Mittwoch, 30. März 2022

Der Grüne Planet: Teil 2 (Kapitel 4 bis 6)

So, ich bin endlich wieder am Schreiben und warum nicht den Fortschritt mit Euch teilen? Also, weiter geht's!

Teil 2 – Von Blümchen und Bienchen und errötenden Dichterfürsten: Wie sich Pflanzen fortpflanzen

Kapitel 4 – Von skandalösen Blümchen und was sie mit uns gemeinsam haben

Vielleicht bist Du ja mit einer Geschichte von Blümchen und Bienchen aufgeklärt worden. Wahrscheinlich hast Du auch schonmal von „Blümchensex“ gehört. Für uns ist das Liebesleben von Pflanzen heute geradezu ein Sinnbild von Harmlosigkeit – aber das war definitv nicht immer so! Als Carl von Linné, der Begründer der modernen biologischen Systematik, im 18. Jahrhundert seine Überlegungen zur Fortpflanzung der Pflanzen beschrieb und wie sich die verschiedenen Arten nach der Anordnung der Geschlechtsorgane in den Blüten ordnen lassen, war das ein mittlerer Skandal. Für seine Zeitgenossen waren Linnés Beschreibungen von Blüten als geschmückte Betten, in denen sich Bräute und Bräutigame der Liebe hingeben (Die von Blütenblättern umgebenen Staubgefäße und Fruchtblätter) geradezu skandalös. Nicht nur sahen sie hier ein unanständiges, ungezügeltes Liebesleben beschrieben - für die konservativeren Zeitgenossen war die Behauptung unerträglich, Blüten dienten so etwas profanem wie geschlechtlicher Fortpflanzung. Immerhin galt es vielen Menschen doch als Zeichen göttlicher Gnade, dass er die Welt nur zur Freude der Menschen mit pflanzlicher Schönheit geschmückt hatte. Sogar Goethe meinte bei aller Bewunderung für Linné, dass seine Werke für Studierende doch sehr schockierend sein.

Und natürlich hatte Linné auch nur teilweise Recht, denn die Blütenblätter sind ja kein geschmücktes Bett für die Geschlechtsorgane der Pflanze. Aber die blütenbesuchenden Insekten hielt man damals meist noch für schädliche Vandalen, die Nektar und Pollen stahlen. Allerdings schaute zur gleichen Zeit auch der Deutsche Christian Konrad Sprengel genauer hin und beschrieb Blüten als göttliche Werke, in denen jedes Härchen einen Zweck habe und die Insekten auf raffinierte Weisen zum Zweck der Bestäubung anlockten. Das war aber gerade Goethe wieder nicht Recht, denn eine solch menschliche Sicht der Nützlichkeit widersprach nun doch den künstlerischeren Idealen des großen Dichterfürsten aber auch Naturwissenschaftlers. Und so können auch den größten Denkern unsere menschlichen Vorstellungen den Blick auf spannende Welten versperren. Sprengels Werk blieb dann auch zu seinen Lebzeiten fast unbeachtet bis es fast 100 Jahre später von Darwin wiederentdeckt und populär gemacht wurde. Zum Glück können wir nach all diesen Wirrungen heute das Liebesleben der Pflanzen in all seinen faszinierenden Details betrachten und am Ende an manchen Stellen sogar einiges über unser eigenes lernen!

Aber fangen wir am Anfang an: Was ist das überhaupt, geschlechtliche Fortpflanzung oder auch Sexualität? Bei Einzellern ist das ganz einfach: Zwei Zellen schwimmen herum, begegnen sich und verschmelzen (Und ich habe jetzt wieder einen Ohrwurm vom Spice Girls Lied „Two become One“). Die neue Zelle, die dabei entsteht, hat jetzt alles doppelt - insbesondere auch die Gene (In der Biologie nennen wir eine solche Zelle mit doppeltem Genom „diploid“, die mit nur einer Kopie des Genoms „haploid“). Und das heisst, dass jetzt sortiert werden muss, denn sonst würden ja nach mehreren Generationen Zellen immer mehr und mehr DNA enthalten. In einer besonderen Form der Zellteilung (Der Meiose) werden die beiden Genome schön säuberlich nebeneinander gelegt, Teile können ausgetauscht und neu geordnet werden und dann werden zwei Kopien auf zwei Tochterzellen verteilt und alles kann von vorne losgehen (Genau genommen entstehen vier Tochterzellen, da immer noch eine normale Zellteilung folgt). Biologisch betrachtet ist Sex also im Grunde nicht anderes als das Teilen von Genen mit anderen – alles andere ist schmückendes Beiwerk!

