Sonntag, 3. April 2022

Der Grüne Planet, Teil vier: Wenn Pflanzen kämpfen (Kapitel 10,11 & 12)

Kapitel 10 – Kraut Fu – Die Kunst der Defensive

Pflanzen gelten allgemein als friedfertig – so friedfertig, dass selbst das Beschneiden und Pflücken und anschließende Arrangieren ihrer Überreste als friedliche Aktivität gilt (Dass wir uns zumindest über Schmerzen keine großen Gedanken machen müssen, haben wir ja gerade gelernt!). Dabei können viele Pflanzen auch richtige Kämpfer sein – zum Beispiel das einjährige Rispengras (Poa annua). Das kleine Pflänzchen hast Du sicher schon einmal gesehen, es ist das unscheinbare hellgrüne Gras, das im Sommer in Gehwegritzen und eigentlich fast überall wächst. Und dieses kleine Gras lässt die Helden von Actionfilmen wie weinerliche Weicheier aussehen: Es ist robust genug, um nicht zertreten zu werden, klein genug, um Pflanzenfressern und Rasenmähern zu entkommen – und wenn es doch mal beschädigt wird, streckt es einfach die abgerissenen Blätter wieder empor und treibt wie viele Gräser aus den tief am Boden liegenden Knospen einfach neu aus – es ist resistent gegen viele Herbizide, gegen Hitze und Kälte und wächst so schnell, dass es in fast jedem Klima erfolgreich zu Blüte kommt und selbst wenn eine Pflanze sterben sollte Samen hinterlässt. Poa annua ist eine der wenigen Pflanzen, die sich in der Antarktis ausbreiten und in Rasenforen wird als Bekämpfungstipp zuweilen geteilt, es einfach wachsen zu lassen, da alles, was Poa annua kurzzeitig erledigt, den Rest des Gartens nur noch mehr schädigt. Aber Poa annua zeigt dabei nur das, was Pflanzen generell erstaunlich tough macht: Ein robuster Körperbau, der flexibel repariert werden kann und noch robustere Samen als Strategie, selbst dem Tod noch ein Schnippchen zu schlagen. Schauen wir uns ein bisschen was davon im Detail an!

Das, was Pflanzen eine stabile Struktur gibt, ist die Wand ihrer Zellen – genauer gesagt das Zusammenspiel von Wand und Turgordruck – dem Druck der dadurch entsteht, dass Zellen prall mit Wasser gefüllt sind. Im Prinzip ist eine Pflanzenzelle sowas wie ein prall aufgepumpter Ballon in einem Korsett! Wie wichtig der innere Druck zur Aufrechterhaltung von Struktur ist, erkennt man am einfachsten an einer nicht genug gegossenen Topfpflanze, die die Blätter schlaff hängen lässt. So eine Zellwand ist aber keine simple, starre Struktur: Immerhin muss sie nachgiebig genug sein, damit Zellen wachsen können – und dabei können Zellen diese Nachgiebigkeit sogar so steuern, dass der innere Druck Zellen in ganz verschiedene Formen pressen kann! Wie ist ein so festes aber flexibles Wunderwerk aufgebaut? Im Prinzip zum Großteil aus Zucker, aber geschickt angeordnetem Zucker – nämlich langen Ketten, den Polysacchariden:

Das bekannteste ist sicher Cellulose, welche lange, zugfeste Fasern bildet, die auch die Grundlage für Papier oder Baumwollfasern liefern. Diese Fasern sind umgeben von Pektin und Hemicellulosen – chaotischeren Zuckerketten, die aber Wasser binden können und so eine Art Gel bilden – Pektin nutzt man auch als Geliermittel für Marmelade oder vegane Gummibärchen. Dieses Gel ist robust gegen Druck und die Kombination ergibt einen Verbundwerkstoff, der Zug und Druck aushält – ähnlich vom Prinzip her wie Stahlbeton. Nur kann eine Pflanzenzelle die Wand um sich herum umbauen, auflockern und versteifen, zumindest bis sie ihre finale Größe erreicht hat und die Wand dann mit vielen extra-Cellulosefasern verdickt und versteift. Zusätzlich können in die Wand wasserabweisende Stoffe wie Suberin eingelagert werden, zum Beispiel um Verdunstung zu verhindern. Zusmmen mit aufgelagerten Wachsen ergibt sich auf der Zellwand eine zähe Schicht als Schutz vor der Außenwelt, die Kutikula. Diese hat oft noch Falten und mikroskopische Strukturen, so dass Wasser abperlt und Schmutz, aber auch Pilzsporen und Bakterien einfach abwäscht – besonders ausgeprägt beim berümten Lotos.

