Freitag, 30. Dezember 2022

Der Grüne Planet - Teil 5, Kapitel 14: Verdursten und Verbrennen – der Preis für eine freie Mahlzeit

 

Kapitel 14 – Verdursten und Verbrennen – der Preis für eine freie Mahlzeit

Photosynthese klingt erstmal wie der perfekte Deal: Kostenlose Nahrung aus Licht und Luft! Aber wie so vieles, das zu schön klingt, um wahr zu sein, hat auch die Photosynthese so ihre Haken. Wir haben ja im letzten Kapitel gelernt, dass die Energie aus dem Licht in ATP und NADPH zwischengeseichert wird, dann aber möglichst zügig zum Bau von Zucker verwendet werden muss. Die Rubisco ist damit das vielleicht wichtigste Enzym der Welt: Nicht nur wurde nahezu aller Kohlenstoff in Lebewesen von ihr aus der Luft gewonnen, sie ist auch die entscheidende Arbeiterin, die dafür sorgt, dass sich aus Licht gewonnene Energie nicht im Blatt anstaut – und das wäre schnell schädlich, da dann Reaktionen passieren, die die DNA und andere Bestandteile der Zelle beschädigen können. Jetzt gibt es nur ein Problem: Die Rubisco, das zentrale Enzym der Photosynthese und des Lebens auf der Erde ist ziemlich mies in ihrem Job...

Wobei... Das ist nicht ganz fair. In ihrem ursprünglichen Job ist sie nämlich eigentlich sogar recht gut: Den Zucker Ribulose-1,5-bisphosphat zu binden. Und mit dem kann dann Kohelndioxid reagieren, nur bindet Rubisco dieses eben nicht wirklich gut und so wartet das Enzym im Prinzip einfach darauf, dass das richtige passiert. Und das macht Rubisco langsam, sehr langsam, tatsächlich zu einem der langsamsten bekannten Enzyme. Pflanzen lösen dieses Problem dadurch, dass sie gewaltige Mengen Rubisco enthalten – etwa die Hälfte der Proteine in Blättern können Rubisco sein und das macht sie zum mit Abstand häufigsten Protein der Erde! Es gibt Schätzungen, dass in Landpflanzen und Algen über sieben Milliarden Tonnen Rubisco vorhanden sind – mehr als alle Proteine in allen Wirbeltieren zusammen!

Rubisco ist aber nicht einfach nur langsam. Da sie Kohlendioxid nicht gut bindet, hat sie auch wenig Kontrolle darüber, was genau mit dem Ribulose-1,5-bisphosphat reagiert. Und neben Kohlendioxid kann das noch ein anderes Molekül: Sauerstoff! Und das ist ein echtes Problem, denn dabei entsteht kein Zucker, tatsächlich müssen die entstehenden Moleküle mit relativ großem Aufwand wieder zu Ribulose-1,5-bisphosphat zurück verarbeitet werden. Diese Nebenreaktion sollten Pflanzen also möglichst vermeiden. Als die Photosynthese zuerst evolvierte, war das noch kein großes Problem, da damals viel mehr Kohlendioxid als Sauerstoff in der Atmosphäre vorhanden war, aber heute haben wir etwa 20% Sauerstoff und nur 0,04% Kohlendioxid – und was die Sache noch schlimmer macht – bei der Photosynthese entsteht Sauerstoff!

Pflanzen müssen also ständig dafür sorgen, dass sie genug, aber nicht zu viel Licht auffangen und gleichzeitig ihre Rubisco mit genug Kohlendioxid versorgen und sie vor zu viel Sauerstoff schützen. Zu wenig Photosynthese und sie drohen zu verhungern, gerät aber die Reaktion außer Kontrolle drohen sie innerlich chemisch zu verbrennen. Wie gelingt ihnen also dieser Balanceakt?