Bei uns Tieren ist es jetzt so, dass die Zelle mit doppeltem Genom nicht sofort in die Meiose geht, sondern erst einmal über viele normale Zellteilungen einen Körper aufbaut, in dem dann Geschlechtsorgane angelegt werden. Und hier werden dann die sogenannten Geschlechtszellen (oder Gameten) mit einfachem Genom gebildet: Entweder große unbewegliche, die wir als Eizellen bezeichnen oder kleine und bewegliche Spermien. Wer nur Eizellen produziert ist ein Weibchen, wer nur Spermien bilden kann ein Männchen und wer beides kann ist ein Zwitter. Bei Pflanzen funktioniert das alles im Prinzip genauso, nur mit einem großen Unterschied: Hier können beide Arten von Zellen sich normal teilen und einen Körper hervorbringen – es wechseln sich also immer zwei Generationen ab, eine mit doppeltem Genom, die am Ende Sporen mit einfachem Genom hervorbringt (Und daher Sporophyt genannt wird) und eine Generation mit einfachem Genom, die Geschlechtszellen hervorbringt, die dann verschmelzen können (Und die daher Gametophyt genannt wird).

Bei vielen Algen lassen sich diese beiden Generationen tatsächlich beobachten und je nach Art der Alge können die beiden fast gleich aussehen, oder sich auch deutlich unterscheiden. Aber Du musst nicht tauchen gehen, um diese beiden Pflanzengenerationen mit eigenen Augen zu sehen – nur vielleicht in die Knie, um Dir ein Moospolster genauer anzuschauen. Das grüne mit den vielen Blättchen ist der Gametophyt, aber zur richtigen Jahreszeit kannst Du kleine Stielchen wie Speere oder Duschköpfe aus dem Moos herausragen sehen. Das sind die Sporophyten – und sie wachsen auf ihren Eltern in die Höhe, um von da die Sporen zu verbreiten. Tatsächlich pflanzen sich Moose fast wie Algen fort – mit winzigen Spermien, die zu den Eizellen schwimmen. Daher brauchen Moose auch Feuchtigkeit zur Fortpflanzung und je nach Art kann die beste Zeit, ihr Liebesleben zu beobachten der Herbst oder sogar Winter sein, wenn andere Pflanzen eher ruhen. Aber einen wichtigen Unterschied zu Algen gibt es eben: Die nächste Generation wächst in ihren Müttern heran – Moose, und tatsächlich alle Landpflanzen, werden also schwanger! Wissenschaftlich werden die Landpflanzen daher auch als Embryophyten bezeichnet, da ihre Sporophyten nicht alleine im Freien keimen, sondern sich als Embryo im Mutterkörper bilden. Und dieser gute Start für die nächste Generation ist wohl eine der wichtigsten Anpassungen, um auf dem trockenen Land bestehen zu können.

Auch die nächsten Pflanzen, die sich entwickelten, Bärlappe, Farne und Schachtelhalme, pflanzen sich so fort, nur dass hier der Gametophyt klein bleibt und die großen Pflanzen, die wir sehen, die Sporophyten sind. Und das hat zwei große Vorteile: Zum einen kann man mit zwei Sätzen an Genen einzelne defekte Gene ausgleichen, aber vor allem müssen Sporophyten ja keinen Partner erreichen – sie bilden ihre Sporen ja durch die Meiose. Und deshalb können diese Pflanzen nun viel weiter in die Höhe wachsen, während ihre kleinen Gametophyten am feuchten Boden bleiben und hier ihre Spermien schwimmen lassen. Die erstern sumfigen Wälder mit riesigen Bärlapp- und Schatelhalmgewächsen müssen wir uns also eigentlich als eine Gemeinschaft zweier Generationen vorstellen: Eine winzige, die am Boden kriecht und eine riesgie, die auf ihren kleinen Eltern wächst!

Um aber auch auf wirklich trockene Standorte vorstossen zu können, mussten Pflanzen noch einen weiteren Trick lernen: Bei Blütenpflanzen, die die überragende Mehrheit unserer heutigen Pflanzenwelt ausmachen, bleiben auch die Gametophyten in der Mutterpflanze: Die weiblichen Gametophyten, mit dem wenig malerischen Namen „Embryosack“, sitzen in den Samenanlagen und bilden dort Eizellen. Die männlichen Gametophyten sind nun die Pollenkörner und diese winzigen Pflänzchen bereiten sich auf eine Reise vor: Sie bilden eine feste Hülle, färben sich oft kräftig gelb als Schutz vor der UV-Strahlung der Sonne und dann kann es losgehen – mit Wind, Wasser oder Insekten als Fähre zu den weiblichen Blüten. Dort angekommen keimen sie. Beim Gingko und den Palmfarnen heisst das, dass sie in das Gewebe der weiblichen Blüte hineinwachsen und sich von ihr ernähren und darauf warten, dass die Eizellen reifen. Wenn das soweit ist, bildet sich über ihnen ein kleiner Tropfen Flüssigkeit und in diesen entlässt das Pollenkorn seine Spermien, die dann nur noch einen kurzen Weg zu schwimmen haben. Bei den bekannten Nadelbäumen und bei den eigentlichen Blütenpflanzen (den Bedecktsamern) bildet das keimende Pollenkorn einen langen Schlauch und bringt so seine unbeweglichen Spermien direkt zu den Eizellen – und damit haben sich diese Pflanzen mit einer echten inneren Befruchtung von der Abhängigkeit von äußerer Feuchtigkeit zur Fortpflanzung genauso frei gemacht, wie die meisten am Land lebenden Tiere!