Andere Stoffe werden in die Zellwand eingelagert, um sie noch fester zu machen. Die wichtigste hiervon ist Lignin, die Substanz, die zum verholzen von Zellwänden führt. Es gibt verschiedene verholzte Zelltypen, Holz selbst ist aber nur das beim Dickenwachstum neu gebildete Xylem, das Leitgewebe, das Wasser und Mineralien aus den Wurzeln in den Rest der Pflanze transportiert. Lignin ist ein Polymer aus aromatischen Molekülen, also solchen, die eine ringörmige Struktur haben. Diese verbinden sich zu einem steifen Netz, das sich durch die ganze Zellwand erstreckt – wahrscheinlich sogar über mehrere Zellen hinweg und im Extremfall wohl durch einen ganzen Pflanzenkörper – Lignin bildet daher die wohl größten Moleküle überhaupt, in einem Mammutbaum über viele Meter hinweg. Wir hätten dann ein Molekül, das Tonnen wiegt und zersägt werden kann!

Vom Holz wird in mehrjährigen Pflanzen jedes Jahr mehr angelegt, um den wachsenden Sproß mit Wasser zu versorgen und zu stützen. Daneben gibt es aber noch andere verholzte Zellen – in manchen Pflanzen die Epidermis, in vielen das Sklerenchym genannte Stützgewebe, das feste Fasern bilden kann – zum Beispiel das, was wir als Bastfasern kennen – nadelartige Zellen, die als Frassschutz dienen können und quadratische Steinzellen – die wir aus der Birne kennen, der sie ihre körnige Struktur geben. Verholzte Pflanzenteile können auch Barriere nach außen sein, ob als dicke Borke, Dornen oder Stacheln.

Noch fester können Zellwände werden, wenn Siliziumdioxid eingelagert wird – im Prinzip Glas! Das macht die Blätter vieler Gräser so hart, dass sie bei Pflanzenfressern die Zähne abnutzen und bei manchen Arten die Blattränder so scharf machen können, dass man damit Haut schneiden kann! Auch Schachtelhalme haben so verstärkte Zellwände und bilden damit rohrförmige Sproße mit Papierdünner aber enorm stabiler Wand – beim Schneiden mit einer feinen Klinge hört man das Knirschen und ruiniert schnell die Schneide!

Weil Zellwände so robust sind, sind manche Pflanzenfossilien geradezu unglaublich gut erhalten – in Schnitten von 400 Millionen Jahre alten Sprossen einer der frühesten Landpflanzen Rhynia kann man jede einzelne Zelle noch am ursprünglichen Ort und in natürlicher Form erkennen! Aber auch Zellwände, die nicht ganz so lang erhalten bleiben sind wichtig: Sie machen einen Großteil der Biomasse der Erde und damit des gebundenen Kohlendioxids aus und sind damit bedeutende Spieler des Klimas. Langsam verrottendes Zellwandmaterial ist zudem Hauptbestandteil des Humus, der Wasser und Mineralien im Boden hält und so das Wachstum anderer Pflanzen verbessert. Weil Zellwandmaterial in der Natur so wichtig ist, ist auch der Anbau schnell wachsender Bäume für Pelletheizungen nicht gerade klimafreundlich – zwar setzt man hier nur das Kohlendioxid frei, das vorher gebunden wurde, man setzt es aber eben viel schneller frei, als wenn es in Biomasse oder Boden verbleiben würde und kann dadurch den Gehalt in der Luft deutlich erhöhen!

