Donnerstag, 7. April 2022

Der Grüne Planet - Teil 5: Photosynthese

 

Kapitel 13 – Photosynthese kann man schlecht erklären

Als Grundschüler hatte ich ein Baumbuch angelegt: Ein Heft, in dass ich Blätter eingeklebt und ein paar interessante Sachen dazugeschrieben habe. Eine Seite hatte ich für die Photosynthese vorgesehen und meinen Vater gefragt, wie die denn genau funktioniert. Er meinte dann, das könne man schlecht erklären. Ich meinte: „Dann erklär es mir halt schlecht!“ Aber es gab auch gleich essen... Naja, muss ich wohl ran!

Natürlich hatte mein Vater nicht ganz Unrecht, Photosynthese kann man zwar leicht im Grundprinzip erklären (Pflanzen machen aus Luft und Wasser Zucker und nutzen dabei Licht als Energie), aber wenn es zu den Details geht, wird es schnell kompliziert. Ich will trotzdem versuchen, eine Erklärung in der Mitte zwischen dem einen Satz und dem Lehrbuch zu geben.

Fangen wir kurz mit Molekülen an. Im Prinzip sind das Atome, die durch Elektronen zu größeren Sturkturen verbunden sind. Je nachdem, welche Atome wie angeordnet sind hat jede dieser Elektronenbindungen eine bestimmte Energie. In manchen Molekülen ist es jetzt möglich, dass ein Lichtteilchen (ein Photon) genau die richtige Energiemenge mitbringt (weil es die passende Wellenlänge und damit Farbe hat), dass ein Elektron damit in eine andere Bindung gebracht werden kann.

Ein Beispiel dafür ist das Rhodopsin in unserem Auge. Darin klappt eine Bindung um, wodurch sich die Struktur ändert, was dann von der Zelle als Signal erkannt wird und voila – wir sehen etwas! Und vom Grundprinzip funktionieren auch die Photorezeptoren von Pflanzen ähnlich. Ein verwandtes Protein zu dem in unserem Auge, das Bakteriorhodopsin kommt in dem Archeen Halobacterium salinarum vor – einem kernlosen Einzeller der in sehr salzhaltigen Seen lebt. Hier wird das Umklappen der Bindung aber nicht nur zur Lichtwahrnehmung genutzt, sondern als eine Art molekularer Pumpe, die Protonen (positiv geladene Wasserstoffatome: H+) über die Zellmembran pumpt. Im Prinzip ist das ein ähnliches Prinzip wie bei einem Stausee – und wenn die Protonen über die Membran zurückfließen, können sie wie bei einem Stausee auch eine Art Wasserrad antreiben. Nur ist das Wasserrad hier ein anderes Protein, das ATP herstellt (Die ATP-Synthase) – ein Molekül, das Zellen als Energiespeicher nutzen – Licht wird also in chemisch nutzbare Energie umgewandelt! ATP alleine ist aber noch nicht genug für echte Photosynthese, da es nur Energie für chemische Reaktionen bereitstellt, aber keine Reaktionen möglich macht, bei denen Elektronen zwischen Molekülen übertragen werden (Redoxreaktionen). Deshalb muss Halobacterium salinarum dafür – wie wir Menschen und alle anderen Tiere auch, Zucker verbrennen.

Bei der Photosynthese kann Licht aber aus einem Molekül ein Elektron sogar komplett herausschlagen und zu einem anderen Molekül überführen – bei Pflanzen ist dieses erste Molekül ein Chlorophyll-bindender Proteinkomplex. Das Elektron wird dann von verschiedenen Proteinen weitergereicht, wobei es Schritt für Schritt seine gewonnene Energie wieder abgibt, wobei diese Energie wieder zum Pumpen von Protonen verwendet wird. Am Ende landet es beim Molekül NADPH – und dieses Molekül dient im Prinzip als ein chemischer Elektronenspeicher – zusammen mit ATP kann die Zelle daher alle Reaktionen antreiben, die sie braucht!1

Jetzt gibt es allerdings noch zwei Probleme: Das erste ist, dass unser Ausgangsmolekül seine Elektronen irgendwie wieder aufgefüllt bekommen muss. Das funktioniert, indem es die Elektonen von einem kleinen Molekül aus der Umgebung nimmt – bei Bakterien gibt es da verschiedene Möglichkeite, Pflanzen aber nutzen Wasser (H2O) – dabei entsteht dann aus zwei Wassermolekülen ein Sauerstoffmolekül (O2) und vier Elektronen sowie vier Protonen (H+) werden frei. Wasser zu spalten hat dabei mehrere Vorteile – zum einen ist es fast überall verfügbar, zum anderen erlaubt es einen relativ großen Energieumsatz und last but not least entsteht Sauerstoff, den man nutzen kann, um chemische Moleküle zu verbrennen und ihre Energie effektiv wieder freizusetzen.

Das andere Problem ist, dass ATP und NADPH keine guten Langzeitspeicher für chemische Energie sind. Sie enthalten Stickstoff und Phosphor, die beide oft Mangelware sind und sind außerdem recht reaktionsfreudig, was hiesse, dass große Mengen auch unerwünschte Reaktionen verursachen könnten. Deshalb schließt sich an die oben beschriebene, durch Licht angetriebene Reaktionskette – die sogenannte Lichtreaktion – eine zweite an, die nicht direkt von Licht angetrieben wird – die sogenannte Dunkelreaktion. Der Name ist aber nicht besonders glücklich, denn in den beide Reaktionen laufen gleichzeitig in den gleichen Zellen und nur dann ab, wenn Licht da ist!

In der Dunkelreaktion spielt jetzt ein Protein eine besondere Rolle, über das wir im nächsten Kapitel noch ausführlicher reden werden – die Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxlase/Oxygenase oder wie Botaniker sie nennen: Rubisco. Rubisco kann nämlich einen ganz speziellen Trick: Sie bindet einen Zucker mit fünf Kohlenstoffatomen (das Ribulose-1,5-bisphosphat aus dem Namen), bindet daran ein Molekül Kohlenstoffdioxid und der Zucker zerfällt in zwei Teile mit je drei Kohlenstoffatomen. Diese können jetzt in einem komplizierten Zyklus weiterverarbeitet werden, wobei ATP und NADPH verbraucht werden und am Ende wieder Ribulose-1,5-bisphosphat gebildet wird – die überschüssigen Kohlenstoffatome aber werden dabei in ein anderes Produkt eingebaut: Glukose, auch bekannt als Traubenzucker. Und Glukose ist nicht nur ein stabiler Energiespeicher, der nur aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff besteht, man kann aus ihr auch große, gut lagerbare Stärke bauen oder Cellulose für Zellwände – der ganze Prozess ist also sozusagen der biochemische Jackpot schlechthin!

Cellulose kann mit Sauerstoff auch wieder zu Kohlenstoffdioxid verbrannt werden und wenn das in Zellen kontrolliert passiert, werden wieder Protonen über eine Membran gepumpt und ATP gebildet – im Gegensatz zur Photosynthese die in Chloroplasten stattfindet, passiert dieser Prozess – die Zellatmung – in Mitochondrien. Und das ist nicht nur der Prozess, wie Pflanzen die Energie aus Zucker wieder freisetzen können – auch in den Organen wie Wurzeln oder noch wachsenden Blättern, die sich nicht per Photosynthese selbst mit Energie versorgen können – die Zellatmung ist auch der Prozess wie wir Tiere die Energie aus unserer Nahrung nutzbar machen!

Natürlich ist alles im Detail noch komplizierter und Zucker kann auch in Fette und Aminosäuren und andere Substanzen umgebaut werden, aber den grundsätzlichen Vorgang haben wir jetzt abgedeckt – und zwar gut genug, dass wir uns in den nächsten Kapiteln mit ein paar spannenden Details zur Photosynthese beschäftigen können!