Und noch eine erstaunliche Gemeinsamkeit gibt es zu einer bestimmten Gruppe von Landtieren. Wir haben ja schon gelernt, dass Moose schwanger werden. Samenpflanzen werden aber tatsächlich noch schwangerer! In einer Mutterpflanze sitzt ja jetzt eine Tochter (der Gametophyt) und in dieser wiederum die befruchtete Eizelle, die zu einem Embryo wird. Um das ganze zu ernähren, bildet die Mutterpflanze ein Versorgungsgewebe, die Plazenta. Und nicht nur erinnert all das von Funktionsweise und Anatomie an Säugetiere wie den Menschen, sogar auf molekularer Ebene gibt es hier erstaunliche Gemeinsamkeiten: Bei Blütenpflanzen und Säugetieren gibt es nämlich das Phänomen der genomischen Prägung – das heisst, dass in einem Embryo die Gene, die von der Mutter und vom Vater kommen unterschiedlich aktiv sein können. Dies funktioniert über Mechanismen bei denen Gene so modifiziert werden, dass sich nicht nur die direkt in ihnen gespeicherte Information vererbt, sondern sozusagen auch ihr Aktivitätszustand – ein Beispiel für das, was man als Epigenetik bezeichnet. Wahrscheinlich ist die Evolution genetischer Prägung darauf zurückzuführen, dass bei einer Schwangerschaft Mutter und Vater etwas unterschiedliche Interessen haben: Während für den Vater, der mit der Sache nach der Befruchtung ja meist nichts mehr zu tun hat, ein möglichst starkes Wachstum seiner Nachkommen von Vorteil ist, muss die Mutter für eine bestmögliche eigene Fortpflanzung ihre Energie zwischen den verschiedenen Nachkommen und ihren eigenen Bedürfnissen aufteilen. Und so treibt der Vater das Wachstum an und die Mutter bremst – und zusammen erreichen sie eine Balance, die funktioniert! Ein schönes Beispiel für diesen Mechanismus ist die Kreuzung von den Tigern Löwen: Ist der Vater ein Tiger, entsteht ein riesiger Liger, da die mütterliche Prägung der Löwin das Wachstum nicht darauf ausgelegt ist, den väterlichen Beitrag eines Tigers zu bremsen. Ist die Tigerin dagegen die Mutter gibt es einen relativ kleinen Tigon. Dass Blütenpflanzen und Säugetiere unabhängig voneinander ganz ähnliche Mechanismen zur Fortpflanzung entwickelt haben, verrät uns also etwas ganz grundsätzliches über die Biologie von Schwangerschaft. Und wer hätte gedacht, dass eine junge Mutter mit dem mitgebrachten Blumenstrauss so viel gemeinsam hätte?

Was aber alles mit den vielen Blüten des Blumenstrausses so passiert, bis es zur Schwangerschaft kommt, das schauen wir uns als nächstes an!

Kapitel 5 – Von ruppigen Käfern, fleissigen Bienchen und Betrug auf allen Seiten

Wenn Du schon einmal auf einem orientalischen Basar oder einem norddeutschen Fischmarkt warst, dann kennst Du das überwältigende Gewirr von Eindrücken: Farben, Gerüchen und Lärm. Vielleicht kam Dir alles verwirrend vor und doch finden sich die einheimischen Kunden erstaunlich gut zurecht. Und auch die Händler wissen offenbar, was sie tun müssen, um gute Geschäfte zu machen: Ihre Waren an die richtigen Kunden anpreisen, gerade soweit übertreiben, dass die Stammkunden angelockt werden aber nicht enttäuscht wieder gehen und daneben vielleicht ein paar Touristen gerade so geschickt übers Ohr hauen, dass sie es nicht bemerken, bevor sie Dich schon ihren Freunden empfohlen haben. Im Prinzip funktioniert eine bunte Blumenwiese ganz ähnlich, nur sind die Blüten die geschmückten Marktstände, Pollen, Nektar und ein paar exotische Dinge das Angebot und Insekten die Kunden, die mit dem Transport der Pollen zur nächsten Blüte bezahlen. Und genau wie beim geschäftigen Markt kann es sich lohnen, mal einen genaueren Blick auf das Gewusel zu werfen, um verstehen zu lernen, was hier eigentlich so alles passiert.