Pflanzen sind aber nicht nur grobe Klötze, die schwer brechen – auch wenn sie verletzt werden, können sie oft erstaunlich gut regenerieren. Die Seitensproßknospen, die auf Vorrat angelegt werden und bei Verlust der Spitze austreiben können, hatten wir schon im letzten Kapitel erwähnt und sie sind Teil des Grundprinzips eines Pflanzenkörpers: Im Prinzip gibt es nur drei Grundorgane: Spross, Blatt und Wurzel – bei Moosen und Algen sind oft nichtmal die klar voneinander unterscheidbar. Bei Landpflanzen sind diese auch immer gleich angeordnet: Wurzeln brechen von innen aus Sprossen oder anderen Wurzeln, Blätter entstehen an der Sprossspitze und tragen in ihrer Achsel die Anlage für einen Seitenspross.

Dieses simple System lässt sich nun aber extrem vielfältig variieren – fördert man die Hauptachse und verholzt sie, entsteht ein Baum, bleibt sie kurz ein Kraut mit vielen Blättern am Boden, dazwischen ein Busch und viele Variationen! Und diese Variabilität erlaubt nicht nur die Vielfalt verschiedener Pflanzenarten, sondern auch von Individuen innerhalb einer Art: Zum Beispiel kann der Feldahron als Busch oder Baum wachsen, je nach Standort, viele Arten können verschiedene Blätter für sonnige oder schattige Standorte bilden, einige können aus dem Spross neue Wurzeln bilden, sollte er umknicken und so weiter. Man spricht bei Pflanzen auch von einer postembryonalen Entwicklung, da im Embryo nur die Grundstruktur aus einem kurzen Spross mit unverzweigter Wurzel und ein oder zwei Keimblättern angelegt wird und alles andere später nach Bedarf gebildet wird – während die meisten Tiere ihre Körperform in der Embryonalentwicklung festlegen und sich dann mit Verhalten an ihre Umwelt anpassen müssen.

Und diese Variabilität erlaubt es auch, verlorene Pflanzenteile einfach an anderem Ort wieder zu ergänzen. Nicht alle Pflanzenarten sind gleichgut im Regenerieren von Schäden und besonders mit der Blüte, die eine besondere Investition darstellt, ist oft auch die Regenerationsfähigkeit eingeschränkt. Manche Arten und Gruppen sind aber Meister der Regenerationsfähigkeit. So bestehen Grashalme zum Beispiel wie die Sprosse aller Pflanzen aus Abschnitten, an denen Blätter sitzen, den sogenannten Knoten und den Abschnitten dazwischen – den Internodien. Bei Gräsern können die Knoten aber einseitig wachsen und so als Gelenke funktionieren, so dass sich umgeknickte Grashalme einfach wieder aufrichten! Und dass sie sich vom Boden so gut regenerieren können, da ihre Knospen geschützt so weit unten liegen, ihre Sprosse sich wieder aufrichten können und ihre Blätter von der Basis nachwachsen, sind Gräser auch viel resistenter gegen Abweiden (oder Rasenmähen) als viele andere Pflanzen – im Prinzip sind Gräser und Grasfresser teilweise eine gigantische Symbiose, bei der die Tiere die Konkurrenz der Gräser ausschaltet und diese dann ganze Grasländer bilden können!

Weiden wachsen gerne an Gewässerrändern und können dort auch durch die Strömung entwurzelt werden – bei ihnen können aber selbst kleine Stücke neue Wurzeln, Sprosse und Blätter bilden, so dass aus einer zerstörten Pflanze ein kleines Wäldchen werden kann! Das Vermehren von Pflanzen mit Stecklingen aus kurzen Zweigstückchen klappt bei vielen Arten mit etwas Pflege bekanntlich auch.