1Im Detail ist alles noch etwas komplizierter, da es zwei Photonen braucht, um die Reaktion vollständig anzutreiben und es auch einen zyklischen Elektronentransport gibt, der das Elektron zurück zum Anfang bringt und so nur ATP produziert. Aber wer es so genau wissen will, kann in einem guten Lehrbuch weiterlesen

Sonntag, 3. April 2022

Der Grüne Planet, Teil vier: Wenn Pflanzen kämpfen (Kapitel 10,11 & 12)

Kapitel 10 – Kraut Fu – Die Kunst der Defensive

Pflanzen gelten allgemein als friedfertig – so friedfertig, dass selbst das Beschneiden und Pflücken und anschließende Arrangieren ihrer Überreste als friedliche Aktivität gilt (Dass wir uns zumindest über Schmerzen keine großen Gedanken machen müssen, haben wir ja gerade gelernt!). Dabei können viele Pflanzen auch richtige Kämpfer sein – zum Beispiel das einjährige Rispengras (Poa annua). Das kleine Pflänzchen hast Du sicher schon einmal gesehen, es ist das unscheinbare hellgrüne Gras, das im Sommer in Gehwegritzen und eigentlich fast überall wächst. Und dieses kleine Gras lässt die Helden von Actionfilmen wie weinerliche Weicheier aussehen: Es ist robust genug, um nicht zertreten zu werden, klein genug, um Pflanzenfressern und Rasenmähern zu entkommen – und wenn es doch mal beschädigt wird, streckt es einfach die abgerissenen Blätter wieder empor und treibt wie viele Gräser aus den tief am Boden liegenden Knospen einfach neu aus – es ist resistent gegen viele Herbizide, gegen Hitze und Kälte und wächst so schnell, dass es in fast jedem Klima erfolgreich zu Blüte kommt und selbst wenn eine Pflanze sterben sollte Samen hinterlässt. Poa annua ist eine der wenigen Pflanzen, die sich in der Antarktis ausbreiten und in Rasenforen wird als Bekämpfungstipp zuweilen geteilt, es einfach wachsen zu lassen, da alles, was Poa annua kurzzeitig erledigt, den Rest des Gartens nur noch mehr schädigt. Aber Poa annua zeigt dabei nur das, was Pflanzen generell erstaunlich tough macht: Ein robuster Körperbau, der flexibel repariert werden kann und noch robustere Samen als Strategie, selbst dem Tod noch ein Schnippchen zu schlagen. Schauen wir uns ein bisschen was davon im Detail an!

Das, was Pflanzen eine stabile Struktur gibt, ist die Wand ihrer Zellen – genauer gesagt das Zusammenspiel von Wand und Turgordruck – dem Druck der dadurch entsteht, dass Zellen prall mit Wasser gefüllt sind. Im Prinzip ist eine Pflanzenzelle sowas wie ein prall aufgepumpter Ballon in einem Korsett! Wie wichtig der innere Druck zur Aufrechterhaltung von Struktur ist, erkennt man am einfachsten an einer nicht genug gegossenen Topfpflanze, die die Blätter schlaff hängen lässt. So eine Zellwand ist aber keine simple, starre Struktur: Immerhin muss sie nachgiebig genug sein, damit Zellen wachsen können – und dabei können Zellen diese Nachgiebigkeit sogar so steuern, dass der innere Druck Zellen in ganz verschiedene Formen pressen kann! Wie ist ein so festes aber flexibles Wunderwerk aufgebaut? Im Prinzip zum Großteil aus Zucker, aber geschickt angeordnetem Zucker – nämlich langen Ketten, den Polysacchariden:

Das bekannteste ist sicher Cellulose, welche lange, zugfeste Fasern bildet, die auch die Grundlage für Papier oder Baumwollfasern liefern. Diese Fasern sind umgeben von Pektin und Hemicellulosen – chaotischeren Zuckerketten, die aber Wasser binden können und so eine Art Gel bilden – Pektin nutzt man auch als Geliermittel für Marmelade oder vegane Gummibärchen. Dieses Gel ist robust gegen Druck und die Kombination ergibt einen Verbundwerkstoff, der Zug und Druck aushält – ähnlich vom Prinzip her wie Stahlbeton. Nur kann eine Pflanzenzelle die Wand um sich herum umbauen, auflockern und versteifen, zumindest bis sie ihre finale Größe erreicht hat und die Wand dann mit vielen extra-Cellulosefasern verdickt und versteift. Zusätzlich können in die Wand wasserabweisende Stoffe wie Suberin eingelagert werden, zum Beispiel um Verdunstung zu verhindern. Zusmmen mit aufgelagerten Wachsen ergibt sich auf der Zellwand eine zähe Schicht als Schutz vor der Außenwelt, die Kutikula. Diese hat oft noch Falten und mikroskopische Strukturen, so dass Wasser abperlt und Schmutz, aber auch Pilzsporen und Bakterien einfach abwäscht – besonders ausgeprägt beim berümten Lotos.

Andere Stoffe werden in die Zellwand eingelagert, um sie noch fester zu machen. Die wichtigste hiervon ist Lignin, die Substanz, die zum verholzen von Zellwänden führt. Es gibt verschiedene verholzte Zelltypen, Holz selbst ist aber nur das beim Dickenwachstum neu gebildete Xylem, das Leitgewebe, das Wasser und Mineralien aus den Wurzeln in den Rest der Pflanze transportiert. Lignin ist ein Polymer aus aromatischen Molekülen, also solchen, die eine ringörmige Struktur haben. Diese verbinden sich zu einem steifen Netz, das sich durch die ganze Zellwand erstreckt – wahrscheinlich sogar über mehrere Zellen hinweg und im Extremfall wohl durch einen ganzen Pflanzenkörper – Lignin bildet daher die wohl größten Moleküle überhaupt, in einem Mammutbaum über viele Meter hinweg. Wir hätten dann ein Molekül, das Tonnen wiegt und zersägt werden kann!

Vom Holz wird in mehrjährigen Pflanzen jedes Jahr mehr angelegt, um den wachsenden Sproß mit Wasser zu versorgen und zu stützen. Daneben gibt es aber noch andere verholzte Zellen – in manchen Pflanzen die Epidermis, in vielen das Sklerenchym genannte Stützgewebe, das feste Fasern bilden kann – zum Beispiel das, was wir als Bastfasern kennen – nadelartige Zellen, die als Frassschutz dienen können und quadratische Steinzellen – die wir aus der Birne kennen, der sie ihre körnige Struktur geben. Verholzte Pflanzenteile können auch Barriere nach außen sein, ob als dicke Borke, Dornen oder Stacheln.

Noch fester können Zellwände werden, wenn Siliziumdioxid eingelagert wird – im Prinzip Glas! Das macht die Blätter vieler Gräser so hart, dass sie bei Pflanzenfressern die Zähne abnutzen und bei manchen Arten die Blattränder so scharf machen können, dass man damit Haut schneiden kann! Auch Schachtelhalme haben so verstärkte Zellwände und bilden damit rohrförmige Sproße mit Papierdünner aber enorm stabiler Wand – beim Schneiden mit einer feinen Klinge hört man das Knirschen und ruiniert schnell die Schneide!

Weil Zellwände so robust sind, sind manche Pflanzenfossilien geradezu unglaublich gut erhalten – in Schnitten von 400 Millionen Jahre alten Sprossen einer der frühesten Landpflanzen Rhynia kann man jede einzelne Zelle noch am ursprünglichen Ort und in natürlicher Form erkennen! Aber auch Zellwände, die nicht ganz so lang erhalten bleiben sind wichtig: Sie machen einen Großteil der Biomasse der Erde und damit des gebundenen Kohlendioxids aus und sind damit bedeutende Spieler des Klimas. Langsam verrottendes Zellwandmaterial ist zudem Hauptbestandteil des Humus, der Wasser und Mineralien im Boden hält und so das Wachstum anderer Pflanzen verbessert. Weil Zellwandmaterial in der Natur so wichtig ist, ist auch der Anbau schnell wachsender Bäume für Pelletheizungen nicht gerade klimafreundlich – zwar setzt man hier nur das Kohlendioxid frei, das vorher gebunden wurde, man setzt es aber eben viel schneller frei, als wenn es in Biomasse oder Boden verbleiben würde und kann dadurch den Gehalt in der Luft deutlich erhöhen!

Pflanzen sind aber nicht nur grobe Klötze, die schwer brechen – auch wenn sie verletzt werden, können sie oft erstaunlich gut regenerieren. Die Seitensproßknospen, die auf Vorrat angelegt werden und bei Verlust der Spitze austreiben können, hatten wir schon im letzten Kapitel erwähnt und sie sind Teil des Grundprinzips eines Pflanzenkörpers: Im Prinzip gibt es nur drei Grundorgane: Spross, Blatt und Wurzel – bei Moosen und Algen sind oft nichtmal die klar voneinander unterscheidbar. Bei Landpflanzen sind diese auch immer gleich angeordnet: Wurzeln brechen von innen aus Sprossen oder anderen Wurzeln, Blätter entstehen an der Sprossspitze und tragen in ihrer Achsel die Anlage für einen Seitenspross.