Da sind zum einen die Händler, die für alle, die vorbeikommen etwas im Angebot haben und deren Ware den vorbeilaufenden schon fast entgegenfällt. Das entspricht den offenen Blüten, wie sie in der Evolution zuerst da waren, wie den Hahnenfüßen (Butterblume), aber auch den weit geöffneten Blütenständen wie bei der wilden Möhre, deren weiße, schirmförmige Dolden im Hochsommer die Wegränder dominieren. Bei solchen Blumen1 sind Pollen und Nektar frei zugänglich und man kann einfach landen, was viele verschiedene Insekten anlockt – Käfer, Fliegen, Wespen und Wildbienen. Aber wer so einen wilden Mix aus Kunden hat, dessen Geschäfte sind nicht allzu verlässlich – denn viele von diesen Insekten fliegen nur manchmal zu einer anderen Blume der selben Art und gerade Käfer sind auch oft eher rüpelhaft und können auch wichtige Teile der Blüte fressen. Und nicht zuletzt sind offene Blüten auch anfällig für Regen, der die Pollen platzen lässt. Da ist es wichtig, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern seine Pollen auf möglichst viele potentielle Bestäuber und Tage zu verteilen und so öffnen solche Blüten meist ihre Staubgefäße nur eins nach dem anderen und streuen so ihr Risiko. So wie die Möhre viele Blüten zusammenzufassen, die nacheinander aufblühen können, macht diese Risikostreuung noch effektiver. Noch besser können es die Korbblüter wie das Gänseblümchen oder die Sonnenblume, die nicht nur viele Blüten zusammenfassen – jeder gelbe „Knubbel“ im Gänseblümchen und jedes weiße Zipfelchen ist anatomisch gesehen eine einzelne Blüte – sondern die auch noch einen weiteren Trick haben: Ihre Staubgefäße sind zu einer Röhre verklebt und werfen alle Pollen nach innen, von wo sie dann durch das wachsende Fruchtblatt langsam nach und nach nach außen geschoben werden. Wenn Du eine blühende Sonnenblume genau betrachtest, kannst Du oft den gelblichen Kreis der Blüten erkennen, die gerade ihren Pollen präsentieren, wobei die äußeren zuerst aufblühen.

Aber wie so mancher Basar oder Supermarkt nicht einfach nur zum Einkaufen einlädt, bieten auch viele offene Blumen nicht nur Nektar und Pollen, sondern sind auch ein wunderbarer Ort, sich kennenzulernen. Viele Käferarten paaren sich auf Blüten, zum Beispiel Glanzkäfer auf Hahnenfuß oder verschiedene Weichkäfer auf der Wilden Möhre – und dadurch, dass sich bestimmte Käferarten zu bestimmten Jahreszeiten auf bestimmten Blüten paaren, werden sie auch gleich zu verlässlicheren Bestäubern! Die Möhre bewirbt sich sogar besonders, indem die innerste Blüte der zentralen Dolde tiefrot, fast schwarz ist und so die Mitte der Dolde bereits besucht aussieht – wer möchte schon als erstes auf eine leere Tanzfläche treten? Andere Blüten bieten Insekten auch Schutz vor dem Wetter und in der Nacht. Die weiten tütenförmigen Blüten der Winden schließen sich zum Beispiel nachts und bei schlechtem Wetter und immer wieder findet man morgens kleine Käfer darin, die den sicheren Rastplatz offenbar sehr zu schätzen wissen. Aber Blüten, die Essen, Gesellschaft und Unterkunft bieten locken – genau wie mancher Basar auch ein paar zwielichtige Gestalten an. Eine davon ist die veränderliche Krabbenspinne, deren Weinchen gelb oder weiß gefärbt sein können und so gut getarnt auf Blüten lauern. Wenn Du eine ungewöhnlich ruhig sitzende Fliege oder Biene auf einer solchen Blüte siehst, insbesondere, wenn sie auch noch auf der Seite oder dem Rücken zu liegen scheint, dann lohnt sich genaues Hinschauen: Oft sitzt die Spinne fast unsichtbar an ihrem Opfer!