Aber selbst wenn eine Pflanze doch einmal komplett stirbt, ist das oft nicht das Ende, denn Sporen und Samen, die wir ja schon kennengelernt haben, sind meist noch viel zäher und können gefressen werden, teilweise Feuer überstehen und Jahre oder Jahrzehnte im Boden auf bessere Bedingungen warten. Das sieht man bei jeder Waldlichtung, auf der Gräser und Kräuter in enormem Tempo hochwachsen, sobald Bäume Licht auf den Boden lassen. Man sieht es aber auch nach Erdrutschen, Feuersbrünsten und anderen Katastrophen – und sogar nach den ganz großen! In der Paläontologie kennt man fünf große Massenaussterben – sechs, wenn wir unsere aktuelle Biodiversitätskrise dazuzählt. Aber in der Paläobotanik fallen diese viel weniger auf, zwar sterben hier auch Arten aus, aber kaum ganze Pflanzenfamilien oder -ordnungen. Nach dem Asteroideneinschlag am Ende der Kreidezeit bemerkt man in der Paläobotanik einen Farnpeak – Farne besiedeln das verwüstete Land am schnellsten wieder – danach erholt sich die Vegetation. Pflanzen sind nicht wie Tiere auf von anderen Lebewesen hergestellte Nahrung angewiesen und ihre Samen können Jahre warten. Wenn sie keimen, dann ist für sie die Welt in Ordnung, nur die großen Viecher, die sie weggefressen haben sind weg!

Das heisst natürlich alles nicht, dass Pflanzenarten unverwundbar sind. Verlieren sie ihre Bestäuber, sterben sie aus und im Laufe der Erdgeschichte haben immer wieder andere Pflanzengruppen die Vorherrschaft übernommen. Gerade Samen sind aber eine enorme Chance, auch bedrohte Arten zu erhalten und im Kew Gardens, dem größten botanischen Garten der Welt in London, läuft ein Projekt mit dem Ziel keimfähige Samen aller bekannter Pflanzenarten vorrätig zu halten und so deren Aussterben praktisch zu verhindern. Und im Svalbard Global Seed Vault in Norwegen lagert Saatgut von Kulturpflanzen, um auch in Katastrophenfällen neu beginnen zu können – und so die Zähigkeit von Pflanzen auch zur Sicherung unseres Überlebens zu nutzen!



Kapitel 11 – Die beste Verteidigung ist... Gift!

In Legendenm Theaterstücken, Krimis aber teilweise auch im echten Leben, gilt Gift als eine Mordwaffe, zu der körperlich schwächere, hinterlistige, raffinierte Täter und vor allem auch Täterinnen greifen. Auch wenn es oft als unehrenhafte Waffe gilt, ist es doch oft auch Mittel der gerechten Rache und oft genug ist es der Bösewicht selbst, der mit einem vermeintlich triumphalen Biss oder Schluck sein Schicksal besiegelt. Als Lebewesen, die gerne von anderen gebissen werden, sind Pflanzen Meister des Kampfs mit Gift.

Dabei haben Pflanzen gegenüber Tieren bei der chemischen Kriegsführung einen großen Vorteil: Sie stellen alle Substanzen ihres Körpers selbst her, während Tiere mit allem klarkommen müssen, was die Nahrung hergibt – auch mit dem, was zu viel da oder gifitg ist – überspitzt könnte man also sagen, dass alle Nahrung Gift ist, aber lasst Euch nicht von fragwürdigen Ernährungsgurus beeindrucken, die jetzt einzelne Sachen als „das Problem“ herauspicken! Im Prinzip haben Pflanzen und Tiere viele Substanzen gemeinsam, was ja auch die Grundlage dafür ist, dass zweitere erstere fressen können – bei Aliens von einer anderen Welt wäre das nicht so. Neben dem grundlegenden Stoffwechsel gibt es aber noch den sogenannten Sekundärstoffwechsel – nicht für die Pflanze lebensnotwendige Substanzen, die für uns Tiere Fluch oder Segen sein können – schauen wir uns ein paar davon an:

Die vielleicht bekannteste Klasse pflanzlicher Giftstoffe sind die Alkaloide, stickstoffhaltige Moleküle, von denen viele auf das Nervensystem wirken können. Hierzu gehören Nikotin, Koffein, Curare, Morphin, Mescalin und viele mehr. Was an der Liste auffällt, ist dass viele dieser Gifte gleichzeitig auch als Medikamente oder Drogen verwendet werden können – während zu viel Morphin töten kann, kann eine kleine Dosis Schmerzen stillen – aber eben auch abhängig machen. Colchizin, Vinblastin und Vincristin stört Zellteilungen, haben aber deshalb auch Potential als Krebsmedikamente – wenn es gelingt, sie entsprechend zu dosieren oder zu den richtigen Zellen zu bringen. Curare lähmt die Atemmuskulatur und war eines der ersten wirklich wirksamen Narkosemittel. Nikotin ist ein tödliches, schnell abhängig machendes Gift, erlaubt aber auch einem ganzen Industriezweig, sich an der Sucht von Menschen dumm und dämlich zu verdienen. Wie Du siehst – Pflanzengifte sind für uns oft zwei- oder noch mehrschneidige Schwerter! Und das gilt nicht nur für Alkaloide, sondern auch für andere Substanzklassen wie die Herzglykoside aus dem Fingerhut, die das Herz antreiben oder bremsen können.

Eine weitere spannende Klasse pflnzlicher Abwehrstoffe sind die Senfölglykoside, auch als „Senfölbombe“ bezeichnet – denn diese Substanzen müssen erst „gezündet“ werden! In der intakten Pflanzenzelle sitzen die Senfölglykoside in der Vakuole und im Cytoplasma ist das Enzym Myrosinase. Wird jetzt die Zelle verletzt, mischen sich die Inhalte beider Teile der Zelle und die Myrosinase schneidet den Zuckerrest (Glykosid) ab und setzt so die flüchtigen Senföle frei – und die beissen dann in Mund und Nase! Deshalb brennt Meerrettich oder ein Radischen umso mehr, je mehr man darauf herumbeisst und die Schärfe steigt bis in die Nebenhöhlen. Beim Chili „brennt“ dagegen das Alkaloid Capsaicin und beim Pfeffer Piperidin, die beide von Anfang an vorliegent und nicht so flüchtig sind und daher im Mund bleiben.

Überhaupt ist die Verdauung etwas, das Pflanzen häufig stören, denn damit lassen sich Pflanzenfresser natürlich gut abschrecken. Tannine sind Gerb- und Bitterstoffe, die in vielen Pflanzen vorkommen und in kleinen Mengen den herben Geschmack von Tee, Kaffee und Weinen verursachen, aber auch Nährstoffe binden und Verdauungsenzyme inhibieren und so zu Blähungen und Bauchschmerzen führen können. Lektine sind Proteine, die die Zuckerreste an anderen Proteinen binden und ihre Arbeit so stören können. Manche Lektine stören die Verdauung, andere können sogar rote Blutkörperchen verklumpen und sind damit sehr giftig – und damit der Grund, warum manche Bohnensorten nur gekocht genossen werden sollten, da hier die Struktur der Lektine zerstört wird (Denaturierung)! Eine andere Gruppe von Frassschutzproteinen sind Proteinaseinhibitoren, die Protein abbauende Proteine, die Proteasen, hemmen und so die Verdauung stören, was vor allem beim Frassschutz gegen Insekten eine Rolle spielt.

In manche Pflanzen muss man aber nichtmal beissen, oder zumindest nicht viel fressen, damit es unangenehm wird. Viele Nadelbäume haben Harz und einige Korbblütler wie der Löwenzahn haben einen klebrigen Milchsaft, der die Mundwerkzeuge von Insekten verklebt. Bei den Wolfsmilchsgewächsen ist der Saft zudem giftig und beim Johanniskraut macht er die Haut extrem empfindlich gegen Sonnenbrand, so dass man vom Pflücken an einem Sommertag Brandblasen bekommen kann! Manche Pflanzen haben sogar noch stärkere Kontaktgifte, wie der amerikanische Giftsumach oder der Manchinelbaum, der als eine der giftigsten Pflanzen der Welt gilt – bei beiden kann schon Regenwasser, das in Kontakt mit den Blättern war auf der Haut schwere Reizungen auslösen! Andere Pflanzen haben Härchen voller ätherischer Öle auf den Blättern, die abbrechen können, wenn Insekten darüberlaufen oder klebrige Drüsen, so dass kleine Tiere hängen bleiben. Die Brennnesseln haben spezialisiete Brennhaare – Zellen, die wie eine Kanüle mit einem kugeligen Verschluss gebaut sin, bricht dieser bei Kontakt ab, entsteht eine regelrechte Injektionsnadel, die den Zellinhalt mit einem Mix aus Säure, Histamin und dem Neurotransmitter Acetylcholin in die Haut sticht und zu den bekannten Quaddeln führt!