Dieses simple System lässt sich nun aber extrem vielfältig variieren – fördert man die Hauptachse und verholzt sie, entsteht ein Baum, bleibt sie kurz ein Kraut mit vielen Blättern am Boden, dazwischen ein Busch und viele Variationen! Und diese Variabilität erlaubt nicht nur die Vielfalt verschiedener Pflanzenarten, sondern auch von Individuen innerhalb einer Art: Zum Beispiel kann der Feldahron als Busch oder Baum wachsen, je nach Standort, viele Arten können verschiedene Blätter für sonnige oder schattige Standorte bilden, einige können aus dem Spross neue Wurzeln bilden, sollte er umknicken und so weiter. Man spricht bei Pflanzen auch von einer postembryonalen Entwicklung, da im Embryo nur die Grundstruktur aus einem kurzen Spross mit unverzweigter Wurzel und ein oder zwei Keimblättern angelegt wird und alles andere später nach Bedarf gebildet wird – während die meisten Tiere ihre Körperform in der Embryonalentwicklung festlegen und sich dann mit Verhalten an ihre Umwelt anpassen müssen.

Und diese Variabilität erlaubt es auch, verlorene Pflanzenteile einfach an anderem Ort wieder zu ergänzen. Nicht alle Pflanzenarten sind gleichgut im Regenerieren von Schäden und besonders mit der Blüte, die eine besondere Investition darstellt, ist oft auch die Regenerationsfähigkeit eingeschränkt. Manche Arten und Gruppen sind aber Meister der Regenerationsfähigkeit. So bestehen Grashalme zum Beispiel wie die Sprosse aller Pflanzen aus Abschnitten, an denen Blätter sitzen, den sogenannten Knoten und den Abschnitten dazwischen – den Internodien. Bei Gräsern können die Knoten aber einseitig wachsen und so als Gelenke funktionieren, so dass sich umgeknickte Grashalme einfach wieder aufrichten! Und dass sie sich vom Boden so gut regenerieren können, da ihre Knospen geschützt so weit unten liegen, ihre Sprosse sich wieder aufrichten können und ihre Blätter von der Basis nachwachsen, sind Gräser auch viel resistenter gegen Abweiden (oder Rasenmähen) als viele andere Pflanzen – im Prinzip sind Gräser und Grasfresser teilweise eine gigantische Symbiose, bei der die Tiere die Konkurrenz der Gräser ausschaltet und diese dann ganze Grasländer bilden können!

Weiden wachsen gerne an Gewässerrändern und können dort auch durch die Strömung entwurzelt werden – bei ihnen können aber selbst kleine Stücke neue Wurzeln, Sprosse und Blätter bilden, so dass aus einer zerstörten Pflanze ein kleines Wäldchen werden kann! Das Vermehren von Pflanzen mit Stecklingen aus kurzen Zweigstückchen klappt bei vielen Arten mit etwas Pflege bekanntlich auch.

Aber selbst wenn eine Pflanze doch einmal komplett stirbt, ist das oft nicht das Ende, denn Sporen und Samen, die wir ja schon kennengelernt haben, sind meist noch viel zäher und können gefressen werden, teilweise Feuer überstehen und Jahre oder Jahrzehnte im Boden auf bessere Bedingungen warten. Das sieht man bei jeder Waldlichtung, auf der Gräser und Kräuter in enormem Tempo hochwachsen, sobald Bäume Licht auf den Boden lassen. Man sieht es aber auch nach Erdrutschen, Feuersbrünsten und anderen Katastrophen – und sogar nach den ganz großen! In der Paläontologie kennt man fünf große Massenaussterben – sechs, wenn wir unsere aktuelle Biodiversitätskrise dazuzählt. Aber in der Paläobotanik fallen diese viel weniger auf, zwar sterben hier auch Arten aus, aber kaum ganze Pflanzenfamilien oder -ordnungen. Nach dem Asteroideneinschlag am Ende der Kreidezeit bemerkt man in der Paläobotanik einen Farnpeak – Farne besiedeln das verwüstete Land am schnellsten wieder – danach erholt sich die Vegetation. Pflanzen sind nicht wie Tiere auf von anderen Lebewesen hergestellte Nahrung angewiesen und ihre Samen können Jahre warten. Wenn sie keimen, dann ist für sie die Welt in Ordnung, nur die großen Viecher, die sie weggefressen haben sind weg!

Das heisst natürlich alles nicht, dass Pflanzenarten unverwundbar sind. Verlieren sie ihre Bestäuber, sterben sie aus und im Laufe der Erdgeschichte haben immer wieder andere Pflanzengruppen die Vorherrschaft übernommen. Gerade Samen sind aber eine enorme Chance, auch bedrohte Arten zu erhalten und im Kew Gardens, dem größten botanischen Garten der Welt in London, läuft ein Projekt mit dem Ziel keimfähige Samen aller bekannter Pflanzenarten vorrätig zu halten und so deren Aussterben praktisch zu verhindern. Und im Svalbard Global Seed Vault in Norwegen lagert Saatgut von Kulturpflanzen, um auch in Katastrophenfällen neu beginnen zu können – und so die Zähigkeit von Pflanzen auch zur Sicherung unseres Überlebens zu nutzen!



Kapitel 11 – Die beste Verteidigung ist... Gift!

In Legendenm Theaterstücken, Krimis aber teilweise auch im echten Leben, gilt Gift als eine Mordwaffe, zu der körperlich schwächere, hinterlistige, raffinierte Täter und vor allem auch Täterinnen greifen. Auch wenn es oft als unehrenhafte Waffe gilt, ist es doch oft auch Mittel der gerechten Rache und oft genug ist es der Bösewicht selbst, der mit einem vermeintlich triumphalen Biss oder Schluck sein Schicksal besiegelt. Als Lebewesen, die gerne von anderen gebissen werden, sind Pflanzen Meister des Kampfs mit Gift.

Dabei haben Pflanzen gegenüber Tieren bei der chemischen Kriegsführung einen großen Vorteil: Sie stellen alle Substanzen ihres Körpers selbst her, während Tiere mit allem klarkommen müssen, was die Nahrung hergibt – auch mit dem, was zu viel da oder gifitg ist – überspitzt könnte man also sagen, dass alle Nahrung Gift ist, aber lasst Euch nicht von fragwürdigen Ernährungsgurus beeindrucken, die jetzt einzelne Sachen als „das Problem“ herauspicken! Im Prinzip haben Pflanzen und Tiere viele Substanzen gemeinsam, was ja auch die Grundlage dafür ist, dass zweitere erstere fressen können – bei Aliens von einer anderen Welt wäre das nicht so. Neben dem grundlegenden Stoffwechsel gibt es aber noch den sogenannten Sekundärstoffwechsel – nicht für die Pflanze lebensnotwendige Substanzen, die für uns Tiere Fluch oder Segen sein können – schauen wir uns ein paar davon an:

Die vielleicht bekannteste Klasse pflanzlicher Giftstoffe sind die Alkaloide, stickstoffhaltige Moleküle, von denen viele auf das Nervensystem wirken können. Hierzu gehören Nikotin, Koffein, Curare, Morphin, Mescalin und viele mehr. Was an der Liste auffällt, ist dass viele dieser Gifte gleichzeitig auch als Medikamente oder Drogen verwendet werden können – während zu viel Morphin töten kann, kann eine kleine Dosis Schmerzen stillen – aber eben auch abhängig machen. Colchizin, Vinblastin und Vincristin stört Zellteilungen, haben aber deshalb auch Potential als Krebsmedikamente – wenn es gelingt, sie entsprechend zu dosieren oder zu den richtigen Zellen zu bringen. Curare lähmt die Atemmuskulatur und war eines der ersten wirklich wirksamen Narkosemittel. Nikotin ist ein tödliches, schnell abhängig machendes Gift, erlaubt aber auch einem ganzen Industriezweig, sich an der Sucht von Menschen dumm und dämlich zu verdienen. Wie Du siehst – Pflanzengifte sind für uns oft zwei- oder noch mehrschneidige Schwerter! Und das gilt nicht nur für Alkaloide, sondern auch für andere Substanzklassen wie die Herzglykoside aus dem Fingerhut, die das Herz antreiben oder bremsen können.

Eine weitere spannende Klasse pflnzlicher Abwehrstoffe sind die Senfölglykoside, auch als „Senfölbombe“ bezeichnet – denn diese Substanzen müssen erst „gezündet“ werden! In der intakten Pflanzenzelle sitzen die Senfölglykoside in der Vakuole und im Cytoplasma ist das Enzym Myrosinase. Wird jetzt die Zelle verletzt, mischen sich die Inhalte beider Teile der Zelle und die Myrosinase schneidet den Zuckerrest (Glykosid) ab und setzt so die flüchtigen Senföle frei – und die beissen dann in Mund und Nase! Deshalb brennt Meerrettich oder ein Radischen umso mehr, je mehr man darauf herumbeisst und die Schärfe steigt bis in die Nebenhöhlen. Beim Chili „brennt“ dagegen das Alkaloid Capsaicin und beim Pfeffer Piperidin, die beide von Anfang an vorliegent und nicht so flüchtig sind und daher im Mund bleiben.

