Donnerstag, 20. März 2014

Bad Science: Heiliges Hühnchen!

Ich hatte schon länger vor, eine kleine Serie über schlechte Wissenschaft bzw. schlechten Wissenschaftsjournalismus zu schreiben und heute hat mich ein Kollege auf eine Veröffentlichung aufmerksam gemacht, die geradezu danach schreit, als Beipiel zu dienen:

Khenenou Tarek, Melizi Mohamed, Bennoune Omar, Benzaoui Hassina, Ibrir Messaouda: Histological Changes in Liver and Pectoral Muscles of Broiler ChickensSlaughtered with and Without Naming of Allah (International Journal of Poultry Science 12 (9): 550-552, 2013) (Volltext als pdf)

Worum geht's? Die Autoren haben Hühnchen geschlachtet, dabei den Namen Allahs angerufen oder nicht und danach Muskelfleisch und Leber angeschaut. Die Hühnchen, die mit Allahs Namen getötet wurden, hatten keine, die anderen deutliche Gewebeschäden, die auch zu einem schnelleren Verderben des Fleisches führen könnten.

Warum schauen wir uns das an? Ein schönes Beispiel dafür, wie viele "esoterische" Veröffentlichungen aussehen. Es wird etwas behauptet, das einer Glaubensvorstellung folgt, ein Experiment gemacht und die Vorstellung dadurch bestätigt, was der Glaubensvorstellung Wissenschaftlichkeit belegen soll. Während das Beispiel im Westen wenig Widerhall finden dürfte, funktionieren viele alternativmedizinische, grenzwissenschaftliche oder ernährungsideologische Veröffentlichungen ganz ähnlich. Wer also belegen will, dass Elektrosmog oder Gentechnik schädlich sind oder dass Kristalle oder Erdstrahlen heilen, kann hier lernen, wie das sicher geht, ohne das Risiko viel wissenschaftliche Arbeit hineinzustecken und dann doch nicht das gewünschte Ergebnis zu bekommen!

Warum ist das keine gute Wissenschaft? Okay, auf den ersten Blick sieht das doch wie eine ganz normale wissenschaftliche Veröffentlichung aus: Eine Einleitung, die das wichtigste Vorwissen zusammenfasst, eine Beschreibung, was gemacht wurde und eine Darstellung der Ergebnisse und deren Diskussion. Also was gibt es da zu meckern. Erstmal, um den Verdacht auszuräumen: Dass es hier um Religion und Wissenschaft geht, ist in Ordnung - zu testen, ob religiöse Vorstellungen einen nachweisbaren Nutzen haben, ist lobenswert und grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings muss man das dann auch ordentlich tun, denn sonst bestätigt man nur, was man sowieso schon glaubt. Also, schauen wir mal genauer hin:

Einleitung: Die Einleitung beschreibt kurz, dass Hühnchen eine gute Proteinquelle sind, was die Leber ist und dass nach Shariah-Gesetz nur Fleisch halal (erlaubt) ist, bei dessen Schlachtung Allah angerufen wurde ("Bismillah-Allahu Akber"). Werden andere Namen angerufen, ist das Fleisch haram (verboten) - Soweit in Ordnung. Dann wird das Ziel der Studie genannt: "The aim of our study was to investigate the histological difference between chickens livers and pectoral muscles slaughtered by the name (Bismillah-Allahu Akber) and without the name of Allah. (Das Ziel unserer Studie war es, die Gewebeunterschiede zwischen Leber und Brustmuskeln von Hühnern zu untersuchen, die mit dem Namen Allahs oder ohne den Namen Allahs geschlachtet wurden.)" - Gut, das mag ein wenig ungünstig formuliert sein, denn eigentlich sollte man erst unteruchen, ob es überhaupt Unterschiede gibt oder man solle begründen, welche Unterschiede man erwartet. Ein völlig offener Ansatz ist natürlich grundsätzlich in Ordnung, allerdings muss man dann auch ganz besonders gründlich arbeiten, denn wenn man generell nach Unterschieden zwischen A und B sucht, wird man eigentlich immer irgendwelche finden - hier wäre dann sehr saubere statistische Arbeit zu fordern, um nachzuweisen, dass eventuelle Unterschiede nicht rein zufällig auftreten. Lustiges Experiment für zu Hause: Wer nicht glaubt, dass es in zufällig gewählten Gruppen Gemeinsamkeiten gibt, sollte sich einmal zwanzig Bilder von Bekannten, Kollegen etc. ausdrucken, die verdeckt mischen, in zwei Stapel aufteilen und dann schauen, wie viele Dinge er findet, die die Mehrheiten eines Stapel gemeinsam hat, aber nicht die Mehrheit des anderen (Als Starter: Alter, Ausbildung, Haar-, Augenfarbe, Geschlecht, Herkunft, Anfangsbuchstaben aus der ersten/zweiten Alphabethälfte, ...).

