Freitag, 1. April 2022

Der Grüne Planet, Teil 3 (Kapitel 7, 8 und 9)


 

Kapitel 7 – Sieh mir in die Sproßspitze, Kleines!

Vielleicht gehörst Du ja zu den Leuten, die mit ihren Zimmerpflanzen reden, aber sehr wahrscheinlich hast Du ihnen noch nie in die Augen geschaut – wahrscheinlich weil sie einfach keine haben, genausowenig wie Ohren. Aber trotzdem reagieren Pflanzen bekanntlich auf Licht und so stellt sich die Frage: Was nimmt so ein grünes Wesen eigentlich alles wahr und merkt es, dass wir uns mit ihm beschäftigen?

Das wichtigste Signal, das Pflanzen aus ihrer Umwelt erreicht, ist sicher Licht – denn Licht ist die Energiequelle der Photosynthese und ohne Licht geht für die allermeisten Pflanzen gar nichts. Wächst eine Pflanze im Licht, dann bildet sie grüne Blätter und kräftige Wurzeln, man spricht hier von der Photomorphogenese (Gestaltbildung im Licht). Wächst eine Pflanze im Dunklen, streckt sich der Sproß so weit wie möglich und alle anderen Vorgänge werden zurückgehalten, um Energie zu sparen – die Blätter bleiben klein und weiß, die Wurzel kurz (Skotomorphogenese, Gestaltbildung im Schatten). So haben vor allem Keimlinge die Chance, ins Licht zu kommen und dort dann grüne Blätter zu bilden und nicht vorher ihre Reserven zu verbrauchen und zu verhungern. Für die Photomorphogenese haben Pflanzen zwei wichtige Rezeptoren, meist in mehreren Varianten: Cryptochrome und Phytochrome. Die Cryptochrome reagieren vor allem auf blaues Licht, die Phytochrome auf rotes – und damit genau auf die Wellenlängen, die die Photosynthese am besten nutzen kann!

Für viele Pflanzen spielt Licht auch eine entscheidende Rolle bei der Keimung – denn je nachdem, wie viele Nährstoffe ein Samen trägt, ist es besser an der Oberfläche zu keimen, wo der Keimling gleich mit der Photosynthese beginnen kann (Lichtkeimer) oder besser geschützt in der Erde (Dunkelkeimer). Viele Ruderalpflanzen, also solche, die schnell auf offenen Flächen wachsen und für uns oft unter den Begriff „Unkraut“ fallen, sind Lichkeimer. Und das erlaubt auf dem Acker einen Trick: Generell dient Pflügen dem Auflockern und Belüften der Erde, der Verteilung von organischem Material im Boden und dem Zerstören unerwünschter Vegetation. Allerdings bringt es auch die Samen eben solcher unerwünschter Pflanzen an die Oberfläche. Pflügt man nachts, dann keimen nur die Samen, die tatsächlich an der Oberfläche gelandet sind, pflügt man tagsüber können auch einige keimen, die nur kurz Licht abbekommen haben. Der Effekt kann in manchen Versuchen enorm sein (2% Bodenbedeckung durch "Unkräuter" statt 80% https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF01131157.pdf). Die Autoren merken aber auch an, dass die Methode dunkelkeimende Unkräuter selektieren könnte und damit genauso empfindlich für Resistenzen sein könnte wie Herbizideinsatz. Und Pflügen auch einen Beitrag zur Erosion und dem Verlust von Boden beiträgt - eines der größten und am wenigsten bekannten Probleme der weltweiten Landwirtschaft, ist Pflügen als Unkrautbekämpfung auch nicht unbedingt umweltfreundlicher als ein gezielter Herbizideinsatz. Auch hier gilt: Einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt es selten. Und wie man am besten Pflanzen anbaut, um die Menschheit zu ernähren ohne unsere Umwelt zu zerstören ist ein sehr komplexes Problem!

