Sonntag, 15. September 2019

Der Grüne Planet (Teil 1)

Okay, hier ist mein Werk aus diesem Urlaub - relativ heiss gestrickt und jegliches konstruktive Feedback ist hochwillkommen!

So etwas wie ein Vorwort

Hallo, schön, dass Du da bist! Bereit für eine spannende Reise durch die faszinierende Welt der Pflanzen? Denn genau das haben wir hier vor. Aber vorher ein paar kurze Anmerkungen. Vielleicht hast Du Dich schon gewundert, dass ich Dich duze. Vielleicht denkst Du jetzt, Du bist in einem Kinderbuch gelandet. Alle Kinder die hier mitlesen oder dieses Buch vorgelesen bekommen, sind ganz herzlich willkommen, aber das hier wird kein wirkliches Kinderbuch. Aber ich will gerne eines erreichen, das Kinderbücher oft ganz wunderbar hinbekommen: Dich aktiv auf unsere Reise mitnehmen! Natürlich werde ich Dir einiges erzählen, aber vor allem möchte ich meine Faszination für die Welt der Pflanzen mit Dir teilen, Dich anstecken und nicht einfach nur dozieren. Und das „Du“ soll Dich einladen, aktiv mitzumachen und mir nicht einfach nur auf der anderen Seite der Seiten gegenüber zu sitzen: Lies so schnell oder langsam Du willst, schau zum Grün vor dem Fenster, blättere vor und zurück, wenn Dich Themen in einer anderen Reihenfolge interessieren, als ich sie erzähle – am Ende der meisten Kapitel werde ich Dir sogar Tipps dazu geben! Denn in der Biologie hängt alles mit allem zusammen und es gibt viele Wege zu vielen Zielen. Vor allem aber möchte ich Dich anstecken, die Welt um uns und ihre grünen Bewohner mit anderen Augen zu sehen: Ob auf der Fensterbank, beim nächsten Spaziergang oder auf Deinem Teller – denn Wissen entzaubert nicht die Welt, es gibt und noch mehr Perspektiven, sie zu bewundern!
Also, wie gesagt: Schön, dass Du da bist und jetzt lass uns losgehen, es gibt so viel zu entdecken!

Einleitung: Der grüne Planet

Wirklich grün? Du kennst sicher die Bezeichnung „blauer Planet“ für unsere Erde und das trifft es auch ganz gut, wenn man aus dem Weltall mit größerer Entfernung auf unsere Welt schaut. Aber eigentlich ist es keine besonders gute Beschreibung, denn blau sind allein in unserem Sonnensystem noch zwei andere Planeten: Uranus und Neptun. Unser blau ist aber ein anderes, nicht das blau einer dichten methanhaltigen Atmosphäre, sondern das blau von Ozeanen unter einer klaren Lufthülle. Kommt man unserer Erde etwas näher, dann fallen weiße Wolken auf und im blauen Ozean Kontinent, von denen Teile weiß und andere gelblich-bräunlich sind, aber vor allem kommt hier eine Farbe vor, die im Weltall wirklich ungewöhnlich ist und nicht nur große Bereiche unserer Landfläche bedeckt, sondern auch im Meer vorkommt: Eben grün! Und kommen wir noch näher, dann sind fast alle Regionen unserer Welt, die für uns als Menschen lebenswert sind zu großen Teilen grün – zumindest solange wir sie nicht völlig zubetoniert haben. Und doch: Das Grün fällt uns oft gar nicht auf. Pflanzen sind für uns oft einfach der Hintergrund, die Bühne auf der das Leben stattfindet, eher Dekoration als Teil der Geschichte. Das geht so weit, dass viele Menschen sich schwer damit tun, Pflanzen als vollwertige Lebewesen anzusehen – sogar Biostudenten die das bezweifeln habe ich schon getroffen. Und selbst wenn wir Pflanzen wahrnehmen, halten wir sie oft für simpel und langweilig, eben unwichtig – alles geradezu absurd, wenn wir nur ein wenig genauer hinschauen – und dafür sind wir ja hier!
Wir Botaniker haben für dieses Übersehen von Pflanzen sogar einen Begriff: Pflanzenblindheit. Dabei geht es nicht darum, den nicht an Pflanzen Interessierten Ignoranz vorzuwerfen, sondern darum, dass es für uns Menschen tatsächlich schwer ist, Pflanzen so zu sehen, dass wir sie verstehen und ihre spannenden, komplexen und wichtigen Seiten erkennen. Wenn Du im Wald, Garten oder Zoo schon einmal ein Tier beobachtet hast, hast Du vielleicht festgestellt, wie einfach es ist, zu verstehen, was die Meise oder der Löwe gerade tut. Das liegt daran, dass uns das, was Tiere tun vertraut ist, weil wir selbst Tiere sind: Wir atmen, suchen Nahrung, versuchen nicht gefressen oder sonst irgendwie verletzt zu werden, erholen uns zum Beispiel durch Schlafen, arrangieren uns mit unseren Artgenossen und ab und zu suchen wir Partner, um uns fortzupflanzen. Auf den ersten Blick tun Pflanzen nichts davon, sie stehen einfach nur herum und bewegen sich nicht. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir, dass Pflanzen tatsächlich alles, was ich oben genannt habe auch tun – und selbst das mit der Unbeweglichkeit ist ein Irrtum, aber dazu später ausführlich mehr. Für diesen zweiten Blick allerdings müssen wir erst einmal verstehen, wie wir hinschauen müssen, wir müssen lernen, Pflanzen als Pflanzen zu sehen und nicht als Tiere und das ist für ein Tier wie uns nicht ganz einfach. Pflanzenblindheit zu überwinden ist also eine echte Herausforderung, aber auf der anderen Seite ist gerade das eine der faszinierenden Seiten von Pflanzen: Sie sind wie wir große, langlebige, mehrzellige Lebewesen mit komplexem Stoffwechsel, spannender Ökologie und vielfältigen Anpassungen, aber da sie die Herausforderungen des Lebens auf so andere Weise angehen, sind sie uns fast so fremd wie Außerirdische – und wer würde nicht gerne Außerirdische erforschen!
Aber es wird noch spannender: Pflanzen sind nämlich keine Außerirdischen, sondern mit uns verwandt – wenn auch sehr weit entfernt - auch damit werden wir uns noch beschäftigen. Unser gemeinsamer Vorfahre war aber noch ein Einzeller und das heißt, dass Pflanzen alles, was für ein mehrzelliges Leben nötig ist, unabhängig von uns entwickeln mussten. Pflanzen bestehen also sozusagen aus den gleichen Bausteinen wie wir, müssen die gleichen Probleme lösen, sind aber oft andere Wege gegangen. Das alles zusammen, gepaart mit unserer jahrtausendelangen Erfahrung, Pflanzen anzubauen und zu züchten, macht sie zu ganz wunderbaren Forschungsobjekten, wenn es um biologische Grundlagen geht – an Pflanzen wurde die moderne Systematik entwickelt, hier wurden Zellen entdeckt, Gene und Viren und viele, viele andere Durchbrüche der modernen Biologie bis zu solchen aktuell heißen Themen wie springenden Genen und Epigenetik! Leider wird auch das oft genug übersehen, es gibt also nicht nur Pflanzenblindheit, sondern auch noch Pflanzenwissenschaftenblindheit – aber auch das können wir lernen zu überwinden. Wir kommen auch auf die Pflanzenforschung später zurück.
Aber vielleicht sagst Du jetzt: „Na gut, Pflanzen sind interessant – aber mich interessieren sie nicht, denn was geht das Grünzeug mich an?“ Oder, frei nach Monty Python: „Was haben Pflanzen jemals für uns getan?“ Okay, halt Dich fest, jetzt geht’s auf eine Achterbahn, die selbst Pflanzenexperten überwältigen kann, denn wir schauen uns mal an, wie Deine Welt ohne Pflanzen aussähe:
Stell Dir einmal vor, Du sitzt an einem kleinen See nahe den Bergen auf einer Bank. Ein paar Bäume spenden Dir Schatten, die Kopfschmerzen von heute morgen sind dank einer Tablette verschwunden, die Sonne scheint und die Vögel singen. Schön, nicht? So – jetzt nehmen wir die Pflanzen weg... Erstmal wird die Landschaft ganz schön karg und ungemütlich. Nicht nur der angenehme Schatten ist weg, Du fühlst Dich gleich weniger entspannt und eher gestresst – denn Pflanzengrün hat auf uns eine beruhigende Wirkung. Deine Kopfschmerzen sind auch wieder da, denn Acetylsalicylsäure basiert – wie viele andere Wirkstoffe – auf einem Stoff aus Pflanzen. Dein Unwohlsein wird gleich noch etwas größer, denn Du bist auch nackt – egal, was Du anhattest: Baumwolle, Latex und Gummi sind Pflanzenmaterialien, zu Wolle als Tierprodukt kommen wir gleich, und Kunstfasern basieren auf Öl, das nichts anderes als verrottetes Pflanzenmaterial ist. Aber es wird noch schlimmer, denn Du bist eigentlich tot – und auch die Vögel und das Schaf von dem die Wolle kam. Denn all Deine Nahrung stammt von Pflanzen – auch dann, wenn diese zuerst an ein Tier verfüttert wurden! Aber selbst eine Diät rettet Dich nicht, denn ohne Pflanzen kein Sauerstoff – Du würdest also ersticken. Und Hautkrebs hättest Du auch, denn ohne Sauerstoff keine Ozonschicht und damit viel mehr schädliche UV-Strahlung. (Wir halten uns hier an eine breite, ökologische Definition von „Pflanze“, später schauen wir uns genauer an, was eigentlich eine Pflanze ist).
Okay, verhungert, erstickt, nackt und Krebs mit Kopfschmerzen klingt schon ziemlich katastrophal, es kommt aber noch dicker, denn jetzt geht es der Welt an den Kragen: Erstmal nehmen wir die Bank weg – Holz als pflanzlichen Werkstoff gibt es ja nicht mehr, aber auch der Eisenrahmen wäre ohne Photosynthese wohl nicht möglich, da sich Eisen wahrscheinlich erst als Erzlager abgelagert hat, als genug Sauerstoff in der Atmosphäre war. Der See ist übrigens auch weg. In Mitteleuropa entsteht etwa die Hälfte des Niederschlags über dem Atlantik und die andere Hälfte auf dem Kontinent – vor allem als Verdunstung über Pflanzen. Ohne Vegetation fließt das Wasser also einfach ab und insgesamt regnet es weniger. Als nächstes ist der Boden dran: Humus ist verrottendes Pflanzenmaterial, aber Pflanzen säuern auch aktiv den Boden an und lösen Mineralien heraus. Ach ja, und der Sauerstoff reagiert auch mit Gesteinen und zusammen mit den veränderten Regenfällen findet die ganze Erosion anders statt, die Landschaft sieht also ganz anders aus. Übrigens sind auch nicht mehr alle Steine da, denn Kalkstein wird aus Ablagerungen von Kalkschalen von Tieren und Mikroorganismen gebildet, aber ohne Sauerstoff und Pflanzennahrung gibt es davon keine oder – wenn es um Mikroorganismen geht - zumindest kaum welche. Selbst die Plattentektonik wäre etwas anders verlaufen, da die Sedimente kaum noch organisches Material enthalten und so andere Eigenschaften gehabt hätten. Bleibt noch die Luft: Ohne Sauerstoff, mit weniger Regen, dafür viel Kohlendioxid würden wir unsere Atmosphäre kaum wiedererkennen. Und es wäre auf Grund des Treibhauseffekts drückend heiß. Wir hätten noch Ozeane und Berge, unsere Erde wäre noch da, wo wir sie erwarten würden, aber wir würden sie kaum wiedererkennen.
Einmal tief durchatmen: Die Pflanzen sind noch da, die Welt ist, wie wir sie kennen. Was haben sie also für uns getan: Die Luft die wir atmen, die Nahrung die wir essen, die Kleidung, die wir tragen, die Materialien mit denen wir bauen – kurz: Die Welt in der wir leben!
Und deshalb ist die Erde der grüne Planet.
Wenn Du mir einfach ins nächste Kapitel folgst, schauen wir uns an, ob Pflanzen sich wirklich nicht bewegen. Wenn Dich gerade besonders interessiert, was Pflanzen so alles für uns tun, sind die Kapitel 10-13 in Teil 3 das richtige für Dich und wenn Dich jetzt vor allem die Frage quält, was genau Pflanzen eigentlich sind, dann schau doch mal in Kapitel 9 vorbei!