All diese vielen Abwehrstoffe schützen Pflanzen aber nicht vor allen Gegnern – manche Spezialisten können die Substanzen entgiften. Bei den oben erwähnten scharfen Senfölglycosiden ist zum Beispiel das spannende, dass sie zwar einen hervorragenden Fraßschutz gegen manche Tiere bieten, aber nicht gegen alle. Manche Insekten wie die Kohlweißlinge sind auf Verwandte von Kohl und Radischen, die Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) spezialisert und nutzen die Senfölglycoside, mit denen sie zurecht kommen, als Wegweiser zum Futter. Und Vögel, auf die Capsaicin nicht scharf wirkt, verbreiten Chilisamen, da sie die Früchte fressen können – hier nutzt die Pflanze sozusagen eine Abwehr gezielt, um die besten Samenverbreiter auszuwählen! Ach ja und wir sind so seltsam, dass wir den Schärfeschmerz in gewissem Maß sogar genießen. Wobei sowohl Capsaicin als auch Senfölglycoside auch gesundheitsfördernde Wirkungen haben, da sie Kreislauf und Verdauung anregen und wohl auch Entgiftungsmechanismen anregen können. Wieder vielschneidige Schwerter! Trotzdem sind auch nicht gegen alle Gegner wirksame Gift- und Abwehrstoffe für die Pflanzen weiter nützlich, denn von wenigen Spezialisten gefressen werden, ist meist besser als von jedem – außer, wenn die Spezialisten sich einmal in Massen vermehren, wie zum Beispiel der Buchsbaumzünsler, nachdem er in Europa eingeschleppt wurde, wo er keine natürlichen Feinde hatte.

Selbst gegen Spezialisten können Pflanzen sich aber noch wehren – mit wiederum spezialisierten Substanzen. Die Eibe bildet zum Beispiel das Häutungshormon Ecdysteron, das Insektenlarven zur Häutung anregt – bevor sie eigentlich dazu bereit sind. Gegen Krankheitserreger können viele Pflanzenarten mehr oder weniger spezialisierte Gifte bilden, zum Beispiel Chitinasen, die die Zellwände von Pilzen abbauen. Und wenn das nicht hilft, können sie befallene Pflanzenteile absterben lassen und ihre Regenerationsfähigkeit als Teil einer aktiven Abwehr nutzen! Aber auch hier haben Spezialisten wieder Gegenabwehr entwickelt und teilweise Pflanzen Gegengegegnabwehren und so gibt es dann anfällige und resistente Linien auch bei vielen Nutzpflanzen – der evolutionäre Wettlauf ist nie entscheiden!

Nur manchmal, bauen Pflanzen dann plötzlich alle Frassschutzsubstanzen ab, weichen die Zellwände auf, reduzieren den Säuregehalt und lagern leckeren Zucker ein – wenn es an der Zeit ist, dass Tiere ihre Früchte fressen und die Samen verbreiten. Die Giftmischerinnen können auch gezielt verführen, wenn es ihnen nützt!



Kapitel 12 – Attack! Wenn Bäume angreifen

Was ist das erste, dass Dir an einem Baum auffällt? Wahrscheinlich die Größe! Aber hast Du Dich schonmal gefragt, warum Bäume überhaupt einen so massiven Stamm haben, der einen großen Teil ihrer Ressourcen verschlingt? Alleine stehend würde ein Baum eigentlich keinen Sinn ergeben, die Krone dicht am Boden wäre effizienter, um mit möglichst wenig Einsatz maximale Photosynthese zu betreiben. Aber in Konkurrenz mit anderen Pflanzen, ergibt der Wuchs plötzlich Sinn! Am Boden von dichten Buchen- oder tropischen Regenwäldern kommt nur noch 1% oder weniger des Sonnenlichts an, die Bäume dominieren den Kampf ums Licht. Und hier zählt dann schnelles Wachstum, um nach oben zu kommen. Der Meister ist der Riesenbambus Dendrocalamus giganteus, dessen Sprosse bis zu fast einem Meter pro Tag nach oben schießen können. Andere Pflanzen können dort nur bestehen, wenn sie entweder sehr genügsam sind oder – wie der Unterwuchs aus Anemonen und Winterlingen im Buchenwald das Frühjahr nutzen, in dem ihre hochstammigen Herrscher noch keine Blätter tragen.