Schauen wir zuerst einmal auf den Austausch von Kohlendioxid und Sauerstoff mit der Umwelt. Für Algen ist das noch recht einfach – beide Gase sind in Wasser löslich und können so über die Oberfläche der Alge abgegeben und aufgenommen werden. Einige Algenarten können dabei aber auch aktiv Kohlendioxid aufnehmen und so eine günstigere Umgebung für die Rubisco erzeugen. Für Landpflanzen sieht die Sache ein bisschen schwieriger aus: Auch sie können die beiden Gase mit der Atmosphäre austauschen, aber dabei verdunstet auch Wasser und sie riskieren zusätzlich zu den oben genannten Problemen auch noch zu verdursten! Die ersten Landpflanzen waren daher eher klein und blieben am feuchten Boden, wie es auch heute noch die Moose tun.

Aber dann machte die Evolution eine der großartigsten Erfindungen aller Zeiten: Die Spaltöffnung! Das sind im Prinzip einfach kleine Poren in der Oberfläche einer Pflanze, die von zwei Zellen umgeben sind. Sie sehen ein bisschen aus wie ein winziges zuschnappendes Karpfenmaul – und wie eine solches können sie sich öffnen und schließen! Farne und Blütenpflanzen haben unzählige Spaltöffnungen und können über diese genau kontrollieren, wie viel Gas sie mit der Atmosphäre austauschen und wie viel Wasser sie verlieren – dabei nutzen sie eine ganze Reihe von Signalen, um das alles minuten- oder sogar sekundengenau feinzusteuern: Licht führt dazu, dass sich Spaltöffnungen öffnen, genauso wie Kohlendioxidmangel im Blatt, sendet aber die Wurzel das Pflanzenhormon Abscisinsäure als Warnsignal für Trockenheit, dann gehen die Spaltöffnungen zu. Und nicht nur erlaubt diese Kontrolle über die Spaltöffnungen, die Balance zwischen Verhungern, Verdursten und Verbrennen zu steuern, nein Landpflanzen haben auch noch aus der Not eine Tugend gemacht und nutzen den Wasserstrom, der durch die Verdunstung entsteht als Antrieb für den Transport von Mineralien aus den Wurzeln in Spross und Blätter!

Trotzdem bleibt der Wasserverlust während der Photosynthese ein großes Problem und bei großer Trockenheit werfen daher viele Pflanzen ihre Blätter ab, denn es ist besser in eine Ruhepause überzugehen, als zu Verdursten oder das aufgefangene Licht nicht nutzen zu können. Das ist auch ein Grund, warum unsere Laubbäume im Winter die Blätter abwerfen. Gerade die Kombination aus Kälte und viel Licht ist für Pflanzen kritisch, da dann der Stoffwechsel ausgebremst wird und Lichtenergie nicht mehr schnell genug weiterverarbeitet werden kann.

Trockenheit und Hitze ist aber genauso ein Problem und an Trockenheit angepasste Pflanzen haben daher oft kleinere Blätter oder wie Kakteen gar keine mehr – sie reduzieren also die Verdunstung massiv um den Preis auch weniger Photosynthese durchführen zu können und dann langsamer zu wachsen. Aber einige Pflanzen kennen für Trockenheit noch einen weiteren Trick: Sie reichern Kohlendioxid an! Ganz so direkt wie Algen, die es aus dem Wasser aufnehmen funktioniert das allerdings aus der Luft nicht. Pflanzen wie Mais haben daher im Blatt zwei verschiedene Typen von Zellen: Im ersten (den Mesophyllzellen) gibt es keine Rubisco, dafür ist hier ein anderes Enzym aktiv: Die PEP-C (Phosphoenolpyruvat-Carboxylase). Diese kann Kohelndioxid direkt binden und in eine organische Säure einbauen (Da diese Säure 4 Kohlenstoffatome hat, wird diese Art der Photosynthese auch C4-Photosynthese genannt). Diese wird dann in den zweiten Zelltyp transportiert, in dem die Rubisco steckt und hier wird das Kohlendioxid wieder freigesetzt – dadurch hat die Rubisco ideale Bedingungen und die Photosynthese kann auch bei weniger weit geöffneten Spaltöffnungen noch effektiv laufen und so spart die Pflanze Wasser!