Aber Pflanzen nehmen nicht nur wahr, ob Licht da ist oder nicht, sie können auch die Richtung wahrnehmen und ihr Wachstum zum Licht hin ausrichten. In Kapitel 1 hatten wir schon über die Blätter der Sonnenblume gesprochen, aber ein Wachstum zum Licht (Phototropismus) findet sich bei allen Pflanzen – und nicht nur auf der sichtbaren Ebene, denn in vielen Zellen richten sich sogar die Chloroplasten, die grünen Organellen, die das Sonnenlicht auffangen, je nach Beleuchtung unterschiedlich aus. Pflanzen nutzen also verschiedene Informationen aus dem Licht wie Menge und Richtung, um ihre Photosynthese zu optimieren.

Einer der ersten, der hier genauer hinschaute war – mal wieder – Charles Darwin, der mit seinem Sohn Francis Versuche an Weizenkeimlingen machte. In diesen konnten sie beobachten, dass die Pflänzchen sich etwas unter der Spitze zum Licht krümmten, aber ein Abschneiden oder verdecken der Spitze diese Bewegung verhindert. Die Darwins vermuteten, dass in der Spitze ein Stoff ungleich verteilt wird, der dann nach unten wandert und so zu ungleichmäßigem Wachstum im Sproß und in der Folge zur Krümmung führt. Nicht nur hatten sie damit die Anfänge der Pflanzenphysiologie gelegt, sondern auch eines der ersten Modelle für ein Hormon aufgestellt – und sie sollten Recht behalten! Heute wissen wir, dass eine weitere Klasse von Blaulichtrezeptoren – die Phototropine – und das Pflanzenhormon Auxin hier zusammenspielen.

Neben der Menge und Richtung, können Pflanzen aber auch die Wellenlängen von Licht analysieren – sozusagen Farben erkennen! Und dabei spielen die schon genannten Phytochrome eine besondere Rolle. Die können nämlich in zwei Zuständen vorliegen: Gebildet werden sie in einer Form, die durch relativ kurzwelliges rotes Licht angeregt werden kann, das auch energiereich genug ist, um in der Photosynthese genutzt zu werden. Durch diese Anregung werden sie in eine zweite Form umgewandelt, die in den Zellkern wandert und Gene aktivieren kann, aber auch durch längerwelliges, energieärmeres Licht wieder in die Ausgangsform überführt werden kann. Aus dem Verhältnis der beiden Formen kann eine Pflanze dann also auch ablesen, wie sich die Rottöne im Licht verteilen – und das ist deshalb genial, weil sie daran erkennen kann, ob sie im Schatten anderer Pflanzen steht! Diese absorbieren nämlich das blaue und das kürzerwellige rote Licht, lassen aber das längerwellige Rotlicht durch – wenn Du einmal unter einer Buche nach oben schaust, kannst Du manchmal erkennen, wie rotstichig das hindurchfallende Licht ist. Und da ein Teil des langwelligen Rotlichts auch reflektiert wird, kann eine Pflanze sogar erkennen, wenn sie neben einer anderen wächst – und entsprechend schneller wachsen, um nicht im Schatten zu enden. Wenn in einem Maisfeld alle Pflanzen ungefähr gleich groß sind, dann bewirkt diese Wahnehmung das! Und dieses pflanzliche „Farbensehen“ ist enorm sensitiv – auch bei Maispflanzen hat man einen Effekt auf das Wachstum in bis zu 30 Metern Abstand zu einem Waldrand bemerkt – selbst die besten menschlichen Künstler dürften kein solches Auge für Lichtfarbe haben!

Phytochrome spielen aber sogar noch bei einem anderen Effekt eine wichtige Rolle – nämlich für die Steuerung der inneren Uhr und für die Messung der Tageslänge – wobei Pflanzen genau genommen die Länge der Nacht messen. Stört man nämlich die lange Nacht durch einen Lichtpuls, messen sie nur die längste Dunkelphase und verhalten sich dann wie bei langen Tagen. Und die Tageslänge ist für Pflanzen eine wichtige Information, denn sie zeigt das Fortschreiten des Jahres an. Im Sommer blühende Pflanzen brauchen zum Beispiel eine gewisse Tageslänge, um Blüten zu bilden und zu öffenen, Herbstblüher machen das erst, wenn die Tage eine bestimmte Länge wieder unterschreiten. Die innere Uhr dagegen erlaubt es Pflanzen auch an trüben Tagen und in der Nacht richtig zu reagieren – zum Beispiel bei der Sonnenblume, die Blätter wieder in die Ausgangsstellung zurückzubewegen. Hier ist Licht ein wichtiger Taktgeber, damit der innere Rhythmus auch tatsächlich einem 24-Stunden-Tag folgt. Hält man Pflanzen im Dauerlicht, dann geraten die Zyklen wie bei uns übrigens auch aus dem Takt!