Oder man schummelt! Epiphyten sind Pflanzen, die insbesondere in den Tropen auf anderen Pflanzen wachsen und so näher am Licht sind, dafür abgeschnitten vom Boden mit seinen Nährstoffen und dem Wasser. Dafür bilden Bromelien mit ihren Blätten Trichter und Orchideen haben saugfähige Wurzeln und einige Epiphyten bieten Ameisen Unterschlupf, die dann mit den anfallenden Abfällen ihrer Bauten die Pflanze düngen. Als Alternative kann man an einem Baum hochklettern und sich so viel vom nötigen Stützmaterial sparen. Besonders raffiniert machen es eine Reihe von tropischen Ficus-Arten, die als Würgefeigen bezeichnet werden. Diese wachsen erst als Epiphyten, senden dann Wurzeln zum Boden und umwachsen irgendwann ihren Trägerbaum so eng, dass er nicht weiterwachsen kann und abstirbt – die Würgefeige hat dann seinen Platz übernommen!

Aber Pflanzen kämpfen nicht nur ums Licht, auch um Nährstoffe aus dem Boden, wo Wurzeln ähnlich konkurrieren können wie die überirdischen Pflanzenteile. Und manche Arten geben sogar Giftstoffe ab, die das Wachstum anderer Arten hemmen – ein bekanntes Beispiel ist der Walnussbaum (Juglans regia) unter dem meist eine Zone freien Bodens liegt, aber auch Wüstenpflanzen sichern sich so genug Bodenfläche um bei den seltenen Regenfällen genug Wasser abzubekommen und insgesamt scheint dieser Prozess (Allelopathie) sogar recht häufig zu sein – nicht umsonst gibt es in vielen Gartenbüchern Angaben, welche Pflanzen man gut neben anderen anbauen kann.

Eine weitere Art von Konkurrenz herrscht um Bestäuber und die hat für uns den Vorteil, dass es so auffällige, bunte und duftende Blüten gibt! Allerdings kann auch diese Schönheit Probleme bereiten. So sind Rapsfelder zum Beispiel für Bienen so attaktiv, dass andere Pflanzen in ihrer Nähe merklich seltener bestäubt werden.

Manche Pflanzen belassen es aber nicht beim Konkurrieren – sie stehlen als Parasiten direkt bei anderen Arten. Bekannt ist die Mistel (Viscum album), die auf Bäumen wächst und als Halbschmarotzer zwar selbst Photosynthese betreibt, aber ihr Wasser und ihre Mineralien aus dem Xylem des Wirtsbaums saugt. Der Teufelzwirn, auch Seide genannt (Cuscuta), ist zwar auch grünlich, braucht aber seine Wirtspflanzen für ziemlich alles und ist entsprechend ein Vollschmarotzer. Bei uns kann man im Sommer die Nesselseide (Cuscuta europaea) wie grüne Schnüre Brennnesseln umwindend, weltweit gibt es etwa 140 Arten, die an ganz verschiedenen Pflanzen parasitieren. Andere Pflanzen bleiben gleich fast komplett unter der Erde und schmarotzen an den Wurzeln ihrer Wirte und strecken nur die Blüten nach oben. Dazu gehören die oft orchideenähnlich aussehenden Sommerwurzen (Orobanche), aber auch die tropische Rafflesia, die mit bis zu einem Meter Durchmesser die größten Einzelblüten der Welt bildet!