Überhaupt ist die Verdauung etwas, das Pflanzen häufig stören, denn damit lassen sich Pflanzenfresser natürlich gut abschrecken. Tannine sind Gerb- und Bitterstoffe, die in vielen Pflanzen vorkommen und in kleinen Mengen den herben Geschmack von Tee, Kaffee und Weinen verursachen, aber auch Nährstoffe binden und Verdauungsenzyme inhibieren und so zu Blähungen und Bauchschmerzen führen können. Lektine sind Proteine, die die Zuckerreste an anderen Proteinen binden und ihre Arbeit so stören können. Manche Lektine stören die Verdauung, andere können sogar rote Blutkörperchen verklumpen und sind damit sehr giftig – und damit der Grund, warum manche Bohnensorten nur gekocht genossen werden sollten, da hier die Struktur der Lektine zerstört wird (Denaturierung)! Eine andere Gruppe von Frassschutzproteinen sind Proteinaseinhibitoren, die Protein abbauende Proteine, die Proteasen, hemmen und so die Verdauung stören, was vor allem beim Frassschutz gegen Insekten eine Rolle spielt.

In manche Pflanzen muss man aber nichtmal beissen, oder zumindest nicht viel fressen, damit es unangenehm wird. Viele Nadelbäume haben Harz und einige Korbblütler wie der Löwenzahn haben einen klebrigen Milchsaft, der die Mundwerkzeuge von Insekten verklebt. Bei den Wolfsmilchsgewächsen ist der Saft zudem giftig und beim Johanniskraut macht er die Haut extrem empfindlich gegen Sonnenbrand, so dass man vom Pflücken an einem Sommertag Brandblasen bekommen kann! Manche Pflanzen haben sogar noch stärkere Kontaktgifte, wie der amerikanische Giftsumach oder der Manchinelbaum, der als eine der giftigsten Pflanzen der Welt gilt – bei beiden kann schon Regenwasser, das in Kontakt mit den Blättern war auf der Haut schwere Reizungen auslösen! Andere Pflanzen haben Härchen voller ätherischer Öle auf den Blättern, die abbrechen können, wenn Insekten darüberlaufen oder klebrige Drüsen, so dass kleine Tiere hängen bleiben. Die Brennnesseln haben spezialisiete Brennhaare – Zellen, die wie eine Kanüle mit einem kugeligen Verschluss gebaut sin, bricht dieser bei Kontakt ab, entsteht eine regelrechte Injektionsnadel, die den Zellinhalt mit einem Mix aus Säure, Histamin und dem Neurotransmitter Acetylcholin in die Haut sticht und zu den bekannten Quaddeln führt!

All diese vielen Abwehrstoffe schützen Pflanzen aber nicht vor allen Gegnern – manche Spezialisten können die Substanzen entgiften. Bei den oben erwähnten scharfen Senfölglycosiden ist zum Beispiel das spannende, dass sie zwar einen hervorragenden Fraßschutz gegen manche Tiere bieten, aber nicht gegen alle. Manche Insekten wie die Kohlweißlinge sind auf Verwandte von Kohl und Radischen, die Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) spezialisert und nutzen die Senfölglycoside, mit denen sie zurecht kommen, als Wegweiser zum Futter. Und Vögel, auf die Capsaicin nicht scharf wirkt, verbreiten Chilisamen, da sie die Früchte fressen können – hier nutzt die Pflanze sozusagen eine Abwehr gezielt, um die besten Samenverbreiter auszuwählen! Ach ja und wir sind so seltsam, dass wir den Schärfeschmerz in gewissem Maß sogar genießen. Wobei sowohl Capsaicin als auch Senfölglycoside auch gesundheitsfördernde Wirkungen haben, da sie Kreislauf und Verdauung anregen und wohl auch Entgiftungsmechanismen anregen können. Wieder vielschneidige Schwerter! Trotzdem sind auch nicht gegen alle Gegner wirksame Gift- und Abwehrstoffe für die Pflanzen weiter nützlich, denn von wenigen Spezialisten gefressen werden, ist meist besser als von jedem – außer, wenn die Spezialisten sich einmal in Massen vermehren, wie zum Beispiel der Buchsbaumzünsler, nachdem er in Europa eingeschleppt wurde, wo er keine natürlichen Feinde hatte.

Selbst gegen Spezialisten können Pflanzen sich aber noch wehren – mit wiederum spezialisierten Substanzen. Die Eibe bildet zum Beispiel das Häutungshormon Ecdysteron, das Insektenlarven zur Häutung anregt – bevor sie eigentlich dazu bereit sind. Gegen Krankheitserreger können viele Pflanzenarten mehr oder weniger spezialisierte Gifte bilden, zum Beispiel Chitinasen, die die Zellwände von Pilzen abbauen. Und wenn das nicht hilft, können sie befallene Pflanzenteile absterben lassen und ihre Regenerationsfähigkeit als Teil einer aktiven Abwehr nutzen! Aber auch hier haben Spezialisten wieder Gegenabwehr entwickelt und teilweise Pflanzen Gegengegegnabwehren und so gibt es dann anfällige und resistente Linien auch bei vielen Nutzpflanzen – der evolutionäre Wettlauf ist nie entscheiden!

Nur manchmal, bauen Pflanzen dann plötzlich alle Frassschutzsubstanzen ab, weichen die Zellwände auf, reduzieren den Säuregehalt und lagern leckeren Zucker ein – wenn es an der Zeit ist, dass Tiere ihre Früchte fressen und die Samen verbreiten. Die Giftmischerinnen können auch gezielt verführen, wenn es ihnen nützt!



Kapitel 12 – Attack! Wenn Bäume angreifen

Was ist das erste, dass Dir an einem Baum auffällt? Wahrscheinlich die Größe! Aber hast Du Dich schonmal gefragt, warum Bäume überhaupt einen so massiven Stamm haben, der einen großen Teil ihrer Ressourcen verschlingt? Alleine stehend würde ein Baum eigentlich keinen Sinn ergeben, die Krone dicht am Boden wäre effizienter, um mit möglichst wenig Einsatz maximale Photosynthese zu betreiben. Aber in Konkurrenz mit anderen Pflanzen, ergibt der Wuchs plötzlich Sinn! Am Boden von dichten Buchen- oder tropischen Regenwäldern kommt nur noch 1% oder weniger des Sonnenlichts an, die Bäume dominieren den Kampf ums Licht. Und hier zählt dann schnelles Wachstum, um nach oben zu kommen. Der Meister ist der Riesenbambus Dendrocalamus giganteus, dessen Sprosse bis zu fast einem Meter pro Tag nach oben schießen können. Andere Pflanzen können dort nur bestehen, wenn sie entweder sehr genügsam sind oder – wie der Unterwuchs aus Anemonen und Winterlingen im Buchenwald das Frühjahr nutzen, in dem ihre hochstammigen Herrscher noch keine Blätter tragen.

Oder man schummelt! Epiphyten sind Pflanzen, die insbesondere in den Tropen auf anderen Pflanzen wachsen und so näher am Licht sind, dafür abgeschnitten vom Boden mit seinen Nährstoffen und dem Wasser. Dafür bilden Bromelien mit ihren Blätten Trichter und Orchideen haben saugfähige Wurzeln und einige Epiphyten bieten Ameisen Unterschlupf, die dann mit den anfallenden Abfällen ihrer Bauten die Pflanze düngen. Als Alternative kann man an einem Baum hochklettern und sich so viel vom nötigen Stützmaterial sparen. Besonders raffiniert machen es eine Reihe von tropischen Ficus-Arten, die als Würgefeigen bezeichnet werden. Diese wachsen erst als Epiphyten, senden dann Wurzeln zum Boden und umwachsen irgendwann ihren Trägerbaum so eng, dass er nicht weiterwachsen kann und abstirbt – die Würgefeige hat dann seinen Platz übernommen!

Aber Pflanzen kämpfen nicht nur ums Licht, auch um Nährstoffe aus dem Boden, wo Wurzeln ähnlich konkurrieren können wie die überirdischen Pflanzenteile. Und manche Arten geben sogar Giftstoffe ab, die das Wachstum anderer Arten hemmen – ein bekanntes Beispiel ist der Walnussbaum (Juglans regia) unter dem meist eine Zone freien Bodens liegt, aber auch Wüstenpflanzen sichern sich so genug Bodenfläche um bei den seltenen Regenfällen genug Wasser abzubekommen und insgesamt scheint dieser Prozess (Allelopathie) sogar recht häufig zu sein – nicht umsonst gibt es in vielen Gartenbüchern Angaben, welche Pflanzen man gut neben anderen anbauen kann.