Aber nicht alle Händler setzen auf die Laufkundschaft, viele spezialisieren sich auf eine verlässlichere Stammkundschaft. Unter den Bestäubern sind das bei uns vor allem Schmetterlinge und Bienen – vor allem zweitere sammeln oft fleissig eine Blüte der selben Art nach der anderen ab und sind daher besonders effiziente Bestäuber – Fachleute nennen das „blütenstet“. Bienenblumen erkennt man daran, dass hier der Nektar in einer kurzen Röhre verborgen ist und die Besucher oft in die Blüte hineinkriechen müssen oder im Extremfall wie bei einem Löwenmäulchen sich den Weg in die Blüte regelrecht freikämpfen müssen. Die meisten Insekten trauen sich in solche Blüten gar nicht hineinzukriechen, aber wenn man eine Biene ist, dass ragt am Ende ein Po mit Giftstachel heraus und kaum ein Feind kommt da auf böse Gedanken! Nicht ganz selten sieht man aber auch, dass solche Blütenröhren an der Seite aufgenagt wurden, denn auch manche Wespen oder Käfer sind nicht doof! Schmetterlingsblüten haben noch tiefere und engere Röhren, in die nur die Schmetterlinge mit ihren langen Rüsseln hineinkommen. Viele Blüten für Tagschmetterlinge wie die meisten Nelken haben dabei eine Form, die auch als „Stielteller“ bezeichnet wird – am oberen Rand einer langen Röhre breitet sich die Blüte als Landeplattform aus – ideal für die beabsichtigten Besucher. Blüten für Nachtschmetterlinge wie die der Nachtkerzen öffnen sich erst abends und haben meist keine Plattformen, da diese Tiere im Schwebflug Nektar saugen – und oft sind die Röhren dieser Blüten noch länger, da Nachtfalter auch oft noch längere Rüssel haben. Das extremste Beispiel hierfür ist die Orchidee Angraecum sesquipedale aus Madagaskar, bei der der Nektar in einem bis zu 30 Zentimeter langen Sporn verborgen ist – und zu der Charles Darwin vorhersagte, dass es einen Schmetterling mit ebenso langem Rüssel geben müsse. Erst 40 Jahre nach Darwins Tod wurde der Nachtfalter mit einem bis 22 Zentimeter langem Rüssel entdeckt und erhielt den Namen Xanthopan morganii praedicta – wobei „praedicta“ vorhergesagt bedeutet!

Aber wer Stammkunden hat, hat nicht nur verlässlichere Kundschaft, man kann dann auch das Angebot besser zurechtschneidern und so seine Profite maximieren – für Blüten heisst das, den Bestäubungserfolg bei möglichst geringen Kosten erhöhen. Und das heisst vor allem: Pollen sparen, denn Pollen sind proteinreich und kosten die Pflanze damit wertvollen Stickstoff. Viel günstiger ist da Nektar, denn den Zucker hierin kann die Pflanze per Photosynthese relativ einfach herstellen und als Energiequelle für Bestäuber ist er trotzdem begehrt! Das heisst aber nicht unbedingt, dass die Blüten ihre Besucher mit Billigware abfertigen – die genaue Zusammensetzung des Nektars ist oft auf die Bestäuber optimiert – Zuckergehalt, Wassermenge und auch andere Substanzen, ja sogar der Alkoholgehalt! Während Schmetterlinge mit dem Nektar meist vollauf zufrieden sind, nehmen Bienen trotzdem gerne auch Pollen mit, denn der dient als proteinreiches Futter für ihre Larven – um hier Pollen zu sparen, müssen Blüten also noch etwas raffinierter werden! Viele schaffen das, indem sie so gebaut sind, dass sie den Pollen an unzugänglichen Stellen des Bienenkörpers abladen, im einfachsten Fall, indem die Staubgefäße beim Kriechen in die Blüte über den Bienenrücken streifen. Beim Salbei ist das perfektioniert, indem die Staubgefäße schwingen können und das erst durch die in die Blüte kriechende Biene ausgelöst wird – sie bekommt beim Nektar trinken regelrecht einen Klaps auf den Po! Noch raffinierter sind nur manche Orchideen, die alle Pollen auf einmal in einer Portion an den Körper ihrer Bestäuber kleben – und zwar genau an eine vorgesehene Stelle, die die Bestäubung optimiert, aber dem Insekt wenig Chancen gibt, heranzukommen!

Überhaupt finden sich bei Orchideen die raffiniertesten Blüten, die oft so perfekt auf einen bestimmten Bestäuber zurechtgeschnitten sind, dass sie wie diese Spezialläden wirken, bei denen man sich am Vorbeigehen fragt, wie sie überleben können. Manche tropische Orchideen bieten ihren Bestäubern weder Pollen, noch Nektar, sonder stattdessen riechende Öle, die die Männchen bestimmter Bienenarten bei der Balz einsetzen. Andere Arten, wie die auch bei uns vorkommende Bienen- und Hummelragwurzen nutzen die Liebeslust von Bienenmännchen noch direkter und täuschen mit Aussehen und sogar Duft ihrer Blüten ein Bienenweibchen vor – beim Versuch, sich zu paaren bestäubt der Bienerich dann die Blüte.