Teil 1 – Und sie bewegen sich doch! Warum Pflanzen gar nicht so still halten, wie Du vielleicht denkst...

Kapitel 1 – Wenn Pflanzen tanzen

Wenn Du beschreiben solltest, was Pflanzen ausmacht, was würde Dir als erstes einfallen? Wahrscheinlich entweder dass sie grün sind oder dass sie sich nicht bewegen. Sogar, wenn Du Botaniker sein solltest, wärst Du vielleicht einer der vielen Wissenschaftler, die ihre Veröffentlichung mit einem Satz anfangen, der ungefähr so lautet: „Plants as sessile organisms face many challenges“ (Pflanzen sehen sich als sessile Organismen vielen Herausforderungen entgegen) – wobei fairerweise gesagt werden muss, dass „sessil“ nicht unbeweglich heißt, sondern nur „an einem Ort festsitzend“, also sich nicht fortbewegend. Dass Pflanzen sich nicht bewegen, hat sich sogar in unserer Alltagssprache niedergeschlagen: Wenn ein Gast sich auf Dein Sofa pflanzt, dann ist das jemand, der hereinkommt, sich hinsetzt und dann nichts mehr tut. Und im Englischen heisst „plant“ nicht nur „Pflanze“, sondern steht auch für eine Installation, die fest an einer Stelle steht wie eine Fabrik oder ein Kraftwerk. Okay, immerhin kommt die Pflanze da nicht ganz so passiv und nutzlos weg, wie unser aufs Sofa gepflanzter Gast, aber insgesamt ist gerade das mit dem sich nicht bewegen, oder zumindest nicht fortbewegen doch ein ziemlich wichtiger Grund, warum Leute Pflanzen für eher langweilig halten. Natürlich werden wir uns noch mit ganz vielen anderen spannenden Dingen beschäftigen, aber schauen wir uns das mit dem vermeintlichen nicht-Bewegen doch mal als allererstes an, denn wenn wir genau hinschauen, stimmt das gar nicht – sogar was das Fortbewegen angeht sind manche Pflanzen regelrechte Wanderchampions, nur eben mal wieder ganz anders als wir das als Tier gewöhnt sind.
Aber fangen wir erst mal mit dem Bewegen überhaupt an. Das größte Problem beim Beobachten von Pflanzenbewegungen ist nämlich mal wieder, dass sie es anders machen, als wir es erwarten – in diesem Fall vor allem langsamer. Wir sind darauf geprägt, vor allem relativ schnelle Bewegungen wahrzunehmen, denn das sind ja Dinge, auf die wir auch schnell reagieren müssen – egal, ob es der angreifende Tiger, oder heutzutage ein näher kommendes Auto, das weglaufende Mittagessen oder ein anderer Mensch mit dem wir vielleicht irgendwie interagieren wollen ist. Langsame Dinge können wir in Ruhe anschauen und uns dann entscheiden, was wir damit tun wollen – auf einen Stuhl muss ich eben nur dann schnell mit hinsetzen reagieren, wenn ich Reise nach Jerusalem spiele und jemand anderes sich auch schnell bewegt! Pflanzen laufen aber eben keiner Beute hinterher, sie wehren ihre Feinde anders ab als wir und Reise nach Jerusalem spielen sie auch nicht – schnelle Bewegungen brauchen sie also normalerweise nicht und daher fallen uns ihre Bewegungen eben auch meist nicht auf. Wahrscheinlich kennst Du aber die beiden klassischen Beispiele für Pflanzen, die sich so schnell bewegen, dass wir das doch mitbekommen: Da wäre zum einen die Venus-Fliegenfalle, deren Blätter so schnell zuklappen können, dass sie eben sogar Fliegen fangen können (versuch das mal mit einer zuklappenden Hand!) und zum anderen die Mimose, deren Blättchen und sogar Zweige sich bei Erschütterungen einklappen können, was wahrscheinlich Fressfeinde verwirren soll. Wenn Du besonders aufmerksam beobachtest, ist Dir vielleicht auch schon eine andere Art von Bewegung aufgefallen, die zwar langsamer ist, aber trotzdem ziemlich beeindruckend sein kann: Pflanzen bewegen nämlich ihre Blätter! Viele Arten gehen abends tatsächlich in einem gewissen Sinn schlafen, indem sie die Blätter – die tagsüber zum Licht-einfangen gerade ausgestreckt waren – nachts zusammenfalten oder hängen lassen. Manche Arten machen das auch bei Trockenheit und wahrscheinlich ist das ein Schutzmechanismus, bei dem das Blatt nur dann ausgestreckt wird, wenn die Pflanze genug Licht und Wasser hat, dass es sich auch lohnt. Besonders schön kann man diese „Schlafstellung“ übrigens bei der Mimose sehen oder auch bei dem verwandten Schlafbaum (Albizia julibrissin), der sogar danach benannt ist, aber solche Bewegungen macht auch sowas alltägliches wie unsere Gartenbohne. Neben den grünen Blättern können viele Pflanzen auch ganz spezielle Blätter bewegen, nämlich die, aus denen ihre Blüten bestehen: Die meisten Blüten sind nämlich nur dann offen, wenn auch die Insekten fliegen, die sie bestäuben, und gehen zu anderen Zeiten zu, um sich vor Regen und anderen Gefahren zu schützen. Besonders auffällig ist das bei Zaunwinden, die sich jeden Abend wie eine Tüte zurollen und morgens wieder öffnen, oder auch bei Nachtkerzen, die erst abends aufgehen – wenn nämlich die Nachtschmetterlinge fliegen, die sie bestäuben. Und manche Blüten sind sogar noch raffinierter und bewegen von ihren Staubgefäßen immer nur die, die gerade reif sind in den Weg der ankommenden Insekten!
Manche Pflanzen bewegen aber auch ihre grünen Blätter besonders geschickt und auch hier ist eine bekannte Pflanze sogar danach benannt: Die Sonnenblume. Diese richtet nämlich ihre Blätter tatsächlich nach der Sonne aus – und bewegt sie nachts sogar wieder dahin zurück, wo am Morgen die Sonne aufgeht! Besonders schön kann man das in Zeitrafferaufnahmen sehen, zum Beispiel auf der Webseite http://plantsinmotion.bio.indiana.edu (Da unter „Tropisms>Sunflower solar tracking“ schauen, alle anderen Filme sind aber auch toll!).
Zeitraffer ist übrigens ein gutes Stichwort, denn mit dieser Technik – bei der Filme schneller abgespielt werden, als sie aufgenommen wurden – kann man noch viel mehr Pflanzenbewegungen sichtbar machen. Vielleicht kennst Du das auch schon aus Fernsehdokumentationen, empfehlen kann ich da „Das geheime Leben der Pflanzen (The secret life of plants)“ mit David Attenborough. Was man hier neben den Blattbewegungen beobachten kann, sind vor allem eine Menge Wachstumsbewegungen. Jetzt wirst Du vielleicht sagen „Wachstum? Das ist doch keine richtige Bewegung!“ und da hättest Du bei uns Tieren sogar irgendwie recht. Wir wachsen ja im allgemeinen nach einen ziemlich strikten Bauplan oder – wenn wir zum Beispiel zu viele Chips gegessen haben – eher unkoordiniert in die Breite. Bei Pflanzen ist das allerdings teilweise anders. Natürlich sind auch da viele Muster genetisch festgelegt – daher können wir zum Beispiel Eichen auch an ihrer Blattform erkennen – aber der Körperbau von Pflanzen ist viel flexibler als unserer. Und das gibt ihnen die Möglichkeit, viel aktiver zu Wachsen – sie entscheiden also sozusagen beim Wachsen, wohin sie wachsen – und das erinnert dann doch ganz schön an das, was wir mit unserer Bewegung machen! In den Zeitrafferfilmen sieht man dann auch, wie das funktioniert: Ein wachsender Pflanzenspross, oder auch eine Wurzel, wächst nämlich nicht einfach so geradeaus, sondern abwechselnd auf den verschiedenen Seiten schneller und langsamer, so dass die Spitze langsam herumkreist und es fast aussieht, als würden die Pflanzen tanzen. Man nennt das Circumnutation – was auf Latein ungefähr „Rundherumnicken“ heißt, die Sache also ganz gut beschreibt. Wenn unsere Pflanze jetzt auf irgendeiner Seite bessere Bedingungen vorfindet, dann kann sie ihr Wachstum so verändern, dass sie zu der Seite herüberschwingt und da hin wächst – man könnte also glatt sagen, dass Pflanzen sich beim Wachsen ihren Weg ertasten! So können Sprosse nicht nur zum Licht wachsen und Wurzeln zu Nährstoffen, sondern rankende Pflanzen können auf diese Weise mit weiten Schwingbewegungen sogar eine Stütze zum hochklettern finden – und last but not least: Manche Pflanzen finden so sogar ihre Beute! Beute? Ja, Beute: Es gibt nämlich parasitische Pflanzen, die andere Pflanzen als Unterlage finden müssen. Aber das schauen wir uns später noch genauer an, versprochen!
Übrigens brauchen wir nicht mal unbedingt Zeitrafferaufnahmen, um diese ganzen Pflanzenbewegungen beobachten zu können – wir können es auch mit viel, viel Geduld machen und eine Pflanze vor eine weiße Wand stellen und ihre Position immer wieder markieren. Wer sowas macht? Naja, jemand mit viel Geduld und unglaublich präziser Arbeitsweise, der außerdem noch genial genug ist, sowas zu versuchen und umzusetzen: Charles Darwin. Der hat nämlich 1880 sein Buch „The Power of Movement in Plants“ veröffentlicht, dessen deutscher Titel „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ leider irgendwie viel weniger beeindruckend klingt. Da Darwin jemand war, der das, was er tut, ordentlich tut, umfasst das Buch 12 Kapitel und beschreibt eigentlich schon fast alles, was ich hier erwähnt habe: Die Circumnutation und wie Pflanzen sich am Licht und der Schwerkraft orientieren, wie Kletterpflanzen ihre Rankhilfe finden und auch die Schlafbewegungen. Insgesamt ist das ein wunderbares Beispiel dafür, wie man mit einfachen, aber gut gemachten Beobachtungen ganz viel über die Welt lernen kann!
Aber kommen wir nochmal kurz darauf zurück, wie sich Pflanzen bewegen. Die Wachstumsbewegungen hatten wir ja schon erwähnt. Hier ist das Prinzip einfach, dass ein Pflanzenorgan auf einer Seite schneller wächst als auf der anderen und sich dann biegt. Das ist allerdings nicht für alle Pflanzenbewegungen die Erklärung. Bewegung durch Wachstum hat nämlich zwei große Nachteile: Zum einen ist es relativ langsam, und zum anderen verändert sich das Organ das wächst ja bei jeder Bewegung! Deshalb nutzen Pflanzen für schnelle Bewegungen wie das Zusammenklappen der Blätter bei Mimosen und Venus-Fliegenfalle noch andere Mechanismen: Bei der Mimose gibt es tatsächlich Gelenke, die so funktionieren, dass in die Zellen einer Seite Wasser gepumpt wird, so dass sie sich ausdehnen und das Gelenk so knicken. Und die Venusfliegenfalle baut ihr Blatt so, dass es unter Spannung steht und blitzschnell von geöffnet zu geschlossen umklappen kann. Solche vorgefertigten Strukturen, die dann ganz schnell ausgelöst werden können gibt es übrigens auch in vielen Früchten, zum Beispiel beim bekannten Springkraut, aber das schauen wir uns im nächsten Kapitel noch genauer an. Bei der Venusfliegenfalle ist die Schnappfalle insofern etwas besonderes, weil sie auch wieder geöffnet werden kann. Und weil die Schnappfalle zwar schnell ist, aber nicht besonders stark, kommt bei ihr noch eine Wachstumsbewegung dazu, die die Falle so richtig kräftig zupresst – ganz schön raffiniert für so eine scheinbar unbewegliche Pflanze, oder?
Okay, Pflanzen bewegen sich also ganz schön viel, wenn wir nur genau hinschauen. Aber was war jetzt mit Fortbewegung? Pflanzen sind doch festgewachsen, oder? Auch Wissenschaftler schreiben ja dauernd, dass sie sessil sind, richtig? Das schauen wir uns im nächsten Kapitel mal genauer an und oben habe ich dazu ja schon was angedeutet...
Wie gesagt, im nächsten Kapitel geht es um Fortbewegung, aber wenn Dich jetzt mehr interessiert, wie Pflanzen auf Dinge in ihrer Umwelt reagieren solltest Du zu Kapitel 4 springen und wenn Du genaueres über Photosynthese wissen willst, geht es zu Kapitel 7!

