer niesen!

Neben einer räumlichen Trennung von Pollen und Narbe können Blüten diese aber auch zeitlich trennen – häufig öffnen sich die Staubblätter zuerst und die Narbe reift erst später, so dass eine Blüte nicht gleichzeitig, sondern nacheinander männlich und weiblich ist. Bei der Sonnenblume hatte ich das schon kurz beschrieben, aber hier – und generell bei Blütenständen – funktioniert das natürlich nur, wenn die bestäubenden Insekten den Blütenstand dann auch in der richtigen Reihenfolge besuchen. Und tatsächlich tun sie das auch, denn durch Färbung, Größe und Position kann ein Blütenstand die Insekten an die richtige Stelle locken – zum Beispiel blühen die Blüten der Sonnenblume von außen nach innen auf und ganz außen sitzen die attraktivsten Blüten. Landet eine Biene also zuerst dort, begegnet sie zuerst den ältesten Blüten, die vielleicht schon in der weiblichen Phase sind, und kann dort fremden Pollen abladen, bevor sie weiter nach innen wandert und dort von den jüngeren, noch männlich blühenden Blüten Pollen mitnimmt. Ganz ählich leiten andere Blütenstände ihre Besucher von unten nach oben und optimieren so den Blütenbesuch.

Noch ein wenig sicherer kann ein solches System werden, wenn die Blüten eingeschlechtlich werden und sich ein Blütenstand in weibliche und männliche Blütenstände unterteilt. Ein Beispiel hierfür ist die Hänge-Segge (Carex pendula) , ein Sauergras, das man häufig als Ziergras in Gärten findet, aber auch Mais (Zea mays) oder die Rohrkolben (Typha): Alle diese Gräser und Grasverwandten haben männliche Blüten die in Blütenständen am oberen Ende des Sproß stehen und weibliche Blüten in tiefer stehenden Blütenständen – oder beim Rohrkolben einen Blütenstand, der oben dünn und männlich und unten dick und weiblich ist. Alle drei sind windbestäubt und wenn der Wind die Pollen aus den hohen mänlichen Blüten weht, dann landen sie höchtswahrscheinlich vor allem auf den weiblichen Blüten anderer Pflanzen.

Noch sicherer wird es nur, wenn die ganze Pflanze nur Blüten eines Geschlechts trägt. Das ist zum Beispiel bei Ginkgobäumen so, weshalb auch nur unter manchen im Herbst die nach Buttersäure stinkenden Früchte liegen. Aber auch Weiden (Salix), Brennnesseln (Urtica dioica) und die rote Lichtnelke (Silene dioica) sind „diözisch“, wie der Fachbegriff dafür heisst, wenn Blüten zweier Geschlechter auf zwei verschiedene Pflanzen verteilt sind – und was sich auch in den wissenschaftlichen Namen mancher Pflanzen wiederfindet. Aber so sicher Diözie vor Selbstbestäubung schützt, kommt sie doch mit einem hohen Preis: Nicht nur bilden dann die Hälfte der Pflanzen einer Art keine Samen, auch verliert die Art dadurch Flexibilität!

Denn nicht immer ist Fremdbestäubung und -befruchtung die beste Strategie. Immerhin muss man dafür nicht nur einen Partner finden, sonder mit dem auch noch seine Gene mischen und nur die Hälfte der eigenen Gene kommen bei jedem Nachkommen an. Und besonders, wenn man fast schon ideal für einen Standort angepasst ist, ist das gar nicht unbedingt von Vorteil! Und so bestäuben sich manche Pflanzen am liebsten selbst, zum Beispiel die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), die Modellpflanze im Labor – klein und was viele als Unkraut bezeichnen würden, aber wer schnell viele Samen erzeugen will, kann mit Selbstbestäubung gewinnen – die Samen mit ungünstigen Merkmalen werden wegselektiert und die besten überleben. Und im Gegensatz zur rein ungeschlechtlichen Vermehrung, über die wir schon bei wandernden Pflanzen gesprochen haben, kombinieren sich die eigenen Gene dabei trotzdem neu, was als Reparatur gegen Mutationen dienen kann – hat eine Mutterpflanze zwei ungünstige, dann haben zumindest manche Nachkommen nur eine oder keine davon. Viele Pflanzen nehmen auch das beste aus beiden Welten mit und nutzen dabei, dass die oben beschriebenen Mechanismen eben nicht perfekt sind und die Selbstbestäubung nur auf ein sinnvolles Maß beschränkt. Andere halten gleich einen Teil der Blüten zur Selbstbestäubung geschlossen oder öffnen ihre Blüten nur bei guten Bedingungen – wenn keine Bestäuber fliegen, wozu der Aufwand? Und bei einigen Arten brechen all die oben beschriebenen Mechanismen zusammen, wenn keine Bestäubung gelingt – in der welkenden Blüte sinken dann die Staubgefäße auf die eigene Narbe, die Selbstinkompatibiltätsproteine werden abgebaut und man kann auch alleine Samen machen!

Nimmt man zu dieser ganzen Flexibilität noch die ungeschlechtliche Fortpflanzung hinzu, entsteht eine noch größere Vielfalt von Fortpflanzungsstrategien: Die oben erwähnte Brennnessel zum Beispiel bildet durch Ausläufer dichte Bestände, die genetisch einheitlich sind und so einen Ort schnell dominieren können, bildet aber gleichzeitig Samen über Fremdbestäubung, so dass die Nachkommen an anderen Orten genetisch vielfältiger und dadurch anpassungsfähig bleiben.

Die Fortpflanzung bei Pflanzen ist also unglaublich vielfältig, voller spannender Anpassungen und voller Intrigen und Spielarten die Goethe die Schamesröte ins Gesicht treiben dürften, hätte er ihre Vielfalt noch mitbekommen. Aber vielleicht hätte auch beim Dichterfürsten die Faszination gewonnen, wenn er genauer hingeschaut hätte!