Und als wäre all das nicht genug, hat man noch weitere Lichtrezeptoren in Pflanzen entdeckt, welche, die helfen, die innere Uhr zu steuern und andere, die UV-Licht messen und die Bildung von Schutzsubstanzen anregen – die Entsprechung zu unserem Braunwerden – bei manchen Pflanzen kann man das am Rotwerden von Blättern erkennen – besonders auffällig beim Ruprechtskraut oder Stinkenden Storchschnabel (Geranium robertianum), dessen Blätter im Schatten grün bleiben, in der Sonne aber blutrot werden können!

Pflanzen nehmen Licht also anders wahr als wir und können keine Bilder sehen, aber in der Komplexität ihres „Sehens“ stehen sie uns kaum nach. Aber wie sieht es mit anderen Sinnen aus - Riechen, Fühlen oder Hören?



Kapitel 8 – Wenn Pflanzen Füße hätten, könnten sie dann hören?

Die Frage mag komisch erscheinen, aber sie ist tatsächlich eine ziemlich intelligente Überlegung, die in einer Twitterdiskussion über Sinnesleistungen von Pflanzen aufkam. Hören ist für Tiere ja überwiegend ein Sinn, um sie vor Feinden und Gefahren zu warnen oder auf Futter oder mögliche Partner aufmerksam zu machen – und fast immer ist dann weg- oder hinlaufen die beste Reaktion. Und Pflanzen können das nicht und können auch mit Wachstum oder Stoffwechsel nicht schnell genug auf die meisten solcher Reize reagieren. Tatsächlich hören auch viele wirbellose Tierarten nicht, so wichtig uns Menschen der Sinn erscheint. Immer wieder haben Leute behauptet, dass Musik, die uns Menschen ja emotional besonders anspricht, auch das Wachstum von Pflanzen beeinflussen soll – nur konnte das bisher niemand überzeugend zeigen. Und es ist gar nicht so einfach, schwache Effekte auf Pflanzen durch Musik oder mit ihnen sprechen nachzuweisen – denn wie wir gesehen haben – und noch sehen werden – reagieren sie auf viele Reize und Schall ohne andere Reize wie Luftbewegung, Wärme oder Kohlendioxid aus unserer Atemluft anzubieten, ist gar nicht so einfach. Kommen dazu zufällige Effekte und menschliche Faktoren, wie unsere Tendenz, eine Pflanze, mit der wir reden vielleicht auch sonst besser zu behandeln – indem wir sie zum Beispiel regelmäßiger gießen und düngen – dann können wir für viele esoterischen Behauptungen anekdotische Evidenz erzeugen, die sich in besser kontrollierten Experimenten nicht reproduzieren lassen.

Trotzdem gibt es ein paar Hinweise, dass zumindest manche Pflanzen auf bestimmte Frequenzen reagieren können. Das vielleicht am besten belegte Phänomen ist die Vibrationsbestäubung, bei der Bienen und Hummeln vor einer Blüte brummend in der Luft schweben und dadurch die Freisetzung von Pollen fördern. Manche Staubblätter schütteln sogar nur dann ihre Pollen aus, wenn sie mit der richtigen Frequenz angebrummt werden! Richtiges Hören ist das aber sicher nicht, eher ein in der Form der Organe angelegtes passives Mitvibrieren. Näher an echtem Hören wären ein paar Versuche, die gezeigt haben wollen, dass Pflanzenwurzel zum Geräusch fließenden Wassers wachsen oder mehr Abwehrstoffe bilden, wenn man ihnen das Geräusch fressender Raupen vorspielt. Wie überzeugend diese Daten sind, da sind sich die Wissenschaftlerinnen aber nicht einig und über mögliche Mechanismen wissen wir noch nichts. Grundsätzlich haben Pflanzen natürlich Strukturen, die bei bestimmten Frequenzen mitschwingen und so ein verwertbares Signal erzeugen könnten – von Härchen auf den Blättern und Wurzeln bis zu den Wänden von Zellen. Aber insgesamt bleibt die Frage, ob manche Pflanzen doch ein bisschen hören können, ohne klare Antwort.