Kapitel 2 – Das Wandern ist der Pflanzen Lust, das Wa-handern

Auf Costa Rica gibt es eine Palme (Socratea exorrhiza), die auf langen stelzenartigen Wurzeln steht und bei den Einheimischen Wanderpalme genannt wird. Es heißt, dass diese Palmen sich mit Hilfe ihrer Wurzeln mehrere Zentimeter am Tag bewegen können, um zum Beispiel aus dem Schatten von anderen Bäumen heraus zu wandern. Sie wären also so etwas wie ganz langsame Verwandte der Ents aus dem Herrn der Ringe. Auch wenn Dir das erstmal ziemlich absurd vorkommt, so völlig abwegig ist es gar nicht: Wir haben ja schon von beweglichen Pflanzenorganen gehört und eines, das ich noch nicht erwähnt hatte, sind die sogenannten „Zugwurzeln“ - das sind Wurzeln, die sich tatsächlich zusammenziehen können, und so zum Beispiel Zwiebeln ermöglichen, sich tiefer in die Erde zu ziehen. Das ist ziemlich praktisch, wenn eine Pflanze an der Erdoberfläche keimt, den kalten Winter aber mit ihren empfindlichsten Teilen viel lieber in der Erde verbringen möchte! (Okay, bevor das jemand falsch versteht: Die Pflanze möchte gar nichts, aber die Pflanzen, die das konnten, haben besser überlebt und sich durchgesetzt, daher können Zwiebeln heute etwas, das sie möchten würden, wenn sie etwas möchten könnten... Naja, auf das Thema kommen wir wohl auch besser später nochmal zurück) Wie ist das jetzt bei unserer Wanderpalme? Kann die tatsächlich Wurzeln in alle Richtungen ausstrecken und sich dann dahin ziehen, wo es sich besser wachsen lässt? Dazu gibt es tatsächlich wissenschaftliche Arbeiten und die Antwort lautet – Trommelwirbel – Nein! Wahrscheinlich sind die Stelzwurzeln einfach dazu da, die Palme besser im schlammigen Boden zu verankern und mit den Wurzeln besser an Luft zu kommen, als das sonst im Schlick möglich wäre.
Okay, das ist jetzt vielleicht ein bisschen enttäuschend, gerade als Einleitung zu einem Kapitel darüber, wie Pflanzen wandern. Aber die Geschichte zeigt einfach mal wieder sehr schön, wie leicht wir Pflanzen falsch verstehen: Wir sehen Stelzen, denken Beine und erwarten Herumgelaufe. Dabei wandern Pflanzen ganz anders, und wir müssen sozusagen mental nochmal ganz von vorne anfangen. Und wenn wir ganz von vorne anfangen, können wir ja mal mit den ersten Pflanzen anfangen. (Versprochen, wir reden nochmal genauer darüber, was Pflanzen eigentlich sind) Wenn Du sagen solltest, wie Du Dir die allerersten Pflanzen vorstellst, dann wäre Herumwandern sicher keine Eigenschaft, die weit oben auf der Liste steht, immerhin ist Herumstehen doch viel simpler als Herumlaufen und damit sollte es dann ja auch anfangen, oder? Dann solltest Du mal in unseren Biowissenschaften-Grundkurs kommen, da schauen wir nämlich die einzellige Grünalge Chlamydomonas an – von ihren Fans liebevoll „Chlamy“ genannt und nicht näher mit den krankheitserregenden Chlamydien verwandt, die vielen Leuten bei dem Namen sofort einfallen. Und Chlamy bewegt sich. Und nicht nur ein bisschen! Tatsächlich wuseln die kleinen Biester so flott herum, dass man erstmal nur einen huschenden grünen Fleck erkennt. Und die armen Studierenden müssen sich ganz schön abmühen, mal eine Zelle zu finden, die lange genug still hält, um irgendwelche Details zu erkennen. Chlamy schwimmt mit zwei Geißeln, das sind lange Fäden, die wie ein Mittelding aus Ruder und Propeller funktionieren und die kleinen Algen durchs Wasser befördern. Tatsächlich schwimmen viele Algen, nicht nur Einzeller. Vielleicht hast Du schon einmal von Volvox gehört, das sind kugelige Algen aus vielen Zellen, die eher etwas plump durchs Wasser taumeln und in sich kleinere Kugeln tragen, die ihre Nachkommen sind. Und warum schwimmen all diese Algen aktiv herum? Wahrscheinlich aus den gleichen Gründen, aus denen sich Tiere bewegen: Feinden entkommen und vor allem Nahrung finden – das heißt für Algen: zum Licht schwimmen!
Aber natürlich bewegen sich nicht alle Algen. Tatsächlich sind die, die Du mit bloßem Auge sehen kannst und vielleicht vom Strand kennst, eigentlich alle festgewachsen. Und jetzt kommen wir zur eigentlich spannenden Frage: Warum sind Pflanzen eigentlich festgewachsen? Vor allem, wenn ihre Vorfahren doch beweglich waren? Ist festgewachsen sein vielleicht sogar besser als herumschwimmen? Das ist wieder etwas, was uns als Tier ein bisschen schwer fällt, zu begreifen: Immerhin dürften selbst die faulsten Sofasitzer unter uns ganz froh sein, zum Kühlschrank oder zum Klo laufen zu können, auch wenn ihnen die energiesparenden Vorteile von viel Herumsitzen mehr als bewusst sind.
Aber schauen wir uns die Vorteile von Fortbewegungsfähigkeit mal ein bisschen genauer an: Da ist einmal das Nahrung finden – das ist für einzellige Algen offensichtlich ziemlich wichtig. Größere Pflanzen können sich aber so verankern und zum Licht wachsen, dass das weitgehend wegfällt. Auf der anderen Seite wäre das Weglaufen vor Gefahren – ziemlich praktisch, ja, aber wie jeder aus schlechten (oder guten) Actionfilmen weiß: Weglaufen klappt nicht immer und wer gut einstecken oder gar zurückschlagen kann, überlebt auch. Und Pflanzen sind vielleicht die besten Einstecken-Könner der Welt – auch das werden wir uns nochmal genauer anschauen. Dann gibt es noch ein paar andere schöne Sachen, bei denen Fortbewegung helfen kann, sowas wie Partnersuche oder nicht da hin kacken wo man isst – das erste lösen Pflanzen aber anders und das zweite ist bei einem Lebewesen, das seine Nahrung selbst herstellt und daher kaum Abfälle produziert auch kein Problem (Und ja, über beides reden wir noch). Die Vorteile vom Herumwandern sind also für Pflanzen viel geringer als für Tiere, aber nur weil etwas weniger Vorteile hat, muss man es ja noch lange nicht aufgeben. Wie sieht es also mit Nachteilen von Fortbewegung aus? Unsere Sofasitzer haben ja schon festgestellt, dass Bewegung anstrengend ist, also Energie braucht. Aber wir brauchen nicht nur Energie, um uns zu bewegen, wir müssen ja auch erstmal Beine bauen, ein Skelett, das in verschiedenen Körperhaltungen funktioniert, und ein Gehirn, das das alles steuert! Und wenn man sich all das sparen kann, dann kann man die gesparte Energie in was anderes stecken, zum Beispiel Verteidigung, oder Fortpflanzung! Und mehr Energie für Fortpflanzung ist im evolutionären Wettrennen immer ein echter Vorteil. Außerdem kann man seinen Körper viel flexibler gestalten, wenn er nicht herumlaufen muss, also Organe einfach dahin setzen, wo gerade Platz ist – und sogar neue bilden als Vorrat oder Ersatz bei Verletzungen, womit wir wieder beim besseren Einstecken-Können sind: Ein Tier mit einem gebrochenen Bein hat ein Riesenproblem, eine Pflanze mit einem geknickten Zweig ein viel kleineres!
So, vielleicht hast Du im Kopf ein bisschen mitgerechnet und bist immer noch nicht ganz überzeugt davon, dass Festgewachsen sein für Pflanzen tatsächlich praktischer ist, als herumlaufen zu können. Aber einen Trumpf haben wir noch: Wo ich festgewachsen bin, da kommt niemand sonst hin! Klingt gar nicht so beeindruckend? Naja, jetzt denk mal an all die netten Tierdokus im Fernsehen und daran, was für einen Aufwand Tiere betreiben, ihr Revier zu markieren und zu verteidigen. Pflanzen sind ihr Revier! Wer festgewachsen ist und den zum Leben nötigen Raum durchwächst, ist nie gerade woanders, wenn jemand anderes versucht, ins Revier einzudringen. Ein festgewachsenes Lebewesen kann sich sozusagen wie eine Burg an den besten Platz setzen und alle anderen alt aussehen lassen. Und genau das machen übrigens nicht nur Pflanzen, sondern auch viele sessile Tiere wie Schwämme, Korallen oder Seepocken.
Aber Moment! Sagst Du jetzt vielleicht. Denn erstens klappt das ja alles nur, wenn wir an einem guten Platz sitzen und außerdem sollte es in diesem Kapitel doch darum gehen, wie Pflanzen wandern, nicht darum, warum sie es nicht tun! Und Du hast Recht, mit beiden Punkten. Der Knackpunkt ist nämlich der: Festgewachsen sein ist dann von Vorteil, wenn man sich an einer Stelle auf das konzentrieren kann, was man am besten kann – aber man muss erst mal hinkommen. Und das ist etwas, das Pflanzen tatsächlich hervorragend können! Aber fangen wir wieder am Anfang an – diesmal nicht bei Algen, sondern bei den ersten Pflanzen, die wirklich an Land gekrochen sind.
Gekrochen? Ja, gekrochen! Die ersten echten Landpflanzen konnten kriechen – und das geht so: Man wächst mit einem Spross am Boden lang und kommt so langsam voran. Und an jeder guten Stelle streckt man einen Seitenspross nach oben und ein paar Würzelchen nach unten. Das ist zwar langsam – das schnelle Schwimmen mit den Geißeln funktioniert an Land einfach nicht – aber es ist ein ziemlich guter Trick! Man kann so nämlich an einer Stelle keimen – zum Beispiel in einem flachen Tümpel – und dann dahin kriechen, wo man viel Licht und Mineralien im Boden hat und hoch wachsen. Und später wandert man einfach weiter und wächst wieder hoch. Und bald ist man ein kleiner Wald und alle Pflänzchen sind verbunden und können sogar das an Wasser oder Mineralien teilen, was an der einen oder andere Stelle fehlt! Ziemlich praktisch, oder? Das beste aus zwei Welten: Festgewachsen und wandernd. Tatsächlich machen das heute immer noch eine ganze Menge Pflanzen so, zum Beispiel viele Gräser, aber sogar Palmen – nicht die ganz großen, einzeln stehenden, aber ist Dir schon mal aufgefallen, dass kleinere Palmenarten meist in Gruppen wachsen? Das sind echte herumkriechende Bäume – auch wenn jeder einzelne Stamm an seiner Stelle bleibt! Viele Bambusarten können das mit dem Herumkriechen sogar so gut, dass man im Garten sogenannte „Wurzelsperren“ um sie herum im Boden einbaut, damit sie nicht überall hin wandern und den ganzen Garten überwuchern – auch wenn beim Bambus eigentlich ja Sprosse kriechen und keine Wurzeln. Da viele Pflanzen aber auch aus Wuzeln, sogar oft aus kleinen Stückchen, neue Sprosse bilden können, ist der Begriff Wurzelsperre auch nicht verkehrt, den über Wurzeln wandernde Pflanzen hält sie schließlich auch auf.
Neben solchen am oder im Boden kriechenden Sprossen gibt es auch solche, die sich über der Erde bewegen, vielleicht kennst Du das von Erdbeeren oder auch von der Grünlilie im Blumentopf. Hier streckt sich jeweils ein langer Seitenspross zur Seite und bildet dann in einiger Entfernung von der Mutterpflanze neue Blätter und Wurzeln und damit ein vollständiges neues Pflänzchen, das man dann einen Ableger nennt. Das macht es auch etwas schwierig, bei Pflanzen von Individuen zu reden, denn wenn man den verbindenden Spross durchschneidet, wachsen beide Pflanzen weiter, vorher tauschen sie aber Stoffe und Signale aus, sind also irgendwie auch ein Lebewesen. Der Biologe spricht bei solchen genetisch identischen aber einzeln lebensfähigen Einheiten dann von Klonen – wenn das nächste Mal der Bambus des Nachbarn in Deinen Garten hineinwuchert, kannst Du das also guten Gewissens „Angriff der Klonkrieger“ nennen.
Ein Meister dieser Art des pflanzlichen Wanderns ist übrigens ein Baum namens „Pando“, eine amerikanische Zitterpappel (Populus tremuloides), und wächst in Utah in den Vereinigten Staaten. Wobei man Pando auf den ersten Blick wohl eher einen Wald nennen würde, denn er (Und wirklich ein „er“, Zitterpappeln haben ein eindeutiges Geschlecht) hat fast 50.000 Stämme, wächst auf einer Fläche von über 45 Hektar und wiegt 6.000 Tonnen! Soviel dazu, wie man ein Revier erkämpft! Leider scheint Pando, dessen Wurzelsystem wohl 80.000 Jahre alt ist, zu sterben, es wachsen nämlich kaum mehr neue Sprosse – wohl wegen menschlicher Einflüsse, vor allem weil die künstlich hochgehaltene Population von Kühen und Hirschen seine Sprösslinge abweiden. Der Spitzname „trembling giant“ (Der zitternde Riese) ist also ganz passend, denn zur Zeit muss er darum zittern, ob die geplanten Schutzmaßnahmen ihn retten können.
Manche Pflanzen wandern mit Ablegern übrigens auch noch raffinierter, nämlich ganz ohne Verbindung – das bekannteste Beispiel hier sind manche Kalanchoe-Arten, die Du vielleicht als Topfpflanzen kennst. Hier bilden sich an den gezackten Blatträndern viele kleine Tochterpflänzchen, die sogenannten „Kindel“, die dann abfallen und herum rollen, bis sie irgendwo wieder anwachsen. Wenn Du jemals so eine Pflanze auf dem Fensterbrett hattest, weißt Du, wie einfach die Pflänzchen in jeden benachbarten Blumentopf kommen!
Aber all das Herumgekrieche und mit Kindeln um sich werfen macht Pflanzen noch nicht zu wirklichen Wandermeistern – am besten wandern sie nämlich gar nicht wenn sie wachsen, sondern wenn sie nicht wachsen. Wie das funktioniert ist aber ein Thema für ein ganz eigenes Kapitel!
Okay, im nächsten Kapitel geht es also um richtig weites Wandern, aber wenn Dich jetzt die Frage quält, was Pflanzen zu so guten Einsteckern macht und wie sie sich überhaupt verteidigen, dann ist Kapitel 6 für Dich da.