Eine weitere Art von Konkurrenz herrscht um Bestäuber und die hat für uns den Vorteil, dass es so auffällige, bunte und duftende Blüten gibt! Allerdings kann auch diese Schönheit Probleme bereiten. So sind Rapsfelder zum Beispiel für Bienen so attaktiv, dass andere Pflanzen in ihrer Nähe merklich seltener bestäubt werden.

Manche Pflanzen belassen es aber nicht beim Konkurrieren – sie stehlen als Parasiten direkt bei anderen Arten. Bekannt ist die Mistel (Viscum album), die auf Bäumen wächst und als Halbschmarotzer zwar selbst Photosynthese betreibt, aber ihr Wasser und ihre Mineralien aus dem Xylem des Wirtsbaums saugt. Der Teufelzwirn, auch Seide genannt (Cuscuta), ist zwar auch grünlich, braucht aber seine Wirtspflanzen für ziemlich alles und ist entsprechend ein Vollschmarotzer. Bei uns kann man im Sommer die Nesselseide (Cuscuta europaea) wie grüne Schnüre Brennnesseln umwindend, weltweit gibt es etwa 140 Arten, die an ganz verschiedenen Pflanzen parasitieren. Andere Pflanzen bleiben gleich fast komplett unter der Erde und schmarotzen an den Wurzeln ihrer Wirte und strecken nur die Blüten nach oben. Dazu gehören die oft orchideenähnlich aussehenden Sommerwurzen (Orobanche), aber auch die tropische Rafflesia, die mit bis zu einem Meter Durchmesser die größten Einzelblüten der Welt bildet!

Und manche Pflanzen stehlen ihre Nährstoffe nicht von anderen Pflanzen, sondern von Tieren: Die fleischfressenden Pflanzen! Fleischfressende Pflanzen leben vor allem an Stellen, die sehr nährstoffarm sind, wie in Mooren oder als Epiphyten auf anderen Pflanzen im tropischen Regenwald – die oft aufwändigen Fangblätter lohnen sich wohl sonst nicht. Die einfachsten Fallen sind klebrige Blätter wie wir sie schon bei der Insektenabwehr kennen gelernt haben und die als Fangblätter nur noch etwas klebriger werden müssen. So etwas finden wir bei den Fettkräutern (Pinguicula) oder etwas raffinierter beim Sonnentau (Drosera) bei dem nicht das ganze Blatt klebt, sondern Haare mit Klebstofftröpchen. Das spart Klebstoff und da sich die Blätter um ein Beutetier einrollen können, entsteht trotzdem ein enger, der Verdauung förderlicher Kontakt. Das Blatt muss dann nur noch Verdauungsenzyme abgeben, die wir aber auch schon aus der Feindabwehr kennen – so verwunderlich die Anpassungen fleischfressender Pflanzen also scheinen mögen, als Abwehr, die den Spieß umdreht ist auch ihre evolutionäre Geschichte gut nachvollziehbar! Die zuklappenden Blätter der Venusfliegenfalle sind dann im Prinzip einfach Klebblätter, die sich so schnell schließen können, dass sie keinen Klebstoff mehr brauchen.

Die Wasserschläuche (Utricularia) haben Unterwasserfallen, die sich bei Kontakt mit kleinen Tieren blitzschnell öffnen und ihre Beute so einsaugen können – grob gesehen ein ähnlicher Mechanismus wie bei den auch unter Spannung stehenden Früchten des Springkrauts, die sich schlagartig öffnen!

Und dann gibt es noch die verschiedenen Fallgrubenblätter, bei denen Insekten in eine Röhre oder einen Trichter mit glatten Wänden rutschen und dort ertrinken. Besonders komplexe Blätter haben die Kannenpflanzen (Nepenthes), deren Blätter an der Basis breit und grün sind und Photosynthese treiben, dann in einen windenden Blattstiel übergehen und am Ende die Fallenkanne haben. Aber schaut man genauer hin, dann nutzen gar nicht alle Nepenthes-Arten diese Fallen, um arglose Insekten zu fangen. Auch Regen und Erde kann sich darin sammeln und hier wie bei anderen fleischfressenden Pflanzen können auch gefangene Pollen und sogar Laub einen wesentlichen Teil der „Nahrung“ ausmachen. Des weiteren werden auch Algen verdaut, die in der Kanne wachsen und in manchen bauen Ameisen ihre Nester, deren Abfälle dann die Pflanze düngt. Manche Kannen sind sogar groß genug, dass kleine Fledermausarten darin schlafen können, deren Guano wieder einen hervorragenden Dünger abgibt! Und die beste Geschichte liefert vielleicht Nepenthes lowii, an deren Kannenrand eine weißliche Substanz Spitzhörnchen anlockt, die dann auf der Kanne sitzend diese abschlecken und wieder mit ihrem Geschäft düngen! Nepenthes-Arten sind also wohl eher allesfressende Pflanzen...

Nur was Krankheitserreger angeht, finden sich die unter Pflanzen kaum. Die Horrorgeschichten, die man früher Kindern erzählt hat, dass verschluckte Apfelkerne im Bauch keimen würden, sind nur Geschichten. Selbst wenn ein Samen einen Platz fände, der weder zu sauer ist, noch den Keimling verdaut, würde das Pflänzchen im Dunklen schnell absterben und verdaut werden. Was uns keimend Ärger machen kann, sind Pollen auf der Nasenschleimhaut, aber auch diese überleben nicht lange. Manche Algen sind eine gefährliche Quelle für Vergiftungen, darunter die Fischvergiftung Cigautera, aber das ist kein gezielter Angriff auf uns. Manche Algen können aber auch Tiere besiedeln und während die Algen die das Fell von Faultieren grün färben, diesen sogar nützlich sind, gibt es ein paar andere einzellige Algen, die immungeschwächte Tiere und Menschen befallen können und eine Gattung von Grünalgen, die tatsächlich ein Krankheitserreger ist: Protoheca. Diese einzelligen Algen bilden kein Chlorophyll und können gelegentlich die Haut und andere Organe befallen. Aber wie gesagt, das ist die absolute Ausnahme.

Freitag, 1. April 2022

Der Grüne Planet, Teil 3 (Kapitel 7, 8 und 9)


 

Kapitel 7 – Sieh mir in die Sproßspitze, Kleines!

Vielleicht gehörst Du ja zu den Leuten, die mit ihren Zimmerpflanzen reden, aber sehr wahrscheinlich hast Du ihnen noch nie in die Augen geschaut – wahrscheinlich weil sie einfach keine haben, genausowenig wie Ohren. Aber trotzdem reagieren Pflanzen bekanntlich auf Licht und so stellt sich die Frage: Was nimmt so ein grünes Wesen eigentlich alles wahr und merkt es, dass wir uns mit ihm beschäftigen?

Das wichtigste Signal, das Pflanzen aus ihrer Umwelt erreicht, ist sicher Licht – denn Licht ist die Energiequelle der Photosynthese und ohne Licht geht für die allermeisten Pflanzen gar nichts. Wächst eine Pflanze im Licht, dann bildet sie grüne Blätter und kräftige Wurzeln, man spricht hier von der Photomorphogenese (Gestaltbildung im Licht). Wächst eine Pflanze im Dunklen, streckt sich der Sproß so weit wie möglich und alle anderen Vorgänge werden zurückgehalten, um Energie zu sparen – die Blätter bleiben klein und weiß, die Wurzel kurz (Skotomorphogenese, Gestaltbildung im Schatten). So haben vor allem Keimlinge die Chance, ins Licht zu kommen und dort dann grüne Blätter zu bilden und nicht vorher ihre Reserven zu verbrauchen und zu verhungern. Für die Photomorphogenese haben Pflanzen zwei wichtige Rezeptoren, meist in mehreren Varianten: Cryptochrome und Phytochrome. Die Cryptochrome reagieren vor allem auf blaues Licht, die Phytochrome auf rotes – und damit genau auf die Wellenlängen, die die Photosynthese am besten nutzen kann!