Für Fühlen sieht die Sache aber schon ganz anders aus. Zwar muss man auch hier aufpassen, denn nicht jede Reaktion auf Berührung belegt eine echte Sinneswahrnehmung – die Früchte des Springkrauts stehen zum Beispiel einfach so unter Spannung, dass eine Berührung ausreicht, sie platzen zu lassen – etwas später hätten sie das auch von allein getan. Aber die schon in Kapitel 1 erwähnten Mimosen oder Venusfliegenpflanzen zeigen uns beeindruckend, dass Pflanzen auf Berührung reagieren können – und das sogar komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint!

Auf den Fangblättern der Venusfliegenfalle sitzen mehrere Tastborsten. Aber nicht bei jeder Berührung schnappt die Falle zu – wie Du vielleicht schonmal bemerkt hast, wenn Du eine Falle mit einer Pinselspitze oder ähnlichem gereizt hast. Erst wenn es zwei Berührungen innerhalb von etwa 20 Sekunden gab, schnappt die Pflanze zu! So erwischt sie krabbelnde Insekten, aber verschwendet keine Energie für Regentropfen. Bei der Mimose fällt die Reaktion der Blätter und Sprosse unterschiedlich stark aus, je nachdem wieviel Wind und Berührungen die Pflanze bereits erlebt hat – eine abgehärtete Mimose reagiert gar nicht mehr so empfindlich! Und diese Anpassung, fast schon einfache Lernfähigkeit, verhindert, dass die Pflanze auf die falschen Reize überreagiert.

Dass Pflanzen ihren Wuchs an Wind anpassen, kannst Du aber auch in den Bergen, an der Küste oder an manchen Waldrändern gut beobachten – Bäume, die starkem Wind ausgesetzt sind, bleiben kleiner und bilden einen dickeren Stamm. Auch Pflanzen, die oft berührt werden oder denen man Blätter abschneidet reagieren ähnlich – Pflanzen streicheln ist für diese also eher Stress. Aber insgesamt erlaubt, diese Wahrnehmung Pflanzen, sich wieder ideal an ihren Standort und dessen Bedingungen anzupassen.

Noch wichtiger ist ein „Tastsinn“ für Wurzeln, denn diese müssen ja sozusagen erspüren, durch welche Erde sie gut wachsen können, um welche Steine sie herum müssen und bei all diesem hin und her müssen sie auch noch die generelle Richtung beibehalten! Wurzelspitzen können dafür die Richtung der Schwerkraft spüren, im Prinzip eine Art Gleichgewichtsssinn. Besonders schön kann man das zeigen, wenn man Pflanzen auf Platten wachsen lässt und diese dann dreht, oder in einer Zentrifuge – immer orientieren sich die Wurzeln dahin, wo die wirkenden Kräfte ihnen ein „unten“ anzeigen. Wir wissen sogar ziemlich genau, wie Wurzeln das bewerkstelligen, in der Wurzelhaube, die die wachsende Spitze schützt, gibt es nämlich ein paar besonders stärkereiche und damit schwere Plastiden, die in ihren Zellen nach unten sinken – und damit wohl einen kleinen aber ausreichenden Tastreiz nach „unten“ erzeugen.