Kapitel 3 – Baby, Du musst hier weg!

Kennst Du das Märchen vom kleinen Häwwelmann? Wenn nicht, dann hier eine ganz kurze Zusammenfassung: Ein kleiner Junge will noch nicht schlafen, baut sich an sein Babybettchen ein Segel und reist damit durch die Welt. Klassischer ist die Geschichte von Moses, der als Baby im Weidenkörbchen den Nil herunterfährt und moderner die von Superman, der als Baby in einer Raumkapsel zur Erde fliegt. Kleine Kinder, die im Schlaf weite, gefährliche Reisen machen, das sind für uns skurrile Geschichten, ein Löwenzahn oder eine Kokospalme würden daran aber gar nichts besonderes sehen, denn genau so machen Pfanzen ihre größten Reisen!
Okay, wir haben uns ja schon angeschaut, wie Pflanzen sich bewegen können. Aber für wirklich weite Reisen ist so ein Pflanzenkörper eben einfach nicht geeignet, also braucht es dafür einen Trick – und der ist ganz einfach, nicht dann zu reisen, wenn man eine große, verwurzelte Pflanze ist, sondern davor – als Baby. Für die allerersten Pflanzen hieß das einfach: Sporen, also einzelne Zellen, produzieren und treiben lassen – als Alge im Wasser, als Moos oder Farn im Wind. Das ist vielleicht nicht die netteste Art, mit seinen Kindern umzugehen, aber sie kommen ganz schön herum und können dann an vielen schönen neuen Orten keimen, vor allem, wenn man sie von einem möglichst hohen Ort loslässt. Tatsächlich sind die ersten richtig großen Pflanzen, die „Sporenbäume“ des Erdaltertums wahrscheinlich gerade deshalb so groß geworden, damit sie ihre Sporen besonders weit verbreiten konnten – andere große Pflanzen, über die man hinauswachsen müsste, gab es ja noch gar nicht. Und natürlich schmeißen gute Eltern ihre Kleinen nicht völlig schutzlos vor die Tür: wer rausgeht, zieht sich etwas ordentliches an. Und bei den Sporen von Landpflanzen ist das ein Mantel aus Sporopollenin. Und Sporopollenin ist ein richtig toughes Zeug: Einzelne fossile Sporen findet man sogar in Gesteinen, die schon einmal geschmolzen waren! Stell Dir den Held in einem Actionfilm vor, der in Lava fällt und... na gut, er stirbt, aber seine Rüstung bleibt ganz! In sowas lässt sich dann doch ganz gut im Wind herumtreiben, bis man mal an einen guten Ort zum Keimen kommt.
Aber wie bei Autositzen und Kinderwagen: Für die Sicherheit von Babys ist nur das beste gut genug und so hat die Evolution später auch etwas noch besseres hervorgebracht: Samen. Bei den Samenpflanzen wird keine einzelne Zelle auf Reisen geschickt, sondern eine ganze, winzig kleine Pflanze – mit einem Würzelchen, ein bisschen Spross und mindestens zwei Blättern. Dieser kleine Pflanzenembryo ruht sich dann erst mal aus, wächst nicht mehr weiter und wartet ab, was kommt. Das ganze wird mit einem Carepaket – einem Nährgewebe das Botaniker „Endosperm“ nennen und gut verpackt in eine Samenschale ausgestattet und es geht auf die Reise. Das erinnert jetzt schon fast an Moses in seinem Weidenkörbchen und so ausgestattet können die kleinen Pflänzchen sogar mit einem richtig guten Start ins Leben rechnen und haben auch an ungünstigeren Stellen eine gute Chance zu keimen. Es geht aber noch besser, und zwar wenn wir zu den Blütenpflanzen kommen, die ihre Samen nicht nur in Blüten bilden, sondern aus diesen Blüten dann später Früchte bilden. Und Früchte, das sind jetzt die Raumkapseln wie bei Baby Superman, die die wirklich spektakulären Reisen möglich machen!
Da gibt es grandiose Flieger. Bei manchen sitzen Flügelchen direkt an den Samen – am spektakulärsten vielleicht bei der Javagurke (Alsomitra macrocarpa) aus dem südostasiatischen Regenwald, deren Samen richtige Tragflächen mit bis zu 14 cm Spannweite haben und damit über weite Strecken segeln können. Andere Pflanzen bauen mit ihren Früchten noch bessere Fluggeräte für ihre Samen: Du kennst sicher die Flügel an Ahornsamen oder auch die Fallschirme vom Löwenzahn, der bekannten Pusteblume. Manche so ausgestattete Samen können sich über viele Kilometer bewegen!
Aber es geht nicht nur mit dem Wind. Kokosnüsse schwimmen auf dem Wasser und können so ganze Meere überqueren und geben ihren Babys sogar das Süßwasser mitgibt, um an einem Sandstrand zu keimen! Raffiniert ist auch die Lotusblume, deren Blütenmitte wie ein Duschkopf aussieht und später abfällt, um wie ein Boot mit den Öffnungen nach unten herumzutreiben, wobei die Samen dann herausfallen, wenn ihr Boot wackelt – der Lotus sät seine Samen also selbst entlang von Gewässern aus! Manche Pflanzen nutzen auch Wind und Wasser wie die Taubenkropfnelke, deren Kelch eine Art Ballon um die Blüte herum bildet, der dann mit Wind und Wasser herumrollen und -schwimmen kann, wobei die Samen herauspurzeln. Mit der ganzen Pflanze machen das übrigens die aus Westernfilmen bekannten „Steppenroller“, bei denen sich ein ganzer Strauch zusammenrollt und, seine Samen verteilend, durch die Gegend rollt – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass es solche Steppenroller im Nordamerika des Wilden Westens gar nicht gibt...
Wer seine Samen aber nicht Wind und Wasser anvertrauen will, kann auch Babysitter anstellen. Okay, eher Tiere als eine Art Postboten. Dazu baut man an seine Samen oder darum herum eine leckere Frucht und lässt Tiere die Kerne und Samen entweder ausspucken oder später mit dem Kot verteilen. Deshalb machen sich übrigens Spatzen über Pferdeäpfel her – da sind noch eine ganze Menge Samen drin! Und wenn Dich Deine Eltern früher davor gewarnt haben, dass die prächtigen roten Beeren an manchen Büschen so gar nichts für Dich sind weil sie Bauchschmerzen machen, dann ist das oft der Fall, weil diese Früchte nicht von Säugetieren wie uns, sondern von Vögeln verbreitet werden – die kommen schließlich mit am weitesten herum. Über Tiere verbreiten sich auch die Samen von fast allen Pflanzen, die wir als Obst kennen – Äpfel, Beeren, Mangos und so weiter – auch wenn eine Nutzpflanze zu werden und Menschen den Job machen lassen natürlich eine relativ moderne Entwicklung ist.
Die spektakulärsten Samenverbreiter sind aber vielleicht die Pflanzen, die sich weder auf Wind und Wasser, noch auf Tiere verlassen, sondern selbst dafür sorgen, dass Ihre Samen herumkommen. Das geht eher unspektakulär, wenn man wie die Erdnuss seine Früchte einfach per wachsensdem Spross in die Erde schiebt (Ja, genau deshalb heisst die „Erdnuss“!). Schon spassiger ist es zum Beispiel beim Storchschnabel, der in der Blütenmitte einen langen Schnabel bildet, in dem Fasern verlaufen, die unter Spannung stehen und irgendwann die Samen am Boden der Blüte herausreißen und wie ein Katapult wegschleudern. Dann gibt es Pflanzen, die so viel Spannung und Druck aufbauen, dass es ihre Früchte regelrecht zerreißt und die Samen herumschleudert – Du kennst sicher Springkraut, aber wenn Du die Chance hast, Dir einmal eine Exkplodiergurke anzuschauen, dann wirst Du sehen, was da noch möglich ist, die schleudert ihre Samen meterweit und spritzt umstehende Personen nass, obwohl ihre Früchte nur etwa so groß wie ein Daumenglied sind. Und dann gibt es da auch noch die Spritzgurke. Deren Frucht sieht aus wie eine kleine Gewürzgurke und hngt an einem Stiel, steht aber so unter Druck, dass sie sich irgendwann losreißt und nach vorne schießt, wobei hinten die Samen bis zu 12 Meter weit herausspritzen – wieso das Ding nicht in irgendeiner Kultur als Fruchtbarkeitssymbol gilt, verstehe ich bis heute nicht!
Pflanzen können also tatsächlich wandern, aber sie machen es nicht wie Tiere, sondern sie haben ihr Leben in eine wandernde Phase, in der sie sonst nicht viel tun und eine sonst aktive aber fest verwurzelte Phase geteilt – und das ist offensichtlich eine erfolgreiche Lebensweise. Beim Wandern haben Pflanzen gegenüber Tieren sogar einen großen Vorteil: Sie müssen nur irgendwo ankommen, die Nahrung produzieren sie dort dann selbst. Über lange Zeiträume wandern Pflanzen daher auch schneller und die Tierarten kommen ihnen hinterher. Nach den Eiszeiten sind verschiedene Bäume so, langsam aber unaufhaltsam, 100 bis 500 Meter pro Jahr wieder nach Europa eingewandert.
Samen sind aber nicht nur gut darin, durch den Raum zu wandern, da sie so haltbar sind, erlauben sie Pflanzen sogar eine Wanderung durch die Zeit, die kaum anderen Lebewesen offen steht. Samen können Kälte und Trockenheit überdauern und oft sogar Brände. Und da bei vielen Pflanzen nicht alle Samen in einem Jahr keimen, ruhen im Boden immer viele Pflanzenembryos, die auf bessere Zeiten warten. Deshalb können im Wald viele Kräuter schnell eine Lichtung besiedeln, wenn ein Baum umfällt, Wälder nach Bränden nachwachsen und Unkräuter im Garten immer wieder hochkommen. Insgesamt macht die sogenannte „Samenbank“ im Boden Pflanzen sogar so gut dazu in der Lage, Katastrophen zu überdauern, dass es in der Paläobotanik, also der Geschichte der Pflanzen über die Erdzeitalter, fast keine Massenaussterben gibt, wie sie Tiere immer wieder erwischt haben. Wenn ein Meteorit einschlägt und die Erdoberfläche verwüstet? Naja, dann keimen wir halt in ein, zwei Jahren und hey, die doofen Viecher, die uns immer abkauen sind alle tot, prima!
Pflanzen sind also gar nicht so unbeweglich – wenn man genau hinschaut, sind sie tanzende, kriechende Wesen, die als Babys abenteuerliche Welt- und Zeitreisen unternehmen! Und doch fehlt uns noch eine Art, wie Pflanzen wandern: Wie sie zusammenkommen! Aber das führt uns schon zum nächsten Teil unserer Reise.
Wenn Du wissen willst, wie eine Pflanze zur anderen kommt, lies einfach weiter. Wenn Dich brennend interessiert, wie Samen entscheiden, ob sie keimen oder nicht ist Kapitel 5 das richtige für Dich. Und wenn Du mehr darüber wissen willst, was Pflanzen so tough macht, schau doch mal in kapitel 6 vorbei!