Für viele Pflanzen spielt Licht auch eine entscheidende Rolle bei der Keimung – denn je nachdem, wie viele Nährstoffe ein Samen trägt, ist es besser an der Oberfläche zu keimen, wo der Keimling gleich mit der Photosynthese beginnen kann (Lichtkeimer) oder besser geschützt in der Erde (Dunkelkeimer). Viele Ruderalpflanzen, also solche, die schnell auf offenen Flächen wachsen und für uns oft unter den Begriff „Unkraut“ fallen, sind Lichkeimer. Und das erlaubt auf dem Acker einen Trick: Generell dient Pflügen dem Auflockern und Belüften der Erde, der Verteilung von organischem Material im Boden und dem Zerstören unerwünschter Vegetation. Allerdings bringt es auch die Samen eben solcher unerwünschter Pflanzen an die Oberfläche. Pflügt man nachts, dann keimen nur die Samen, die tatsächlich an der Oberfläche gelandet sind, pflügt man tagsüber können auch einige keimen, die nur kurz Licht abbekommen haben. Der Effekt kann in manchen Versuchen enorm sein (2% Bodenbedeckung durch "Unkräuter" statt 80% https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF01131157.pdf). Die Autoren merken aber auch an, dass die Methode dunkelkeimende Unkräuter selektieren könnte und damit genauso empfindlich für Resistenzen sein könnte wie Herbizideinsatz. Und Pflügen auch einen Beitrag zur Erosion und dem Verlust von Boden beiträgt - eines der größten und am wenigsten bekannten Probleme der weltweiten Landwirtschaft, ist Pflügen als Unkrautbekämpfung auch nicht unbedingt umweltfreundlicher als ein gezielter Herbizideinsatz. Auch hier gilt: Einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt es selten. Und wie man am besten Pflanzen anbaut, um die Menschheit zu ernähren ohne unsere Umwelt zu zerstören ist ein sehr komplexes Problem!

Aber Pflanzen nehmen nicht nur wahr, ob Licht da ist oder nicht, sie können auch die Richtung wahrnehmen und ihr Wachstum zum Licht hin ausrichten. In Kapitel 1 hatten wir schon über die Blätter der Sonnenblume gesprochen, aber ein Wachstum zum Licht (Phototropismus) findet sich bei allen Pflanzen – und nicht nur auf der sichtbaren Ebene, denn in vielen Zellen richten sich sogar die Chloroplasten, die grünen Organellen, die das Sonnenlicht auffangen, je nach Beleuchtung unterschiedlich aus. Pflanzen nutzen also verschiedene Informationen aus dem Licht wie Menge und Richtung, um ihre Photosynthese zu optimieren.

Einer der ersten, der hier genauer hinschaute war – mal wieder – Charles Darwin, der mit seinem Sohn Francis Versuche an Weizenkeimlingen machte. In diesen konnten sie beobachten, dass die Pflänzchen sich etwas unter der Spitze zum Licht krümmten, aber ein Abschneiden oder verdecken der Spitze diese Bewegung verhindert. Die Darwins vermuteten, dass in der Spitze ein Stoff ungleich verteilt wird, der dann nach unten wandert und so zu ungleichmäßigem Wachstum im Sproß und in der Folge zur Krümmung führt. Nicht nur hatten sie damit die Anfänge der Pflanzenphysiologie gelegt, sondern auch eines der ersten Modelle für ein Hormon aufgestellt – und sie sollten Recht behalten! Heute wissen wir, dass eine weitere Klasse von Blaulichtrezeptoren – die Phototropine – und das Pflanzenhormon Auxin hier zusammenspielen.

Neben der Menge und Richtung, können Pflanzen aber auch die Wellenlängen von Licht analysieren – sozusagen Farben erkennen! Und dabei spielen die schon genannten Phytochrome eine besondere Rolle. Die können nämlich in zwei Zuständen vorliegen: Gebildet werden sie in einer Form, die durch relativ kurzwelliges rotes Licht angeregt werden kann, das auch energiereich genug ist, um in der Photosynthese genutzt zu werden. Durch diese Anregung werden sie in eine zweite Form umgewandelt, die in den Zellkern wandert und Gene aktivieren kann, aber auch durch längerwelliges, energieärmeres Licht wieder in die Ausgangsform überführt werden kann. Aus dem Verhältnis der beiden Formen kann eine Pflanze dann also auch ablesen, wie sich die Rottöne im Licht verteilen – und das ist deshalb genial, weil sie daran erkennen kann, ob sie im Schatten anderer Pflanzen steht! Diese absorbieren nämlich das blaue und das kürzerwellige rote Licht, lassen aber das längerwellige Rotlicht durch – wenn Du einmal unter einer Buche nach oben schaust, kannst Du manchmal erkennen, wie rotstichig das hindurchfallende Licht ist. Und da ein Teil des langwelligen Rotlichts auch reflektiert wird, kann eine Pflanze sogar erkennen, wenn sie neben einer anderen wächst – und entsprechend schneller wachsen, um nicht im Schatten zu enden. Wenn in einem Maisfeld alle Pflanzen ungefähr gleich groß sind, dann bewirkt diese Wahnehmung das! Und dieses pflanzliche „Farbensehen“ ist enorm sensitiv – auch bei Maispflanzen hat man einen Effekt auf das Wachstum in bis zu 30 Metern Abstand zu einem Waldrand bemerkt – selbst die besten menschlichen Künstler dürften kein solches Auge für Lichtfarbe haben!

Phytochrome spielen aber sogar noch bei einem anderen Effekt eine wichtige Rolle – nämlich für die Steuerung der inneren Uhr und für die Messung der Tageslänge – wobei Pflanzen genau genommen die Länge der Nacht messen. Stört man nämlich die lange Nacht durch einen Lichtpuls, messen sie nur die längste Dunkelphase und verhalten sich dann wie bei langen Tagen. Und die Tageslänge ist für Pflanzen eine wichtige Information, denn sie zeigt das Fortschreiten des Jahres an. Im Sommer blühende Pflanzen brauchen zum Beispiel eine gewisse Tageslänge, um Blüten zu bilden und zu öffenen, Herbstblüher machen das erst, wenn die Tage eine bestimmte Länge wieder unterschreiten. Die innere Uhr dagegen erlaubt es Pflanzen auch an trüben Tagen und in der Nacht richtig zu reagieren – zum Beispiel bei der Sonnenblume, die Blätter wieder in die Ausgangsstellung zurückzubewegen. Hier ist Licht ein wichtiger Taktgeber, damit der innere Rhythmus auch tatsächlich einem 24-Stunden-Tag folgt. Hält man Pflanzen im Dauerlicht, dann geraten die Zyklen wie bei uns übrigens auch aus dem Takt!

Und als wäre all das nicht genug, hat man noch weitere Lichtrezeptoren in Pflanzen entdeckt, welche, die helfen, die innere Uhr zu steuern und andere, die UV-Licht messen und die Bildung von Schutzsubstanzen anregen – die Entsprechung zu unserem Braunwerden – bei manchen Pflanzen kann man das am Rotwerden von Blättern erkennen – besonders auffällig beim Ruprechtskraut oder Stinkenden Storchschnabel (Geranium robertianum), dessen Blätter im Schatten grün bleiben, in der Sonne aber blutrot werden können!

Pflanzen nehmen Licht also anders wahr als wir und können keine Bilder sehen, aber in der Komplexität ihres „Sehens“ stehen sie uns kaum nach. Aber wie sieht es mit anderen Sinnen aus - Riechen, Fühlen oder Hören?



Kapitel 8 – Wenn Pflanzen Füße hätten, könnten sie dann hören?

Die Frage mag komisch erscheinen, aber sie ist tatsächlich eine ziemlich intelligente Überlegung, die in einer Twitterdiskussion über Sinnesleistungen von Pflanzen aufkam. Hören ist für Tiere ja überwiegend ein Sinn, um sie vor Feinden und Gefahren zu warnen oder auf Futter oder mögliche Partner aufmerksam zu machen – und fast immer ist dann weg- oder hinlaufen die beste Reaktion. Und Pflanzen können das nicht und können auch mit Wachstum oder Stoffwechsel nicht schnell genug auf die meisten solcher Reize reagieren. Tatsächlich hören auch viele wirbellose Tierarten nicht, so wichtig uns Menschen der Sinn erscheint. Immer wieder haben Leute behauptet, dass Musik, die uns Menschen ja emotional besonders anspricht, auch das Wachstum von Pflanzen beeinflussen soll – nur konnte das bisher niemand überzeugend zeigen. Und es ist gar nicht so einfach, schwache Effekte auf Pflanzen durch Musik oder mit ihnen sprechen nachzuweisen – denn wie wir gesehen haben – und noch sehen werden – reagieren sie auf viele Reize und Schall ohne andere Reize wie Luftbewegung, Wärme oder Kohlendioxid aus unserer Atemluft anzubieten, ist gar nicht so einfach. Kommen dazu zufällige Effekte und menschliche Faktoren, wie unsere Tendenz, eine Pflanze, mit der wir reden vielleicht auch sonst besser zu behandeln – indem wir sie zum Beispiel regelmäßiger gießen und düngen – dann können wir für viele esoterischen Behauptungen anekdotische Evidenz erzeugen, die sich in besser kontrollierten Experimenten nicht reproduzieren lassen.