Solche betrügerischen Gestalten, die ihre Kunden übers Ohr hauen, gibt es nicht nur auf dem Markt, sondern auch auf der Blumenwiese immer wieder, die meisten zielen aber nicht auf die gewitzteren Kunden wie Bienen, sondern auf die naiveren: Fliegen. Besonders in den Tropen gibt es einige Blumen, die fleischig-rötlich gefärbt sind und nach Aas riechen. Manchmal ist das ehrliche Werbung für Fliegen, dass es hier was zu holen gibt, bei den Pfeifenblumenarten (Aristolochia) müssen die Fliegen aber in eine Höhle hineinkriechen, die ein lichtdurchlässiges Dach hat – fliegen sie dort nach oben und versuchen wie durch eine Fensterscheibe stur zum Licht zu entkommen, stossen sie auf die weiblichen Blütenorgane, die zuerst reif werden. Erst später reifen die Pollen, bestreuen die Fliegen und während die Blüte welkt, können sie endlich entkommen. Und da Fliegen auf den gleichen Trick mehr als einmal hereinfallen, bestäuben sie dann ohne echte Gegenleistung die nächste Blüte. Noch gemeiner sind nur die Aristolochia-Arten, die es auf Pilzmücken abgesehen haben – kleine Fliegen, die ihre Eier auf Pilzen ablegen. Diese Blumen, zu denen auch unsere einheimische Osterluzei zählt, riechen pilzig und bilden bei manchen tropischen Arten sogar dreidimensionale Pilzatrappen am Eingang ihrer Blütenfalle. Die Pilzmücken bestäuben die Blüte beim Versuch, Eier abzulegen, aber die Larven der in solchen Blüten abgelegten Eier haben aber kein langes Leben, denn für sie ist die Blüte giftig.

Und so geht es weiter mit unzähligen Variationen mehr oder weniger stark an bestimmte Bestäuber angepasster Blüten: In den Tropen kommen Blüten für Vögel dazu, kräftig gebaut und mit viel Nektar, solche für Fledermäuse mit Blütenblättern, die die Ultraschallrufe ihrer Bestäuber reflektieren, und solche, die Lemuren mit hohem Alkoholgehalt im Nektar anlocken. Je besser das Angebot zum Bestäuber passt, desto verlässlicher die Bestäubung, aber desto empfindlicher ist auch die oft gegenseitige Abhängigkeit und wenn eine Art ausstirbt, reisst sie die andere mit. So haben die Orchideen mit ihren skurilen Anpassungen eine der höchsten Artenzahlen aller Pflanzenfamilien hervorgebracht, aber viele davon haben nur wenige Individuen. In Sachen Artenzahl vergleichbar sind nur die Korbblüter mit ihrere geradezu entgegengesetzten Strategie offener Blüten mit perfektionierter Risikostreuung.

Und nicht alle Pflanzen machen sich überhaupt von tierischen Bestäubern abhängig. Gerade Arten, die in hohen Dichten wachsen, können ihre Pollen auch dem Wind überlassen, wie viele Bäume und fast alle Gräser – zum Leidwesen der Allergiker funktioniert das für diese Arten so gut, dass sie zu dieser Art der Bestäubung zurückgekehrt sind, die wohl die ursprünglichste ist. Hier findet man oft pendelnde Staubgefäße und Fruchtblätter, die Blüte schüttelt also ihre Pollen aus und durchkämmt die Luft nach denen ihrer potentiellen Partner.

Wenn Du also das nächste Mal über eine Blumenwiese läufst, achte doch einmal darauf, wer welche Blüten besucht und was die Tierchen da so alles treiben. Und vielleicht kommt Dir bei aller Faszination dabei eine weitere Frage: Wenn sie Tieren und dem Wind den Transport ihrer Pollen überlassen, können Pflanzen dann gar nicht mitentscheiden, mit wem sie sich paaren?