Teil 2 – Wie lebt es sich eigentlich so als Grünzeug?

Kapitel 4 – Von Blümchen und Bienchen... und rüpeligen Käfern und babymordenden Pflanzen

Kapitel 5 – Entscheidungen, Entscheidungen, Entscheidungen

Kapitel 6 – Kung Fu Blümchenstil – Wie Du Kämpfe gewinnst und alle Dich immernoch friedlich nennen

Kapitel 7 – Photosynthese kann man schlecht erklären

Kapitel 8 – Bewusstsein wird überbewertet!

Kapitel 9 – Und was genau sind jetzt eigentlich Pflanzen?

Teil 3 – Die Pflanze und Du

Kapitel 10 – Zehn Pflanzen, die die Welt ernähren

Kapitel 11 – Von Genen, Glyphosat und Bioindustrie – eine kleine Geschichte der Landwirtschaft

Kapitel 12 – Von Heilern, High-Machern und Killern

Kapitel 13 – Kann Botanik die Welt erklären und sogar retten?



Mittwoch, 26. Juni 2019

Wie war das eigentlich nochmal mit der Hitze?

Kretische Mauereidechse beim Sonnen
Zur Zeit ist es ja mal wieder recht warm und wir alle bemerken, dass das mit uns verschiedene Dinge anstellt. Aber was passiert eigentlich in unserem Körper, wenn es heiss ist? Nun grundsätzlich sind wir ja als Säugetiere sogenannte endotherme Lebwesen, das heisst, unser Körper regelt seine Temperatur von Innen selbst auf gemütliche 36-37°C bei denen die meisten Prozesse in uns optimal laufen - nicht zu langsam, nicht zu schnell und gut aufeinander abgestimmt. Exotherme Tiere wie z.B. Eidechsen dagegen erhalten ihre Körpertemperatur vorwiegend von außen und sind daher bei Kälte träge und bei Wärme stärker aktiv. Wird es zu warm, dann wird es aber gefährlich, da ab etwas über 40°C Proteine denaturieren, also nicht mehr funktionieren, und dann im Körper alles mögliche nicht  mehr funktioniert, im schlimmsten Fall bis zum Tod. Eidechsen sonnen sich daher morgens, gehen in der Mittagshitze aber in den Schatten - und bis zu einem gewissen Grad machen wir ähnliches ja auch, um unserem Körper zu helfen - zumindest, wenn wir schlau sind, als Touristen vergessen wir das machmal...
Aber wie können wir unsere Temperatur jetzt eigentlich so viel genauer konstant halten als unsere Eidechse? Meistens heisst das vor allem Wärme erzeugen - was wir mit unserem Stoffwechsel und unseren Muskeln machen - und speichern - wobei uns unser Unterhautfettgewebe als Isolator hilft. Das ist übrigens auch ein Grund, warum Männer - die mehr Muskelmasse haben - weniger schnell frieren und Frauen ihr Leistungsoptimum bei etwas höheren Temperaturen erreichen. (Über den anderen Grund, die Körpergröße, reden wir gleich noch!) Und das ist auch der Grund, warum Sport in der Mittagshitze keine gute Idee ist, da wir unseren Körper damit schnell überlasten können und Trägheit in der Hitze tatsächlich ein sinnvolles Verhalten ist - ein Freibrief für "Schlaffis" ist das aber auch nicht, denn mehr Fett isoliert eben auch besser und wie wir gleich sehen werden, ist Kühlung eine große Leistung unseres Körpers und die funktioniert bei einem gewissen Trainigsstand halt auch besser.
Afrikanischer Steppenelefant im Tierpark Berlin mit großen, coolen Ohren!
Okay, damit sind wir auch schon beim nächsten Schritt: Kühlung! Denn ziemlich schnell reicht in den Schatten gehen und sich wenig bewegen nicht mehr, um ein Überhitzen unseres Körpers zu verhindern. Der einfachste Mechanismus zur Kühlung ist dabei, den Wärmeaustausch unseres Körpers zu verbessern - oder einfach gesagt: Mehr Wärme an die Oberfläche zu lassen. Und wie geht das? ganz einfach: Wir weiten unsere Gefäße, so dass mehr Blut unter die Haut strömt und sich da abkühlen kann. Das erkennt man schön daran, dass wir etwas rot werden und eventuell unsere Finger und Zehen anschwellen - letzteres vor allem, wenn unser Kreislauf nicht allzu gut funktioniert, zum Beispiel weil wir alt oder unfit sind, oder weil er mit anderen Hochleistungen wie körperlicher Tätigkeit oder gar Schwangerschaft sowieso schon an der Leistungsgrenze ist! Das erklärt übrigens auch das Phänomen des "Sommerpenis", der immer wieder mal durch die Sommerlochpresse geistert - der schwillt halt auch etwas an und wirkt dann größer, aber halt nur im Ruhezustand, mit Blut vollgepumpt ist er wie sonst auch - wenn der Kreislauf das bei der Hitze hinbekommt...
Braunrückentukan im Zoo Basel mit coolem großen Schnabel!
Wir können unseren Wärmeaustausch übrigens noch verbessern, wenn wir unsere exponierte Oberfläche vergrößern - also weniger Kleidung tragen und unsere Arme und Beine vom Körper strecken - so schlafen wir ja im Hochsommer alle! Was auch hilft, ist klein und/oder schlank zu sein, da wir dann mehr Oberfläche pro Körpervolumen zur Verfügung haben - da sind Frauen und vor allem Kinder dann gegenüber Männern im Vorteil - erfrieren aber im Kalten halt auch schneller... Manche Tiere haben das Prinzip sogar noch durch großflächige Körperanhänge optimiert, zum Beispiel afrikanische Elefanten mit ihren Ohren oder Tukane mit ihrem Schnabel, die beide den Wärmeaustausch nachweislich fördern!
Da Wärmeaustausch eine ganz schöne Belastung für den Kreislauf darstellt, ist es übrigens keine gute Idee, letzteren bei Hitze noch besonders zu fordern. Körperliche Tätigkeit ist da eine Sache, die man nicht übertreiben sollte, Koffein und Alkohol sind aber auch keine gute Idee: Koffein treibt den Kreislauf zusätzlich an, macht uns eventuell noch aktiver und lässt uns so wärmer zurück. Alkohol erzeugt ein Gefühl der Wärme und weitet die Gefäße, wodurch das Herz noch mehr Pumpen muss - beides bringt also unsere Wärmeregulation durcheinander, wenn sie sowieso schon hart arbeitet. Nebenbei: Alkohol ist deshalb auch zum Aufwärmen keine gute Idee: Geweitete Gefäße führen ja letztendlich zu mehr Wärmeverlust und schnellerem Erfrieren. Der apres-Ski-Drink abends in der warmen Stube dagegen ist kein großes Problem. Viel und schwer Essen ist übrigens für den Körper auch eine Anstrengung und bei Hitze keine gute Idee - Suppe oder Salat sind als leicht verdauliche, wasser- und mineralienreiche Nahrungsmittel dagegen fast ideal!
Hechelnder Haushund in Mexiko
Wer jetzt mitgedacht hat - ich weiß, das ist bei den Temperaturen schwierig - hat vielleicht schon gemerkt, dass das mit dem Blut an der Oberfläche abkühlen nur gut geht, solange es draußen noch nicht zu warm ist. Tatsächlich ist es alleine auch ziemlich wenig effizient, wir würden damit also schon bei eigentlich ganz angenehmen Temperaturen überhitzen. Also brauchen wir mehr Kühlleitung und die bringt uns Verdundtung! Wenn Wasser verdunstet braucht das nämlich eine ganze Menge Energie - im flüssigen Zustand halten die Wassermoleküle nämlich recht eng zusammen und um Wasser zu einem gas zu machen, müssen wir alle diese Verbindungen aufbrechen. Und die Energie dafür kommt praktischer Weise aus Wärme - wenn Wasser verdunstet, wird es also kühl! Und woher bekommen wir Wasser zum Verdunsten? Am einfachsten tatsächlich aus der Atmung - unsere Schleimhäute in der Lunge verlieren nämlich an die Luft Wasser, so dass unser Atem feucht ist - das erzeugt bei Kälte die Dampfwolken und erlaubt uns, Sachen anzuhauchen.Wenn wir die Kühlung über die Atmung noch verbessern wollen, dann atmen wir schnell und flach, so dass die Luft öfter über die Schleimhäute streicht und wir sind beim Hecheln, das wir von Hunden kennen - aber auch von uns, wenn wir uns nach größeren Anstrengungen schnell herunterkühlen müssen. Ein großer Nachteil ist aber, dass Hecheln und aktiv sein schlecht funktioniert, wir können also Laufen oder Schnaufen. Vielleicht gibt es also noch was besseres? Etwas, das mehr Oberfläche nutzt, das sich feiner regulieren lässt und weniger mit unserer Leistungsfähigkeit interferiert? Und ja, das gibt es: Schwitzen!