Ein weiterer Sinn, der für uns zum Fühlen zählt, ist der Temperatursinn. Temperatur spielt auch für Pflanzen eine große Rolle, bei der Entscheidung, wann geblüht, gekeimt und gewachsen wird. Und dabie haben viele Pflanzen sogar ein Temperaturgedächtnis. Viele Samen keimen nämlich erst, wenn die Temperaturen günstig sind und sie vorher schon einmal tiefe Temperaturen erlebt haben – so gehen sie sicher, erst im Frühjahr zu keimen und nicht schon im Herbst, wo die Keimlinge den Winter kaum überleben würden. Ganz ähnlich blühen viele Pflanzen auch erst, wenn sie eine Kälteperiode erlebt haben. Und so integrieren Pflanzen in ihre Blühentscheidung Informationen aus Temperatur, Licht und anderen Faktoren – bekannt ist die Kirschblüte, die als ein Zeichen des beginnenden Frühlings gilt. Aber sogar die Meteorologie nutzt den Blühbeginn, um den sogenannten „phänologischen Frühling“ zu definieren: Mit der Haselblüte beginnt im Januar der Vorfrühling, mit der Forsythie Ende März der Erstfrühling und mit der Apfelblüte im April der Vollfrühling. Und dank jahrelanger Aufzeichnungen wissen wir auch, dass all das immer früher einsetzt, was wieder mal den Klimawandel dokumentiert.

Nach Sehen, Hören und Fühlen bleiben uns noch die chemischen Sinne, die verschiedene Substanzen detektieren können: Schmecken und Riechen. Und auch da können Pflanzen einiges mehr, als man ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde: Ein spektakuläres Beispiel ist die Kommunikation über flüchtige Hormone - das bekannteste Beispiel sind vielleicht Akazien, die wenn sie angefressen werden ihre Nachbarn "warnen". Diese bilden dann recht schnell mehr Giftstoffe und würden so Pflanzenfressern den Appetit verderben - weshalb Giraffen an jeder Akazie nur relativ kurz fressen und dann zur nächsten gegen den Wind wandern! Immerhin schützt das die Bäume davor, zu stark abgefressen zu werden.

Wurzeln sind auch hier vielleicht die begabtesten Pflanzenorgane, denn sie können Wasser, Nährstoffe und schädliche Salze im Boden wahrnehmen und entsprechend ausweichen, schneller oder langsamer wachsen und mehr oder weniger Wurzelhaare bilden oder auch den Boden gezielt ansäuern oder Substanzen abgeben, um mehr Nährstoffe freizusetzen – man könnte sagen, eine Wurzel schmeckt und tastet sich durch dir Erde und verdaut sie gezielt!

Die wichtigsten chemischen Sinne sind aber wahrscheinlich für Pflanzen – genauso wie für uns – nicht die, die die Umwelt erkunden, sondern die, die den eigenen Körper wahrnehmen und steuern. Pflanzenzellen können die Konzentrationen an Zuckern und verschiedenen Nährstoffen messen und dann ihren Stoffwechsel anpassen oder über Hormone sogar den restlichen Pflanzenkörper informieren – sozusagen die Entsprechung von Hunger oder Apetit auf eine bestimmte Speise. Spaltöffnungen, von denen wir bei der Photosynthese noch mehr hören werden, messen die Kohlendioxidkonzentration im Blatt und öffnen sich, wenn diese zu niedrig wird. Und auch auf Gefahren können Pflanzen so reagieren, indem sie zum Beispiel Bruchstücke pflanzlicher oder tierischer Zellwände und bestimmte bakterielle Moleküle erkennen und so wahrnehmen können, ob sie gerade angefressen oder infiziert werden – und entsprechend ihre Abwehr aktivieren.

Wenn Pflanzen aber so viel von ihrer Umwelt und aus ihrem eigenen Körper wahrnehmen und sinnvoll darauf reagieren, dann drängen sich auch Fragen auf wie: Spüren Pflanzen Schmerz, sind sie intelligent, haben sie ein Bewusstsein oder eine Seele?

 

Kapitel 9 – Hat meine Mimose Gefühle?