1) In der Botanik wird zwischen Blüte und Blume unterschieden: Eine Blüte ist die anatomische Einheit aus weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen, also Frucht- und Staubblättern, mit den darum liegenden Kron- und Kelchblättern. Eine Blume ist die zusammen wirkende „Bestäubungseinheit“ - bei der Wilden Möhre also der ganze Blütenstand aus vielen Blüten, bei einer Schwertlilie, bei der jede Blüte drei Eingänge hat, besteht dagegen eine Blüte aus drei Blumen. Auch wenn ich das konsequent botanisch verwende, sollte es zum Verstehen des Text nicht allzu wichtig sein

 

Kapitel 6 – Wie man die richtigen Partner findet, wenn andere für einen Partner suchen

Sicher weisst Du von dem Problem, dass überzüchtete Rassehunde oft zu einer ganzen Reihe Krankheiten neigen. Oder Du hast schon von historischen Adelsfamilien gehört, die oft untereinander geheiratet haben und wo sich die Bluterkrankheit gehäuft finden liess. Wer sich zu oft mit der eigenen Verwandtschaft fortpflanzt, reduziert dadurch seine genetische Vielfalt und das kann dazu führen, dass ungünstige Merkmale sich durchsetzen können. Und das sollte für Pflanzen, die meist zwittrige Blüten haben, also solche mit weiblichen und männlichen Organen, und die außerdem ihre Partnersuche Insekten oder dem Wind überlassen doch ein besonders großes Problem sein. Einer der ersten, die sich mit dieser Frage beschäftigte und der die Vorteile von Fremdbestäubung gegenüber Selbstbestäubung beschrieb und auch erkannte, wie es verschiedenen Pflanzen gelingt, ersteres zu fördern war mal wieder Charles Darwin. In seinen 1862, 1876 und 1877 erschienenen Werken „On the various contrivances by which British and foreign orchids are fertilised by insects, and on the good effects of intercrossing“, „The effects of cross and self fertilisation in the vegetable kingdom“ und „The different forms of flowers on plants of the same species“ erkannte er viel von dem, was ich Euch in diesem und dem vorherigen Kapitel vorstelle und legte damit die Basis für das Fachgebiet der Blütenökologie.

Eine Sache, die Darwin auffiel, kannst Du nachvollziehen, wenn Du in die Blüten von Schlüsselblumen (Primula) schaust – aus manchen davon ragt nämlich das Fruchtblatt mit Narbe hervor, aus anderen die Staubgefäße. Trotzdem sind beide Typen von Blüten zwittrig – es sind nur einmal die männlichen und einmal die weiblichen Organe länger – und bei Arten mit zwei Kreisen von Staubgefäßen gibt es sogar drei Varianten mit kurzem, mittellangem und langem Griffel! Bei einer Pflanze sind aber alle Blüten gleich gestaltet. Und wenn jetzt ein Insekt den Rüssel in diese Blüten steckt, dann laden sie den Pollen an einer Stelle ab, die perfekt zur Position der Narbe in anderen Blüten passt – aber es kommt noch besser: Schaut man sich nämlich Pollen und Narben unter dem Mikroskop an, dann variiert auch die Größe der Pollen und der mikroskopischen Struktur (Papillen) der Narben – und wieder so, dasss Pollen besser auf die Narben fremder Blüten passen. Durch diese Anpassungen fördern Schlüsselblumen eine erfolgreiche Fremdbestäubung, aber ähnliches kann der Blutweiderich, viele Sauerkleearten und andere Pflanzen.

Aber selbst wenn die Pollen auf die Narbe passen, können sie dort nicht immer keimen, denn viele Pflanzen haben auf der Oberfläche von beidem Proteine, die der Selbst- und Fremderkennung dienen. Und diese funktionieren dann ein bisschen wie ein umgekehrtes Immunsystem, das nur Fremdes gestattet und eigene Pollen beim Keimen hemmt. Leider sind manche dieser an der Oberfläche liegenden Selbstinkompatibilitätsproteine auch die Hauptallergene der Pollenkörner und so lässt uns dann der pflanzliche Schutz vor Selbstbefruchtung im Frühling und Sommer niesen!

Neben einer räumlichen Trennung von Pollen und Narbe können Blüten diese aber auch zeitlich trennen – häufig öffnen sich die Staubblätter zuerst und die Narbe reift erst später, so dass eine Blüte nicht gleichzeitig, sondern nacheinander männlich und weiblich ist. Bei der Sonnenblume hatte ich das schon kurz beschrieben, aber hier – und generell bei Blütenständen – funktioniert das natürlich nur, wenn die bestäubenden Insekten den Blütenstand dann auch in der richtigen Reihenfolge besuchen. Und tatsächlich tun sie das auch, denn durch Färbung, Größe und Position kann ein Blütenstand die Insekten an die richtige Stelle locken – zum Beispiel blühen die Blüten der Sonnenblume von außen nach innen auf und ganz außen sitzen die attraktivsten Blüten. Landet eine Biene also zuerst dort, begegnet sie zuerst den ältesten Blüten, die vielleicht schon in der weiblichen Phase sind, und kann dort fremden Pollen abladen, bevor sie weiter nach innen wandert und dort von den jüngeren, noch männlich blühenden Blüten Pollen mitnimmt. Ganz ählich leiten andere Blütenstände ihre Besucher von unten nach oben und optimieren so den Blütenbesuch.