Homo sapiens - Weltmeister im Schwitzen!
Schwitzen ist vielleicht das non-plus-ultra der Kühlung: Hier wird die Verdunstungskälte mit dem Wärmeaustausch an der Körperoberfläche kombiniert und wir erreichen eine gewaltige Kühlleistung - solange wir genug Wasser zur Verfügung haben und der Schweiß tatsächlich verdunsten kann! Daher ist es wichtig dass wir bei Hitze genug trinken, sonst verdickt sich das Blut und für unser herz wird es noch anstrengender. Am besten trinken wir tatsächlich Wasser, ohne Koffein oder Alkohol - wie besprochen - und ohne Zucker, der nämlich Wasser bindet und uns sogar durstiger machen kann - und dick, was ja auch nicht von Vorteil war... Mineralien zu ergänzen, vor allem Calcium und Magnesium ist allerdings oft sinnvoll, da diese mit Schweiß - im Gegensatz zum Hecheln - auch verloren gehen. Kochsalz haben wir durch unsere Nahrung meist genug, bei viel Wasserverlust kann aber auch das sinnvoll sein. 2-3 Liter Wasser am Tag wären gut, bei körperlicher Aktivität oder extremer Hitze entsprechend mehr. Zu viel, vor allem zu schnell, kann aber auch Probleme bereiten, da unser Körper nicht unbegrenzt Wasser aufnehmen und sinnvoll verwerten kann - wer zu viel trinkt, muss erst dauernd aufs Klo, bekommt dann Schweißausbrüche und eventuell Kreislaufschwierigkeiten, wenn er das Wasser nicht sinnvoll abgeben kann - gerade alte Menschen oder andere mit eingeschränkter Nierenfunktion müssen hier ein bisschen vorsichtig sein. Ach, und richtig kalte Getränke sind zwar manchmal angenehm, aber gerade schnell getrunken für unseren Körper ein ziemlicher Schock, der dann den kreislauf anregt, um den Magen wieder aufzuwärmen... Cocktails also lieber langsam genießen, wenn wir sonst schon genung getrunken haben!
Schwitzen wie ein Schwein? Jein, durch den Schlamm...
Das andere Problem beim Schwitzen kann sein, dass das Wasser auch wirklich verdunsten muss - Schweiß, der als Tropfen herabläuft, hat fast keine Kühlwirkung - das ist in Körperfalten wie z.B. den Achseln oder bei Frauen unter der Brust vielleicht unangenehm, wenn wir großflächig zu dick bekleidet sind, oder wenn die Luftfeuchtigkeit so hoch und die Luft so unbewegt ist, dass die Verdunstung eingeschränkt wird, dann wird es unangenehm - daher hängen die gefühlten temperaturen ja auch von Luftfeuchtigkeit, Wind und Sonneneinstrahlung ab!
Wie schitzt eigentlich ein Storch?
Wenn Schwitzen aber funktioniert, dann wirkt es wahre Wunder und so sind die Tiere die am besten Schwitzen können, wie Menschen oder Pferde, auch die ausdauerndsten Läufer - der Mensch mit seiner nackten Haut sogar einer der ausdauerndsten Läufer überhaupt - einen Hund können wir bei Sommerhitze sogar zu Tode hetzen, der kann nämlich fast nur an den Pfoten schwitzen! Andere Tiere ohne Schweißdrüsen behelfen sich durch wühlen im Schlamm wie Schweine, Belecken des Fells und manche Vogelarten wie der Storch Koten zur Kühlung auf die Beine - wenn ihr Euch also das nächste Mal ärgert, dass ihr schwitzt, denkt dran: Es könnte viel Schlimmer kommen! Die appetitlichere Variante für uns Menschen ist übrigens, Wasser über die Unterarme laufen zu lassenoder die Füsse in kühles Wasser zu stellen: Funktioniert auch...
Beim Menschen funktioniert das mit dem Schwitzen übrigens so gut, dass die anderen Systeme vor allem dann zum tragen kommen, wenn wir wirklich an unsere Grenzen geraten - wird der Kopf also richtig rot und wir hecheln, dann wird es langsam wirklich eng. Durch den Wasser- und Mineralienverlust werden wir irgendwann schwach und träge, können sogar Krämpfe bekommen, der Kreislauf wird immer mehr belastet und wenn wir irgendwann nicht mehr schitzen können und die Haut  trocken wird, dann kann es lebensgefährlich werden. Daher wollen wir am Ende nochmal auf ein paar gesundheitliche Hitzeprobleme zu sprechen kommen - und an der Stelle der Hinweis, das ich hier eine ganz knappe Zusammenfassung gebe ohne Garantie auf Vollständigkeit. In einem Erste-Hilfe-kurs lernt ihr mehr!
Starkes Schwitzen kann manchmal unsere Haut belasten, gerade unter Kleidung oder gar Laborhandschuhen. Dauerhaft feuchte Haut kann leicht verletzt werden oder entwickelt Schweißekzeme, da hilft dann nur regelmäßiges Belüften und evtl. eincremen. Übrigens dienen die Haare in unseren Achseln und im Schritt in solchen Situationen auch als Reibungsschutz - ich habe mir sagen lassen, dass man sich frisch rasiert in der Hitze sehr schnell Wund läuft. Sowas lässt sich aber durch geschickte Bekleidungswahl verhindern.
Unser Kopf ist besonders stark der Sonneneinstrahlung ausgesetzt, so dass er lokal überhitzen kann, besonders bei wenig Haarwuchs - das führt dann zum Sonnestich mit Kopfschmerzen und steifem Nacken, in schweren Fällen zu Schwindel und Übelkeit und im Extrem zu Kreislaufversagen. Die Körpertemperatur sonst bleibt meist normal. Hier kann man durch angepasstes Verhalten und eine Kopfbedeckung vorbeugen - am besten einen hellen, belüfteten Hut, dunkle Hüte muss man öfter mal abnehmen oder mit Wasser nass machen. Als Therapie sind Wasser trinken, Hitze meiden, ein kühlendes Tuch auf der Stirn und in schweren Fällen der Arztbesuch angesagt.
Sonnenbrand ist keine direkte Hitzefolge, sondern entsteht, wenn zellen durch UV-Licht geschädigt werden und sich das Gewebe in der Folge entzündet. Die Reizbarkeit und Rötung kann aber im Frühstadium manchmal schwer von der Rötung durch Überhitzung unterscheidbar sein. Sonnebrand verhindert man durch Sonnencreme und Meiden der Sonne, als Bonus bekommt man dann auch weniger Hautkrebs!
Hitzeerschöpfung habe ich oben schon beschrieben, das kann bis zu einem Kreislaufkollaps mit Ohnmacht führen. Die wichtigsten Vorbeugungsmaßnahmen kennt ihr jetzt alle - die Kühlung des Körpers unterstützen und nicht aushebeln und keinen Alkohol. Als Hilfsmaßnahmen sind Kühlung, evtl. beine hochlegen, bei Krämpfen Magnesiumgabe und bei kreislaufversagen natürlich Wiederbelebung und Arzt rufen sinnvoll.
Der Extremfall wäre der Hitzschlag, bei dem die Temperaturregulation unseres Körpers versagt. Die Temperatur steigt, Schweiß bleibt aus, es kommt zu Krämpfen und es besteht akute Lebensgefahr durch Überhitzung und da das Herz überlastet ist, Blut durch die geweiteten Gefäße zu pumpen. Den Patienten aus der Hitze zu holen, Schocklage mit Beinen hoch bzw. stabile Seitenlage bei Bewusstlosigkeit sind ein muss und genauso bitte lieber einmal zu viel den Notruf 112 rufen als einmal zu wenig!