Noch mehr Wasser sparen andere Pflanzen wie die Dickblattgewächse (Crassulaceae) und die Kakteen: Bei ihnen findet die Bildung organischer Säuren über die PEP-C nachts statt und die Säure wird bis zum Tagesanbruch zwischengespeichert, so dass tagsüber Photosynthese bei geschlossenen Spaltöffnungen stattfinden kann! Tatsächlich war ein erster Hinweis auf diesen Crassulaceen-Säurestoffwechsel (CAM) die Beobachtung des deutschen Missionars und Botanikers Benjamin Heyne in Indien, dass die Blätter der Goethepflanze (Kalanchoe pinnata) morgens sauerer schmecken als abends!

So genial diese Mechanismen auch erscheinen, Pflanzen zahlen einen relativ hohen Preis dafür, mit ihnen die Unzulänglichkeiten der Rubisco auszugleichen. Mais und co. müssen „nur“ einen speziellen Blattaufbau organisieren, CAM-Pflanzen brauchen aber auch noch große Wasserspeicher, um die Säure speichern zu können – ein Grund, warum Kakteen und andere Wüstenpflanzen so dicklich (sukkulent) sind! In kühleren, feuchteren Klimazonen sind sie daher nicht konkurrenzfähig, da hier Wassermangel nicht mehr so entscheidend ist. Warum nutzen C4- und CAM-Pflanzen aber nicht einfach direkt die organischen Säuren, um daraus Zucker aufzubauen? Grundsätzlich spräche da biochemisch nichts dagegen, aber hier schießt ein Prinzip der Evolution quer: Evolution plant nicht, sondern fördert immer nur Veränderungen, die von Vorteil sind. Und da der ganze Stoffwechel von Pflanzen auf den Zuckeraufbau über Rubisco ausgerichtet ist, wäre jeder andere Weg erst einmal weniger effizient, auch wenn er langfristig besser wäre. C4- und CAM-Photosynthese sind also wieder einmal Beispiele dafür, dass die Evolution kein intelligenter Designer ist, sondern eher ein betrunkener Klempner, der Freitag abend noch schnell so lange am System herumschraubt, bis es einigermaßen gut funktioniert!

Wir haben jetzt also viel darüber gelernt, wie Pflanzen die Bedingungen für Rubisco optimieren können, aber was ist mit dem anderen Teil der Photosynthese – dem Licht? Auch hier kennen sie eine ganze Wunderkiste voller Tricks! Wir haben ja schon gelernt, dass Pflanzen Licht wahrnehmen können und auch, dass sie ihre Blätter bewegen können. So können sie die Blätter optimal auf das Licht ausrichten. Aber nicht nur das, sogar innerhalb der Zellen der Blätter kann Bewegung stattfinden und sich die Chloroplasten, die Zellorganellen die das Chlorophyll enthalten so anordnen, dass sie mehr oder weniger Licht auffangen.

Pflanzen können sich aber auch langfristiger an die Lichtmenge anpassen. Dass sie gezielt auf das Licht zuwachsen, haben wir ja auch schon besprochen. Viele Pflanzen können aber auch verschiedene Typen von Blättern bilden: Licht- und Schattenblätter. Erstere sind dabei darauf optimiert, weniger Wasser zu verdunsten, zweitere auch das letzte bisschen Licht aufzufangen. Manche Pflanzenarten sind auch insgesamt auf eine der Stratgien angepasst und sicher hast Du schon einmal gehört, dass manche Pflanzen am besten im vollen Sonnenlicht, Halbschatten oder Schatten wachsen.

Und reicht all das noch nicht aus, dann können einige Pflanzen auch noch einen molekularen Sonnenschutz produzieren: Farbstoffe, die überschüssiges Licht auffangen. Vielleicht sind Dir schon einmal die roten Blätter des stinkenden Storchschnabel (Geranium robertianum) aufgefallen, wenn er in der vollen Sonne wächst oder auch die graugrünen bis weisslichen Stämme mancher Kakteen und anderer Wüstenpflanzen, die durch Wachse entstehen, welche Licht reflektieren.

Obwohl Photosynthese also gar nicht so einfach ist, haben Pflanzen es meist erstaunlich gut im Griff, die verschiedenen Anforderungen zu balancieren. Was uns zur Frage des nächsten Kapitels führt: Könnte das nicht alles auch ganz anders sein?

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