Und manche Pflanzen stehlen ihre Nährstoffe nicht von anderen Pflanzen, sondern von Tieren: Die fleischfressenden Pflanzen! Fleischfressende Pflanzen leben vor allem an Stellen, die sehr nährstoffarm sind, wie in Mooren oder als Epiphyten auf anderen Pflanzen im tropischen Regenwald – die oft aufwändigen Fangblätter lohnen sich wohl sonst nicht. Die einfachsten Fallen sind klebrige Blätter wie wir sie schon bei der Insektenabwehr kennen gelernt haben und die als Fangblätter nur noch etwas klebriger werden müssen. So etwas finden wir bei den Fettkräutern (Pinguicula) oder etwas raffinierter beim Sonnentau (Drosera) bei dem nicht das ganze Blatt klebt, sondern Haare mit Klebstofftröpchen. Das spart Klebstoff und da sich die Blätter um ein Beutetier einrollen können, entsteht trotzdem ein enger, der Verdauung förderlicher Kontakt. Das Blatt muss dann nur noch Verdauungsenzyme abgeben, die wir aber auch schon aus der Feindabwehr kennen – so verwunderlich die Anpassungen fleischfressender Pflanzen also scheinen mögen, als Abwehr, die den Spieß umdreht ist auch ihre evolutionäre Geschichte gut nachvollziehbar! Die zuklappenden Blätter der Venusfliegenfalle sind dann im Prinzip einfach Klebblätter, die sich so schnell schließen können, dass sie keinen Klebstoff mehr brauchen.

Die Wasserschläuche (Utricularia) haben Unterwasserfallen, die sich bei Kontakt mit kleinen Tieren blitzschnell öffnen und ihre Beute so einsaugen können – grob gesehen ein ähnlicher Mechanismus wie bei den auch unter Spannung stehenden Früchten des Springkrauts, die sich schlagartig öffnen!

Und dann gibt es noch die verschiedenen Fallgrubenblätter, bei denen Insekten in eine Röhre oder einen Trichter mit glatten Wänden rutschen und dort ertrinken. Besonders komplexe Blätter haben die Kannenpflanzen (Nepenthes), deren Blätter an der Basis breit und grün sind und Photosynthese treiben, dann in einen windenden Blattstiel übergehen und am Ende die Fallenkanne haben. Aber schaut man genauer hin, dann nutzen gar nicht alle Nepenthes-Arten diese Fallen, um arglose Insekten zu fangen. Auch Regen und Erde kann sich darin sammeln und hier wie bei anderen fleischfressenden Pflanzen können auch gefangene Pollen und sogar Laub einen wesentlichen Teil der „Nahrung“ ausmachen. Des weiteren werden auch Algen verdaut, die in der Kanne wachsen und in manchen bauen Ameisen ihre Nester, deren Abfälle dann die Pflanze düngt. Manche Kannen sind sogar groß genug, dass kleine Fledermausarten darin schlafen können, deren Guano wieder einen hervorragenden Dünger abgibt! Und die beste Geschichte liefert vielleicht Nepenthes lowii, an deren Kannenrand eine weißliche Substanz Spitzhörnchen anlockt, die dann auf der Kanne sitzend diese abschlecken und wieder mit ihrem Geschäft düngen! Nepenthes-Arten sind also wohl eher allesfressende Pflanzen...

Nur was Krankheitserreger angeht, finden sich die unter Pflanzen kaum. Die Horrorgeschichten, die man früher Kindern erzählt hat, dass verschluckte Apfelkerne im Bauch keimen würden, sind nur Geschichten. Selbst wenn ein Samen einen Platz fände, der weder zu sauer ist, noch den Keimling verdaut, würde das Pflänzchen im Dunklen schnell absterben und verdaut werden. Was uns keimend Ärger machen kann, sind Pollen auf der Nasenschleimhaut, aber auch diese überleben nicht lange. Manche Algen sind eine gefährliche Quelle für Vergiftungen, darunter die Fischvergiftung Cigautera, aber das ist kein gezielter Angriff auf uns. Manche Algen können aber auch Tiere besiedeln und während die Algen die das Fell von Faultieren grün färben, diesen sogar nützlich sind, gibt es ein paar andere einzellige Algen, die immungeschwächte Tiere und Menschen befallen können und eine Gattung von Grünalgen, die tatsächlich ein Krankheitserreger ist: Protoheca. Diese einzelligen Algen bilden kein Chlorophyll und können gelegentlich die Haut und andere Organe befallen. Aber wie gesagt, das ist die absolute Ausnahme.

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