Für Aristoteles hatten alle Lebewesen eine Seele, zumindest eine mit den grundlegendsten Fähigkeiten – Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung. Nur Tiere erreichten nach seiner Vorstellung die nächste Ebene, wo die Seele Wahrnehmung, Bewegung und zielgerichtetes Handeln ermöglicht. Und nur Menschen hatten eine Seele, die auch das Denken erlaubt. Auch wenn man Aristoteles zu Gute halten muss, dass er dem Leben etwas Gemeinsames zugesprochen hat, ist seine Einteilung mit dem, was wir über Pflanzen inzwischen wissen, kaum haltbar – und genauso kennen wir heute so viele erstaunliche Denkleistungen von Tieren, dass die ganze Dreiteilung fragwürdig erscheint und alles eher ineinander übergeht. Überhaupt ist der Begriff der Seele so schwer zu definieren, dass er wissenschaftlich kaum zugängig erscheint. Aber auch bei Schmerzen, Intelligenz und Bewusstsein können wir keine eindeutigen Grenzen ziehen. Dass Pflanzen die Grundlagen für all das mitbringen, haben wir gesehen – aber vielleicht ist es am besten, wenn wir erst noch ein bisschen genauer hinschauen, wie Pflanzen Informationen verarbeiten, bevor wir uns an Antworten herantasten.

Ein tierischer Körper verteilt Informationen über verschiedene Systeme: Das schnellste ist das Nervensystem, das bei vielen Tieren auch ein klares Zentrum hat, wenn es weit genug entwickelt ist, bezeichnet man es als Gehirn. Daneben gibt es Hormone, einen Kreislauf, der für den Stoffwechsel wichtige Substanzen verteilt und nicht zuletzt ist der ganze Körper auch mechanisch zusammenhängend.

Die mechanische Kommunikation und den Austausch von Substanzen über Leitsysteme finden wir in Pflanzen auch. Und auch Hormone gibt es hier – wir hatten bei der Lichtwahrnehmung schon davon gehört. Zwei der wichtigsten Klassen an Pflanzenhormonen sind Auxin – das vor allem im Sproßspitze gebildet wird und unter anderem Zellen zur Streckung anregt – und Cytokinine – die in der Wurzelspitze gebildet werden und unter anderem Zellen zur Teilung anregen. Diese beiden Hormonsysteme organisieren ganz wesentlich den Pflanzenkörper, beeinflussen aber im Gegensatz zu den meisten tierischen Hormonen sehr viele verschiedene Prozesse und erlauben so auch viele Anpassungen des Pflanzenkörpers. Zum Beispiel beruht die Krümmung der von Darwin und seinem Sohn beobachteten Weizenkeimlinge auf einer ungleichmäßigen Verteilung von Auxin im Sproß. Außerdem hemmt Auxin die Ausbildung von Seitensproßen – in manchen Pflanzen mehr, so dass vor allem eine Hauptachse gebildet wird, in anderen weniger, so dass sie buschiger wachsen. Und wenn man zum Beispiel eine Weide köpft, dann führt der Wegfall des Auxinsignals dazu, dass ganz viele neue Seitensproße austreiben! Andere Hormone arbeiten mit Auxin und den Cytokininen bei der Organisation des Pflanzenkörpers zusammen koordinieren die pflanzliche Stressabwehr oder signalisieren Wassermangel auch zwischen weit voneinander entfernten Pflanzenteilen. Auch das pflanzliche Hormonsystem kann mit unserem also ganz gut mithalten.

Aber wie ist es mit einer Entsprechung zu unserem Nervensystem? Tatsächlich können Pflanzen auch elektrische Signale erzeugen und nutzen – die Bewegungen von Venusfliegenfalle und Mimose werden so gesteuert. Allerdings laufen diese Signale in Pflanzen nicht entlang spezialisierter Zellen wie in Tieren, sondern durch das ganz normale Gewebe – eine mögliche Erklärung ist, dass Pflanzenzellen dank ihrer Zellwände viel geordneter vorliegen, als tierische Zellen, die verformbar sind und teilweise sogar wandern können. Während ein Tier für einen gerichteten Signaltransport also sowas wie ein beständiges Kabelnetzwerk braucht, können normale Pflanzenzellen Signale wie in einer Eimerkette weiterreichen.