Trotzdem gibt es ein paar Hinweise, dass zumindest manche Pflanzen auf bestimmte Frequenzen reagieren können. Das vielleicht am besten belegte Phänomen ist die Vibrationsbestäubung, bei der Bienen und Hummeln vor einer Blüte brummend in der Luft schweben und dadurch die Freisetzung von Pollen fördern. Manche Staubblätter schütteln sogar nur dann ihre Pollen aus, wenn sie mit der richtigen Frequenz angebrummt werden! Richtiges Hören ist das aber sicher nicht, eher ein in der Form der Organe angelegtes passives Mitvibrieren. Näher an echtem Hören wären ein paar Versuche, die gezeigt haben wollen, dass Pflanzenwurzel zum Geräusch fließenden Wassers wachsen oder mehr Abwehrstoffe bilden, wenn man ihnen das Geräusch fressender Raupen vorspielt. Wie überzeugend diese Daten sind, da sind sich die Wissenschaftlerinnen aber nicht einig und über mögliche Mechanismen wissen wir noch nichts. Grundsätzlich haben Pflanzen natürlich Strukturen, die bei bestimmten Frequenzen mitschwingen und so ein verwertbares Signal erzeugen könnten – von Härchen auf den Blättern und Wurzeln bis zu den Wänden von Zellen. Aber insgesamt bleibt die Frage, ob manche Pflanzen doch ein bisschen hören können, ohne klare Antwort.

Für Fühlen sieht die Sache aber schon ganz anders aus. Zwar muss man auch hier aufpassen, denn nicht jede Reaktion auf Berührung belegt eine echte Sinneswahrnehmung – die Früchte des Springkrauts stehen zum Beispiel einfach so unter Spannung, dass eine Berührung ausreicht, sie platzen zu lassen – etwas später hätten sie das auch von allein getan. Aber die schon in Kapitel 1 erwähnten Mimosen oder Venusfliegenpflanzen zeigen uns beeindruckend, dass Pflanzen auf Berührung reagieren können – und das sogar komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint!

Auf den Fangblättern der Venusfliegenfalle sitzen mehrere Tastborsten. Aber nicht bei jeder Berührung schnappt die Falle zu – wie Du vielleicht schonmal bemerkt hast, wenn Du eine Falle mit einer Pinselspitze oder ähnlichem gereizt hast. Erst wenn es zwei Berührungen innerhalb von etwa 20 Sekunden gab, schnappt die Pflanze zu! So erwischt sie krabbelnde Insekten, aber verschwendet keine Energie für Regentropfen. Bei der Mimose fällt die Reaktion der Blätter und Sprosse unterschiedlich stark aus, je nachdem wieviel Wind und Berührungen die Pflanze bereits erlebt hat – eine abgehärtete Mimose reagiert gar nicht mehr so empfindlich! Und diese Anpassung, fast schon einfache Lernfähigkeit, verhindert, dass die Pflanze auf die falschen Reize überreagiert.

Dass Pflanzen ihren Wuchs an Wind anpassen, kannst Du aber auch in den Bergen, an der Küste oder an manchen Waldrändern gut beobachten – Bäume, die starkem Wind ausgesetzt sind, bleiben kleiner und bilden einen dickeren Stamm. Auch Pflanzen, die oft berührt werden oder denen man Blätter abschneidet reagieren ähnlich – Pflanzen streicheln ist für diese also eher Stress. Aber insgesamt erlaubt, diese Wahrnehmung Pflanzen, sich wieder ideal an ihren Standort und dessen Bedingungen anzupassen.

Noch wichtiger ist ein „Tastsinn“ für Wurzeln, denn diese müssen ja sozusagen erspüren, durch welche Erde sie gut wachsen können, um welche Steine sie herum müssen und bei all diesem hin und her müssen sie auch noch die generelle Richtung beibehalten! Wurzelspitzen können dafür die Richtung der Schwerkraft spüren, im Prinzip eine Art Gleichgewichtsssinn. Besonders schön kann man das zeigen, wenn man Pflanzen auf Platten wachsen lässt und diese dann dreht, oder in einer Zentrifuge – immer orientieren sich die Wurzeln dahin, wo die wirkenden Kräfte ihnen ein „unten“ anzeigen. Wir wissen sogar ziemlich genau, wie Wurzeln das bewerkstelligen, in der Wurzelhaube, die die wachsende Spitze schützt, gibt es nämlich ein paar besonders stärkereiche und damit schwere Plastiden, die in ihren Zellen nach unten sinken – und damit wohl einen kleinen aber ausreichenden Tastreiz nach „unten“ erzeugen.

Ein weiterer Sinn, der für uns zum Fühlen zählt, ist der Temperatursinn. Temperatur spielt auch für Pflanzen eine große Rolle, bei der Entscheidung, wann geblüht, gekeimt und gewachsen wird. Und dabie haben viele Pflanzen sogar ein Temperaturgedächtnis. Viele Samen keimen nämlich erst, wenn die Temperaturen günstig sind und sie vorher schon einmal tiefe Temperaturen erlebt haben – so gehen sie sicher, erst im Frühjahr zu keimen und nicht schon im Herbst, wo die Keimlinge den Winter kaum überleben würden. Ganz ähnlich blühen viele Pflanzen auch erst, wenn sie eine Kälteperiode erlebt haben. Und so integrieren Pflanzen in ihre Blühentscheidung Informationen aus Temperatur, Licht und anderen Faktoren – bekannt ist die Kirschblüte, die als ein Zeichen des beginnenden Frühlings gilt. Aber sogar die Meteorologie nutzt den Blühbeginn, um den sogenannten „phänologischen Frühling“ zu definieren: Mit der Haselblüte beginnt im Januar der Vorfrühling, mit der Forsythie Ende März der Erstfrühling und mit der Apfelblüte im April der Vollfrühling. Und dank jahrelanger Aufzeichnungen wissen wir auch, dass all das immer früher einsetzt, was wieder mal den Klimawandel dokumentiert.

Nach Sehen, Hören und Fühlen bleiben uns noch die chemischen Sinne, die verschiedene Substanzen detektieren können: Schmecken und Riechen. Und auch da können Pflanzen einiges mehr, als man ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde: Ein spektakuläres Beispiel ist die Kommunikation über flüchtige Hormone - das bekannteste Beispiel sind vielleicht Akazien, die wenn sie angefressen werden ihre Nachbarn "warnen". Diese bilden dann recht schnell mehr Giftstoffe und würden so Pflanzenfressern den Appetit verderben - weshalb Giraffen an jeder Akazie nur relativ kurz fressen und dann zur nächsten gegen den Wind wandern! Immerhin schützt das die Bäume davor, zu stark abgefressen zu werden.

Wurzeln sind auch hier vielleicht die begabtesten Pflanzenorgane, denn sie können Wasser, Nährstoffe und schädliche Salze im Boden wahrnehmen und entsprechend ausweichen, schneller oder langsamer wachsen und mehr oder weniger Wurzelhaare bilden oder auch den Boden gezielt ansäuern oder Substanzen abgeben, um mehr Nährstoffe freizusetzen – man könnte sagen, eine Wurzel schmeckt und tastet sich durch dir Erde und verdaut sie gezielt!

Die wichtigsten chemischen Sinne sind aber wahrscheinlich für Pflanzen – genauso wie für uns – nicht die, die die Umwelt erkunden, sondern die, die den eigenen Körper wahrnehmen und steuern. Pflanzenzellen können die Konzentrationen an Zuckern und verschiedenen Nährstoffen messen und dann ihren Stoffwechsel anpassen oder über Hormone sogar den restlichen Pflanzenkörper informieren – sozusagen die Entsprechung von Hunger oder Apetit auf eine bestimmte Speise. Spaltöffnungen, von denen wir bei der Photosynthese noch mehr hören werden, messen die Kohlendioxidkonzentration im Blatt und öffnen sich, wenn diese zu niedrig wird. Und auch auf Gefahren können Pflanzen so reagieren, indem sie zum Beispiel Bruchstücke pflanzlicher oder tierischer Zellwände und bestimmte bakterielle Moleküle erkennen und so wahrnehmen können, ob sie gerade angefressen oder infiziert werden – und entsprechend ihre Abwehr aktivieren.