Noch ein wenig sicherer kann ein solches System werden, wenn die Blüten eingeschlechtlich werden und sich ein Blütenstand in weibliche und männliche Blütenstände unterteilt. Ein Beispiel hierfür ist die Hänge-Segge (Carex pendula) , ein Sauergras, das man häufig als Ziergras in Gärten findet, aber auch Mais (Zea mays) oder die Rohrkolben (Typha): Alle diese Gräser und Grasverwandten haben männliche Blüten die in Blütenständen am oberen Ende des Sproß stehen und weibliche Blüten in tiefer stehenden Blütenständen – oder beim Rohrkolben einen Blütenstand, der oben dünn und männlich und unten dick und weiblich ist. Alle drei sind windbestäubt und wenn der Wind die Pollen aus den hohen mänlichen Blüten weht, dann landen sie höchtswahrscheinlich vor allem auf den weiblichen Blüten anderer Pflanzen.

Noch sicherer wird es nur, wenn die ganze Pflanze nur Blüten eines Geschlechts trägt. Das ist zum Beispiel bei Ginkgobäumen so, weshalb auch nur unter manchen im Herbst die nach Buttersäure stinkenden Früchte liegen. Aber auch Weiden (Salix), Brennnesseln (Urtica dioica) und die rote Lichtnelke (Silene dioica) sind „diözisch“, wie der Fachbegriff dafür heisst, wenn Blüten zweier Geschlechter auf zwei verschiedene Pflanzen verteilt sind – und was sich auch in den wissenschaftlichen Namen mancher Pflanzen wiederfindet. Aber so sicher Diözie vor Selbstbestäubung schützt, kommt sie doch mit einem hohen Preis: Nicht nur bilden dann die Hälfte der Pflanzen einer Art keine Samen, auch verliert die Art dadurch Flexibilität!

Denn nicht immer ist Fremdbestäubung und -befruchtung die beste Strategie. Immerhin muss man dafür nicht nur einen Partner finden, sonder mit dem auch noch seine Gene mischen und nur die Hälfte der eigenen Gene kommen bei jedem Nachkommen an. Und besonders, wenn man fast schon ideal für einen Standort angepasst ist, ist das gar nicht unbedingt von Vorteil! Und so bestäuben sich manche Pflanzen am liebsten selbst, zum Beispiel die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), die Modellpflanze im Labor – klein und was viele als Unkraut bezeichnen würden, aber wer schnell viele Samen erzeugen will, kann mit Selbstbestäubung gewinnen – die Samen mit ungünstigen Merkmalen werden wegselektiert und die besten überleben. Und im Gegensatz zur rein ungeschlechtlichen Vermehrung, über die wir schon bei wandernden Pflanzen gesprochen haben, kombinieren sich die eigenen Gene dabei trotzdem neu, was als Reparatur gegen Mutationen dienen kann – hat eine Mutterpflanze zwei ungünstige, dann haben zumindest manche Nachkommen nur eine oder keine davon. Viele Pflanzen nehmen auch das beste aus beiden Welten mit und nutzen dabei, dass die oben beschriebenen Mechanismen eben nicht perfekt sind und die Selbstbestäubung nur auf ein sinnvolles Maß beschränkt. Andere halten gleich einen Teil der Blüten zur Selbstbestäubung geschlossen oder öffnen ihre Blüten nur bei guten Bedingungen – wenn keine Bestäuber fliegen, wozu der Aufwand? Und bei einigen Arten brechen all die oben beschriebenen Mechanismen zusammen, wenn keine Bestäubung gelingt – in der welkenden Blüte sinken dann die Staubgefäße auf die eigene Narbe, die Selbstinkompatibiltätsproteine werden abgebaut und man kann auch alleine Samen machen!

Nimmt man zu dieser ganzen Flexibilität noch die ungeschlechtliche Fortpflanzung hinzu, entsteht eine noch größere Vielfalt von Fortpflanzungsstrategien: Die oben erwähnte Brennnessel zum Beispiel bildet durch Ausläufer dichte Bestände, die genetisch einheitlich sind und so einen Ort schnell dominieren können, bildet aber gleichzeitig Samen über Fremdbestäubung, so dass die Nachkommen an anderen Orten genetisch vielfältiger und dadurch anpassungsfähig bleiben.

Die Fortpflanzung bei Pflanzen ist also unglaublich vielfältig, voller spannender Anpassungen und voller Intrigen und Spielarten die Goethe die Schamesröte ins Gesicht treiben dürften, hätte er ihre Vielfalt noch mitbekommen. Aber vielleicht hätte auch beim Dichterfürsten die Faszination gewonnen, wenn er genauer hingeschaut hätte!