Trotzdem gibt es ein paar Botaniker, die sagen, es sei sinnvoll, die pflanzliche Signalweiterleitung mit den Begriffen der Neurobiologie zu beschreiben – sie nennen ihr Forschungsgebiet entsprechend auch Pflanzenneurobiologie. Und manche von ihnen sehen sogar in den Wurzelspitzen eine Entsprechung zu tierischen Gehirnen, da hier Informationen wie die Richtung der Schwerkraft und der Nährstoff- und Wassergehalt des Bodens wahrgenommen und an den Rest der Pflanze kommuniziert wird, letztendlich hier also zentrale Entscheidungen getroffen werden. Tatsächlich war auch das schon Charles und Francis Darwin aufgefallen, die eine „root-brain“-Hypothese aufstellten, die besagt, dass Wurzelspitzen ähnlich funktionieren wie die Gehirne niederer Tiere.

Allerdings ist ähnlich eben nicht gleich – und so spannend es ist, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, so leicht kann es einen auch in die Irre führen, Vergleiche zu weit zu treiben. Auch wenn manche Mechanismen zwischen Pflanzenzellen denen zwischen Nervenzellen ähneln, haben sie eben doch keine Nervenzellen. Und auch wenn Wurzelspitzen eine gewisse Intelligenz zeigen, haben Pflanzen eben doch kein zentrales Gehirn, sondern viele Wurzelspitzen und dazu einen Sproß, der ähnlich wichtige Entscheidungen trifft – wie wir beim Licht gesehen haben. Und auch die vielfältigen Wahnehmungen von Pflanzen sind viel weniger in speziellen Sinnesorganen zentriert als bei Tieren – insgesamt agieren Pflanzen viel weniger zentralisiert, eher wie eine nur grob strukturierte Basisdemokratie aus Zellen und Organen. Und das passt auch gut zu dem modularen, anpassungsfähigen Körperbau von Pflanzen. Und so halten die meisten Botaniker die weitergehenden Ideen der Pflanzenneurobiologen für wenig hilfreich oder sogar schädlich.

Die große Frage ist ja auch: Was hätte eine Pflanze von einem tierähnlichen Bewusstsein? Evolutionär kann sich nur durchsetzen, was nicht nur einen Nutzen hat, sondern auch keinen unangemessenen Aufwand. Und die Vielfalt pflanzlicher Reaktionen scheint recht gut auch ohne ein zentrales Bewusstsein erklärbar zu sein und wahrscheinlich sogar besser. Wieso sollten Pflanzen in ein Bewusstsein investieren, dass ihnen keinen entsprechenden Nutzen bringt? Und natürlich können wir unsere Begriffe so weit dehnen, dass sie auch auf Pflanzen zutreffen, aber dadurch verlieren sie an Bedeutung und – vielleicht noch schlimmer – können sie den Blick darauf versperren, dass Pflanzen erstaunliches auf ganz andere Art und Weise als wir bewerkstelligen. Denn ein Stück weit ist die Frage nach pflanlicher Seele, Intelligenz und Bewusstsein auch aus menschlicher Eitelkeit geboren: Wir möchten dass Wesen, die uns faszinieren, uns ähnlich sind. Wir wollen, dass etwas Bewundernswertes die Eigenschaften mit uns teilt, die wir an uns selbst wertschätzen. Aber verstellt uns das nicht den Blick auf eine Andersartigkeit, die genauso faszinierend und wertvoll sein kann?

Müssen Pflanzen Schmerzen empfinden, damit wir einen Grund finden, sie nicht zu verletzen? Brauchen Pflanzen ein Bewusstsein, um uns zu faszinieren, von uns wertgeschätzt und geschützt zu werden? Oder ist es nicht viel besser, akzeptieren zu lernen, das auch Wesen, die in manchen Belangen ganz anders sind als wir, neben uns bestehen können – dass wir eben nicht das singuläre Non-Plus-Ultra des Lebens sind, sondern nur eine von vielen faszinierenden und wertvollen Variationen? Und wenn wir das von ihnen lernen können, dann können und Pflanzen vielleicht eine Weisheit weitergeben, ohne selbst auch nur einen Gedanken davon denken zu können!

 

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