Wenn Pflanzen aber so viel von ihrer Umwelt und aus ihrem eigenen Körper wahrnehmen und sinnvoll darauf reagieren, dann drängen sich auch Fragen auf wie: Spüren Pflanzen Schmerz, sind sie intelligent, haben sie ein Bewusstsein oder eine Seele?

 

Kapitel 9 – Hat meine Mimose Gefühle?

Für Aristoteles hatten alle Lebewesen eine Seele, zumindest eine mit den grundlegendsten Fähigkeiten – Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung. Nur Tiere erreichten nach seiner Vorstellung die nächste Ebene, wo die Seele Wahrnehmung, Bewegung und zielgerichtetes Handeln ermöglicht. Und nur Menschen hatten eine Seele, die auch das Denken erlaubt. Auch wenn man Aristoteles zu Gute halten muss, dass er dem Leben etwas Gemeinsames zugesprochen hat, ist seine Einteilung mit dem, was wir über Pflanzen inzwischen wissen, kaum haltbar – und genauso kennen wir heute so viele erstaunliche Denkleistungen von Tieren, dass die ganze Dreiteilung fragwürdig erscheint und alles eher ineinander übergeht. Überhaupt ist der Begriff der Seele so schwer zu definieren, dass er wissenschaftlich kaum zugängig erscheint. Aber auch bei Schmerzen, Intelligenz und Bewusstsein können wir keine eindeutigen Grenzen ziehen. Dass Pflanzen die Grundlagen für all das mitbringen, haben wir gesehen – aber vielleicht ist es am besten, wenn wir erst noch ein bisschen genauer hinschauen, wie Pflanzen Informationen verarbeiten, bevor wir uns an Antworten herantasten.

Ein tierischer Körper verteilt Informationen über verschiedene Systeme: Das schnellste ist das Nervensystem, das bei vielen Tieren auch ein klares Zentrum hat, wenn es weit genug entwickelt ist, bezeichnet man es als Gehirn. Daneben gibt es Hormone, einen Kreislauf, der für den Stoffwechsel wichtige Substanzen verteilt und nicht zuletzt ist der ganze Körper auch mechanisch zusammenhängend.

Die mechanische Kommunikation und den Austausch von Substanzen über Leitsysteme finden wir in Pflanzen auch. Und auch Hormone gibt es hier – wir hatten bei der Lichtwahrnehmung schon davon gehört. Zwei der wichtigsten Klassen an Pflanzenhormonen sind Auxin – das vor allem im Sproßspitze gebildet wird und unter anderem Zellen zur Streckung anregt – und Cytokinine – die in der Wurzelspitze gebildet werden und unter anderem Zellen zur Teilung anregen. Diese beiden Hormonsysteme organisieren ganz wesentlich den Pflanzenkörper, beeinflussen aber im Gegensatz zu den meisten tierischen Hormonen sehr viele verschiedene Prozesse und erlauben so auch viele Anpassungen des Pflanzenkörpers. Zum Beispiel beruht die Krümmung der von Darwin und seinem Sohn beobachteten Weizenkeimlinge auf einer ungleichmäßigen Verteilung von Auxin im Sproß. Außerdem hemmt Auxin die Ausbildung von Seitensproßen – in manchen Pflanzen mehr, so dass vor allem eine Hauptachse gebildet wird, in anderen weniger, so dass sie buschiger wachsen. Und wenn man zum Beispiel eine Weide köpft, dann führt der Wegfall des Auxinsignals dazu, dass ganz viele neue Seitensproße austreiben! Andere Hormone arbeiten mit Auxin und den Cytokininen bei der Organisation des Pflanzenkörpers zusammen koordinieren die pflanzliche Stressabwehr oder signalisieren Wassermangel auch zwischen weit voneinander entfernten Pflanzenteilen. Auch das pflanzliche Hormonsystem kann mit unserem also ganz gut mithalten.

Aber wie ist es mit einer Entsprechung zu unserem Nervensystem? Tatsächlich können Pflanzen auch elektrische Signale erzeugen und nutzen – die Bewegungen von Venusfliegenfalle und Mimose werden so gesteuert. Allerdings laufen diese Signale in Pflanzen nicht entlang spezialisierter Zellen wie in Tieren, sondern durch das ganz normale Gewebe – eine mögliche Erklärung ist, dass Pflanzenzellen dank ihrer Zellwände viel geordneter vorliegen, als tierische Zellen, die verformbar sind und teilweise sogar wandern können. Während ein Tier für einen gerichteten Signaltransport also sowas wie ein beständiges Kabelnetzwerk braucht, können normale Pflanzenzellen Signale wie in einer Eimerkette weiterreichen.

Trotzdem gibt es ein paar Botaniker, die sagen, es sei sinnvoll, die pflanzliche Signalweiterleitung mit den Begriffen der Neurobiologie zu beschreiben – sie nennen ihr Forschungsgebiet entsprechend auch Pflanzenneurobiologie. Und manche von ihnen sehen sogar in den Wurzelspitzen eine Entsprechung zu tierischen Gehirnen, da hier Informationen wie die Richtung der Schwerkraft und der Nährstoff- und Wassergehalt des Bodens wahrgenommen und an den Rest der Pflanze kommuniziert wird, letztendlich hier also zentrale Entscheidungen getroffen werden. Tatsächlich war auch das schon Charles und Francis Darwin aufgefallen, die eine „root-brain“-Hypothese aufstellten, die besagt, dass Wurzelspitzen ähnlich funktionieren wie die Gehirne niederer Tiere.

Allerdings ist ähnlich eben nicht gleich – und so spannend es ist, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, so leicht kann es einen auch in die Irre führen, Vergleiche zu weit zu treiben. Auch wenn manche Mechanismen zwischen Pflanzenzellen denen zwischen Nervenzellen ähneln, haben sie eben doch keine Nervenzellen. Und auch wenn Wurzelspitzen eine gewisse Intelligenz zeigen, haben Pflanzen eben doch kein zentrales Gehirn, sondern viele Wurzelspitzen und dazu einen Sproß, der ähnlich wichtige Entscheidungen trifft – wie wir beim Licht gesehen haben. Und auch die vielfältigen Wahnehmungen von Pflanzen sind viel weniger in speziellen Sinnesorganen zentriert als bei Tieren – insgesamt agieren Pflanzen viel weniger zentralisiert, eher wie eine nur grob strukturierte Basisdemokratie aus Zellen und Organen. Und das passt auch gut zu dem modularen, anpassungsfähigen Körperbau von Pflanzen. Und so halten die meisten Botaniker die weitergehenden Ideen der Pflanzenneurobiologen für wenig hilfreich oder sogar schädlich.

Die große Frage ist ja auch: Was hätte eine Pflanze von einem tierähnlichen Bewusstsein? Evolutionär kann sich nur durchsetzen, was nicht nur einen Nutzen hat, sondern auch keinen unangemessenen Aufwand. Und die Vielfalt pflanzlicher Reaktionen scheint recht gut auch ohne ein zentrales Bewusstsein erklärbar zu sein und wahrscheinlich sogar besser. Wieso sollten Pflanzen in ein Bewusstsein investieren, dass ihnen keinen entsprechenden Nutzen bringt? Und natürlich können wir unsere Begriffe so weit dehnen, dass sie auch auf Pflanzen zutreffen, aber dadurch verlieren sie an Bedeutung und – vielleicht noch schlimmer – können sie den Blick darauf versperren, dass Pflanzen erstaunliches auf ganz andere Art und Weise als wir bewerkstelligen. Denn ein Stück weit ist die Frage nach pflanlicher Seele, Intelligenz und Bewusstsein auch aus menschlicher Eitelkeit geboren: Wir möchten dass Wesen, die uns faszinieren, uns ähnlich sind. Wir wollen, dass etwas Bewundernswertes die Eigenschaften mit uns teilt, die wir an uns selbst wertschätzen. Aber verstellt uns das nicht den Blick auf eine Andersartigkeit, die genauso faszinierend und wertvoll sein kann?

Müssen Pflanzen Schmerzen empfinden, damit wir einen Grund finden, sie nicht zu verletzen? Brauchen Pflanzen ein Bewusstsein, um uns zu faszinieren, von uns wertgeschätzt und geschützt zu werden? Oder ist es nicht viel besser, akzeptieren zu lernen, das auch Wesen, die in manchen Belangen ganz anders sind als wir, neben uns bestehen können – dass wir eben nicht das singuläre Non-Plus-Ultra des Lebens sind, sondern nur eine von vielen faszinierenden und wertvollen Variationen? Und wenn wir das von ihnen lernen können, dann können und Pflanzen vielleicht eine Weisheit weitergeben, ohne selbst auch nur einen Gedanken davon denken zu können!