So, ich hoffe, das war einigermaßen unterhaltsam, informativ und vielleicht sogar nützlich. Da es gerade echt noch heiß ist sind sicher viele Rechtschreibfehler drin und vielleicht auch ein paar verkorkste Sätze, die ich nicht mehr gefunden habe. Findet ihr welche, gebt gerne bescheid, vor allem aber, wenn Euch inhaltliche Fehler auffallen. Ansonsten: Danke für Eure Aufmerksamkeit und frohes Schwitzen!



Montag, 11. März 2019

Avifauna Europa: Kreta

Okay, kommen wir endlich zum Kreta-Urlaub vom letzten Jahr. Neben der reichhaltigen Flora hat Kreta auch ornithologisch einiges zu bieten, mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Lebensräume und nicht zuketzt als Zwischenstation für verschiedene Zugvögel. Und zur Abwechslung gehen wir heute mal nicht systematisch vor, sondern eben nach den verschiedenen Lebensräumen.

Städte
Italiensperling (Männchen)
Der in Menschennähe allgegenwärtige Spatz auf Kreta ist der Italiensperling (Passer italiae), bei dem die Männchen im Vergleich zu unserem Haussperling einen dunkelbraunen Scheitel und eine kräftiger schwarze Brust haben. Die Weibchen sind nicht zu unterscheiden. Ein weitere auffälliger Kulturfolger ist die südosteuropäische Unterart der Nebelkrähe (Corvus cornix sharpii). Daneben kommen als Kulturfolger natürlich auch die üblichen Straßentauben (Columba livia domestica) sowie Türkentauben (Streptopelia decaocto) vor.
Italiensperling (Weibchen)
Daneben kommen gerade am Stadtrand auch Turmfalke (Falco tinnunculus tinnunculus), Rauchschwalbe (Hirundo rustica rustica), Mauer- (Apus apus apus) und Alpensegler (Tachymarptis melba melba) vor, die letzten drei wohl teilweise auf dem Durchzug von Afrika nach Europa.
Nebelkrähen

 

 

 

Festung Rethymno

Brachpieper
Als überraschend vielfältig hatte sich für mich die Festungsanlage in Rethymno erwiesen. Hier gibt es offene Brachflächen und Baumreihen. Da sie prominent direkt an der Küste liegt, sammelten sich hier bei meinem ersten Besuch auch einige Vögel, die wohl auf Grund des starken Scirocco-Winds aus Nordafrika eine Zugrast eingelegt hatten. So war hier neben mehreren Wiesenpiepern (Anthus pratensis) auch ein Brachpieper (Anthus campestris) unterwegs, sowie eine Gruppe Maskenschafstelzen (Motacilla flava feldegg) - das Bild vom Mänmchen ist allerdings vom Agia Reservoir.
Maskenschafstelze (Männchen)



Maskenschafstelze (Weibchen)









  




Buchfink
Kohlmeise
Bei meinem zweiten Besuch hatte der Scirocco abgeflaut und es waren zwischen den Bäumen ein Männchen der ostmediterranen Unterart des Buntfinks (Fringilla coelebs schiebeli) und mehrere mediterrane Kohlmeisen (Parus major niethameri) unterwegs - alle eher fotoscheu...