Material und Methoden: Hier wird beschrieben, was genau gemacht wird. Die Gewebeverarbeitung wird recht ausführlich und nachvollziehbar beschrieben, aber am Rest mangelt es gewaltig. Erstens: Zur Schlachtung der Hühnchen wird nur gesagt, dass diese entweder nach islamischem Ritus erfolgte (33 Stück) oder nach der gleichen Methode nur ohne Anrufung Allahs (auch 33 Stück). Ooooookay - aber was genau ist da passiert? Gibt es da eine Beschreibung? Wird Allah am Anfang, währenddessen oder am Ende angerufen (also bekommt das Hühnchen das z.B. mit)? Ist beides der gleiche Schlachter? Wenn ja, wurde irgend etwas unternommen, hier Unterschiede zu vermeiden (z.B. wäre abwechselnd +/- Allah schlachten sicher besser als erst 33 mal das eine und dann - eventuell erschöpft - 33 mal das andere)? Auch ist die Kontrolle (Allah nicht anrufen) fragwürdig. Besser wäre es gewesen, etwas anderes zu sagen (Kurz innehalten, um etwas zu sagen, könnte die Arbeitsweise beeinflussen!). Überhaupt ist hier ein großes Risiko für Verfälschung gegeben, denn dass ein gläubiger Schlachter genauso gründlich arbeitet, wenn er einen Schritt, der normalerweise zu seiner guten Arbeitspraxis gehört, weglässt - das ist alles andere als sicher! Tatsächlich gibt es gute Belege, das z.B. das Aufsagen eines Schulmottos oder der Zehn Gebote die Zahl von Betrugsversuchen in Klausuren merklich vermindert - an die Ehre zu apellieren beeinflusst also zuweilen die Arbeitsweise! Zweitens: Zur Analyse wird nur beschrieben, dass mikroskopiert wurde. Hier wäre wichtig zu wissen, wie viele Proben eigentlich angeschaut wurden und auch hier wäre eine Kontrolle vor Verfälschung wichtig, gerade wenn völlig ungezielt gesucht wird (Stichwort: Verblindung - idealerweise weiss der Analysierende nicht vorher, was er anschaut). Insgesamt ist der Versuchsansatz so unzureichend beschrieben, dass niemand die Arbeit sicher wiederholen könnte - und so kann auch niemand sie sicher überprüfen!

Ergebnisse: Und hier wird es wirklich schlimm! Die Ergebnisdarstellung besteht ausschließlich aus der Zusammenfassung, dass in ohne Allahs Namen geschlachteten Hühnchen Blutstauungen und lokale Ödeme auftreten, belegt mit je einem Bild von Muskelfleisch und Leber für Hühnchen mit oder ohne Allah. Wer das Spielchen von oben einmal gemacht hat, weiß, dass das gar nichts ist. Hier fehlt zumindest die Angabe, wie oft diese Merkmale jeweils gefunden wurden und eine statistische Analyse, die untersucht, ob das auch wirklich ein merklicher Unterschied ist! Und die Bilder sind völlig ungeeignet, die Aussage zu belegen - kleine Ausschnitte auf jeweils ein auffälliges Detail, wobei Allah-Ansatz und Kontrolle auf den ersten Blick auch außerhalb der markierten Strukturen so unterschiedlich aussehen, dass man auf den ersten Blick annehmen muss, dass hier kaum sinnvoll verglichen werden kann. Nur mit wenigen Bildern irgend etwas belegen wollen, ist ein ganz typisches Merkmal schlechter Veröffentlichungen!

Diskussion: Am Ende wird noch kurz erwähnt, dass die Ergebnisse zu Studien an Rindfleisch passen (Studien, für die nur ein Internetlink angegeben wird!), dass die Gewebeschäden zu einem schnelleren Verderben des ohne-Allah Fleischs führen würden (ohne jeden Beleg) und dann wird ein bisschen Koran dazu ausgelegt. Was völlig fehlt, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen, insbesondere ein Versuch, die Ergebnisse zu erklären. Warum wäre das wichtig? Ganz einfach - wissenschaftliche Arbeiten aktualisieren immer nur unseren Wissensstand. Erklärungsveruche können gestestet und verfeinert oder widerlegt werden und so unser Wissen über ein Thema immer weiter entwickelt werden. Wer nicht versucht, seine Befunde zu erklären, kann zwar auch nicht widerlegt werden, aber er trägt eben auch nicht zu diesem Fortschritt bei.

Fazit: Ein klassisches Beispiel für eine pseudowissenschaftliche Belegung dessen, was die Autoren von vornherein angenommen haben mit den klassischen Merkmalen:
  • Nicht nachvollziehbare Durchführung - nicht wirklich nachprüfbar und damit nicht widerlegbar ("Wenn nicht das gleiche rauskommt, habt Ihr es falsch gemacht!"
  • Offene Fragestellung ohne strikte Kontrollen ("Irgendwas kommt immer raus!")
  • Viel zu knappe Ergebnisdarstellung ("Wir zeigen schon ehrlich die richtigen Daten. Wirklich. Glaubt uns einfach."
  • Fehlender Versuch theoretischer Deutung ("Nööö, wir sagen nichts, was jemand später widerlegt. Das wäre doch doof.")
Das soll nicht heißen, dass hier bewusst betrogen wurde oder dass die Anrufung Allah jetzt nachweislich nichts bringt - nur, dass diese Veröffentlichung uns leider in unserem Wissen nicht weiterbringt.Außer vielleicht im Wissen darum, wie man schlechte Forschung erkennt und es vielleicht besser macht - und das ist ja auch was wert!

Und jetzt die Leser: Kennt Ihr eine seltsame Veröffentlichung, die ihr gerne analysiert hättet? Oder eine Meldung aus der Presse, die Euch komisch vorkommt? Immer her damit und vielleicht komme ich dazu, hier auch was dazu zu schreiben.