Mittelmeersteinschmätzer, Männchen
Spannender und fotofreundlicher war dagegen eine Gruppe von Steinschmätzern (Oenanthe oenanthe libanotica) unter die sich ein Mittelmeersteinschmätzer (Oenanthe hispanica melanoleuca) gemischt hatte.
Mittelmeersteinschmätzer













Rotrückenwürger
Ein besonders hübsches Higlight war dann noch der Rotrückenwürger (Lanius senator senator), der genauso wie der Mittelmeersteinschmätzer ein gewisses Talent hatte, sich fotogen auf Zweige zu setzen - manchmal braucht man halt ein bischen Glück!














 

Strände, Küsten und Häfen

Bruchwasserläufer
Stelzenläufer
Am Sandstrand bei Rethymno waren ziemlich regelmäßig Flussregenpfeifer (Charadrius dubius curonicus) unterwegs, gelegentlich auch Stelzenläufer (Himantopus himantopus) und auf einer schlammigen Fläche bei Spinalonga auch Bruchwasserläufer (Tringa glareola).




Krähenscharben
An den felsigeren Abschnitten sind Bachstelzen (Motacilla alba alba) häufig und auch immer wieder Seidenreiher (Egretta garzetta garzetta). Etwas weiter von menschlichen Ansiedlungen entfernt kann man immer wieder Krähenscharben (Phalacrocorax aristotelis desmarestii) auf den Küstenfelsen sehen. Die einzige Möwe, die regelmäßig, auch bis recht weit ins Inland, zu sehen war, war die Mittelmeermöwe (Larus michahellis michahellis).





Kormoran
Im Hafen von Chania war außerdem ein Eisvogel (Alcedo atthis atthis) unterwegs und im hafen von Georgioupoli ein erstaunlich wenig scheuer Kormoran (Phalacrocorax carbo sinensis), dem wohl niemand gesagt hatte, dass der Kormoran auf Kreta eigentlich nicht vorkommt - es lohnt sich halt immer, die Augen offen zu halten!



Olivenhaine und hügeliges Land

Schwarzkehlchen (Männchen)
Sobald man ins Inland kommt, wo mehr als einzelne Bäume stehen, kommen immer mehr Singvögel vor, als besonders hübsche und prominente Art muss hier als erstes die Samtkopfgrasmücke (Sylvia melanocephala pasiphae) genannt werden. 







Schwarzkehlchen (Weibchen)
Amsel
Eine weitere hübsche und auffällige Art ist das Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola rubicola), das ihr ja aus dem letzten Blogbeitrag kennt.










Grünfink
Zaunkönig
Stieglitz
Haubenlerche
Außerdem kommen in Olivenhainen und kleinen Wäldern viele Arten vor, die uns aus Mitteleuropa vertraut sind, allerdings oft in anderen Unterarten. Neben den oben schon genannten Kohlmeisen und Buchfinken kommen hier Grünfinken (Chloris chloris aurantiiventris), Stieglitze (Carduelis carduelis balcanica), Girlitze (Serinus serinus), Amseln (Turdus merula syriacus) und Gartenrotschwänze (Phoenicurus phoenicurus phoenicurus) vor. Außerdem ist mir eine Huabenlerche (Galerida cristata meridionalis) begegnet. 
In etwas höheren Lagen kommen auch der Zaunkönig (Troglodytes troglodytes cypriotes), die sich auf Kreta derzeit etablierende Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla atricapilla) und die griechische Blaumeise (Cyanistes caeruleus calamensis) vor  - von letzterer habe ich leider nur ein Katzenbeutenfoto, das ich Euch hier erspare.

Chukarhuhn
Wiedehopf
An größeren Vögeln gibt es auf Kreta das Chukarhuhn (Alectoris chukar), das ich leider nur als Käfigtier gesehen und eventuell rufen gehört habe. Was mir an Hühnervögeln begegnet sind, waren halbwilde Haushühner, Truthühner und wohl aus Parkanlagen entflogene Pfauen. Ein besonderes Highlight war für mich allerdings der Wiedehopf (Upupa epops epops) bei Spinalonga in einem Olivenhain.


Kolkrabe, am Nest abfliegend.
Neben den genannten Turmfalken sind überfliegende Mäusebussarde (Buteo buteo buteo) und Kolkraben (Corvus corax laurencei) regelmäßig zu sehen - hier hatte ich als besonderes Highlight bei Spinalonga sogar einen Blick in ein Nest! An den Schluchten zwischen Hügeln fliegen Schwärme von Halsbanddohlen (Coloeus monedula soemmeringi).
Last but not least

Gewässer

Moorente
Kreta hat verschiedene Flussläufe, mit dem Kournassee einen Süßwassersee und ein paar künstliche Wasserflächen, insbesondere das Reservoir von Agia - alle dienen als Rastplätze für ziehende Vogelarten, aber auch als Brutplätze für einheimische Vögel, so dass Kreta bei Süßwasservögeln erstaunlich viel zu bieten hat. Fangen wir mit Agia an, dem wohl besten Beobachtungspunkt für Wasservögel. Ein Highlight hier war die auf Kreta auch brütende Moorente (Aythya nyroca), die neben Tafel- (Aythya ferina), Reiher- (Aythya fuligula) und Löffelenten (Anas clypeata), Höckerschwänen (Cygnus olor), Zwergtauchern (Tachybaptus ruficollis ruficollis) und verwilderten Haus- (Anas platyrhynchos domestica) und Warzenenten (Cairina moschata domestica) auf dem See schwammen. 
Kleines Sumpfhuhn
Rallenreiher
Im Uferbereich war das Kleine Sumpfhuhn (Porzana parva) unterwegs, sowie  Teichhühner (Gallinula chloropus chloropus), ein Rallenreiher (Ardeola ralloides) und ein Kampfläufer (Philomachus pugnax) unterwegs, im Schilf neben der oben genannten Maskenschafstelze noch der Seidensänger (Cetti cetti cetti). Dessen Ruf klingt genauso wie sein lateiniescher Name sein schnell, laut und melodisch gerufener Name, zu gesicht habe ich ihn nur bekommen, da er die Katze des Restaurants am Seeufer ausschimpfte, die mir gefolgt war.
Kampfläufer
Seidensänger














Steppenmöwe?
Nachtreiher
Und weil das noch nicht genug ist, sass am Ufer eine Möwe, die ich solange für eine junge Steppenmöwe (Larus cachinnans) halte, bis mir wieder jemand sagt, dass das ganz sicher eine Mittelmeermöwe war. Außerdem flog ein junger Nachtreiher (Nycticorax nycticorax nycticorax) über den See.



Zwergadler
Zwergadler
Und als unerwartetes, nicht wasservogeliges Highlight war das, was ich erst für einen weiteren Mäusebussard gehalten hatte, der den Parkplatz überflog dann doch etwas anderes - ein Zwergadler (Hieraaetus pennatus)!




Zwergscharbe
Zwergscharbe
Rohrweihe
Im Vergleich hatten der Kournas-See und die Flüsse deutlich weniger zu bieten. Die Zwergscharbe (Micorcarbo pygmaeus) am Kournas-See war allerdings niedlich, sonst waren dort vor allem Hausgänse und Blässhühner (Fulica atra atra) unterwegs. An Flussufern sind mir außerdem noch Garureiher (Ardea cinerea cinerea), Weißstorch (Ciconia ciconia ciconia), Knäkente (Anas querquedula), Rohrammer (Emberiza schoeniclus schoeniclus) und eine Rohrweihe (Circus aeruginosus aeruginosus) begegnet.






Berge

Gänsegeier
Gänsegeier
Mit drei, teils sehr schroffen Gebirgen über 2000 Metern hat Kreta auch einige Lebensräume für an solche menschenferne Lebensräume angepasste Arten zu bieten. Am auffälligsten sind hier sicher die bis ins Flachland immer wieder zu sehenden Gänsegeier (Gyps fulvus fulvus).
Bartgeier
Habichtsadler
Die großen Seltenheiten, die ich beobachten konnten - an der Stelle nochmal ganz herlich danke an Oli fürs mitnehmen in die Berge! - waren Bartgeier (Gypaetus barbatus aureus) und Habichtsadler (Aquila fasciata fasciata). Beim bartgeier empfehle ich übrigens allen mit starken nerven mal die Bildersuche zu bemühen - die Art ist darauf, das zu fressen, was andere Geier übrig lassen und wie er ganze Ziegenbeine schluckt ist ein beeindruckender Anblick!


Steinschmätzer
Heidelerche
Natürlich gibt es im Gebirge auch noch andere Arten, wie Felsentauben (Columba livia livia) - die Stammform unserer Haustaube - und Wanderfalken (Falco peregrinus brookei) und als kleinere Vögel Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe libanotica), Heidelerchen und Bluthänflinge (Linaria cannabina cannabina).




Bluthänfling
Insgesamt hat Kreta also ornithologisch wirklich einiges zu bieten - es lohnt also neben der Badehose auch Wanderschuhe und Fernglas einzupacken!

Was mir sonst noch an Tieren dort begegnet ist, muss aber bis zum nächsten Mal warten und ob ich mich dazu aufraffen kann, alle 181 Pflanzenarten vorzustellen, die ich dort fotografiert habe, weiss ich noch nicht -  denn auch wenn Kreta ornithologisch viel zu bieten hat, botanisch stellt es das locker in den Schatten!